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Karl-Markus Gauß: Im Wald der Metropolen.

Wien: Zsolnay, 2010.
304 S.; geb., Euro 20,50 (A).
ISBN: 978-3- 552-05505-6.

Link zur Leseprobe

Karl-Markus Gauß, dem eine ausgeprägte Affinität zu den östlichen Rändern Europas eignet, ist wieder unterwegs – diesmal allerdings zu innereuropäischen Grenzen, wo angestammte Sprachen und Kulturen aufeinander treffen, nebeneinander existieren und sich bisweilen wechselseitig befruchten. Wie Berichte von Sternfahrten, deren Routen sich wie ein Netz über den Kontinent der Regionen spannen, muten seine sorgfältig recherchierten Reiseskizzen an, die nicht nur von 'Entdeckungen' auf dem Balkan zu berichten wissen, sondern auch Impressionen aus Griechenland, Italien, Frankreich, Belgien, Polen und der ehemaligen DDR bieten.

Kurzweilig, gelehrt, ohne den Leser unter der Wucht seiner Bildung zu erdrücken, zugleich stets auf stilistische Brillanz bedacht, beschreibt der Autor, der oft auf Nebenwegen seine Städte erkundet, insbesondere Kirchen, Kathedralen und immer wieder Friedhöfe, um indes nachdrücklich jeglichen Hang zur Nekrophilie von sich zu weisen. Aber Tote, namentlich Dichter, die zu Recht oder Unrecht oft in die Kategorie der poetae minores fallen oder mindestens zu den Vergessenen zählen, haben es ihm angetan. Dabei zeigt sich, dass gerade Wien emigrierten Künstlern, Gelehrten und Schriftstellern gleichermaßen Refugium und Heimat war. Vuk Karadži, Philologe und Begründer der serbischen Schriftsprache, Jernej Kopitar, Verfasser einer slowenischen Grammatik, und der kroatische Nationaldichter Petar Preradovi sind nur einige jener vielen Intellektuellen, welche die Hauptstadt der Donaumonarchie zum Mittelpunkt ihrer geistigen und emotionalen Existenz erkoren. Dass es in der k.u.k-Metropole nicht alle zu Ruhm und Reichtum brachten, beweist der seinerzeit in Ottakring darbende Slowene Ivan Cankar, der es immerhin schaffte, die kleine Sprache seines Landes in den Rang der Weltliteratur zu erheben.
Doch der slawophile Flaneur, der sich selbst "Stadtgänger" nennt, hält sich nicht mit innerösterreichischer Geschichte auf, sondern schweift u. a. ins benachbarte Italien, wo er etwa eine Ähnlichkeit zwischen der sienesischen Piazza del Campo und dem Hauptplatz des slowakischen Prešov erkennt, besucht die burgundische Stadt Beaune mit ihrem Hôtel-Dieu, lässt Dijon selbstbewußt links liegen und unternimmt einen Abstecher ins Elsass, dessen Bewohner nicht zuletzt aufgrund ihres Akzents vom restlichen Frankreich ironisch-skeptisch betrachtet werden.

Gauß stattet auch Brüssel eine Stippvisite ab, die ihn zu einem Exkurs in die belgische Kolonialgeschichte veranlasst. Beim Anblick des imposanten Justizpalastes kommt er unweigerlich auf König Leopold II. zu sprechen, der Belgisch-Kongo zu seinem Privatbesitz umfunktionierte und dessen Bevölkerung ausbluten ließ. Von Brüssels heiterem Erbe zeugen hingegen die Marolles, jenes vom Autor in der wörtlichen Übersetzung als "Volksviertel" bezeichnete quartier populaire. Tatsächlich handelt es sich bei diesem von afrikanischen Einwanderern und Angehörigen der Brüsseler Unterschicht bewohnten Bezirk eher um ein Armenviertel. Doch ein Lapsus wie dieser unterläuft dem peniblen Faktensammler äußerst selten.

Gauß wäre allerdings nicht Gauß, triebe es ihn nicht auch nach Belgrad und Bukarest, wo er wie allerorts mit selektivem Blick Käuze aufspürt und deren Physiognomien aufmerksam studiert. Und er weiß selbst, dass die von ihm mit raschen, prägnanten Strichen gezeichneten Charaktere und die so kunstvoll resümierten Schriftstellerbiografien letztlich ein Stück weit von jenem Stoff entfernt sind, den man landläufig als Literatur zu bezeichnen beliebt: "Nur ein kleiner literarischer Schritt zur Seite ist es, statt von historischen Gestalten zu berichten, fiktive Charaktere zu entwerfen." Was den Keim einer vielleicht schillernden Figur in sich trägt, stirbt freilich in dem Moment, da der Beobachter die Bühne, meist ein Lokal, verlässt, um in sein Hotel zurückzukehren.
Diesen Umstand darf man dem Autor, der keine belletristische Fiktion vorzulegen gedachte, nicht zum Vorwurf machen. Vielmehr ist seine Beobachtungsgabe zu bewundern, dank deren er die flüchtigen menschlichen Begegnungen auf seinen Reisen in eine Ingredienz seiner Essays verwandelt.

Dass seine klugen Aperçus bisweilen zu blutleeren Fingerübungen geraten, mag der Tatsache geschuldet sein, dass der sich stets auf der Durchreise Befindende zwangsläufig auf Zufallsbekanntschaften und allfällige Informanten angewiesen ist, um sich rasch in den genius loci einzufühlen. Solcherart bleibt er, der mit Vorliebe von den Rändern berichtet, selbst Außenseiter, eben Gast und Zuseher, statt selbst erfahrener Akteur zu werden.

Zweifellos waren zur Entstehung dieses Bandes "viele imaginäre und wirkliche Reisen vonnöten", was sich an seiner inhaltlichen Fülle ablesen lässt. Dennoch bleibt ein Gefühl des déjà lu, gleichsam als ob Im Wald der Metropolen aus einer gewissen Verlegenheit, also einem temporären Dazwischen, entstanden sei, wo sich Neues noch nicht abzeichnet.

Unbeschadet solcher Einwände bricht sich in dem Band der alte Traum von einem vereinten Europa der Kunst und Literatur Bahn, das in Wahrheit bereits lange vor der Erfindung der Europäischen Union existierte. Was uns der Autor möglicherweise noch zu verstehen geben möchte, klingt dann fast ein wenig subversiv: dass der Mensch nämlich ein Recht auf Schönheit hat, das inmitten des größten Friedensprojekts aller Zeiten tatsächlich mehr denn je zur bloßen Chimäre verkommt.

 

Walter Wagner
4. August 2010

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