ein bild

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4.52 - Vielleicht kann ich, wenn ich an das Meer in den Straßen Venedigs denke, von Wellenbewegungen sprechen, die einem sehr langsamen Rhythmus folgen, von Halbjahreswellen, von Wellen, die sich, sobald ich sie jenseits ihrer eigentlichen Zeit betrachte, wie Palomars Sekundenwellen benehmen. - Wann beginnt und wann genau endet eine Welle? Wie viele Wellen kann ein Mensch ertragen, wie viele Wellen von einer Wellenart, die Knochen und Häuser zertrümmert? – Dämmerung. Stille. Nur das Geräusch der tropfenden Bäume. Eine Nacht voll Gewitter, glimmende Vögel irren am Himmel, Nachtvögel ohne Füße, Vogelwesen, die niemals landen.- Einmal nach einer Methode suchen, für einen Menschen, das heißt an Stelle eines anderen Menschen schlafen zu können. Man würde fortan Traumzeit rangieren, man würde sagen, heute und morgen, während du arbeitest, um fertig werden zu können mit deiner Arbeit, weil du fertig werden, sehr bald fertig werden musst, lege ich mich auf mein Sofa und schlafe vierundzwanzig Stunden für dich und mich. Und kommende Woche dann, wenn ich nach Finnland reisen werde, wo’s im Sommer niemals dunkel wird, schläfst du Tage, ja Wochen anstatt meiner, weil im Herbst todsicher wieder viel wilde Arbeit über dich herfallen wird. Vielleicht sollten einmal Schläfer existieren, Menschen, die schlafen, das könnte sein, Menschen, die vornehmlich schlafen, um sich ernähren zu können, sobald sie für kurze Zeit wach geworden sind, Schlafsäle vielleicht, oder Schlafwaben für Schläfer, wohltemperierte Träumergehäuse. Wie könnte geschlafene Zeit, die Wirkung dieser Zeit, gespeichert und von Kopf zu Kopf geschrieben sein?


31.05.2008 07:16:40 

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0.05 – MELDUNG. Zwei schwer bewaffnete Einsatzkräfte, Soko K.a.i.r.o, haben vor der Nationaloper zu Bukarest, linker Flügel, einen Ägypter sichergestellt, einen filigranen Hammer weiterhin, einen Meißel, 0.5 Zoll Kantenlänge, ein Handtäschchen, türkise. Folgende kryptische Signaturen wurden dem Sandstein des Gebäudes beigebracht : 55XG32YBZ9811. Auch dieser Ägypter [ Ägypter No 5 : laufende Woche ], 178 cm, 48 kg, mittleres Alter, verweigert jede Aussage.



08.06.2008 00:14:54 

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6.32 - Einmal, vor Monaten bereits, flüchteten 152 oder 154 Menschen in einer Piroge von Dakar [ Senegal ] Richtung Telde [ Kanarische Inseln ]. 1000 Meilen auf schwerer See von Süden nach Norden. Weil der Motor ihres Schiffes kurz vor Erreichen der angezielten Insel ausgefallen war, wurden sie von mächtigen Strömungen auf den Atlantik hinausgetragen. Jetzt ist ihr kleines, hölzernes Boot in Paramaribo [ Suriname ] an Land gegangen. Man findet mumifizierte Körper von Frauen, Männern, Kindern. – Ein Boot. Eine Nachricht. – Aber wir wissen von vielen Booten, vom Tod hunderttausender afrikanischer Menschen seewärts oder in Wüsten, die zwei oder drei Flugstunden von unseren europäischen Städten entfernt auf der Erdkruste schwimmen. Wie viel Energie ist notwendig, um von diesem Unrecht, von dem wir wissen, absehen zu können, wie viel Konzentration, wieviel Übung? Existiert eine physikalische Einheit, in der die tägliche subtrahierende Leistung unserer Gehirne gemessen und dokumentiert werden könnte? Wie viel Gramm mauretanischer Fisch ist zu tanken, um einen Monat Mathematik zu motorisieren? - Was ist zu tun?



