Archiv für die Kategorie 'Rezensionen'

Thomas Kohlwein (Hg.) – Wien Südbahnhof

Mittwoch, 18. Mai 2011

Spannender Stadt-Ort

„Besuch beim alten Knacker“ betitelte Roman David-Freihls im Juli 2008 seinen Beitrag im Rahmen von „FREISTADT – Die urbane Standard-Kolumne“. Vom alten Knacker ist nichts mehr übrig. Sein sich zurzeit im Zustand einer Riesenbaustelle befindliche Nachfolger wird Zentralbahnhof heißen. Oder Hauptbahnhof. Jedenfalls nicht mehr Süd- und Ostbahnhof.

Vom Wiener Stadtplan ist er verschwunden, „doch als Geist in der Stadt ist er für viele weiterhin präsent, wird sein früherer Standort im Gefüge der Stadt noch lange Zeit spürbar sein“, wie es im Vorwort zu „Wien Südbahnhof“ heißt; einem weiteren Büchlein (mit Lesebändchen!) der Reihe „Europa Erlesen“ aus dem Wieser Verlag. Der Herausgeber Thomas Kohlwein setzt dem letzten Vertreter der „Poetisierung der ‚hässlichen‘ Bahnhöfe“ 1 mit dieser Text-Zusammenstellung ein literarisches Denkmal.

Ein kurzer Ausflug in die Baugeschichte des Bahnhofes, einige Zeilen über dessen filmische Einsätze, Skizzen von Geschossplänen, dazwischen Zeichnungen und (historische) Aufnahmen. „Fotografischer“ Wermutstropfen: Teilweise finden sich keine Bildunterschriften, manche Abbildungen scheinen wie aus Versehen an ihre Stelle „gerutscht“ zu sein. Aber es lohnt, diese Anfangshürden zu überwinden, und dann heißt es: Einsteigen bitte! – Einsteigen in Textpassagen, in denen der „alte Knacker“ als spannender Stadt-Ort von Begegnungen, vom Ankommen und Wegfahren, von großen und kleinen persönlichen und geschichtlichen Dramen agiert.

So beweist Helmut Qualtinger in seinem „Fremdenverkehrsbrevier“, dass der Südbahnhof dafür sorgt, „daß jeder Eintreffende Wien im Zustand des Jahres 1945 kennenlernt“. George Eric Rowe Gedye zeichnet mit „Rette sich wer kann!“ ein bedrückendes Bild jener Bahnfahrt, auf die sich Menschen am 11. März 1938 begeben hatten, um den Nazischergen zu entkommen. Joseph Roth schreibt über die Abfahrt von Kindern, die von der sozialistischen Gemeinde Mailands zu einer Reise in „Die wunder-wunder-wunderschöne Stadt“ eingeladen worden sind. Von den Vorteilen eines aufgezeichneten Fernsehbeitrages statt einer Liveübertragung von Chruschtschows Ankunft am Ostbahnhof weiß Wolfgang Pensold zu berichten. Genauso turbulent gestaltet sich auch die Bestellung von Würsteln bei einem bahnhöfischen Würstelstand, die Gründe für die Verwurstelungen versucht Gert Jonke in „Südostbahnhof“ zu ergründen.

„Denn dieser Südbahnhof, auf dem man nicht mehr fror und sich fürchtete, das war natürlich nicht der wirkliche Südbahnhof …“ (Ingeborg Bachmann). Sentimentalität ob des abgerissenen Süd- und Ostbahnhofes ist nicht angebracht. Geschichten vom Ankommen und Wegfahren werden immer noch von Menschen getragen – auch im neuen Bahnhof.

1: Wolfgang Kos „Ort des Stillstands“ in „Großer Bahnhof. Wien und die weite Welt“, herausgegeben von Wolfgang Kos & Günther Dinhobl. Czernin Verlag Wien, 2006. S. 421

Petra Öllinger
Buchcover Thomas Kohlwein (Hg.) - Wien Südbahnhof

Thomas Kohlwein (Hg.) – Europa Erlesen. Wien Südbahnhof. Wieser Verlag, Klagenfurt, 2010. 158 Seiten, Euro 12,95 (Ö).

Homepage von Thomas Kohlwein

Angelika Aliti – Erfüllung – vom Leben getragen

Dienstag, 3. Mai 2011

Kamel des Monats oder Als Pinguin das Eigene zum Weltentreiben hinzufügen.

Die Lektüre von Angelika Alitis Bücher ist kein gemütlicher Spaziergang. Weder für Pinguine noch für Kamele. Und für Menschen schon gar nicht.

Die Philosophin, Kulturschaffende, Theatermacherin und Autorin, sie schrieb beispielsweise „Die Wilde Frau“ oder „Das Maß aller Dinge“, offeriert keine Patentrezepte für ein „glückliches“ Leben und schon gar kein „In-sechs-Wochen-aus-dem-emotionalem-Loch“-Gequake. Diese aus so manchem Ratgeber bekannten Ingredienzien für ein „erfolgreiches“ Leben bleiben unberücksichtigt.

In „Erfüllung – vom Leben getragen“ wird der/dem Suchenden keine vorgefertigte Landkarte des menschlichen Daseins geboten. Die Wege hinein in das eigene Element des Lebens sind so unterschiedlich wie die Menschen: gepflastert, steinig, geradlinig, kurvig, ansteigend. Es tun sich Abgründe auf, oder die „Wandersfrau/der „Wandersmann“ steckt in einer Sackgasse fest. Die Entscheidung an der Weggabelung links abzubiegen ist vielleicht doch verkehrt gewesen? Kann sein. Also umkehren und rechts weitergehen? Möglich. Ein Lebensziel wurde erreicht, aber irgendwie stellt sich keine Zufriedenheit ein? Kann sein. Also weitergehen? Wäre eine Option.

