ein bild

ROSTBLIND


Sein Haus wird ihm von unten her unmöglich. Vom Keller her. Ohne Abschied. Kein letzter Blick auf Großmutters ausgediente Pfanne, in der mich das erste Omlette machen lehrte. Kein noch so kurzes Verweilen vor der rostblinden Säge.

Unsere Hände.
"Ziehen - nicht drücken!"

Es ist nicht mehr zu machen. "Herunter würden mich die Stecken unter meinem Arsch vielleicht noch tragen. Aber nicht wieder hinauf." Angeblich fehlt ihm das schmiedeeiserne Geländer, an dem er sich vom Erdgeschoss ins Schlafzimmer hinaufzieht.

"Ich kanns mir vorstellen.",
nicke ich - und denke dann erst nach.

Nein, das ist es nicht. Der Keller interessiert ihn einfach nicht mehr. Und nicht nur der Keller. Er verlässt Raum um Raum und Stockwerk um Stockwerk mit einem kurzen, ruppigen Sich-Abwenden. So, wie er es schon immer gehalten hat.

Dort, wo ein Abschied zeremoniell zu werden droht,
dreht er sich abrupt um und geht.

15.06.2007 16:29:10 

HÄNSEL SOLO


Müde war ich, hielt das aber für einen Gewissensbiss. Während ich mich noch an meinen Amoklauf erinnerte, klappten mir auch schon die Augendeckel zu. Trotzdem ich hob ich mich, um mir Recht zu geben.

Eingeschlafen
oder nicht?
Vollkommen egal!

Ich staunte selbst, wie leicht es war, den Tisch mit einem Finger durch die Küche zu lupfen und im Backofen zu versenken. Die beiden Hexen gleich hinterher. Aber erst, als das Haus sich dann mit Zucker übergoss,

machte ich mich
auf den Weg
in den Schlaf.

(Lieber Arne, statt einem Bier in Berlin:)

14.07.2007 16:02:29 

SALBEIREGEN


Danach das Nebeldorf. Dem Apotheker wachsen Ohren aus den Schultern. Unangekündigt, morgens, auf dem Weg zur Arbeit. So hört er die langgestreckte Hauptstraße voller Aspirin, hört sogar Beta-Blocker an der Kreuzung.

Den Kirchenvorplatz haben Ministranten ganz mit Mull ausgelegt. Der steigt zu Kirchenfahnen auf, nach dem Hochamt sogar zum Himmel. Der Nebel hebt durch
seinen Salbei jetzt die vertikalen Grenzen auf. Dann endlich: der Regen.

31.07.2007 14:04:30 

GORM DER ALTE


Skagen / Dänemark

Ihro gewesene Gnaden, die Kellnerin a. D., bestellte sich eigens einen dänischen Maler, um sich ihre Schlafcouch anstreichen zu lassen. Aber die Romanze, die sie sich versprach, konnte sie sich nicht halten. Noch während er an ihrem Fußende pinselte, erinnerte er sich falsch an ihren Namen, hatte dafür allerdings die ersten drei Ziffern ihrer Telefonnummer im Kopf. Obwohl sie ihm die nie genannt hatte. Später musste sie sich eingestehen: Die Reihenfolge stimmte nicht ganz. Auch seine Motive enttäuschten sie. Anstatt der Drachenboote, die sie erwartet hatte, nur fraktales Kattegatt. Und statt der drei gekrönten, blauen Löwen, die nach neun Herzen haschten, selbst am Kopfende lediglich das griesgrämige Gesicht von Gorm dem Alten.

Aus der

EUROSCOPIE

Performance heute. 20 Uhr Trier: KUNSTHAUS, Alkuinstraße 35.