21.06.2008 19:55:56 

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4.15 - Beobachtete eine Ameise. Feine Geräusche der Blätter meines Gingkobaumes, die ich bald als Geräusche der Ameisenbeine hörte. Legte ein Blatt Papier auf den hölzernen Tisch, über den die Ameise hastete, verzeichnete ihre Wege, machte einen Kreis, sobald sie rastete, suchte Muster, bot einen Tropfen Marmelade dar, las in einem Notizbuch, gab vor, meine Beobachtung abgebrochen zu haben, obwohl ich doch weiter mit einem Auge verstohlen an den Papieren vorbei nach der Ameise lurte. Acht Stunden vergehen. Einmal pfeife ich etwas Lionel Hampton. Die Ameise kommt näher, setzt sich an den Rand des Tisches, tastet mit ihren Antennen durch die Luft. – 4 Uhr 20 in Harare, Zimbabwe.



28.06.2008 20:35:46 

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15.00 - Gestern notierte ich in einer e-mail, dass ich, wenn ich in mich hinein schaue, eigentlich nicht schaue, sondern höre. Ich habe das aufgeschrieben, ohne geprüft zu haben, ob stimmt, was ich behauptete. In der vergangenen Nacht nun, während der Arbeit an einer kleinen Geschichte, die von den Simmons erzählt, einem Ehepaar, das in diesen Tagen 216 Jahre alt geworden sein soll, habe ich mich beobachtet. Und tatsächlich glaube ich sagen zu können, dass ich über keine Augen verfüge, die nach innen gerichtet sind, sondern über Ohren, vornehmlich in meinem Kopf. Wenn ich das Wort leporello lese, sehe ich das Wort, wenn ich aber das Wort leporello in meinem Kopf suche und wieder finde, dann höre ich das Wort. Auch Geschichten, die sich in meinem Kopf befinden, sind zunächst Geräusche. - Siebzehn Uhr und eine Minute MESZ in Shangil Tobay, Darfur.


loop


20.07.2008 14:28:52 

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5.12 – Habe vor wenigen Minuten eine merkwürdige Erfahrung gemacht. Ich wiederholte einen Gedanken, den ich gegen Mitternacht wahrgenommen hatte, in dem ich versuchte, ihn zunächst langsam und kurz darauf in einer schnelleren Weise zu denken. Und während ich also Geschwindigkeiten probierte, entdeckte ich, dass ich einerseits mit Wörtern, mit Stimmwörtern denke, aber auch ohne Stimme, ohne Wörter. Ich kann die Wörterstimme in meinem Kopf schneller denken oder ich kann sie langsamer denken. Gedanken, erste Gedanken, die scheinbar ohne Sprache sind, sind dagegen so schnell, dass sie bereits fertig geworden sind, wenn sie in meinem Kopf noch nicht angefangen haben. – Vorgestern haben wir Radovan Karadzic gefangen.



26.07.2008 18:10:24 

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0.05 - Ist es vielleicht möglich, mit einer sehr feinen Waage zu messen, um wie viele Pikogramm mein Gehirn schwerer geworden ist, weil ich Ray Loriga gelesen habe. Wird eventuell mein Gehirn leichter, wenn ich ein Telefonbuch auswendig lerne? Wie viel wiegt die Nachricht auf dieser Welt, dass Zeng Jinyan ( Bürgerrechtlerin / Peking ) verschwunden ist?



freedom


11.08.2008 18:14:00 

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0.08 – Wenn ich sage: meine schlafenden Hände, spreche ich von Händen, die ich nie gesehen habe.



30.08.2008 16:39:01 

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0.01 - Ich träumte, nahe der Stadt Montauk gelandet zu sein, obwohl ich New York besuchen wollte. Ich hatte meinen Impfpass vergessen und man sagte mir an Bord des Flugzeuges, dass ich ohne Impfpass niemals nach New York hineingelassen werden würde. Man landete also rasch in Montauk und setzte mich dort ab. Die Stadt Montauk nun bestand aus flachen Hütten. Seltsame Menschen lebten in diesen Hütten. Sobald ich mich einer Hütte näherte, traten sie zu mir auf die Straße und erzählten, wie ich den Flughafen wieder finden könnte, weil ich mich sofort in der riesigen Stadt verirrt hatte. Aber als sie hörten, dass ich ohne Impfass sei, antworteten sie: Vergessen Sie New York. Alle diese freundlichen Menschen, denen ich auf der Strasse vor ihren hölzernen Häusern begegnete, führten eine Plastiktasche mit sich, die sie an einem Lederriemen befestigt nahe der Achselhöhle trugen. In dieser Tasche lebten ihre Kinder in einer weiteren kleinen und sehr großen Stadt, die den Namen Montauk trug. Die Stadt musste jeweils sehr leicht gewesen sein, weil die Menschen weder gebückt gingen, noch ihre Taschen auf den Boden stellten, um sich mit mir über meine vergebliche Reise nach New York zu unterhalten. Manchmal, wenn es leise wurde, wenn die Wellen des nahen atlantischen Meeres gerade einmal Pause machten, konnte ich sehr feine, helle Stimmen vernehmen, Automobilhupen und Flugzeuge, Geräusche direkt von der nächsten Tasche her.



