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Semier Insayif: boden los.

Gedichte.
Innsbruck, Wien: Haymon Verlag, 2012.
168 Seiten; gebunden; Euro 19,90 Euro.
ISBN ISBN 978-3-85218-733-4.

Link zur Leseprobe

Heteropoesis oder lyrische Gartenkunde zwischen den Welten – Kunst ist letzten Endes auch nur ein Naturprodukt. Selbst wenn sie sich in poetischen Höhenregionen bewegt wie die Lyrik. Denn schließlich ist auch sie nichts anderes als über Stimmbänder zum Klingen gebrachter und durch Mund und Lippen zu Worten geformter menschlicher Atem. "boden los" heißt Semier Insayifs experimentelle Lyrik-Studie über das unauflösbare Zusammenwirken von Natur und Kunst, der Autor ist Österreicher mit irakischen Wurzeln.

Poetischer Untersuchungsgegenstand ist der Garten als Inbegriff künstlerisch überformter Natur. Als soziokulturelles Schlüsselelement lässt sich an ihm außerdem vom Kinder-, über den Lust- bis zum Friedhofsgarten das ganze Leben ablesen. Spielerisch nähert sich Insayif dem Spiegel weltlicher Schönheit und der Projektionsfläche paradiesischer Sehnsüchte von verschiedenen Seiten. In seinen Gedichten gestaltet der Autor selbst einen lyrischen Sprachgarten, in dem er Lippenblütler, Zungenpflänzchen und Stimmlilien wachsen lässt. In diesen lautmalerischen Sprechgedichten, mit denen er sowohl an die konkrete Poesie als auch an die oral geprägte arabische Literaturtradition anknüpft, will er den Sprachkörper und die Körperlichkeit des Sprechapparates ins Bewusstsein rücken.

Einige Gedichte widmet er der über 3000 Jahre alten Kultur der persischen Gärten. Ihre kreuzförmige Grundform spiegelt die Harmonie des Kosmos, die vier symmetrisch angelegten Wege symbolisieren die Ströme des Paradieses. Seit den hängenden Gärten von Babylon steht die orientalische Gartenkunst für die Symbiose von Kunst und Natur im Dienste Gottes. Im 124. Vers der Sure 6 heißt es: "Allah ist es, der die Gärten geschaffen hat, sowohl die, welche Menschenhände, als die, welche die Natur angelegt hat (...)." Im Koran nimmt der Topos des Gartens eine herausragende Stellung ein: als das eigentliche Innere, die Geistigkeit des Menschen, die erst entdeckt werden muss, und in Paradiesbeschreibungen. "Paradaidha" ist der altpersische Begriff für Garten. Er wurde als Paradies in viele europäische Sprachen entlehnt. Im japanischen Garten findet Insayif einen Ort der Ruhe und Kontemplation. Die für Japan charakteristischen Ultra-Kurzgedichte Haiku und Tanka dienen ihm als Modell eigener lyrischer Meditation. Aber auch die literarischen Gärten des Abendlandes nutzt der Lyriker als poetische Vorlagen für seine eigenen Verse. Gedichte von Rilke, Eichendorff oder George überschreibt er mit seinen eigenen Palimpsesten. Foucaults Definition vom Garten als utopischem Andersort dient Insayif als Grundlage für seine persönliche Heteropoesis. Der Garten, seit frühester Antike Ort der Utopie, Illusionsraum und Kompensationsraum, ist für Foucault eine typische Heterotopie. In Heterotopien werden eigentlich unvereinbare Räume an einem Ort zusammengeführt. So vereint der Persische Garten Natur und Kunst, Mikrokosmos als Abbild der Welt und des göttlichen Universums, östliche und westliche Kultur, Spiegel irdischer Schönheit und Verheißung eines jenseitigen Paradieses.

Semier Insayifs lyrische Heteropoesis findet ihre formale Entsprechung in der literarischen Zusammenführung eigentlich unvereinbarer Sprech- und Sprachräume. Dafür mischt er in seinen Gedichten deutsche und arabische Sprachzeichen, Wortwelten und poetisches Formenvokabular miteinander. Insayif verknüpft abend- und morgenländische Elemente zu multikulturellen poetischen Sprachteppichen. Ursprünglich, so Foucault, seien Orientalische Teppiche nichts weiter als Abbildungen von Gärten gewesen; und damit Wintergärten im eigentlichsten Wortsinn. Insayif bricht dafür in seinen Gedichten das deutsche Sprachmaterial in kleinste Wortmosaiksteine auseinander, um sie zu einem orientalisch ornamentalen Sprachmuster neu zusammenzusetzen. Buchstäblich arabesk muten vor allem seine mosaikartig großflächigen Gedichte an. Das typische orientalische Ornament der Arabeske aus verschlungenen stilisierten Blättern und Ranken gilt als Inbegriff gelungener Symbiose von Natur und Kunst. Gleich den immer wiederholten und variierten stilisierten Pflanzenmotive folgen Insayifs Wortarabesken einem Rhythmus bis ins Unendliche. Als Ornamente ohne Anfang und Ende symbolisieren sie die Ewigkeit.

Der Verzicht von Illusionsraum und sinngebender Tiefenschärfe zugunsten der Konzentration auf Fläche, Abstraktion und Wiederholung mag den abendländischen Leser zuweilen überfordern. Doch das aus dem Bilderverbot entstandene orientalische Ornament ist oberflächlich aus Tiefe – man muss sie nur erst zu sehen lernen. Für den westlichen Geschmack am eingängigsten sind wohl die reduzierteren lyrischen Bilder und Insayifs Liebesgedichte, von denen manche fast ein wenig an Gebete erinnern.

Michaela Schmitz
8. März 2012

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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