Und für so viele Unwägbarkeiten auch noch siebenundreißig Euro fünfundneunzig. hinblättern? Ja. Begründungen gefällig? Hier eine Auswahl.

„Erfüllung – vom Leben getragen“ öffnet unter anderem die Augen dafür, dass wir beinahe alles tun, „um Kamel des Monats“ zu werden. „Wenn es darum geht, herauszufinden, was wir wollen, fällt uns nichts ein. Wenn es aber darum geht, herauszufinden, was von uns verlangt wird, dann sind wir auf einmal hellwach.“ Und bleiben weiterhin weit entfernt von unserem ureigenen Element.

Die Balance zwischen Eigenverantwortung und sich Auf-das-Leben-Einlassen (vom Leben getragen werden, wie der Buchtitel verkündet) ist ein wichtiger Aspekt in der Arbeit von Angelika Aliti. Andere für die eigene Misere alleine verantwortlich zu machen gilt nicht, ebensowenig wie ständige Selbstvorwürfe, es nicht geschafft zu haben.Angelika Aliti zeigt unter anderem, dass ein Ziel hinter dem ersten Ziel, das zum Aufbruch bewegt, stehen soll. Nicht in Form eines perfekt ausgetüftelten „Business-Plans“, sondern als „weiter“ und „flexibler Horizont“. Denn hin und wieder kommt es am Ende anders, „als wir gedacht haben, wir dürfen nicht vergessen, dass es unsere Gedanken und Vorstellungen sind, die die zukünftigen Ereignisse ebenso formen wie die unveränderbaren äußeren Umstände, die außerhalb unseres Einflusses stehen“.

Krisen dienen dazu, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, danach zu fragen, wohin sie eine/n führen. Eine an sich nicht neue Feststellung, jedoch verpackt Angelika Aliti sie nicht in luftig-lockere-Happy-End-Versprechungen, sondern sie macht klar: sich als Pinguin auf den Weg von der Wüste ins Meer und als Kamel vom Meer in die Wüste zu machen geht nicht ohne Blessuren ab. Und automatisch leichter wird das Leben im richtigen Element auch nicht, geschweige denn, dass sich ein „Ruhehaben“ einstellt. Wenn Angelika Aliti von ihren eigenen Irrungen und (Ver-)Wirrungen berichtet, begegnet sie den LeserInnen auf Augenhöhe und nicht als eine Lehrmeisterin, die „Weisheit mit dem Löffel gefressen hat“ und nun allen zeigt, dass das Leben so und nicht anders verläuft. Und es wäre nicht Angelika Aliti, fänden sich nicht Passagen, die den LeserInnen auf humorvolle Art die Möglichkeiten zeigen, sich selbst das Leben zu vermasseln, zum Beispiel mit fehlenden Kniegelenken bei Pinguinen, ein Umstand, der die Fortbewegung in der Wüste mehr als mühsam macht …

Nebenbei erhalten die LeserInnen Einblick in die (Seelen-)Arbeit Angelika Alitis mit Symbolen und den von ihr entwickelten Blütenessenzen (Schlangenberg® Essenzen). Daran anknüpfend gestaltete Athena Stebner ein zauberhaftes Kartenset. Von ihr stammt auch das Titelbild – Tipp: Cover auf den Kopf stellen. Jede der fünfzig Karten, auf der jeweils eine bestimme Blüte und das dazugehörige Symbol abgebildet ist, stellt eine Lebensaufgabe dar; vom (dunklen) Ausgangspunkt hin zum erlösten Sein. Die Karten sind optisch und haptisch ein Vergnügen – liegen sie doch auch ausgezeichnet in der Hand. Erklärungen zu den Karten und ein Leitfaden für die Arbeit mit ihnen finden sich im letzten Drittel des Buches. Auch „nur“ spielerisch kreative Auseinandersetzung mit dem Kartensatz ist „erlaubt“. Denn: „Erfüllung finden wir, wenn das, was wir sind und tun, einen Sinn hat. Diesen Sinn hat es dann, wenn ein Mensch am richtigen Platz ist, sodass sich alle seine Talente entfalten können und er der Welt geben kann, weshalb der geboren wurde, darum geht es ja, dass wir dem großen Weltentreiben das Unsrige hinzufügen.“

Wer also genug hat vom Dasein im falschen Element, egal ob als Kamel oder Pinguin, findet mit „Erfüllung – vom Leben getragen“ eine Unterstützung, um das erfüllte Eigene dem Weltentreiben hinzuzufügen.

Petra Öllinger

Buchcover Angelika Aliti "Erfüllung - vom Leben getragen"

Angelika Aliti – Erfüllung – vom Leben getragen. Finde deine Bestimmung und du findest den Sinn des Lebens. Edition Schlangenberg, Bierbaum 2011. 296 Seiten, Box mit Buch und 50 Schlangenbergkarten. Euro 37,95 (A).

Homepage von Angelika Aliti

Unbekannte ArbeiterInnenliteratur

Freitag, 4. März 2011

Erich Zwirner, 22.09.1928 – 17.04.2003

Erich Zwirner wurde in Mürzzuschlag geboren. Lebte in der eigens für das Stahlwerk “Schoeller – Bleckmann“ angelegten Arbeitersiedlung Hönigsberg. Arbeitete in diesem Stahlwerk in verschiedensten Bereichen, als Walzer, Oberbau- und Platzarbeiter, Kesselwärter und zum Schluss, bis zu seiner Pensionierung, als Umspannwärter. Beschrieb diese Bereiche und seine Arbeit in zahlreichen Prosatexten mit größtenteils autobiographischen Zügen. Verstarb am 17. April 2003 in Mürzzuschlag.

Erich Zwirner war Mitglied im „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“ und wurde für sein literarisches Schaffen mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Der folgende Text „Als der Nebel sich hob“ stammt aus: Erwin Zwirner: Im Schatten der Zeit. Erzählungen. 1992, merbod–Verlag, Wiener Neustadt.