05.09.2008 14:52:08 

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0.28 - Gegen Mitternacht stehe ich im Arbeitszimmer, hebe beide Arme, mache Flügel, weil ich darüber nachdenke, wie es wäre, gewichtlos zu sein. Ich habe mir vorgestellt, dass man vielleicht einmal auf die Idee kommen wird, Menschen zu erfinden, die ohne Knochen sind, weil sie Knochen nicht benötigen, weil sie ohne jede Schwere im Weltraum existieren auf großer Fahrt. Diese Menschen würden von einer kräftigen Haut begrenzt, legten sich vielleicht in wabenförmigen Strukturen zur Ruhe, wären faltbar und weich wie Medusen. Wenn sich zwei Medusenmenschen in einem schwerelosen Raum begegneten, würden sie sich in einer Zartheit umschmeicheln, die uns Knochenmenschen grundsätzlich fremd ist, weil wir in der Begegnung, auch in der Liebe, gewohnt sind auf Widerstände stoßen zu wollen, auf Gegenwehr, auf eine Festigkeit, die wir benötigen, um sagen zu können, das bin ich und das bist Du. Ist das nicht ein bezaubernder Film, wie sich nahe des Siriussternes zwei uralte Medusenwesen durch einen Tango atmen, wie sie verliebt ihre pulsierenden, ihre lichtdurchlässigen Lungen betrachten? Wie könnten diese Wesen bekleideten sein, welche Bücher würden sie lesen, welche Musik würde sie in glückliche Schwingung versetzen, was werden sie essen, was werden sie trinken, was werden sie einmal von mir denken, wenn sie lesen, was ich heute Nacht bereits für sie aufgeschrieben habe?



jellyfisch



12.09.2008 21:01:33 

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0.18 - MELDUNG. Junge Engel, Schule zu St. Nazaire, sind in dieser Nacht von 2 bis 3 Uhr bei leichter Fliegerei über den Dünen nahe Tamanrasset anzutreffen. Eintritt frei.



01.10.2008 00:41:28 

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9.15 - Man stelle sich einmal vor, Papiertierchen existierten in unserer Welt. Nicht etwa Tierchen, die aus Papier gemacht sind oder vergleichbarer Ware, sondern tatsächliche Lebewesen, die so ausgedacht sind, dass sie sich zu Formen versammeln, die einer Papierseite ähnlich sind. Weil diese Lebewesen, wie ich sie mir gerade male, sehr klein sein sollten, sagen wir in der Fläche so groß wie die Spitze einer Nadel, würde ein Maschinenbogen von nicht weniger als zwei Millionen Individuen nachgebildet sein. Jedes Papiertierchen, sichtbar ganz für sich nur im Licht eines sehr guten Mikroskops, ist nun von dem Wunsch beseelt, sich mit jeweils vier weiteren Tierchen, die es schon immer kennt, mittels feinster Tentakeln zu verbinden oder zu befreunden, und zwar nur mit diesen, so dass man von eindeutiger Ordnung sprechen könnte, nicht von einer beliebigen Anordnung. Ja, jedes der kleinen Wesen für sich spricht von einem ureigenen Ort, den es niemals vergisst. Sobald alles schön zu einer Seite geordnet ist, werden mit Licht, mit einem Lichtstift genauer, Zeichen gesetzt auf das lebende Papier, indem man leichter Hand wie mit einem Füller schreibt. Wird ein schneeweißes Tierchen berührt vom notierenden Licht, nimmt es sogleich die schwarze Farbe an und verbleibt von diesem Schwarz, bis es von weiterem Licht berührt werden könnte, einem Licht natürlich, das sehr stark sein muss, weil doch der Tag oder jede Lampe das Zeichen der Nacht sofort über die Landschaft der filigranen Körper schreiben würde. Ich hatte, während ich diesem Gedanken noch auf einer gewöhnlichen Computerschreibmaschine folgte, die Idee, dass sie vielleicht alle sehr schreckhaft sind, also zunächst unvollkommen oder wild, dass sie, zum Beispiel, wenn ein Feuerwehrauto in ihrer Nähe vorüberkommen sollte, sofort auseinander fliegen in Panik, sich verstecken, um jedes für sich oder in größeren Gruppen an den Wänden meiner Zimmer zu sitzen. Vielleicht lungern sie auch auf Kaffeetassen herum oder in den Haarblättern eines Elefantenfußbaumes, ja, das ist sehr gut denkbar. Ich werde dann warten, ruhig und gelassen warten, bis sie sich wieder beruhigt haben werden und zurückkommen, sagen wir nach einer Stunde oder zwei. Dann weiter schreiben oder lesen oder denken. Und jetzt hab ich einen Knoten im Kopf.




