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Glanz&Elend
-
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Großformatige Broschur in einer
limitierten Auflage von 1.000 Ex.
176 Seiten, die es in sich haben:
»Diese mühselige Arbeit an den Zügen des
Menschlichen«
Mit Texten von Honoré de Balzac, Hannah Arendt, Fernando Pessoa, Nicolás
Gómez Dávila, Stephane Mallarmé, Gert Neumann, Wassili Grossman, Dieter
Leisegang, Peter Brook, Uve Schmidt, Erich Mühsam und den besten Essays und
Artikeln unserer Internet-Ausgabe.
Inhalt als PDF-Datei
Dazu erscheint als
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von Christian Suhr & Herbert Debes
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Unter Schneemenschen
Ein Statement von Uve Schmidt
Natürlich
redeten alle vom Wetter in Berlin, als RTL (am 31.01.d.J.) eine
Großreportage ausstrahlte (Hauptstadt im Winterchaos), doch da der
Sendung wochenlang diesbezügliche Berichte vorausgegangen waren, schenkte
ich mir die Zusammenfassung, hoffend, dass sie nicht ausgerechnet jenem
Problem gewidmet wäre, welches wir in solchen Wirren thematisiert wissen
wollen: Die Volkssolidarität in den dem Wetter geschuldeten
Katastrophenfällen, eine naturgegebene Gelegenheit, den unpolitischen
Gemeinsinn unserer bevölkerungsreicheren Kommunen als praktische
Bewährungsprobe herauszufordern. Als ich ein kleiner Junge war, waren noch
alle Winter weiß, und so erinnere ich sowohl das Rodelvergnügen auf den
ehemaligen Wallanlagen meiner Vaterstadt, als auch die Mühen und Leiden
meiner älteren Angehörigen, mit den weißen Wintern zurechtzukommen. Knaben
unter 10 Jahren wurden für schwere und riskante Arbeiten nicht eingesetzt;
uns oblag der tägliche Ofendienst, wobei wir u.a. zuständig waren für das
Ansammeln der Asche als verfügbareres Streugut und selbstverständlich waren
wir heimliche Holzdiebe und Kohlenklaus. Wann immer die Verkehrslage
kritisch wurde, waren die Hausgemeinschaften aufgerufen, außer den
Bürgersteigen auch die Straßen von Eis und Schnee zu befreien, wovon man
sich loskaufen konnte, doch nicht sich drücken durfte, und sobald aus der
Sowjetischen Besatzungszone eine vollreglementierte DDR geworden war,
lauerten die Einsatzstäbe der sozialistischen Massenorganisationen „heißen
Herzens“ auf Unwetter und Temperaturstürze mit bedrohlichen Auswirkungen für
die Volkswirtschaft: Dann folgten die Tage, Nächte und Wochen „der Bewährung
im heroischen Ringen um die Planerfüllung und unser aller glückliche
Zukunft“. In der Tat hatte die DDR in Fällen höherer Gewalt weit größere
Schwierigkeiten bei der Behebung der Schäden (z.B. durch anhaltende
arktische Frostperioden), als betroffne Gemeinden und Gebiete im Westen
Deutschlands, denn es fehlte vor allem an effizienter und ausreichender
Technik, ein Ergebnis der fortdauernden Reparationsleistungen an die UdSSR
sowie des Primates der Exportpolitik. Wer aber konnte hier & heute unser
Streusalz bevorzugt beanspruchen? Die Polen als Kompensation für Frau
Steinbach?? Liechtenstein, die Schweiz oder Israel??? Wie lange noch
brauchen die GRÜNEN für ein umweltverträgliches Rutschgefahrenabwehrmittel?!
In den deutschen Großstädten fragt man sich freilich auch, weshalb die
stetig wachsende Verfügungsmasse schwervermittelbarer Arbeitsloser und
geborener Sozialhilfeempfänger in den warmen Betten bleibt, während sich die
Frühaufsteher draußen die Knochen brechen; welche der beiden
Bevölkerungsgruppen bei Glatteis welchen Versicherungsschutz genießt, wäre
die zu stellende salomonische Zielfrage. Will der Sozialstaat weiterhin die
faulen Glieder stärken oder über senile Sollbruchstellen die
Hospitalbewegung fördern? Dass es für Wowereit sehr teuer werden könnte,
falls eine New Yorker Klatschkolumnistin (87) sich das mürbe Steißbein
bräche wegen einiger Schneesternchen, will ich nicht beschreien…
Gewiss: Wann immer in Deutschland (und anderswo) die Natur beim Armdrücken
mit der Zivilisation zu obsiegen droht, machen sich die nationalen
Streitkräfte stark. Als 1978/79 Rügen vom Eis eingeschlossen wurde und
meterhohe Schneewehen die Insel zudeckten, vermochte nur das Eingreifen der
NVA (insbesondere der Einsatz ihrer Hubschrauber) Schlimmeres zu verhüten.