„Im Schatten der Zeit“ ist leider heute nur mehr antiquarisch erhältlich. Ebenfalls vergriffen sind die Werkstatthefte der „Steirischen Werkstatt – Literatur der Arbeitswelt“, in denen Erwin Zwirner immer wieder publiziert hat.

Als der Nebel sich hob

Als der Nebel sich hob … standen sie in einer eiskalten, luftleeren Mondlandschaft.

So oder ähnlich würde ein Lyriker die Situation der Stahlarbeiter beschreiben. Ein Märchenerzähler nach Jahren im Atombunker der Regierung aber so: Es war einmal eine mächtige Eisen- und Stahlindustrie in unserem Lande, in der die Arbeiter bis zum Jahre 1979 fast glücklich und zufrieden ihr Brot verdienten. Ihre Regierung und ihre Gewerkschaft sagten ihnen täglich, dass sie auf einer Insel der Seligen lebten. Und sie glaubten es. Der Nebel, der über dem Lande lag, störte sie nicht weiter. Im Gegenteil. Er schützte sie sogar vor ein paar mahnenden Stimmen, deren Laute in dieser Watte versanken.

Genau so aber übersahen sie die unheimlichen Gestalten, die nur in Grauzonen lebten und immer besser gediehen, ohne etwas zu leisten. Eines Tages aber kam ein Sturm auf und wehte den Nebel fort. Als die Arbeiter daraufhin ihre Köpfe hoben und zum ersten Mal ihre Umgebung klar sahen, kroch eine schreckliche Kälte ihre Rücken hoch und setzte sich zwischen ihren Schultern fest.

Als die Nacht sich davonschlich, ließ sie einen düsteren, grauen Morgen zurück. Wolken hingen so tief vom Himmel, als wollten sie sich auf die Rauchfänge der Werke setzen. Der Lärm der Maschinen und Walzgerüste aber hörte sich leiser an als sonst. Bis er auf einmal ganz verstummte.

Kurze Zeit später kommen die Arbeiter aus dem Werkstor und sammelten sich auf dem Parkplatz. Die roten, gelben und blauen Schutzhelme bilden ein buntes Muster. Sie formieren sich zu einer dreireihigen Schlange und marschieren zwischen Bahndamm und Fluß der Stadt zu.

Karl hat sich mehr am Ende der Kolonne eingereiht. Er ist niedergeschlagen und verbittert. Er ist 1925 geboren. „Wieder marschieren“, denkt er sich. „Immer wenn marschiert wird, ist das Land krank. Immer hat es zuerst mit Wirtschaftskrisen und dann mit Kriegen zu tun. Und jede Straße endet in Armut, Not, mit verwüsteten Ländern und auf riesigen Schlachtfeldern. Er beobachtete seine Kollegen. Er hat den Eindruck von einer gesichtslosen Masse. Abweichende, nichtssagende, hassende Gedankensplitter glaubt er zu fühlen. Nur überlagert von der Angst des Arbeitsplatzverlustes. Keine Spur von Solidarität oder einem festen Ziel.

Er schiebt sich seinen Helm aus der Stirn. Er weiß auch nicht, was er täte, wenn er seine Arbeit verlieren würde. Denn die Arbeit zu verlieren heißt, sich selbst zu verlieren. Hieße für ihn Armut und ausgestoßen sein. Hieße nicht fähig sein, seine Kinder zu versorgen und ihnen eine Kindheit ohne Not zu bieten. Als Versager dazustehen. Und so wird jeder gegen jeden kämpfen. Das Wort „Solidarität“ wird zum Schimpfwort werden. Die Gewerkschaft wandert auf einem schmalen Grad und muss aufpassen, nicht zum Diener einer kapitalistischen Finanzpolitik zu werden.

„Belsazar!“ Die Schrift an der Wand,. Vor ihm geht Kurt. Ein lustiger, hübscher Bursche. Er ist ein Lebenskünstler. Immer auf der Butterseite. Ihm, Karl, ist er ein bisschen zu glatt. Er hält ihn für eine Wetterfahne, die sich immer nach dem Winde dreht. Karl hat Kurts Worte noch in seinen Ohren.

„Gehören sowieso 200 hinausgeschmissen. Die Krankenstandschinder und Blaumacher. Und die Zettelpicker.“ Und, und, und. Aber Karl hat noch nie gesehen, dass Kurt sich einen Hax`n ausgerissen hätte bei der Arbeit. Oder, wenn er an Fritz, der zwei Reihen hinter ihm geht, denkt. Ein guter Arbeiter, aber ohne Rückgrat.

„I moch meine Orbat und olles andere is mir wurscht“, sagte er bei jeder Gelegenheit, wenn ihn einer um seine Meinung fragt. Oder: „Vom Lesen wird man nur blöd.“

Die meisten sind schon in Ordnung, nur haben sie es sich in den letzten 30 Jahren abgewöhnt, selbst zu denken, und haben statt dessen alle Entscheidungen ihren Vorgesetzten und Betriebsräten überlassen. So scheuen sie sich, berechtigte Kritik zu üben. Sie schimpfen höchstens im Wirtshaus. Wenn ein Direktor kommt und ihnen erzählt, dass die Wirtschaftslage schwierig sei und eben dadurch von ihnen besonders große Opfer gefordert werden, so empfinden sie es zwar hart, aber keiner von ihnen denkt daran, ob das so sein muss. Oder ob es nicht auch andere Wege gibt, um diese Opfer zu vermeiden. Sie begreifen nicht, dass es scheißegal ist, was so einer quatscht, wenn nur die Arbeiter alles ausbaden müssen, was manche „da oben“ vermurksen.