07.10.2008 15:22:26 

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8.58 - Habe gestern den halben Abend mit dem Gedanken zugebracht, was ein moderner Kentaur, ein Kentaur unserer Tage, der in einem Laubwald unter Buchen, Eichen, und Lindenbäumen leben könnte, zum Frühstück gerne zu sich nehmen würde. Wie im Flug ist die Zeit vergangen, so als wären Stunden Minuten, eine geliebter Zustand der Selbstvergessenheit, den ich seit Wochen schmerzlich vermisste. Ich habe mir zunächst Dunkelheit vorgestellt, dann Dämmerung und in diesem glimmenden Licht des nahenden Tages, die Umrisse eines Kentaur von zierlicher Gestalt, wie er noch schlafend seitlich auf etwas Moos gebettet liegt und träumt. Kaum sichtbare Atmung, die Hände, lose gefaltet, ruhen auf der Brust, ein Auge leicht geöffnet, peitschende Bewegung seiner weißhaarigen Schweifspitze. Von einem ersten Sonnenstrahl berührt, setzt er sich auf, reibt sich das Fell, dann eine schwungvolle Bewegung und schon steht der Kentaur auf seinen vier Beinen. Stellen Sie sich nun einen wunderbar blauen Himmel vor, einen Himmel, den man sofort für ein kopfüber in den Tag treibendes Meer halten könnte, ein Meer ohne Wind, ruhig, da und dort eine Wolke von Fisch. Aber vergessen wir dieses Meer am Himmel und nähern uns wieder dem Kentaur. Er liegt, jetzt anderen Ortes, wiederum seitlich auf dem Boden, den sehr schönen Kopf auf eine Hand gestützt, nascht von einem Häufchen Beeren, blättert in einem ramponierten Telefonbuch der Stadt Chicago, liest den ein oder anderen Namen laut vor sich hin, einmal eine Himbeere, dann wieder einen Namen. Ja, gestern Abend hatte ich die Idee, Kentauren bevorzugten Himbeeren zum Frühstück. Ich besuchte dann ein paar Freunde kurz vor Mitternacht. Natürlich erzählte ich von meinen Gedanken, von der Überlegung eines Kentaurenfrühstücks. Wir diskutierten weitere Beerensorten, Heidelbeeren zum Beispiel, und Erdbeeren oder Marimbabeeren, wilde Johannisbeeren, Datteln, Moosbeeren und Schneebeeren, auch ein Cocktail verschiedener Beerensorten wurde in Erwägung gezogen. Mit meinem müden Früchtekopf dann bald zu Bett. Versuchte vergeblich von meinem Kentaur zu träumen. Heute Morgen nun die Frage, ob es Kentauren möglich ist, Bäume zu besteigen?