08.09.2007 09:11:42 

FREIGEIST


Gleich nach der Mittagspause sprang ich in die Luft
und fand dort ein paar Kleinigkeiten durcheinander

Vor allem der Filz der Schleierwolken machte mir zu schaffen
Sie wollten einfach nicht als Decke halten

Kaum war ich ein wenig eingenickt
als mir der Nordost auch schon wieder die Beine frei blies

Ich klemmte mir also den Neumond unters linke Augenlid
und beschloss von jetzt an ausgeruht zu sein

24.09.2007 19:06:32 

HANS IM NUTELLAGLAS


Genau dort wurden sie ins Schokoladenhoch gestellt. Ich weiß, warum der Stolz das macht. Heute erst war Zuckerholen. Du weißt ja: in der heißen Kammer. Goldener Oktober.

Oft schon haben sie versucht, den alten Ferrero sich selber abzukaufen, aber die Kugel wandert zwischen Gold und Braun unter dem Deckel. Ein Geduldsspiel. Kakaoschaum, bis ihr alle ich geworden seid:

du, der alte Ferrero,
dieser Plural
und ich selbst.

01.10.2007 20:12:04 

SCHWANSCHATTEN


Wo der Takt dich loslässt vor dem Tag
Der erst als Wasser von der Zeit weiß

Ohne Leinen
Ohne Laub

Vor allem aber ohne die leisen ein
Geschneiten schon verschenkten Ufer

Das ist also der Schwan
Der seinen Schatten einschwimmt

19.10.2007 11:57:11 

KAFKA


Steinatem2

Ich kann die Straße hören. Auch von hier aus noch. Vor allem den Schotter unter dem Asphalt. Den Schotter, über den ich als Kind zur Nachhilfe trottete. Um zu lernen, wie man aus Füllern Parallelogramme macht.

Die Straße als Stimme
die in ihrem Dia
lekt fortwährend „Draußen“ sagt.

27.11.2007 08:52:33 

Horror vacui


Was ich dem Raum auch g
Eben will damit er mich behält Ver
Gessen hat er m

ich

Lan
Ge bevor ich ihn bet
Rat

15.02.2008 22:51:10 

SCHAUM


Autokorso / Dieser Bürgermeister mit der dicken Unterlippe / Pillen / Das Schielen als Stadtwappen / Ein Taschenrechner / Zuneigung / Uferböschung / terrassiert / Ein Ball im Flussbett / Ein Ball in der Kläranlage / Dem Bräutigam gelingt es schwanger zu werden / Statt der Braut und statt der Schwiegermutter / Schmerzlose Reisen durch das Kindbettfieber / Schluckauf des Bürgermeisters / Autokratisch / Er lässt den Ball aufsteigen / Aus dem Seim / Aus dem Flussbett / Apfelschaumbad darin / Der Säugling darin / Bis in die Bläschen hinein die Rebellion des Taufregisters / Leder / Schartig geworden / Der Ball ist aufgerissen / Das Kind in seiner Geburtsurkunde versteckt / 25

29.02.2008 20:48:14 

TINNITUS


In der Mitte
ist der Frost
am größten
und das eigene Horchen
steht um einen herum
wie etwas Fremdes
weil es
vorbei
vorbei
gleitet
an allem
Das geht so lange
bis es Glas ist

11.03.2008 09:55:53 

< < FELL 2


> > FELLABWURF
> >
> > noch kurz vorm Still
> > stand kurz vorm Eis
> > gewissen Eisgewesen
> > sein der letzten Scheune
> >
> > FELLABWURF
> >
> > ungefurcht und un
> > gefürchtet das Ge
> > locke selbst vor der vers
> > nippelten Kontur des Licht

< < Nach Hans.

18.03.2008 11:17:45 

SCHLAFLOSLIED


hundmann

Ihre Gärten haben Scherben gebellt in dieser Nacht.
Ausgesprochen frühes Klirren in den Büschen.

Die Hand, die sich in Frage stellt.
Ein Pelz.

Auf
S
C
H Schaukeln
U
B
In

Vorwärts
Geleckt, vom Morgen immer an.

Das ist wahr: Manche verlangen nach Scherben.
Wie aber ziehst du diesem Kelter Strahlen ab?