Wenn ich zum Doktor gehe, weil ich krank bin und der sagt mir die Krankheit, kann, oder will mir nicht helfen, so wechsle ich eben den Doktor und gehe zu einem, der mir hilft, sagt sich Karl, wird aber jäh aus seinen Gedanken gerissen, weil er seinem Vordermann auf die Ferse gestiegen ist.

„Pass doch auf, du Idiot, willst wohl schon jetzt meinen Platz einnehmen“, zischte Heinz ihn an. Wahrscheinlich rauft er sich mit den gleichen Gedanken herum.

Karl antwortete: „Sei nicht blöd. Ich habe nur daran gedacht, wer die Idee gehabt haben könnte zu diesem überstürzten Marsch.“

„Das war der Betriebsrat. Viele von uns murrten, dass nichts geschieht, und da die Kommunisten für morgen eine Protestversammlung angekündigt haben, wollen sie eben denen zuvor kommen.“

„Aber das ist doch eine halbe Sache. Wenn schon Protest, dann muss die ganze Region mit. Denn es geht alle an, ob wir ein Industriefriedhof werden oder nicht.“

„Du kennst die Auffassung unserer Führung. Rebellieren bringt keine Arbeit.“

„Also schön still sein“, spottet Karl, „aber die im Schwesterwerk wissen, wo es ihnen wehtut. Und sie sagen es auch ganz laut.“

„Ja, ja! So ist es eben. Da kannst nichts machen, “ Heinz lacht. „Da hast ein Stück kapitalistisches Produkt.“

Er will Karl einen Kaugummi geben.

„Hör auf mit dem Scheißdreck.“ Karl fühlt, wie die Wut in ihm hochsteigt. „Dass du da noch Witze machen kannst, wenn es um unser Überleben geht. Du bewegst dein Maul immer sehr fleißig. Aber leider zum Kaugummifressen.“

„Ach, leck mich. Ich verputz mich weiter nach vorn. Such dir einen anderen zum Streiten.“

Heinz spuckt seinen Kaugummi auf den Bahndamm, schert aus und reiht sich weiter vorne wieder ein.

Karl ärgert sich über seine Ungerechtigkeit. Er weiß, dass Heinz kein schlechter Kerl ist. Er spricht kein Wort mehr, bis sie beim Werk 1 vor der Stadt angekommen sind. Dort vereinigen sie sich mit diesen Kollegen und gehen das letzte Stück bis zum Hauptplatz gemeinsam.

Es spricht zuerst der Nationalratsabgeordnete dieser Region, dann der Bürgermeister der Stadt und schließlich reden zwei Betriebsräte des Werkes. Einem Politiker der Stadtopposition wird das Wort verweigert, was Karl nicht für richtig hält. Aber alle, die sprechen, sagen sinngemäß das gleiche: Weiterführung des Stahlwerkes bis zur Schaffung neuer Arbeitsplätze, Ausbau der Finalproduktion, Weiterführung des Blockwalzwerkes, und wissen doch schon, dass die Werke zwei und drei zum Tode verurteilt sind. Dass dieser Marsch nur eine Warnung vor einer richtigen Demonstration sein soll, sagen sie alle.

Als dann ein Betriebsrat die Führung der Vereinigten Stahlwerke mit harten Worten angreift und sie für unfähig erklärt, die Werke zu leiten, hört man auf einmal die Worte wie Verräter, Sauhunde, korrupte Schweine aus der Menge aufbrausen. Auch manche Politiker und Betriebsräte werden beschimpft. Am meisten der Zentralbetriebsrat. Er soll nämlich den Spruch von den Faulen und Unzufriedenen, die den Ernst der Lage nun hoffentlich begriffen hätten, in Umlauf gesetzt haben. Da war aber schon alles zu Ende, und wie eine Gewitterwolke, die von der Sonne aufgefressen wird, oder wie ein Luftballon, der zerplatzt, hat sich die Demonstration, die ja keine sein sollte, aufgelöst.

REZENSIONEN

Dienstag, 1. Februar 2011

Rezensionen für Bücher und Hörbücher

Eine Zusammenstellung, die sich dem Thema Rezensionen / Buchbesprechungen widmet und Ihnen hilft, für jedes Alter das richtige Buch bzw. Hörbuch zu finden.

Letztlich kann die Liste allerdings nur eine kleine Auswahl aus der großen Zahl engagierter Projekte vorstellen. Stellvertretend für die vielen ungenannt bleibenden Sites sei hier auf die wunderbaren Rezensionen in „Liisas Litblog“ und in eigener Sache, auf die Rezensionen im „Duftenden Doppelpunkt“ in der Rubrik „Buchbesprechungen“ hingewiesen.

Rezensionen für Menschen von 0 – 99

„Rezensionen online“ – biblio.at bietet in Kooperation mit 15 weiteren Institutionen/Zeitschriften den größten frei zugänglichen Rezensionspool im deutschen Sprachraum. Mehr als 27.000 Besprechungen sind abrufbar. Die Datenbank umfaßt Literatur für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Eine Kommentarfunktion erlaubt die Veröffentlichung der eigenen Meinung.

Rezensionen für die „Großen“

Literaturcafe – In der Rubrik „Buchkritiken und Tipps“ finden Sie Notizen über Bücher, ausführliche Buchkritiken und kurze Tipps.

Perlentaucher – Kulturmagazin mit täglicher Presseschau, Links, Essays, Bücherrundschau.

Hörbuchrezensionen

Buchjournal – Hörbücher – Rezensionen und Beschreibungen von aktuellen Hörbücher.

Echt Hörbuch – Hörbuchempfehlungen.

Hoergold.de – ist ein unabhängiges Info-Portal für deutschsprachige Hörbücher. Sie finden hier über 10.000 Hörbuchtitel und mehr als 4.400 Hörproben.