15.10.2008 19:57:57 

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8.03 - Niemand kann sagen, wie das gekommen ist. Vielleicht, weil die Wälder, die sie bewohnten, verschwunden sind, haben Kolibris sich ins nahe liegende Wasser gestürzt, haben das Weite gesucht, das Meer, und konnten atmen, wie durch ein Wunder, konnten das Wasser atmen, das Salz, das Plankton. Von einem Tag zum anderen, so stelle ich mir vor, war die Gattung der Unterwasservögel geboren, nicht tauchende Wesen der Luft, sondern Vögel, die sich derart fröhlich durchs Wasser bewegen, als seien sie schon immer hier gewesen. Ja, sie fliegen, sie rasen, sie schwärmen durch Korallenbänke, verdrehen Tauchern den Kopf, naschen von allem, was sie noch entfernt an süße Blüten erinnert. Aber schmal sind sie geworden, nasses Gefieder, und haben noch nicht gelernt, Freund von Feind zu unterscheiden. Ich habe mir heute Morgen gedacht, dass jemand am Code gearbeitet haben könnte, dass bald schon die Möwen den Luftraum verlassen werden, eine Möwe nach der anderen Möwe, dann werden Tauben, Bussarde, Amseln folgen, und auch die Zeisige, die Nachtigallen, die Spatzen und Papageienvögel, alle werden sie das Wasser besuchen. Ich muss das im Auge behalten. ~ 17.05 - Weil ein unter der Wasseroberfläche lebender Vogel noch immer ein Vogel ist, weder Fisch, noch Amphibie, wird er sich von Zeit zu Zeit an die Gestalt der Bäume erinnern, an den Luftgesang seiner Freunde, an den Wind, der durch sein Gefieder streifte, an das Vordämmerungslicht der Sonne, das ihm Augen und Schnabel öffnete, auch an die Farben der Wolken, an den Schnee, an den Duft der Blüten, an das Öl der Samen, der Nüsse. Er wird vielleicht auf sandigem Boden unter weiteren Vögeln sitzen und das Licht der Wellen wird ihm schmeicheln, komm zurück, komm zurück, und er wird in diesen Momenten fühlen, dass etwas anders geworden ist, dass man als schlafender Vogel auf und davon treiben, dass man niemals wissen kann, wo man erwachen wird. – Plötzlich dieses feine Bild eines Schwarms der Unterwasservögel, wie sie schlafend als Vogelwolke in der Strömung treiben. Manche schweben auf dem Rücken, die Flügel weit geöffnet, andere haben ihren Kopf ins nasse Gefieder gesteckt, gleiten in einer Haltung dahin, als würden sie wie immer auf dem Ast eines Baumes sitzen, und doch eine leichte Drehung. Das Nachtgespräch der Schlafenden in meinem Kopf, ein leises Singen, ein Singen, das schon bald zu einem Gespräch geworden ist.




30.10.2008 14:49:18 

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8.27 - Das tiefwarme Licht, das im Holz der Kontrabasse brennt, ein Glühen, in das ich vernarrt bin, soweit ich zurückdenken kann? Die Schuhe eines uralten Bassisten, wie sie vor dem kleinen Jungen sehr fest auf dem Boden einer Kellerbühne stehen, während die Welt drumherum aufgewühlt ist, schwarze, spiegelblanke Schuhe, und irgendwo weit oben am Schneckenturm, dunkle Hände, die wie Echsen über Holz und kupferne Seile springen. - Mein seltsam fühlender Bauch. - Wunderte mich, so wie ich mich heute freue, dass sie miteinander sprechen, während sie spielen, lachen, spaßen, sich befeuern und beim Namen nennen. Hörte ich nicht gerade Thelonius Sphere Monk wie er im Jahre 1957 : Coltrane! Coltrane! ruft?



04.11.2008 13:38:34 

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8.28 - Ist Ihnen vielleicht bekannt, dass Wale, Pottwale genauer, wenn sie schlafen, Kopf nach oben im Wasser schweben? Langsam sinkende Türme, leise singend, leise knatternd, friedvolle Versammlungen, die mit dem Golfstrom treiben. Wenn Sie einmal wach liegen sollten, wenn Sie nicht schlafen können, weil Sorgen Sie bedrängen oder andere schmerzvolle Gedanken, wird es hilfreich sein, eine Tauchfahrt zu unternehmen im Kopf durchs Bild der träumenden Wale. Oder Sie reisen an die Ostsee, nehmen die nächste Fähre nach Turku. Sie werden dann schon sehen. Ballone, zum Beispiel, Ballone werden Sie sehen am Horizont, Ballone am dämmrigen Himmel, dort müssen Sie hin. Alles ist gut zu Fuß zu erreichen, eine Stunde oder zwei, nicht länger, je nach Gepäck. Man wird Sie schon erwarten, man wird Sie freundlich begrüßen, man wird Sie fragen, wie lange Zeit Sie zu schlafen wünschen, welcher Art die Dinge sind, die Sie zu vergessen haben, die Sie beschweren. Man wird Ihren Blick zum Himmel lenken und Sie werden erkennen, dass unter den Ballonen Menschen schweben, aufrecht und reglos, in Daunenmäntel gehüllt, von einem leichten Wind hin und her geschaukelt, hunderte, ja tausende Menschen. - - Stille herrscht. - - Nur das Fauchen der Feuermaschinen von Zeit zu Zeit. – Guten Morgen! Heute ist Dienstag oder Mittwoch oder Samstag. Auf nach Turku!