10.04.2008 17:52:49 

NADELBÄUME


Du kommst also hoch. Vom Stein. Mit Stiefeln. Ohne ein Wort bestreitest du, dass du mit mir gesprochen hast. So sehr ich auch auf diesen Saum zulaufe. Mir bleibt nur dein nasses Haar. Und das Ziehen hinter dem Fenster.

NADELBÄUME

Sie geben es für dich zu. Sie stehen für dich da. Neben mir. Ganz du. Nur ohne deine Wut. Nur ohne diese Spitzen vor der Tür, die mich jetzt barfuss machen. Hockst du noch da? Aber wenn ja: Woran gelehnt hockst du noch da?

NADELBÄUME

Splitter. Abgewandter Kopf. Aber die Augen in den Winkeln. Fragende Blicke. Das schneidet ins Trübe, ins Stocken. Häuser, Lichtbaracken. Ich schütze die Augen mit zwei Fingern. Ist der Stein jetzt wärmer geworden?

NADELBÄUME

Schneiden. Ganz gleich wie das jetzt klingt. Vor meinen Zehen lachst du über meine Zehen. Bis es dir selber Angst macht und dich kneift. Wenn auch sehr seltsam kneift. Nicht mit den Fingern. Nur mit dem Handballen.

NADELBÄUME

15.04.2008 10:43:53 

TÄTOWIERUNGEN


Hilflos diesem Sterben gegenüber. Wie wenig zu helfen ist. Die Rituale fehlen. Kaum etwas gibt Sicherheit. Sehnsucht nach einem Aberglauben:

Ein Schäffel Hafer für das Pferd des Wilden Jägers oben in die Dachtraufe geschüttet. Damit sein Reiter, der Totenholer besänftigt wird und nicht aus dem Schweif die Schlinge knüpft, um den Kranken mit sich fort zu ziehn.

Einen Zauberstab machen. Als Kind fiel das leicht. Die spröde Rinde der Weide abgezogen und, den klebrigen Saft an den Fingern, begonnen, an der hellen Glätte herumzukerben. In diesem Geruch, der das ganze Wiegen des Baumes zurückbrachte, es erst wahr machte. Gewalt über ihn bekommen. Das Bergende seiner Zweige noch immer im Holz. Ausgedachte Zeichen, die das festhalten. Darin liegt das Geheimnis. Wenn auch ein vergängliches.

Denn je mehr der Stab von seiner Biegsamkeit verlor, desto weniger Schutz gab er. Ich musste meine Filzstifte tief in die Kerben drücken. Dann wirkte er wieder. Diesmal aber nicht vom Baum, sondern von den Zeichen her. Eine neue Fülle in meiner Hand, wenn die Hitze des Spiels mir Schweiß in die Handflächen trieb, den Stab befeuchtete und meine Hände mit merkwürdigen Drucken überzog. „Tätowierungen“, wie Großvater sie nannte, wenn er sich lächelnd meine Hand ansah.

So etwas haben, so etwas mit zurückbringen ins Haus. Ihn anrühren, ihm Kraft geben damit...

24.04.2008 16:25:51 

BOHNERWACHS


Mit Mutter die langen Klinikgänge entlang. Es riecht nach Bohnerwachs. Das kalte Klingen von Großvaters Türgriff. Sein Blick. Ein kurzer Händedruck, dann stelle ich mich ans Fenster.

Die Zugluft lässt mich frösteln, aber ich gehe nicht fort. Hinter mir arbeiten sich Großvater und Mutter durch ihre ersten Sätze.

Sie sucht nach einem Anfang. Ich sollte helfen, aber ich weiss nicht wie. Benommen und weit abgerückt sehe ich über Land:

Der helle Fluss, die Kohlfelder, weit hinten die Schlackenhalde der Grube Duhamel. Großvaters Grube.

Mutter hat sich auf die Bettkante gesetzt. Großvaters unsicheres Gesicht. Er weiß nicht, was er von dieser Nähe halten soll, scheint zu ahnen, dass sie nichts Gutes bedeuten kann.

