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Batya Horn und Christian Baier (Hrsg.): Schlager und Treffer

Eine Anthologie.
Wien: Edition Splitter, 2010.
176 Seiten; brosch.; Euro 27,-.
ISBN 978-3-901190-89-6.

Link zur Lesprobe

Der Schlager ist unbestritten ein Phänomen; noch dazu eines, dem man gar nicht so leicht entrinnen kann. Obwohl er sich doch gerade durch seine Simplizität, seine vermeintliche (?) Schlichtheit definiert bzw. zu definieren scheint, ist es bei genauerer Betrachtung eben doch gar nicht so einfach, ihm beizukommen, auch (und erst recht) nicht mit gesundem Menschenverstand. Denn trotz seines fragwürdigen Talents, einem – meist unerwünscht – eine mitunter nicht unerhebliche Zeitspanne lang mit schier erschreckender Intensität im Kopf herumzuspuken, ist es keinesfalls unsere Intelligenz, auf die es der Schlager abgesehen hat. Nein, er "zielt auf das Gemüt ab und hat die emotionale Gestimmtheit im Visier." Berücksichtigt man diesen Aspekt, ist der Schlager also weder einfach noch unschuldig, sondern seinem Wesen nach äußerst widersprüchlich und in seinem Streben nach Selbsterhaltung geradezu brutal. "Wir hören ihn und summen ihn mit. Sofort kommt er uns bekannt vor. Uns ist, als hätten wir ihn schon tausendmal vernommen. Selbst wenn wir uns gegen ihn wehren und zu diesem Zweck zu unserem Intellekt greifen, er schlägt zu, schlägt uns nieder. Denn er ist das uralte Lied vom Glück, der rituelle Gesang von einer Welt, in der alles einfach ist. Der Schlager trifft immer ins Schwarze, denn unverfehlbar ist das Herz, auf das er zielt."

Ungeachtet dieser Annahme nun, der Schlager entziehe sich aufgrund seines Naturells schon von Vornherein jedweder auch nur im Ansatz vernunft- oder intellektuell orientierter Erschließung, sind die zahlreichen in dieser nunmehr schon sechsten Anthologie in der Reihe "Befindlichkeiten des 21. Jahrhunderts" versammelten Beiträge genau das: der Versuch, sich dem Thema "Schlager und Treffer" auf künstlerische Weise anzunähern. Dabei gehen die diversen Autoren und Künstler (u. a. Friedericke Mayröcker, Stephan Eibel Erzberg und Günther Brus) zum Teil recht unterschiedlich, aber auch sehr originell vor.

Otto Brusatti beispielsweise versucht zunächst den Begriff des Schlagers selbst zu definieren, der in seinen Anfängen lediglich "eine fesche, nachsingbare Musik" bezeichnete und folglich auch nicht im Entferntesten so negativ konnotiert war, wie dies in unserer Zeit der Fall ist – Stichwort MTV und Musikantenstadl: zwei unterschiedliche Ausprägungen des Schlagertums, denen mit Abstrichen dieselbe Basis und dasselbe Ziel zugrunde liegen. Das Wesen und die Funktion des Schlagers versucht Christian Baier darzulegen und verknüpft seine Ausführungen unter anderem mit anthropologischen und kulturhistorischen Komponenten, während Burghart Schmidt auch eine politische Dimension von Schlagern und Treffern heraushebt. An dieser Stelle sollte vielleicht angemerkt werden, dass diese Anthologie (trotz einiger Texte, die stellenweise etwas trocken wirken) weit davon entfernt ist, eine (zu) wissenschaftliche und mit unzähligen Fachtermini übersäte zu sein – was im Übrigen auch dem darin behandelten Thema keineswegs angemessen wäre. Dies liegt vor allem an der schon erwähnten Tatsache, dass die Autoren verschiedene Zugänge zu "Schlager und Treffer" suchen (und auch finden), sich darüber hinaus aber auch keineswegs darauf beschränken: Michael Fischer nimmt das ursprüngliche Thema 'nur' zum Anlass, um über "Todestreffer" zum Stierkampf zu gelangen und darüber (in positivem Sinne) zu philosophieren, und auch für Ilse Kilic & Fritz Widhalm bleibt der Schlager nur Ausgangspunkt; für eine Spurensuche mit google, die neben "liebe" und "chris roberts" auch "drehbewegung des unterarmknochens" beinhaltet. Ebenso auf google angewiesen ist der Protagonist in Roswitha Perfahls kurzer Erzählung "Intimrasur", der keine Ahnung hat, wie er eine solche am besten angehen sollte und deshalb einfach im Internet nach einer Anleitung dazu sucht. (Übrigens: ungefähr 434.000 Ergebnisse.) Dieser Beitrag zeigt auch deutlich, dass es bisweilen einiger Anstrengung oder Phantasie bedarf bzw. es manchmal bis zuletzt nicht klar wird, ob und wie manche Texte denn nun eigentlich mit Schlagern oder Treffern zu tun haben, was je nach Auslegung eine große Stärke oder Schwäche sein mag.

Unzweifelhaft als Stärke hingegen kann und darf die Anthologie aber ihren Abwechslungsreichtum verbuchen: Es sollte bisher schon deutlich gemacht worden sein, dass es sowohl vorwiegend theoretische Texte als auch Gedichte und mehr oder weniger lange Prosastücke (so wie auch allerhand dazwischen) zu entdecken gibt – hier soll vor allem noch die autobiographische Erzählung "Láska, Boze, Láska" von Zofia Chudá angeführt werden, einer der stärksten Beiträge der Anthologie. Bisher unerwähnt blieb allerdings der Umstand, dass sich die unterschiedlichen Ansätze der Autoren und Künstler nicht nur in verschiedenen Textgattungen niederschlagen, sondern ebenso in unterschiedlichen Medien. So findet sich zwischen den diversen Beiträgen auch eine große Anzahl von Bildern und Abbildungen, die die darin enthaltenen Texte spürbar auflockern und -werten, nicht zuletzt bedingt durch die wunderschöne und liebevoll gestaltete Aufmachung des Buches, die jedem Text und Bild genug Platz einräumt. (Von jener Ausnahme auf Seite 114 abgesehen, wo Roland Schwabs Zeichnung fünf bis sechseinhalb Buchstaben, einen Trennstrich und eine Zahl frisst.) Und als ganz besonderes Geschenk erhält man noch eine der Anthologie beiliegende CD mit drei Stücken vom österreichischen Komponisten Franz Koglmann, der seine Affinität zur Literatur zuletzt schon mit "Loo-lee-ta. Music on Nabokov" bewiesen und folglich auch in dieser Hinsicht definitiv seinen Platz in der Anthologie (verdient) hat. Und außerdem: Was wäre ein Buch über Schlager schon ohne Hörproben?

Ganz egal, was man nun allgemein von ihm halten mag, eines muss man dem vermeintlich (jetzt mit Rufzeichen!) schlichten Schlager in jedem Fall zugestehen: dass er, sagen wir mal, zumindest nicht unerheblich zu einer äußerst abwechslungsreichen Anthologie beigetragen hat, die glücklicherweise nicht der ihrem Thema inhärenten Belanglosigkeit und rhetorischen Armut zum Opfer fällt, sondern meist sehr unterhaltsam und in jedem Fall lesenswert ist. Aus tiefster Seele verabscheuen darf man ihn deshalb ja trotzdem noch.

 

Simon Leitner
1. Juni 2010


Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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