Die Hoerothek bietet Rezensionen, Interviews, Daten …

HR2 Hörbuch Bestenliste – Hörbuchkatalog: Bestenliste des Monats, zusätzlich finden Sie im Hörbuchkatalog eine große Anzahl an Inhaltsbeschreibungen und Informationen zu einzelnen Hörbüchern.

Rezensionen für Kinder- und Jugendliteratur

Alliteratus arbeitet mit ca. 60 deutschsprachigen Jugendbuch-Verlagen zusammen. Mehrere tausend Einzelrezensionen, größere Artikel und umfangreiche Themenhefte sollen Ihnen das Zurechtfinden unter ca. 6.000 Neuerscheinungen pro Jahr erleichtern.

Die Datenbank der „Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien“ der GEW (Gewerkschaft, Erziehung und Wissenschaft) enthält Rezensionen zu Kinder- und Jugenbüchern, Hörbüchern und CD-ROMs.

Efeu – Publikationen – Rezensionen von Jugendbüchern mit Mädchen mit Migrationshintergrund als Handlungsträgerinnen.

„Kinderbuch-Couch“ – Sortiermöglichkeiten, Rezensionen und Spezialthemen.

Kröte des Monats – STUBE – Studien- und Beratungsstelle für Kinder und Jugendliteratur.

„Quergelesen“ – mit vielen Buchtipps. Wer ein Buch besprechen möchte, kann sich bei der Redaktion melden und bekommt ein Buch zugeschickt!

Lizzynet – Internetforum für Mädchen . Unter anderem bietet es unter der Rubrik Lizzypress Rezensionen von Büchern, CDs, Filmen und Software und Artikel. Der Link „Lizzypress“ ist ganz unten auf der Homepage in der „LizzyNet-Sitemap“ zu finden.

Robert Tressell – ein Arbeiterdichter

Montag, 31. Januar 2011

Die Menschenfreunde in zerlumpten Hosen

Von Werner Lang

„Die Menschenfreunde in zerlumpten Hosen“ ist ArbeiterInnenliteratur par excellence: Also Literatur von ArbeiterInnen, in der sie sich mit ihren eigenen Lebensbedingungen auseinandersetzen.

Als uneheliches Kind 1870 in Dublin geboren, verläßt „Robert Tressell“ schon mit 16 Jahren seine Familie und damit die bürgerliche Welt, in die er hineingeboren wurde. Er nennte sich von nun an nach dem Mädchennamen seiner Mutter „Robert Noonan“.

1888 emigriert er nach Südafrika, läßt sich in Kapstadt nieder und arbeitet als Dekorateur. 1897 zieht er mit seiner Tochter nach Johannesburg und schließt sich der ArbeiterInnenbewegung an. Er wird Gewerkschaftsmitglied und später Sekretär der Transvaal Federated Building Trades Council.

1901 kehrt er mit seiner Tochter nach England zurück. 1906, beeinflusst durch die Schriften von William Morris, tritt er der Social Democratic Federation bei. Ein Jahr später wird er arbeitslos.

Er beginnt an dem Roman „The Ragged Trousered Philanthrop“, („Menschenfreunde in zerlumpten Hosen“) zu schreiben und vollendet ihn 1910. Aus Angst, das Manuskript würde auf Grund seiner Autorenschaft abgelehnt werden, unterschreibt er mit „Robert Tressell“. Schon schwer lungenkrank erhält er eine Arbeitszusage in Kanada. Bevor er sich im August 1910 auf die Reise macht, übergibt er seiner Tochter noch ein Kästchen, in dem er das Manuskript aufbewahrt und läßt sie bei Verwandten zurück. Sein Weg sollte bereits in Liverpool enden.

Ein kurzer Auszug aus dem Buch:

… Eines Sonntagmorgens gegen Ende Juli fiel eine Gruppe von ungefähr fünfundzwanzig Männer und Frauen auf Fahrräder in die Stadt ein. Zwei von ihnen – die ein paar Meter vor den anderen fuhren, hatten an der Lenkstange ihrer Räder eine dünne, aufrechte Stange, an deren Spitze wehte eine kleine, rot-silberne Flagge mit ‚Internationale Brüderlichkeit und Frieden‘ in Goldbuchstaben. Die andere war in Größe und Farbe gleich, trug jedoch eine andere Aufschrift: ‚Einer für alle, alle für einen‘.

Im Vorbeifahren verteilten sie Flugblätter an die Straßenpassanten. Wann immer sie eine Stelle mit vielen Leuten erreichten, stiegen sie ab, gingen umher und gaben ihre Flugblätter jedem, der eines haben wollte. Mehrmals machten sie während ihrer Durchfahrt entlang der Großen Parade dort länger Halt, wo sich eine größere Menschenmenge aufhielt, und dann fuhren sie über den Hügel nach Windley und kamen kurz vor Öffnungszeit der Wirtshäuser an. Vor einigen warteten kleine Gruppen, und mehrere Kirchgänger gingen ihren Weg durch die Straßen nach Hause. Die Fremden verteilten Flugblätter an alle, die sie nehmen wollten. Außerdem streiften sie durch eine Menge Gassen, schoben Flugblätter unter den Türen durch und steckten sie in die Briefkästen. Als sie ihren Vorrat verbraucht hatten, stiegen sie auf und fuhren wieder dorthin zurück, woher sie gekommen waren.

Inzwischen hatte sich die Neuigkeit ihrer Ankunft verbreitet, und als sie durch die Stadt zurückkamen, wurden sie mit höhnischem Gelächter und Buh-Rufen begrüßt. Plötzlich warf jemand einen Stein, und da es dort zufällig jede Menge gab, zogen mehrere andere nach und begannen, den zurückweichenden Radfahrern nachzulaufen, warfen Steine, johlten und fluchten.

Das Flugblatt, das diesen Zorn auslöste, lautete:

WAS IST SOZIALISMUS?

