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Ines Birkhan: Angel Meat. Verwerfungen.

Roman.
Berlin: Neofelis Verlag, 2012.
192 Seiten; brosch.; Euro 14,-.
ISBN: 978-3-943414-02-8.

Link zur Leseprobe

Wenn die schwarzen Linien aus dem Gesicht hervorschnellen, dem Außen in die Magengrube boxen und sich erst mit Verzögerung zu einem Gesamtbild schließen, werden unter Druck stehende Menschenherzen perforiert. (12) Indem sich eine junge Frau das Antlitz zu einem Totenkopf umtätowieren lässt, steckt sie unwiederbringlich Grenzen ab. Die permanente Verweigerung von Konvention, Gesellschaft und Unterordnung ist ihr damit für immer ins Gesicht geschrieben.

In der Kommune Otto Mühls aufgewachsen und der Musik des Black Metal verschrieben, lässt sich die Sechzehnjährige während eines Initiationsritus irgendwo in Norwegen einen Totenkopf ins Gesicht zeichnen, um sowohl der Bürgerlichkeit als auch oktroyierten Schönheitsidealen für immer zu entsagen, denn „jetzt wird mich niemand mehr für 'Schneewittchen' halten.“ (9) Die Wirkung ihres Äußeren ist jedoch nicht einheitlich negativ, sie löst ganz im Gegenteil vielfach erweiterte und vor allem tief ins Innere des Bewusstseins dringende Emotionen und Wahrnehmungen aus.

In vielen kurzen Zeitsprüngen werden Lebensstationen der Totenkopffrau, die fortan Skull(-face) genannt wird, beleuchtet. Sie lebt abwechselnd in unterschiedlichen europäischen Großstädten, teilweise in besetzten Häusern in Amsterdam, in Berlin und Brüssel und die Undergroundszenerie der Demonstrationskultur, angereichert mit Fachbegriffen wie dem Schwarzen Block, werden den LeserInnen in einer nachvollziehbaren Verbindung von Fiktion und Realität nähergebracht.

Die in Kurzszenen gewonnenen Eindrücke gestalten sich so als im Klappentext beschriebene Inseln der Wahrnehmung, die in den Dancing on Ashes- Performances ihre konstante Mitte finden und die Schicksale der einzelnen Nebenfiguren miteinander verbinden. In einem besetzten Abbruchhaus in Amsterdam hat Skull als Goldschmiedin ihre erste Werkstätte und einen Laden für künstlerische Metallarbeiten eröffnet. Durch ihren kenntnisreichen und handwerklich äußerst geschickten Umgang mit den Materialien wird sie sogar recht bekannt und erfolgreich und kann schließlich von ihrer Arbeit gut leben. Trotz beschriebener Anfeindungen und Schockreaktionen auf ihr Äußeres verläuft ihr Leben entgegen anfänglicher Erwartungen daher erstaunlich konventionell.

Zu Verwerfungen, also Bruchlinien, kommt es im Laufe des Romans formal wie inhaltlich. Eine lineare Erzählweise ist durch die Kurzsequenzen zwar gebrochen, wird aber dadurch in keiner Weise gestört. Die fließend sinnlichen Beschreibungen und Charakterisierungen der Akteure bleiben in sich stimmig und werden durch feinfühlige Sinnstudien erweitert. Dialoge werden indirekt als direkte Rede in die Handlung impliziert, ganz so, als könnte das Einfügen von Anführungszeichen den rhythmischen Klang des Textes stören.

Sprachlich ist eine Ähnlichkeit zu Birkhans erstem Roman Chrysalis nur am Anfang zu erkennen, dann ist eine beinahe traditionell geführte Erzählweise vorherrschend, die sich auch auf den Inhalt überträgt, wenn die Protagonistin Skullface dem Wunsch nach eigenen Kindern mit ihrer Lebensgefährtin nachhängt. Somit führt der Prozess des Erwachsenwerdens auch bei der unkonventionell orientierten Protagonistin zu einer grundlegenden biologischen Sehnsucht, nämlich der nach Mutterschaft und Familie. Dabei ist Ines Birkhan allerdings weit davon entfernt, typisch definierte Eigenschaften und Handlungsspielräume gesellschaftlicher Rollenkonstrukte in ein bürgerliches Familienmodell zwingen zu wollen.

Ein Tipp am Ende: Um den Roman in seinem vollen Umfang begreifen zu können, sollte vorerst ein kleiner Einblick in das Projekt Angel Meat gewonnen werden. Es besteht aus der Zusammenarbeit mehrerer künstlerischer Disziplinen wie Performance, Musik, Videoinstallationen und Literatur. Ein wichtiges Element davon ist Dancing on Ashes, eine Performance-Serie, die erzählende Texte mit Darbietungen von Tanz und Musik kombiniert. Eine tiefliegende Erfahrung, die die Menschheit bereits vor Jahrhunderten eingestellt hat, wird dabei revitalisiert – das kollektive Leseerlebnis, jedoch erweitert um die künstlerische Darbietung als Interpretation des projizierten Texts. Die daraus resultierenden Denkanstöße und der emotionale Erkenntnisgewinn sollen den in Konventionen erstarrten Geist des Publikums aufrütteln, ihn herausholen aus dem internalisierten Konsumdenken, oder zumindest den Sinn des Mainstream zu hinterfragen anregen – sie sind ein Spiegel der Realität in ihren festgefahrenen bourgeoisen Kategorisierungen.

Mit Verwerfungen hat Ines Birkhan die literarische Ausdrucksform zur Beschreibung von Angel Meat gefunden. Als Schriftstellerin, Tänzerin und Mitinitiatorin von Angel Meat vereinigt sie die spirituelle Kultur von Literatur und Performance und erweitert damit das Feld der kreativen Möglichkeiten während des performativen Schreibakts zu der ihr eigen gewordenen Form der Poetologie.

Susanne Eichhorn
30. Mai 2012

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.





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