logo kopfgrafik links adresse mitte kopfgrafik rechts
   

Dezember
Mo Di Mi Do Fr Sa So
48 26 27 28 29 30 01 02
49 03 04 05 06 07 08 09
50 10 11 12 13 14 15 16
51 17 18 19 20 21 22 23
52 24 25 26 27 28 29 30
1 31 01 02 03 04 05 06

FÖRDERGEBER

  BMUKK

  Wien Kultur

JAHRESSPONSOR

  paperblanks
kopfgrafik mitte

Franzobel: Liebesgeschichte.

Roman.
Wien: Zsolnay, 2007.
223 S.; geb.; Eur 19.90,-.
ISBN 978-3-552-05410-3.

Link zur Leseprobe

"Liebeswahnsinn! Pleonasmus! Liebe ist ja schon ein Wahnsinn!" schrieb Heine in seinem "Atta Troll", eine Feststellung, die auch für Franzobels neuen Roman "Liebesgeschichte" gilt, der vom Irrsinn der Liebe und vom Nicht-Geliebtwerden erzählt. Liebe oder das, was dafür gehalten wird, treibt die Menschen zu den absonderlichsten Dingen, und bei Franzobels Texten wundert es nicht, wenn die Handlungen besonders drastisch und absurd ausfallen.

Alexander Gansebohn kommt eines frühen Morgens von seiner Geliebten Dunja nach Hause, wird von seiner Frau Marie zur Rede gestellt und hört nach dem Streit noch drei dumpfe Geräusche: Marie hat sich mitsamt den beiden Kindern aus dem Fenster gestürzt. Alexander läuft zu Dunja, die von ihm aber nichts mehr wissen will, denn sie liebt den aufgeblasenen Künstler Doyle, der von ihr verlangt, Sex mit seiner Dänischen Dogge zu haben, während er Schillers Reiterlied rezitiert. Alexander weigert sich, die Trennung zu akzeptieren, erschießt Doyle, vergewaltigt Dunja, setzt sich durch einen Joint selbst außer Gefecht und findet sich eingesperrt in einem Sarg in der Michaelergruft wieder. Aus diesem befreit ihn seine alte Schulfreundin Heidrun, die verzweifelt in ihn verliebt ist.
So etwas wie Liebesglück findet sich nur in den Vorstellungen der Romanfiguren, in der Welt des Schlummers, in die Alexander und Marie abtauchen. Denn während er im Sarg liegt, wird Marie, die ihren Selbstmord nur fingiert hat, Opfer eines dumm-brutalen Einbrecherpärchens, das mittels Handykamera ein Gewaltvideo drehen will.

Gansebohn ist ein Versager auf der ganzen Linie, der aus gekränkter Eitelkeit zum Amokläufer wird. Nachdem Dunja im Prater Opfer eines Terroroanschlags wird, beschließt Alexander, Selbstmordattentäter zu werden und fliegt nach Jerusalem. Ein Vorhaben, bei dem er kläglich scheitert, denn auf der Suche nach einer Terrororganisation wird Alexander nur von einem Bazarhändler zum nächsten geschickt, schließlich festgenommen und ins Gefängnis geworfen, wo die "Liebesgeschichte" ihr Ende findet.

Die Figuren, denen es an jeglichem realistischen Einschätzungsvermögen fehlt, werden von ihren Obsessionen getrieben und beschwören die Extremsituationen, in die sie stolpern, zumeist selbst herauf. Im Krieg und in der Liebe sind angeblich alle Mittel erlaubt, von Maries vorgetäuschtem Selbstmord über die "große romantische Aktion" Alexanders, bei der er sich nackt mit Superkleber an seine Geliebte Dunja heftet, bis zu seinem Plan, Terrorattentäter zu werden. Die Wahl der Mittel entlarvt auch das Konzept von Liebe, das im Roman vorgestellt wird. Es geht um Besitzansprüche, das wird selbst Alexander klar: "und dabei wusste er genau, dass man sich als Mann nur so lange zum Narren macht, als man eine Frau nicht hat. Besitzt man sie, wird sie einem schnell egal." (S. 193)

Alexander ist sich seines Stadiums der "Liebesblödheit" (S. 113) durchaus bewusst, was ihn aber nicht daran hindert, zum Hochstapler zu werden, sich als "Sir Alexander" auszugeben - ein "Phantasma männlicher Allmacht" (S. 194), und sich beim "Jungfrauenroulette" an minderjährigen Prostituierten sexuell abzureagieren. Dunjas Befund, Alexander verkörpere das "kleingeistige Schniedelwutzdenken", das Frauen zu "Ficklöchern und Brutkästen" degradiere (S. 194), trifft den Nagel auf den Kopf.
Die Liebe ist ein Schlachtfeld, das wird nicht zuletzt durch das immer wieder zitierte "Reiterlied" Schillers deutlich, sondern auch durch die Exekution mehrerer Personen des für Franzobelsche Verhältnisse recht überschaubaren Figureninventars vorgeführt.

Nachdem die Kapitel in Franzobels letztem Roman "Das Fest der Steine" den sieben Todsünden gewidmet waren, folgen sie in "Liebesgeschichte" der Viersäftelehre (Cholerik, Melancholie, Sanguinik, Phlegmatik) und stellen eine Humoralpathologie des menschlichen Verfalls vor, von der Raserei bis zur Resignation. Auf die Säfte wird - abgesehen vom Blut, das reichlich fließt - auch in anderer Form angespielt. Die schwarze Farbe der Melancholie ist in Gestalt der schwarzen Putzfrau in der Michaelergruft repräsentiert, das Alter des Phlegmas in den beiden alten Männern in Jerusalem, der Schleim kommt in Form von Pilzen und Schnecken vor. In den Kapitelüberschriften werden die vier Säfte durch die Motive Finger, Schlange, Geier und Leviathan ergänzt. Diese spielen auf das das Jüngste Gericht darstellende Deckenfresko im Refektorium der Michaelerkirche an, wo Alexander und Heidrun Zeugen einer Bußübung werden, bei der sich ein Mönch mit nacktem Hintern ein Stück des Himmels einverleiben muss.

Formell übt sich Franzobel in bewährten grotesken Bildern und Metaphern, vieles wirkt wie ein Aufguss von Altbekanntem. Gerade dann, wenn im Text leisere Töne angeschlagen werden und es mehr um die Moral als um den Humor zu gehen scheint, droht er ins Phlegmatische abzurutschen. Küchenphilosophische Reflexionen über Gott, Religion und die Liebe wirken, als würde Franzobels "Liebesgeschichte" am Ende selbst der Saft ausgehen.

Sibylla Haindl
6. November 2007

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Suche in den Webseiten  
Link zur Druckansicht
Veranstaltungen
SLAM B

Fr, 11.01.2013, 20.00 Uhr Poetry Slam Über 160 SlammerInnen – im Alter zwischen 14 und 77 Jahren...


Ausstellung
Herbert J. Wimmer ROTOPOST ROTOSPOT

LICHT & LITERATUR AUFNAHMEN 16.01.2013-21.03.2013


Tipps
flugschrift

Ein Zeitschriftenprojekt des Autors Dieter Sperl in Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus Wien und...


Der Erich Fried Preis 2012 ging an Nico Bleutge

Der deutsche Dichter Nico Bleutge erhielt am 25. November den mit 15.000 Euro dotierten Erich...