ein bild

3


enfer

04.12.2007 16:26:39 

Ministerium für Liebe


Beim Blick über die Schulter die Schatten,
die wir nicht haben. Auch die der Mauern nicht
in Sicht an dem Mittag im November,
kaum ahnt man, wie sicher die Landschaft
hier wurde. Massenwachsamkeit der Blätter,
kein Pfeiler taub, das war es nicht,
was wir selbst drinnen nicht finden.

Der Saal für Konferenzen, Ministers Privatbereich
mit Spiegel und Garderobengeweih. Wer kam
und sah, als wer, wohin trugen sie die Zimmer.
Und die Wachheit in dem mit Wasser,
wo nur Stehen ging. Wie läuft das ab:
Befragst du mich, bin ich nackt, antworte
ich, bin ich du? Kein Platz für Missverständnisse,

ein Universum von Parallelen, worin es sich
glatt verschwinden ließ, lässt vieles offen,
nicht genug. Die Zelle im dritten Stock
brachten sie später aus Hohenschönhausen her
in die Normannenstraße. Durch die Gitter
blickt Wand. Das Furnier eines Schreibtischs,
Vitrinenglas angreifen. Im Fernseher der Caféteria

Mielke vor oder nach der Jagd, unter Freunden,
bei der Arbeit, einer für alle, ein Name, Mielke,
der am Ende das Rednerpult umarmt:
"Ich liebe – ich liebe doch" - sagte er "alle"?
Mentales Schielen. Ich erinnere mich nicht mal
falsch. In der Schule lasen wir, 1984
würdest du mich verraten, so gut wie ich dich.

10.12.2007 13:54:55 


coll10

das auch

17.12.2007 15:08:20 

Leeven Ozerich,


(...) Karikaturen mache ich so gut wie keine mehr (...) Es geht so weit, daß ich kaum noch Menschen zeichnen kann - gerne zeichne ich Tiere, Vögel, Natur in allen Formen, Felsen, Steine, Pflanzen, Schlinggewächse und Horizonte mit Bergen und Hügeln - auch Wolken in Bewegung. Malte auch ein paar Mondstücke - und einen alten, urwaldhaften Baum mit Farnen und Felsen im Mondenlichte. Da bin ich sehr mit dem Herzen und Gemüte dabei (...) Es ist übrigens ganz merkwürdig, daß auch ich eine zertrümmerte Stadt malte - auch zeichnete und malte ich viele Entwürfe von Flüchtlingen. So ein wenig symbolisch mein eigenes Thema (...) meine Bornholmer Erinnerungsbilder sind auch mehr oder weniger in dunklen und kühlen Farben und der große schwarze Vogel, der da oben einsam schwebt, ist vielleicht eine Art Selbstporträt (...) hin und wieder beschleichen mich Anwandlungen von gräßlicher Zweifelsucht (von denen ich besser schweige).

George Grosz an Otto Schmalhausen, 5.12.1937 (aus: Die Erfindung der Gegenwart, hg. v. Gerhard Fischer, Klemens Gruber, Nora Martin u. Werner Rappl, Wien 1990)

04.01.2008 14:02:27 

Grabung (3)


Neulich bekam ein Wissenschaftler eine weitere Metapher in den Griff. Tief im Schlamm Javas fand er den "Meganthropus paleo javanicus", den "großen Menschen", den Riesen, der, wie uns die Paläontologen nun berichten, unser menschlicher Vorfahre war. Und für viele wurde er wirklicher als der Zyklop oder der Riese im Märchen von den Kletterbohnen. Diejenigen, die der poetische Traum nicht überzeugen konnte (...), sie besitzen nun die Sicherheit einer heute gefundenen 500.000 Jahre alten Wahrheit.