Er spricht wieder von seiner Angst, sie könnten ihn entlassen, ohne etwas gefunden zu haben, legt schließlich den Bauch frei, um uns zu zeigen, wo sie die Nadel hineinsteckten, um ihm das Bauchfell aufzupumpen.

„Da scheint nichts zu sein? Oder? Wenn sie doch nichts gesehen haben...“

Ein Krampfen geht durch Mutter. Dann beugt sie sich vor und fasst nach seinem Arm.

„Bitte lass das...“, murmelt er: „Ich hab jetzt so nah am Wasser gebaut...“

07.05.2008 08:47:09 

SOMMER



Sommer
Dieses Zehenspreizen
Es verschweigt jetzt alles

Was
Nicht
Glücklich ist

Ja
Ich
Kenne dich

Diesbezüglich hast du sehr genaue Füße

Ja
Sie
Spannen sich

Bis
In die ersten
Schwimmhäute hinein

So tauchst du
Fröhlich
Himmel ab

09.05.2008 09:06:09 

DER VOGEL UND ICH I


vogelgespräch

Also die Tür, die Tür zum Vogel hin. Dem Vogel, der den Kopf dreht unterm Licht. Auch das nur eine Probe. Eine Probe in Reglosigkeit. Nicht Redseligkeit, Reglosigkeit. Ich traue mir ihre Augen nicht zu. Vielleicht, wenn ich älter wäre.

Oder das Schlafen besser gelernt hätte. Winzige Punkte in den Augen, wenn die Nacht über sie hingeht. Ich prüfe jeden Weg unter der Decke. Bis das in meine Faltenwürfen eingegangen ist: der Vogel, der den übergroßen Schatten macht.

Meine Hand über der Feder. In diesen Streifen lese ich. Mein Räuspern vor der ansteigenden Entfernung. Bin ich schon zwei, wenn ich mich fürchte? Weiß ich noch, wo dieser Feder jener Kiel hingeht? Streifen über der Hand bis hin zur Hand.

Der Vogel und ich. Wir wollen beide nicht mehr nach Hause. Wir pusten also Daunenfedern für ein neues Haus. Das ist jetzt Dich genug. Schon lange. Von allen Seiten dringt das Flattern ein. Frei. Von allen Seiten dringt das Flattern ein.

27.05.2008 09:36:08 

DER VOGEL UND ICH II


gespräch

Wir fliegen ein Nest vor die Küste. Ein Nest aus Stein. Um zu fiepen, wenn wir es tun. Hände blättern im Salz. Krallen blättern im Salz. Mundschnabelmund. Das ist der erste Vogel überhaupt. Unwirklich laut und unwirklich banal.

Wind. Gischt. Wo wir sitzen, fängt das Meer an. Wir beobachten einander. Bis in Menschvogelmenschen hinein. Ein leises Sträuben, wenn das ankommt. Federn? Ich tue anderes. Ich friere so behutsam ich nur kann.

Sehen wir uns ähnlich? Sehen wir uns ähnlich vor dem Stein? Der Vogel jedenfalls steht schon in meinen Augen. Aber er spreizt sich nicht. Noch immer nicht das vierkammrige Herz. Er putzt sich, den Kopf unter den Federn.

Flugmuskeln unterm Brustbein.
Wo meine Stimme war, kann ebenso sein Krächzen sein.
So sparen wir Gewicht.

28.05.2008 17:06:30 

BURAREST / SINGENDE HUNDE


I.

SCHLAFWAGEN

Einen Tag lang

Ins Fahren ein

Gesperrt ins

Trockene Bullern

Durch das in

Kurzen Stößen

Der Lärm des

Schieberahmens

Sticht Dann die

Kontrollen Erst

Weit dahinter

Dieser Gruß

Mitten in die

Übernächtigung

Du kaust sie als

Wurst als Brot

Spülst Schnaps

Nach hörst

Dich den

Meister lachen

07.06.2008 17:01:19 

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