Alison Louise Kennedy: Was wird (Erzählungen) |
Kritik: Schroff und zynisch erzählt A. L. Kennedy in "Was wird" von kurzen Abschnitten im Leben von Menschen, die aufgrund einer Lebenskrise verstört sind. ![]() |
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A. L. Kennedy: |
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Inhalt: Erzählungen: Was wird – Wespen – Edinburgh – Samstags spätnachmittags – Konditorgold – Ganze Familie mit kleinen Kindern am Boden zerstört – Wie Gott uns schuf – Ehe – Meine Geschichte – Mit Gefühl – Ein Anderer – Verschwinden ![]() |
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Alison Louise Kennedy: Was wird |
InhaltsangabeWas wirdWie an jedem Freitagabend kocht Frank Gemüsesuppe für sich und seine Ehefrau. Er tat es für sie. Er betrachtete es im Stillen als eine Art Opfergabe – hier bin ich, das ist von mir, ein Beweis meiner selbst, ein Zeichen meiner verlässlichen Liebe. (Seite 11) Als er sich dabei in den Finger schneidet, schaut er zu, wie das Blut auf den Boden tropft und schleudert es dann auch gegen das Glas der Terrassentüre.
Er war in der Küche gewesen und hatte Suppe gekocht [...]
Franks Frau ist entsetzt, als sie nach Hause kommt und das Blut sieht. Sie wirft einen Thymiantopf nach ihm und ohrfeigt ihn auf beide Wangen. Dann geht sie ins Bad. Frank klebt ein Pflaster auf die Wunde und kocht weiter. Als er merkt, dass seine Frau nicht mehr herunterkommt, sondern vom Bad ins Schlafzimmer gegangen ist, kippt er die fertige Suppe in den Mülleimer und putzt bis 2 Uhr nachts die Küche. Anschließend geht er ins Schlafzimmer. Sie fragt ihn, was er gemacht habe, und dann weinen sie beide. Er versucht, sie zu küssen, aber sie erlaubt es ihm nicht. Daraufhin nimmt er seine Reisetasche und verlässt "sein Leben". Hinter Frank stotterte und surrte der Projektor, das Licht sprang auf die Leinwand, und der Ton mit ihm. Er nestelte in der Hosentasche nach dem Handy, fand es und stellte es aus. So würde er nicht merken, wenn es nicht klingelte, immer weiter nicht klingelte. (Seite 27) Konditorgold
Toms Augen sind rosarot und gereizt. Sie weiß nicht genau, wie lange schon. Er hat nicht geweint, nicht heute – nicht, dass sie wüsste –, aber er sieht schlimm aus, ausgelaugt, und sie ist ein schlechter Mensch, weil sie sich nicht bemüht, ihn zu unterstützen. Eine schlechte Ehefrau. Und er ist ein schlechter Ehemann, weil er sie zu dem Schluss zwingt, eine schlechte Ehefrau zu sein. In der Wirtschaftskrise hat Tom nicht nur seinen Dozenten-Job, sondern auch sein Vermögen verloren. Rechnungen bezahlt seine Frau Elaine seit einem halben Jahr mit Schecks, auf denen sie anders als gewohnt unterschreibt, damit sich die Abbuchung wegen der erforderlichen Nachforschungen verzögert. Das Paar wird bei Elaines Eltern in Edgbaston unterkommen müssen.
Positiv denken. Wir werden nicht auf der Straße leben. Seit zwei Tagen irren Tom und Elaine durch die Straßen. Trotz der Schulden genießen sie noch einmal das Essen in einem teuren japanischen Restaurant. Zum Nachtisch gibt es Schokolade mit einem Pinselstrich Blattgold obendrauf.
