logo kopfgrafik links adresse mitte kopfgrafik rechts
   

Dezember
Mo Di Mi Do Fr Sa So
48 26 27 28 29 30 01 02
49 03 04 05 06 07 08 09
50 10 11 12 13 14 15 16
51 17 18 19 20 21 22 23
52 24 25 26 27 28 29 30
1 31 01 02 03 04 05 06

FÖRDERGEBER

  BMUKK

  Wien Kultur

JAHRESSPONSOR

  paperblanks
kopfgrafik mitte

Barbara Frischmuth: Alice im Wunderland.

Mit Bildern von Jassen Ghiuselev.
Berlin: Aufbau, 2000.
24 S., geb.; DM 39,95.
ISBN 3-351-04003-2.

Link zur Leseprobe

Im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur sind es weniger die Urheber, die Klassiker- bzw. Kultstatus erlangen, wie man heute sagt, sondern bestimmte Einzelwerke. Lewis Carrolls "Alices Abenteuer im Wunderland" (1865) zählt ohne Zweifel zu jener Kategorie von Geschichten, die sich mit der Zeit vom ursprünglichen Text gelöst und ein Eigenleben in vielerlei Gestalt in vielen Medien entwickelt haben. Die Rezeptionsgeschichte umfasst eine Unzahl von verschiedensten Bearbeitungen, Ausgaben und Adaptionen, unter anderem auch für Bühne, Film und Fernsehen.

Während es kaum jemandem einfallen würde, beispielsweise Franz Kafkas Roman "Der Prozess" neu zu erzählen, können offenbar selbst renommierte Autorinnen und Autoren der Versuchung nicht immer widerstehen, sich an der über Generationen bewährten poetischen Kraft von berühmten Kinder- und Jugendbüchern zu messen. Ist das Ausdruck von Wagemut oder Tollheit, Können oder Spielerei, intertextueller Einfühlung oder reiner Präpotenz? Man darf sicher nichts verallgemeinern, und ein großer Reiz von Literatur besteht wohl in ihrer ästhetischen Wandelbarkeit. Was soll man aber von einer Neu-Erzählung halten - und stammt sie auch von keiner Geringeren als Barbara Frischmuth -, die in Wirklichkeit eine Art Abstract des Originals ist? Dessen wundersame Überraschungen und Wendungen im Handlungsverlauf werden auf grobe Weise einer äußersten Verknappung unterzogen. Die dafür gewählte Methode tritt am augenfälligsten in dem Stilmerkmal hervor, dass Sätze häufig mit "doch" bzw. "aber" beginnen oder ein deiktisches "da" enthalten. Komplexe Vorgänge werden nur vom jeweiligen Ergebnis aus betrachtet und um einen Großteil ihrer Phantasie anregenden Wirkung gebracht.

Alices magische, verspielte, buchstäblich ver-rückte Welt, wie man sie kennt, ist ein mechanistisches Getriebe geworden, das den Vorgaben einer inneren Stoppuhr zu folgen scheint. Freilich bleiben auch bei Carroll die Vorgänge rund um das sprechende weiße Kaninchen, die Mock Turtle, den Mad Hatter, den March Hare, die Spielkartenleute oder die Cheshire-Katze absurd, und seine Erzählung zielt darauf ab, sämtliche Ordnungssysteme, Hierarchien, Wahrnehmungsweisen und Begriffe wie "Zeit", "Raum" und "Normalität" radikal zu relativieren; daraus entsteht aber eine eigene Welt mit einer eigenen vertrackten Logik und keine brüchige Aneinanderreihung unverständlich bleibender Episoden, über welche Frischmuths Textversion nicht hinauskommt. Ihr Tempo, die Geschehnisse zu rekapitulieren, ist hoch und verlangt den Lesern (bzw. etwaigen Zuhörern) ein gerüttelt Maß an Vorkenntnissen ab; für Kinder ist das ungeeignet. Sogar als Erwachsener empfindet man die Schnelligkeit und die daraus resultierende Oberflächlichkeit, mit der Alices Traumgesichte kurzerhand abgehandelt werden, Satz für Satz als ähnlich korsetthaft wie die plötzlich zur Riesin mutierte Heldin die für sie viel zu eng gewordenen Räume ihrer Umwelt.

Die Nebenfiguren läßt Barbara Frischmuth allesamt ephemere Erscheinungen bleiben. Kaum vorstellbar, dass beispielsweise der dauernd grinsende "Emmentaler-Kater" (S. 10) jenen nachhaltigen Eindruck hinterläßt, der bisher alle Leser unweigerlich befallen hat. Ebenso wird die bei Carroll intendierte Auseinandersetzung mit Identität und Moral, den Denkschablonen der Erwachsenen und der Kreativität von Kindern nicht mehr anschaulich gestaltet, sondern einfach konstatiert. Die surreale Regellosigkeit etwa des Krocket-Spiels ist als solche überhaupt nicht mehr nachvollziehbar und wird für die Erzählperspektive auch nicht mehr funktionalisiert.

Für wen, so muss man sich letztlich fragen, wurde "Alice im Wunderland" in der vorliegenden Fassung eigentlich gemacht? Wer könnte die Zielgruppe dieses breitformatigen, schmalen Buches sein, das einerseits bibliophil, andererseits mit bedrückend wirkenden Illustrationen ausgestattet ist? Sie erinnern an vergilbte Fotos und zeigen altmodische Darstellungen von Personen und Tieren, von denen manche aussehen wie die Ungeheuer auf Notre Dame de Paris. Düster und streng ist auch die Physiognomie des Mädchens, dem in keiner Szene auch nur das flüchtigste Lächeln zugestanden wird. So ist jeder zu bedauern, der nur diese Alice kennenlernen sollte. Was nicht einmal japanischen Zeichentrickfilmen gelungen ist, nämlich die Poesie und den Zauber der Geschichte zu zerstören, ist hier in Wort und Bild umgesetzt.

Arno Rußegger
29. Mai 2001

 

 

Suche in den Webseiten  
Link zur Druckansicht
Veranstaltungen
SLAM B

Fr, 11.01.2013, 20.00 Uhr Poetry Slam Über 160 SlammerInnen – im Alter zwischen 14 und 77 Jahren...


Ausstellung
Herbert J. Wimmer ROTOPOST ROTOSPOT

LICHT & LITERATUR AUFNAHMEN 16.01.2013-21.03.2013


Tipps
flugschrift

Ein Zeitschriftenprojekt des Autors Dieter Sperl in Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus Wien und...


Der Erich Fried Preis 2012 ging an Nico Bleutge

Der deutsche Dichter Nico Bleutge erhielt am 25. November den mit 15.000 Euro dotierten Erich...