Fix Zone

„lesebuchreif gedroschen“

Redaktion: 

"Die Hand voller Stunden, so kamst du zu mir" – am 23.11. um 23:05 Uhr eine lange Nacht über Paul Celan von Helmut Böttiger. Regie: Rita Höhne. Im Deutschlandradio.
Paul Celan, am 23. November 1920 geboren, gilt allgemein als der bedeutendste deutsch­sprachige Lyriker nach 1945. Seine ›Todesfuge‹ über das Leben in den Konzentrations­lagern der Nazis ist zu einem zentralen Bestandteil des Deutschunterrichts geworden - aber sie ist dabei, wie er sagte, "lesebuchreif gedroschen" worden. Für den deutsch-jüdischen Lyriker aus Czernowitz war die Ermordung seiner Eltern einer der prägendsten Momente seines Lebens. Aber er wollte seine Lyrik keineswegs auf das Thema der Judenverfolgung reduziert sehen. Die Geschichte der Missverständnisse um Celans Gedichte beginnt mit dem Auftritt bei der Gruppe 47 1952, wo er bei einigen der Kahlschlag-Ideologen aus der Landser-Generation auf Ablehnung stieß. Die Liebes­beziehung zu Ingeborg Bachmann, dem Fräuleinwunder im 50er-Jahre-Deutschland, lud seine Person im Literaturbetrieb zusätzlich auf. Die Dreiecks­beziehung Celan, Bachmann und Gisèle Celan-Lestrange, der Ehefrau Celans, wirkt selbst wie eine literarische Fiktion. Celans Gedichte, so hermetisch sie auch wirken mögen, zeigen immer wieder Spuren bio­grafischer Erfahrungen. Gleich­zeitig zeigt sein Ausspruch "Alle Dichter sind Juden", wie sehr er den Dichter als Auserwählten empfand. Auch deshalb musste er sein Aufeinandertreffen mit dem bundesdeutschen Literaturbetrieb als unheilvoll empfinden. Sein Selbstmord in der Seine 1970, nach langen Aufenthalten in der Psychiatrie, setzte den Schlusspunkt unter eine exemplarische, bewegende Dichterbiografie des 20. Jahr­hunderts. Doch man sollte sich Celans Lyrik nicht zu weihevoll nähern, man sollte sie einfach ganz genau lesen - und hören.

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