"Konditorgold. Gibt es so was?" [...] Wie Gott uns schuf
Kriegsveteranen, die sich im Lazarett kennenlernten, treffen sich seither einmal im Monat. Am Vormittag gehen sie in ein Hallenbad, nach dem Mittagessen beginnen sie zu saufen. Anfangs besuchten sie abends noch Striplokale oder Bordelle, aber das unterlassen sie inzwischen. Heute sind sie zu sechst: Gobbler, Petey, Fezman, Jason, Frank und Dan. Macht zwei Oberschenkelamputationen – eine mit Unterschenkel gegenüber –, eine Ellbogenexartikulation, eine Unterarm-, eine doppelte Handgelenksexartikulation – Frank musste danach leider das Stricken aufgeben – und dann noch Dan: rechter Fuß am Gelenk des rechten Fußes und Transhumeral-Amputation am rechten Oberarm – ungefähr in der Mitte zwischen Ellbogen und Schulter – der Schulter, die noch da ist, und dem Ellbogen, der nicht mehr da ist – den Dan aber immer noch spürt – der häufig nass ist: warm und nass, wie das letzte Mal, als er ihn gesehen hat. (Seite 121f) Als die Männer aus den Umkleidekabinen in die Schwimmhalle stolpern, lärmt dort eine Schulklasse. Die Lehrerin, eine Frau Anfang vierzig, spricht die Männer an:
"Es geht um die Kinder – ich weiß, Sie können nichts dafür – aber die Kinder verstört es." [...] Mit Gefühl
Ein Mann und eine Frau begegnen sich in der Bar ihres Hotels. Sie nimmt ihn mit auf ihr Zimmer. Es ist klar, dass sie Sex miteinander haben werden, aber ihre Namen wollen sie sich nicht verraten.
"Scheiße." Während er sich rasch anzieht, fragt er sie:
"Bist du ein bisschen wund? Von mir?" Ein Anderer
Der zweiundvierzigjährige Schauspieler und Schriftsteller Barry Westcott stirbt ganz plötzlich. Der populäre Schöpfer und Sprecher von "Onkel Shaun", der Hauptfigur einer Buchreihe und Radiosendung, saß in seinem Auto und wollte offenbar gerade losfahren, als in seinem Kopf ein Blutgefäß platzte.
Barry hatte ihr als Ausgleich für seine Unfähigkeit, sie zu lieben, ein Kind geboten [...] Um etwas zu stützen, das von allein nicht stehen konnte, hatten sie einen Menschen gemacht: einen vollständigen, lebenden Menschen. Eine leichtsinnige Zutat – schwer zu sagen, was sie sich dabei gedacht hatten – ob sie überhaupt gedacht hatten. Unter den Bewerbern für die Rolle des Onkel Shaun ist Richard Norland. Die Produktionsgesellschaft schickt Lynne Aufnahmen von ihm. Er hört sich an wie Barry Westcott. Sie erklärt sich bereit, ihn zu treffen, und er bekommt die Rolle. Richard war auch an einigen Abenden erschienen, um über die Arbeit zu sprechen, über die Fernsehserie, und vielleicht zum Abendessen zu bleiben. Irgendwann besorgte er auch das Vorlesen der Gute-Nacht-Geschichte, überwachte das Zähneputzen, bekam einen Kuss auf die Wange, ehe er sich von Angelas Bett erhob und das Licht ausknipste. (Seite 185) Ganz langsam lassen Lynne und Richard sich auf eine persönliche Beziehung ein. Erst nach einem Jahr schlafen sie zum ersten Mal miteinander.
Sie hatten an das Kind gedacht und sich unauffällig verhalten. Um ihretwillen waren sie still verliebt gewesen. Angela hatte ihren Vater verloren und war erst acht, sie brauchte Stabilität, und sollte eine Weile das Gefühl haben, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Das hatte Lynne von Anfang an deutlich gemacht – dass ihre Tochter Zeit brauchte, damit fertig zu werden. |
Buchbesprechung:
In den unter dem Titel "Was wird" zusammengefassten Erzählungen von Alison Louise Kennedy geht es um kurze Abschnitte im Leben von Menschen, die aufgrund einer Lebenskrise – zum Beispiel einer scheiternden bzw. gescheiterten Beziehung – verstört sind. Am Schicksal eines bankrotten Ehepaars thematisiert A. L. Kennedy die im Herbst 2008 ausgelöste Weltwirtschaftskrise ("Konditorgold"). Und beim Lesen von "Wie Gott uns schuf" denkt man an den Irakkrieg: Eine Lehrerin befürchtet, ihren Schülern den Anblick arm- bzw. beinamputierter Kriegsveteranen nicht zumuten zu können. Mit all seinen Variationen über Lebens- und Beziehungstragödien liefert "Was wird" keine bloße Nummernrevue des Unglücks, sondern brillante Etüden über die Raffiniertheit und Hartnäckigkeit, mit der es Menschen befällt. (Ulrich Baron, Süddeutsche Zeitung, 7. Januar 2010) |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2010
Alison Louise Kennedy: Also bin ich froh |