Weiter westlich machte sich die Bundeswehr verdient beim Großeinsatz gegen
die Hamburger Sturmflut 1962, später in den alten und neuen Ländern bei der
Hochwasserbekämpfung. Da wir trotz diverser Verpflichtungen kaum Truppen in
größerer Zahl auswärts stehen und fallen haben, können wir dem Ende der
diesjährigen Eiszeit und den alljährlichen Überschwemmungen gelassen
entgegensehen; der Auftrag unseres Militärs ist es allerdings nicht, uns vor
Unwettern zu schützen oder der Straßenreinigung auszuhelfen. Im Gegensatz zu
Afrika, Griechenland und Zypern haben wir zwar keine bewaffneten Hirten,
aber jede Menge Freiwillige Feuerwehren, motorisierte Samariter zu Lande, zu
Wasser und zur Luft sowie Technische Hilfswerke aller Art mit gemeinnützigem
Status; theoretisch kann uns zwar jedes Unheil ereilen, doch der Ernstfall
im Weltuntergangsformat kann uns schwerlich niederwerfen. Ist es also nur
der Alarmismus der Medien oder administratives Kompetenzgerangel, liegt es
an unzuverlässigen Wettervorhersagen oder an der Unvernunft, sich auf
Wettervorhersagen zu verlassen, oder sind die Witterungsverhältnisse
mittlerweile ein derart beherrschendes nationales Tratschthema, dass ich es
BILD zutraue, mittels mafioser Moskowiter zumindest die Niederschlagsmengen
zu manipulieren? Offenbar ist, dass niemand sich vor witterungsbedingten
Unbilden fürchten müsste, wenn es nicht gerade in Berlin schneite, regnete,
stürmte oder die Sonne schiene, was die Einwohner bekanntlich zu den
irrwitzigsten Exaltationen treibt, Ausnahmezustände, in denen angeblich die
Currywurst creiert wurde und die Weiße mit rotem Schuss sowie die
Toleranzquote abzufackelnder Nobelkarossen im Parkverbotsbereich gewisser
Ghettos, Fremdenverkehrsmagneten, denen man nach einer Schamfrist orjinelle
Gedenkmale setzen wird. Wo der Schnee bis über das Erdgeschoss hinauf lag,
dürfte schon bald markiert werden, und wenn die erste Wildschweinrotte an
der Kreuzberger Tafel eintrudelt, wird auch der Yeti gesehen werden…
Apropos Schneemenschen: Unsere Straße (60433 Ffm), eine relativ kurze und
schmale Sackgasse, war in diesem Winter die am besten begehbare „Gass“ im
Kiez, weil die meisten Häuser von ihren Besitzern bewohnt werden und für die
übrigen Immobilien hauptberufliche Hausmeister tätig sind. Während die
Hausmeister die längeren Straßenabschnitte zu betreuen haben, taten sich die
emsigen Eigentümer besonders hervor in der Winterschlacht, im eindeutigen
Wettbewerb um die Gunst der Gattinnen hinter den Gardinen. Und natürlich
auch, um mich zu beeindrucken, da ich als einziger im Dreh russische
Pelzmützen trage (Spitzbiber, Karakul), während sie zumeist barhäuptig im
Schneetreiben schaufeln, hacken und streuen, gleichsam die Asche der
Lagerkrematorien ins kollektive Gedächtnis rufend, denn wer in Sibirien
starb, konnte wegen des Permafrostes nicht vergraben werden. Ich denke, dass
die alten Deutschen (d.h. Schneeschieber über 70) eine genetische
Disposition haben, welche bereits vor Tannenberg und Stalingrad sich eher an
Sankt Petersburg orientierte, denn an Paris und Florenz (sofern man nicht
Kunstmaler oder Konfektionär war) und damit auf den Spuren deutscher
Kaufherren und Kolonisten, fürstlicher Gesandter deutscher Länder & Ländchen
oder wissenschaftlicher und/oder strategischer Beauftragter des Zaren, ergo
Erforscher, Entdecker und Eroberer. Wärmere Länder waren was für die Weiber;
wer sich für den Osten erwärmte, konnotierte nicht China und Japan, den
Schamanismus und Buddha, sondern Wodka und Machorka, Kascha und Mascha,
Banja und Balalaika, indes die Leserinnen französischer Novellen und Romane
um die deutschblütigen Romanows trauerten und den Donkosaken lauschten,
welche selbst zur Sommerszeit mit Lammfellmützen auftraten. Und nirgendwo
außerhalb Großrusslands ist die Sonnenblume beliebter als in Deutschland.
Kampf gegen
den Schnee
heißt nicht, ihn zurückjagen bis ans Eismeer, sondern Kraft schöpfen aus dem
Widerstand gegen die Rachsucht der Natur und angesichts der versagenden
Technologien deren Vereinfachung und Entbehrbarkeit anzustreben. „Von
Russland lernen, heißt siegen lernen!“ ist keine schlechte Parole für
kommende Katastrophenwinter, sofern man sein Heil nicht im Fusel zu finden
hofft und sich erinnern mag, wie die rechtgläubigen Russen einst die Tataren
vertrieben: Mit Hilfe deutscher Bergbauexperten, welche das uneinnehmbare
Khanat Kasan unterminierten. Heil Kreuzberg! Ski Heil!
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