Gegenwärtig produzieren die Arbeiter mit Hand und Verstand ununterbrochen Nahrung, Kleidung und alle nützlichen und schönen Dinge in großem Überfluß. ABER SIE ARBEITEN VERGEBLICH – denn sie sind meist arm und leiden oft Not. Sie befinden sich in einem harten Kampf ums Dasein. Ihre Frauen und Kinder leiden, und auf ihren alten Tagen tragen sie das Schandmaul des Almosenempfängers.

Der Sozialismus ist ein großes Vorhaben, vermittels dessen die Armut abgeschafft sein wird und das jeden in die Lage versetzt, in Wohlstand und Komfort zu leben, mit Freizeit und der Möglichkeit für ein erfülltes Leben.
Wenn ihr mehr darüber erfahren wollt, kommt zu den Feldern an der Straßenkreuzung auf dem Hügel bei Windley, nächsten Dienstag Abend um 8 Uhr und

HALTET NACH DEM LASTWAGEN DER SOZIALISTEN AUSSCHAU.

Die Radfahrer fuhren in einem Steinhagel weg, ohne viel Schaden zu nehmen. Einer hatte eine aufgeschlagene Hand, und ein anderer, der sich umdrehte, wurde an der Stirn verletzt. Aber das waren die einzigen Verluste. …“ (S. 460- 461).

Am 26. November 1910 starb Robert Noonan (Tressell) an Herzversagen. Er wurde in einen Armengrab in Walton Park Cemetery in Liverpool, beerdigt.

1914 kaufte ein Verlag die Rechte an dem Buch für 25 Pfund Sterling. Noch im selben Jahr erschien es in Großbritannien, Kanada und den Vereinigten Staaten.

Der Text ist nicht nur aktuell weil er akribisch die zwischenmenschlichen Beziehungen von Arbeitern beschreibt, sondern auch den grundlegenden Widerspruch im Kapitalismus aufzeigt. Dem Leser, der Leserin wird vor Augen geführt, wie die Früchte der gesellschaftlichen Produktion, vor allem einer kleinen Minderheit zu Gute kommen und das kapitalistische Gesellschaftssystem den Menschen zu einem unsozialen Verhalten treibt.

Jack Mitchell schreibt: „Der Roman ist wie ein Wagenrad konstruiert. An der Radnabe werden die Männer bei der Arbeit geschildert. Dorthin kehrt die Handlung stets wieder zurück, nachdem der Autor, den einzelnen Speichen entlang Einsicht in das Privat- oder Familienleben der Arbeiter, ihre Freizeitgestaltung und Vergnügen, ihre politischen Aktivitäten usw. gegeben hat. So erkennen wir, dass die Art und Weise, in der die Männer arbeiten, ihre ganze Lebensweise bestimmt, dass die unfreie Arbeit der Ausgangspunkt ihrer ganzen Unfreiheit ist.“ (S. 15)

Der Satz von Robert Tressell „Nur was die Arbeiter sich nehmen, hilft ihnen weiter, was ihnen geschenkt wird, ist nutzlos“ ist heute aktueller denn je.

Weiterführende Hinweise und Literatur für alle, die sich in das Leben und Werk von Robert Tressell vertiefen möchten:

Auf der Site „Nemesis – Sozialistisches Archiv für Belletristik“ kann der Roman von Robert Tressell „ Die Menschenfreunde in zerlumpten Hosen“ im Netz nachgelesen werden.

Hanna Behrend: Der schriftstellernde Schildermaler, der sich Robert Tressell nannte, und sein bemerkenswertes Buch „Die Menschenfreunde in zerlumpten Hosen“

Literatur:

Alfred, David (ed., 1988): Robert Tressell Lectures, Rochester, Kent
Ashraf, Mary (1980): Englische Arbeiterliteratur vom 18. Jahrhundert bis zum ersten Weltkrieg, Berlin-Weimar
Ball, Frederick C. (1973): One of the Damned. The Life and Times of Robert Tressell, London
Mitchell, Jack (ed. 1969): Robert Tressell and The Ragged-Trousered Philanthropists
Tressell, Robert (1914): The Ragged-Trousered Philanthropists, London
Tressell, Robert (1955): The Ragged-Trousered Philanthropists, London
Tressal, Robert (1927): Die Menschenfreunde in zerlumpten Hosen. Ein englischer Arbeiterroman, Berlin
Tressell, Robert (1958): Die Menschenfreunde in zerlumpten Hosen, Berlin
Tressell, Robert (2002): Die Menschenfreunde in zerlumpten Hosen, Kückenshagen

MULTATULI: „MAX HAVELAAR“

Donnerstag, 9. Dezember 2010

Er soll gelesen werden!

Eine Würdigung Multatulis (Eduard Douwes Dekker) und eine Rezension seines Buches „Max Havelaar“ von Peter Metz.

Keinen Romanhelden nehmen wir so oft in die Hand. Seit 1988 tragen Produkte aus fairem Handel das Max Havelaar Logo, und heute verkaufen nicht nur Dritt-Welt-Läden, sondern auch grosse Supermarktketten Bananen, Kaffee oder Orangensaft in seinem Namen. Nur ihn selbst, den Titelhelden des grössten Romans niederländischer Sprache, können wir seit 1996 nicht mehr in deutsch kaufen.
Auch jetzt, im 150. Jahr seines Erscheinens, planen die Verlage Ullstein und Manesse, von denen die letzten deutschen Ausgaben stammten, keine Wiederveröffentlichung.

Eduard Douwes Dekker quittierte den ostindischen Dienst, um sich in der Politik des Mutterlandes für die unterdrückten Untertanen des niederländischen Kolonialreiches einzusetzen, was ebenso erfolglos blieb wie seine vorherigen Bemühungen als Kolonialbeamter. Zum Aussenseiter und Geächteten geworden, schrieb Douwes Dekker auf Vorstellungen seiner Frau 1860 unter dem Pseudonym Multatuli in der Dachkammer eines Brüsseler Hotel innerhalb kürzester Zeit sein Erstlings- und Meisterwerk „Max Havelaar“.