11.11.2008 07:15:34 

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8.02 - Hatte gestern, ohne die Zeit noch zu bemerken, 6 Stunden erste Spuren eines anatomischen Hörspiels bearbeitet. Kurz vor Mitternacht dann in angenehmer Balance mit Cormac McCarthys düsterem Roman Die Strasse auf dem Sofa. Ein Buch, das mir Freude macht, nicht weil es Endzeit, nein, weil es in kleinen Abteilen vorwärts erzählt. Als würde in einem unendlich großen, dunklen Raum je für kurze Zeit das Licht angeschaltet, Phasen zeichenloser Dunkelheit, Sekunden-, Minuten-, Stundensprünge, dann wieder ruhige Sprache, einfache, präzise Sätze. Darüber eingeschlafen. Morgens von Regengeräuschen geweckt, die nicht wirklich existierten. - Kurz nach sieben Uhr und noch immer wundere ich mich, dass ich eingenickt war, ohne auch nur einmal zu denken: Du wirst gleich schlafen. Die Idee, dass vielleicht Bücher existieren, die als Schlafbücher anzusehen sind, Bücher, die einen geheimen Code enthalten, hypnotische Zeichenfolgen, unwiderstehlich in ihrer Wirkung. Man könnte in Buchhandlungen eine weitere Kategorie sortieren, die der Narkotika nämlich, Romane, die ins Jenseits befördern, nicht zu lesen im Gehen, in Zügen, im Stehen! – Guten Morgen!

teilchen

19.11.2008 07:47:11 

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8.05 - Ich stellte mir vor, wie ich morgens erwache und anstatt in einem Zimmer zu liegen, mich unter einem schönen freien Himmel wieder finde. Das ist eigentlich noch keine große Sache. Ich würde zunächst die Augen schließen und denken, das kenne ich doch, wie oft schon bin ich von einem Traum in den nächsten gewandert. Ganz still würde ich warten, um kurz darauf meine Augen erneut zu öffnen, und schon wieder oder noch immer wäre dieser schöne Himmel über mir, ein leichter Wind würde wehen und die Luft duften nach Salz und Tang. Wie ich mich aufsetze und schaue, hurra, Wasser in allen Richtungen, Wasser hin bis zum Horizont. Was für ein seltener Anblick, was für eine merkwürdige Erfahrung! So plötzlich auf hoher See, und der Boden, auf dem ich sitze, zittert, nein bebt, nein pulst, und ich würde denken, wie kostbar dieses Leben doch ist und dass ich mich nicht erinnern kann, wie ich hierher auf den Rücken eines Wales gekommen bin. – Es ist jetzt zwei Stunden nach Mitternacht, die Luft riecht nach Schnee und die Welt ist still. Alles schläft. Auch Sie werden schlafen, während ich diesen Text notiere. Aber nun ist etwas Zeit vergangen, und da Sie wach geworden sind, werden Sie vielleicht fragen, wie ich zu dieser Überlegung einer nächtlichen Meereslandung gekommen bin. Nun, das ist ganz einfach. Vor wenigen Tagen hörte ich, eine Frau habe sich gewünscht, einmal in ihrem Leben auf dem Rücken eines Wales zu stehen. Sie würde sich, sagte man, ihrer Schuhe entledigen und auf dem Rücken des Wales spazieren wie auf einem Unterseeboot. Natürlich habe ich darüber nachgedacht, was geschehen würde, wenn dieser Wal, von dem hier tatsächlich die Rede ist, sich nicht in der Nähe einer Küste, sondern auf dem offenen Meer, auf hoher See, befinden würde. Ja, und was würde geschehen, wenn der Wal zu tauchen wünschte, vielleicht weil er hungrig geworden ist, obwohl er doch die Schritte einer Menschenfrau auf seinem Rücken spürte. Stellen Sie sich vor, ich weiß wie er das macht. Der Wal wird langsam und geräuschlos sinken, jawohl. Aber noch ehe vollständig in die Tiefe abgetaucht werden wird, wird er noch einmal zurückkehren und ruhig neben der schwimmenden Frau im Wasser liegen, wird etwas Luftschaum blasen und ihr sein Auge zeigen. Ja, so genau wird der Wal das machen, und dann wird er in der Tiefe verschwunden sein, und vielleicht, nein, sehr sicher, wird die schwimmende Frau einen feinen Gesang aus der Tiefe vernehmen, die Geschichte einer Begegnung von einem Wal den Walen erzählt, eine Kurzgeschichte, mehr Zeit ist nicht.