Barnett Newman: Der erste Mensch war ein Künstler, in: Die Erfindung der Gegenwart

10.01.2008 09:26:44 


hand1

10.01.2008 09:36:26 

Dädalusprojekt


dädalus1


Die Vielfalt seiner realisierten Flugmodelle ist beeindruckend. Vieles ist angelehnt an den Vogelflug, an Beobachtungen von fliegenden Käfern oder Fledermäusen. Und immer wieder das Damenrad, das Mesmer mit Hilfe von „Läuferdrachen“, „Luftroß“ oder „Luftschrauben“ in den Himmel schicken will. Die Materialien, die er verwendet, sind grundsätzlich gebraucht und meist schon dem Sperrmüll zugedacht. Aber aus einer alten Blechdose formt Gustav Mesmer schnell noch ein paar Flügelhalterungen, leere Düngesäcke ergeben eine Tragflächenbespannung und krumme Nägel werden geradegeklopft und zum Zusammenbau eingesetzt. Schuhkartons eignen sich in zerlegter Form bestens zum Entwerfen von Flugrädern und abgerissene Kalenderblätter zum Modellbau.
Gustav Mesmers Fluggeräte haben nie den Boden der Tatsachen verlassen. Einmal eine Handbreit, behauptet er verschmitzt. Aber Erfolg ist für ihn nicht der Schlüssel zum Erlebnis. Der Glaube an die Machbarkeit einer Idee ist die Antriebsfeder und persönliche Herausforderung zugleich. Seine scheinbar unendliche Phantasie und Kreativität sind faszinierend, sein Gestaltungswille ungebrochen. Und wenn Gustav Mesmer uns auch nicht zeigen kann, wie man fliegt, so zeigt er uns doch nicht weniger.

Stefan Hartmaier, Martin Mangold: Was für Flügel kann gehalten werden (ebd.)

17.01.2008 11:45:39 

Noch eine Methode


schrift1

Sich als Kind eine Geheimschrift ausdenken und sie vergessen.

21.01.2008 14:52:04 

Iris


iris1


Einmal die Wetterlagen zusammen sehen,
Regendezennien, die schwachen Dynastien
des Frühlings und sicher ein Jahrhundert
Winter, durchbohrt bis auf den Tag, an dem
das begann. Vielleicht war es blau vor
dem Fenster, und es gab von allem
zuviel. Verpasstes fade-out, aufgehoben

zwischen Stapeln Luft. Wann zuletzt
ungetrübt? Während du hinschaust,
auf den Plan, in dem wirklich steht,
wie du es findest, findet es statt,
das Dunkeln der Blüten, ihr Zurück
Dämmern ins Holz, als geschähe auch das
nach einem nirgends gefassten Beschluss.


Ludger tom Ring d.J.: Vase mit Schwertlilien und Iris
(Bildausschnitt)

29.01.2008 14:04:50 


land1

04.02.2008 17:16:29 


colla10

19.02.2008 14:13:17 

Wiederfund (6)


"Schwindel. Gefühle ist das Buch, in dem die Tatsache, daß der Erzähler in England lebt, am wenigsten zum Vorschein kommt. Und noch mehr als die beiden folgenden Bücher ist es das Selbstporträt eines Geistes: eines ruhelosen, chronisch unzufriedenen Geistes, eines gequälten Geistes, eines zu Halluzinationen neigenden Geistes. Beim Gang durch Wien meint er, den Dichter Dante zu erkennen, der unter Androhung der Verbrennung auf dem Scheiterhaufen aus seiner Heimatstadt verbannt wurde. Auf der hinteren Bank eines Vaporetto in Venedig sitzend, sieht er Ludwig II. von Bayern. Bei einer Busfahrt am Ufer des Gardasees nach Riva sieht er einen halbwüchsigen Jungen, der genau wie Kafka aussieht. Dieser Erzähler, der sich als Fremden definiert (...), ist auch ein trauernder Geist. An einer Stelle sagt der Erzähler, er wisse nicht, ob er sich noch im Lande der Lebenden befinde oder schon anderswo."

Susan Sontag: Ein trauernder Geist
(aus: Worauf es ankommt. Essays)


geist1

für Sudabeh

22.02.2008 16:24:57 

Wer, zum Kuckuck,


syl

eigentlich nicht? Sachdienliche Hinweise bitte
an o.g. Chiffre.