Multatuli führt uns durch ein Labyrinth von Erzählpositionen: Batavus Droogstoppel, Kaffeehändler, begegnet in den Strassen Amsterdams dem völlig heruntergekommenen Max Havelaar und lässt sich von diesem einen grossen Packen Papiere aufdrängen, Aufzeichnungen seiner Erlebnisse in Niederländisch – Ostindien. Droogstoppel entschliesst sich, ganz entgegen seiner Gewohnheit, zwei Bögen Papier mehr zu bestellen, und beginnt, aus Havelaars Aufzeichnungen ein Buch zusammenzustellen, wobei er uns seine ganz persönliche Poetiktheorie, seine Verachtung des Versagers Havelaars und seine Selbstgefälligkeit als anständiges Mitglied der Gesellschaft und gläubiger Christ serviert – und Droogstoppel ist ohne Frage die komischste Figur dieses Buchs.

Weil das Romaneschreiben ihm aber zu mühsam wird, überlässt Droogstoppel den „Packen“ seinem jungen Praktikanten, Stern junior, damit der für ihn aus Sjaalmans Aufzeichnungen ein Buch über den Kaffeehandel schreibt.

Unter dessen Händen wird Max Havelaar zum Gutmenschen, der uns nach der Rede vor den Häuptlingen von Lebak als Humanitäts- und Aufklärungsimperialist, nach den endlosen Tischreden vor den übrigen niederländischen Beamten als Fantast und Schwätzer mit wilden Gedankensprüngen erscheint, ehe Stern eingesteht, er habe alle diese Reden aus Havelaars Aufzeichnungen kompiliert – und dies in einem schrecklich sentimentalen Stil. – Und so entlarvt jede Erzählung über Max Havelaar immer nur den Erzähler; die Erzählweisen sabotieren sich selbst, und wenn wir plötzlich glauben, in traditionellem Fahrwasser zu sein, wie in der Geschichte von Saidjah, seinem Büffel, und seiner grossen Liebe, die wie ein Märchen wirkt, werden wir in ein blutiges Kolonialmassaker geführt.

Endlich entzieht Multatuli allen seinen Erzählern das Wort. Dreimal ruft er aus: „Ik will gelezen worden. Ja, ik will gelezen worden! Ik will gelezen worden“, und er klagt in seinem furiosen Schlusswort die ganze Drogstoppelei und Kaffeehändlerschaft und den König der Niederlande an, und er klagt auch die heutige Brabeckerei an und deren unersättliche Gier und die Regierungen, die für freie Handelswege und „berechtigte Interessen“ heute Kriege führen.

Ja, er soll gelesen werden. Manesse und Ullstein planen nach entsprechenden Anfragen keine Neuauflage, Max Havelaar Schweiz hat den Rezenszenten auf seine Mailingliste gesetzt, aber eine ablehnende Antwort auf die Frage nach einer gesponserten Neuausgabe gegeben. Vielleicht braucht es noch mehr potentielle Leser, die sagen: Ja, er soll gelesen werden, Multatuli soll gelesen werden, Max Havelaar soll auch auf Deutsch gelesen werden!

In den Niederlanden liegen zurzeit mehrere Ausgaben vor, wovon je nach den persönlichen Kenntnissen des Niederländischen die Ausgabe von nrc-boeken in der Bearbeitung durch Gijsbert van Es (ISBN: 9789079985159 ) der kritischen Edition (Prometheus Groep, 2009; ISBN 13: 9789044614237 ) vorzuziehen ist.

Peter Metz

Cover Max Havelaar - Multatuli

Von und über Multatuli im Internet

Website des Multatuli-Museums in Amsterdam

Internationale Multatuli Gesellschaft Ingelheim

150 jaar Max Havelaar / 150 jaar Multatuli

LiberLey: MULTATULI (Eduard Douwes Dekker) – Texte im Internet und Sekundäres

Guttenberg.de: Eduard Douwes Dekker Multatuli – Texte im Internet

Max Havelaar oder Die Kaffee-Versteigerungen der Niederländischen Handels-Gesellschaft im Volltext (Übers. Karl Mitschke) bei Zeno.org

Max Havelaar oder oder Die Kaffee-Versteigerungen der Niederländischen Handels-Gesellschaft Online-Text, Project Gutenberg. (Übers. Wilhelm Spoor)

Max Havelaar – oder: Die Kaffee-Versteigerungen der Niederländischen Handels-Gesellschaft. Übertragung von Karl Mischke. Hendel Verlag, Halle a. d. Saale, o. J. [verm. 1900]

Max Havelaar, of de koffij-veilingen der Nederlandsche Handel-Maatschappij als freies Hörbuch (niederländisch) bei LibriVox

Google Bücher – Multatuli, das eigenartige Genie in „Moderne niederländische Literatur im deutschen Sprachraum 1830 – 1990″ von Herbert van Uffelen

Deutschlandradio: „Ein unglaublich emotionales politisches Pamphlet“ Leon de Winter über das vielschichtige Buch „Max Havelaar“

Held der Geschichte. Der Schriftsteller Multatuli ist einer der berühmten Vergessenen – In den Niederlanden wird er dieses Jahr groß gefeiert und fast täglich zur Auferstehung gebracht. Ein Beitrag von Andrea Grill im Standard v. 11. Juni 2010

Multatuli und ein Fundstück. Späte Wiederentdeckung eines antikolonialistischen Romanklassikers. Ein Beitrag von Wilfried W. Meyer. Erschienen in Kommune, Dezember 1995.