für marjana gaponenko

teilchen2

25.11.2008 06:53:38 

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8.00 - Eine eigenartige Geschichte, die Geschichte der Papiere oder die Geschichte meiner Hände, meiner Bleistifte. Seit ich wieder stundenweise mit einfachsten Werkzeugen notiere, mit Werkzeugen, die ohne Elektrizität funktionieren, der Verdacht, dass von eigensinniger Natur ist, was ich auf kleinere oder größere Zettel schreibe. Meine Wörter wollen sich nicht auf Linien legen, sie wollen fliegen, weshalb sie über den Zeilen aufwärts steigen. An einem anderen Tag, wieder ein Tag ohnmächtiger Horizonte, sinken sie, ohne dass ich präzise sagen könnte, warum es an dem einen Tag aufwärts und an dem anderen Tag abwärts ging, immerhin hatte jeweils nur ein wenig Schlaf zwischen da und dort stattgefunden. Auch mit den Buchstaben hab ich Mühe, mal bricht die Bleistiftspitze, dann wieder ist ein Zeichen gemalt, das man doch eher für ein ganz anderes halten möchte. Die Buchstaben Z und G sind besonders widerspenstige Naturen, und das S und das A machen schon immer was sie wollen. Dagegen sind das I und das M an jedem meiner Arbeitstage zuverlässige Erscheinungen, Welle und Giraffenhals, schlicht und weich. Man nimmts jetzt wie es kommt in aller Ruhe.


teilchen

07.12.2008 11:21:14 

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2.12 - Schon weit nach Mitternacht, aber immer noch ein später Abend summender Luft. Habe drei lange Stunden versucht 18.924.150 Zeichen des menschlichen Genoms als Sequenz in mein Textverarbeitungsprogramm zu laden. Immer wieder scheitert die Formatierung mit der Seite 32.678 des Dokuments, als ob meine Computermaschine sagen wollte, diesen Unsinn mache ich nicht länger mit. - Nun aber rasch noch einen ernsthaften Gedanken notieren. Nehmen wir einmal an, es wäre möglich, einen Käfer zu entwickeln, sagen wir, einen Zeppelinkäfer, der nahe absoluter Schwerelosigkeit unter letzten Molekülen von Sauerstoff schwebend Ozon produzieren würde, dann könnte man sich einen zweiten Käfer vorstellen, einen Zeppelinkäfer gleichwohl, der eine Käferdame sein sollte, die sich natürlich sofort verlieben wird, weshalb wir bald einen Nebel kleinster, sehr gefräßiger Zeppelinkäfer vor uns am Himmel sehen würden. - Eine beruhigende Vorstellung, sagen wir, sehr beruhigend. - Was aber fressen sie dort oben, wo es doch nichts gibt außer Mond, Stern und Sonnenlicht? Man könnte eine Gattung weiterer Käfer erfinden, Käfer, die sehr schmackhaft sind und leidenschaftlich gerne, sobald man sie freilassen wird, hinter die Wolken steigen, um sich ihren Freuden, den Zeppelinkäfern, mit allem, was sie sind und haben, hinzugeben. - Ich sollte sofort ein kombiniertes Patent versuchen.


zeppelin


14.12.2008 17:04:05 

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