27.02.2008 14:19:58 

Lilie


lil


Doch Haltlosigkeit, die nur den Rand
eines Gefäßes braucht, um fern zu bleiben,
das wäre so eine Fremde. Schön
wie zu glauben, das Licht statuierte an ihr
sein Rechenexempel, um sie in Stand
zu balancieren. Unterm Strich der Grund,
zugegeben aus Öl, Alraune, Bindemittel,

erhellt sie mehr als anderer Boden,
ohne Wurzel aufgegangen, endet sie
nicht darin - weiß nicht, aber
denke, das macht ihn unersetzlich.
Streiche Boden. Streiche Grund, Rand,
schließlich Licht. Dahinter an der Wand
die kleine Lichtung löscht das nicht.

Mit Dank an S. Schulte und W. Poeplau

Bilddetail:
Ludger tom Ring d.J.
Vase mit Iris und Lilie

03.03.2008 00:30:31 

Scandium


in vielem
zerstreut die raschen abdrücke leerstellen die ähnlich schwinden
kannst du bis mitternacht was den sohlen unterkommt auflesen
unterm katzenauge

sonne kannst
gehäuse haben splitter laufwunden dieselbe bedeutung. am ufer
angeblich das ufer – immer weiter draußen – am himmel der
alltag reisender

kreisender sand
gern sagte ichs auf aquamarin: auch wir. abkömmlinge
der stechfliegen im baumharz eingeholt verkapselt am liebsten sternen
nach. wir

atmen in
zerbrechlichen burgen spam skandierend fortlaufend erfasst – geht so
furcht? still. der vogel fast an deiner hand ist
mein kind.

07.03.2008 14:24:33 


narz1

-------------------------------narzissisch------------------------------

20.03.2008 17:55:20 

conversation with the kid


joyce1

who´s the guy on the glass?
that´s joyce.
joyce, that´s a girl´s name.
that´s a name.
well, what´s with him?
he watches over me.
he only got one eye.
a guy like him that´s all he needs.

Patti Smith (Early Work: 1970-1979)
- heute abend um 23:05 auf arte

25.03.2008 10:54:08 

Sauerstoff


I.

der wellengang
des vorhangs nicht das drachenknistern oben

nicht phlox
phlogiston papiere nicht nicht kühle türen

flügel nicht
kein rauschen nicht vom flimmern der

spatzen die
wo wir gehen zwitschern: dementi! dementi!

Fassung 08

28.03.2008 16:31:41 

Wiederfund (7): Die Poesie der Wissenschaft


Die Mathematik kennt Wurzeln, Fasern, Keime, Büschel, Garben, Hüllen, Knoten, Schlingen, Schleifen, Strahlen, Fahnen, Flaggen, Spuren, Kreuzhauben, Ober- und Unterkörper, Geschlechter, Skelette, Maximal-, Haupt- und Nullideale, Ringe, Einsiedler, Monster, Irrfahrten, Fluchtgeraden, Mannigfaltigkeiten, leere Mengen, Urbilder, Nabelpunkte, Böschungslinien, Brückenkanten, Schwalbenschwänze Filter, wilde Knoten, Zopfgruppen, Tunnelzahlen, Cantor-Staub, Hodge-Diamanten, Stukas, Schmetterlinge und Enten...
(...) Wie Karl Weierstraß, der die Theorie der elliptischen Funktionen neu begründet hat, schon vor mehr als hundert Jahren wußte, "wird ein Mathematiker, der nicht zugleich ein Stück von einem Poeten ist, niemals ein vollkommener Mathematiker sein."

Hans Magnus Enzensberger in: Die Elixiere der Wissenschaft

07.04.2008 11:08:58 

Häuser


offen3


Schaut in den Garten hundert Jahr,
Der zuwächst hundertfünfzig Jahr.

Das Glas - undurchdringlicher Traum,
Des Fensters Gesetz - nicht zu schaun

Marina Zwetajewa: Das Haus (September 1931)
deutsch von Katja Lebedewa



Haus, das der Stadt - sein Genick
Dem Wald - die Brust zudrehte.

Auf Bärenart - gefällig
Auf Hirsches Art - gehörnt.
Haus, aus dem die Seelen
Aus allen Augen starrn.

Marina Zwetajewa: Das Haus (September 1935)
deutsch von Richard Pietraß



20.04.2008 18:01:50 

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