Wie sich ein Verlag einer langjährigen Rezensentin „entledigt“

Freitag, 8. Oktober 2010

Frühling 2010: Rezensentin bestellt beim „Manhattan-Verlag“ ein Besprechungsexemplar von Colin Cotterills „Totentanz für Dr. Siri“. Lange Zeit kommt keine Antwort, Rezensentin fragt nach, ob die Nachricht eingetroffen sei.

Man teilt ihr mit: Das Kontingent sei begrenzt, die Nachrfrage steige, man müsse extrem auswählen, wer was bekomme. Und da die Rezensentin Dr. Siri nun so gut kenne, müssen „einfach neure Rezensenten“ bevorzugt werden.

Seitdem blieb nicht nur „Dr. Siri“ aus, sondern auch jedwede Info über Verlags-Neuerscheinungen …

Ob das Verhalten des Verlages der Rezensentin gegenüber tatsächlich an ihrer „guten Bekanntschaft“ mit Dr. Siri gelegen hat?

Rezension: Dr. Siri und seine Toten
Rezension: Dr. Siri sieht Gespenster

Weitere Buchbesprechungen im Literaturblog Duftender Doppelpunkt

Donau, Stahl und Wolkenklang

Freitag, 30. Juli 2010

René Freund – Lesereise Linz. Donau, Stahl und Wolkenklang.

„Heute Abend kommen wir nach Linz, von dessen Schönheit die ganze Welt gehört hat.“
Zugegeben: Ein Buch über Linz muß einem besonders strengen Blick standhalten, gerät ebendieses in die Hände einer gebürtigen Linzerin und langjährige Bewohnerin der oberösterreichischen Hauptstadt.

Strenge Fragen muß es auch über sich ergehen lassen: Wollen wir doch mal sehen, wie ein „Zugreister“ diese Stadt wahrnimmt. Wird er der gebürtigen Linzerin Altbekanntes – und auch in jedem x-beliebigen Reiseführer Nachzulesendes – präsentieren? Weiß er um Weikerlsee, Ferialjobs in der VOEST und Leberkas-Pepi, um die Konkurrenz zwischen den BewohnerInnen von Linz und Urfahr? Weiß er um die Geschichte des Limonistollens? Traut er sich, die „braune“ Vergangenheit der Stadt zu erwähnen.

Nach den ersten Seiten wird deutlich: René Freund, geborener Wiener, seit zwanzig Jahren in Oberösterreich beheimatet, weiß um Seen – und dass der Pleschingersee beinahe jedes Jahr aufgrund der Hitze „kippt“. Er weiß um die generationenzusammenschweißende Bedeutung der Ferienjobs in der VOEST – und auch jenen in der Linz Chemie. Er weiß um die Linzer‘schen Rivalität mit denen „über“ der Donau – und welche Bedeutung dem Autokennzeichen UU beikommt. Er kennt die Geschichte des Limonistollens – und dessen Bedeutung als Luftschutzkeller während des Zweiten Weltkrieges. Er wagt den Blick auf die Geschichte von Linz – das von Hitler zu seiner Lieblingsstadt erklärt wurde.

René Freund berichtet von trefflichen Ausflüge in die Umgebung von Linz, weist auf die Gaumberger Weinberge hin, und „warnt“ davor, Linzer Nachbarstädte wie Traun, Ansfelden oder Leonding als Linzer Vororte zu titulieren. Die Erwähnung einer sprachlichen Besonderheit bezüglich Leonding zeigt Rene Freunds genaue Wahrnehmung. „Die Leondinger sind keine Linzer. … Sogar die Sprachen ähneln einander nur äußerlich: Der Linzer etwa sagt Leondinger (mit Betonung auf dem ersten E), während der Eingeborene selbst seine Stadt als Leonding (Betonung auf dem O) bezeichnet.“

Es freut die Lesenden der Hinweis auch auf zwei andere Linz-„Werke“ abseits von 08/15 Reiseführern: „Linz literarisch“ und „Linzer Stadtführerin“.

René Freund begibt sich auf seiner „Lesereise Linz“ weg vom oberflächlichen Rundgang. Er läßt sich ein auf die Stadt – und er hält sogar für die gebürtige Linzerin Unbekanntes fest. Zum Beispiel, daß die 1630 erstmalig erschienene „Linzer Zeitung“ die älteste noch existierende Zeitung der Welt ist, „ein Titel den die gut siebzig Jahre jüngere Wiener Zeitung in spätimperialer Selbstüberschätzung fälschlicherweise für sich usurpiert“. Oder die in Alt-Urfahr gelegeneVilla Nunwarz, die einst ein Foto-Atelier beherbergte, in dem Karl May sich in Kostümen seiner Romanhelden abbilden ließ. Oder die architektonische Besonderheit der ÖSWAG-Werft-Kantine. Oder den Geigenbaumeister Übelhör. Oder den vermutlich ältesten noch erhaltenen Teil von Linz.

Strengem Blick und strengen Fragen erfolgreich standgehalten, gesellt sich „Lesereise Linz. Donau, Stahl und Wolkenklang“ zu der im Picus Verlag 1998 gestarteten Reihe „Lesereisen“.

Petra Öllinger

PS: Der von René Freund erwähnten Trockenheit der Linzer Torte kann durch einen Klacks Schlagobers abgeholfen werden; nicht nur die Sachertorte hat ein Recht auf Schlag …

PPS: Das eingangs erwähnte Zitat stammt von keiner gebürtigen Linzerin. Francis Trollope, gebürtige Britin, hielt diesen Satz im Bericht über ihre Reise 1836 von London nach Wien fest. Quelle: Frances Trollope: Ein Winter in der Kaiserstadt. Wien im Jahre 1836. Promedia Verlag, Wien, 2003.

René Freund – Lesereise Linz. Donau, Stahl und Wolkenklang. Überarbeitete Neuausgabe 2010. Picus Verlag, Wien, 2010. 132 Seiten, Euro 14,90 (Ö).