Es überrascht nicht, dass
George W. Bush die Truppenverstärkung im Irak trotz der eindeutigen
Ablehnung durch die Amerikaner und dem noch deutlicheren Widerstand der
(vollständig bedeutungslosen) Iraker ankündigte. Diese Ankündigung wurde von
ominösen Informationslecks und Stellungsnahmen
–
aus Washington und Bagdad –
begleitet, wie iranische Eingriffe im Irak darauf abzielten, unser Ziel zu
verhindern, den Sieg zu erringen. Ein Ziel, das (definitionsgemäß) über alle
Zweifel erhaben ist. Darauf folgte eine ernsthafte Diskussion, ob
Seriennummern von Bomben am Straßenrand auf eine iranische Herkunft
hindeuteten; und falls ja, ob Verbindungen zu den Revolutionären Garden oder
sogar einer höheren Instanz dieses Landes vorlägen.
Diese "Diskussion" liefert ein
typisches Beispiel für ein Grundprinzip ausgeklügelter Propaganda. In rohen
und brutalen Gesellschaften wird die Parteilinie öffentlich bekannt gemacht
und muss befolgt werden. Was du darüber denkst, ist dein Bier und nicht
allzu wichtig. In Gesellschaften, in denen der Staat nicht mehr die
Fähigkeit hat, gewaltsam zu kontrollieren, wird die Parteilinie einfach
vorausgesetzt; dann wird eine energische Diskussion innerhalb der Grenzen
angeregt, die durch die nicht bekannt gemachte doktrinäre Orthodoxie
festgelegt wird. Das rohe System führt natürlich dazu, dass die Leute nicht
daran glauben; die ausgeklügelte Variante erzeugt einen Eindruck von
Freiheit und Offenheit und eignet sich daher viel besser, die Parteilinie in
den Köpfen zu verankern. Sie steht dann außer Frage, außerhalb des Denkens
wie die Luft, die wir atmen.
Die
Diskussion über iranische Eingriffe im Irak wird allen Ernstes auf der Basis
der Idee geführt, dass die Welt den USA gehört. Wir führten zum Beispiel in
den 1980er Jahren keine ähnliche Diskussion darüber, ob die USA in das durch
die Sowjetunion besetzte Afghanistan eingreifen, und ich bezweifle, dass die
Prawda, die wohl die Absurdität der Situation erkannte, sich über diese
Tatsache (die offizielle Vertreter der USA und unsere Medien überhaupt nicht
zu verschleiern versuchten) grob und ausfällig äußerte. Vielleicht führte
damals auch die offizielle Nazi-Presse ernsthafte Diskussionen über die
Eingriffe der Alliierten im souveränen Vichy-Frankreich, aber dafür hätten
vernünftige Menschen nur Spott übrig gehabt.
Im vorliegenden Fall würde aber nicht einmal der
–
auffällig abwesende –
Spott viel bewirken, denn die Vorwürfe gegen Iran sind Teil eines
Trommelfeuers von Ankündigungen, um Unterstützung für eine Eskalation im
Irak und einen Angriff auf den Iran, auf "die Ursache
des Problems", zu gewinnen. Die Welt starrt entsetzt
auf diese Möglichkeit. Selbst in den sunnitischen Nachbarländern, die
keineswegs Freunde des Irans sind, ziehen die Bevölkerungsmehrheiten (wenn
sie gefragt werden) einen Iran mit Nuklearwaffen jeder militärischen Aktion
gegen dieses Land vor. Laut unseren begrenzten Informationen lehnen große
Teile der Militärs und der Geheimdienste in den USA einen solchen Angriff
ab, so wie die gesamte Welt, mehr noch als bei der Invasion des Iraks durch
die Bush-Administration und Tony Blairs Großbritannien, als ein enormer
weltweiter Widerstand herausgefordert wurde.
Der "Iran-Effekt"
Die
Auswirkungen eines Angriffs auf Iran könnten fürchterlich sein. Immerhin hat
bereits die Invasion des Iraks laut einer aktuellen Studie der
Terrorismusspezialisten Peter Bergen und Paul Cruickshank über den
"Irak-Effekt", die sich auf
Daten der Regierung und der Rand Corporation stützt, zu einem siebenfachen
Anstieg des Terrors geführt. Der "Iran-Effekt"
wäre vermutlich viel stärker und würde länger dauern. Der britische
Militärhistoriker Corelli Barnett sagt, was viele denken, wenn er davor
warnt, "ein Angriff auf Iran würde wirklich den 3.
Weltkrieg auslösen".
Was sind die Pläne der zunehmend verzweifelten Clique, die auf engstirnige
Weise die politische Macht in den USA ausübt? Wir können es nicht wissen.
Die staatliche Planung wird natürlich im Interesse der "Sicherheit"
geheim gehalten. Ein Blick auf zugänglich gemachte frühere Staatsdokumente
unterstützt diese Behauptung - aber nur, wenn wir "Sicherheit"
als Schutz der Bush-Administration vor dem inneren Feind verstehen: vor der
Bevölkerung, in deren Namen sie handelt.
Selbst wenn die Clique im Weißen Haus keinen Krieg plant, können die
Präsenz von Kriegsschiffen, die Unterstützung von separatistischen
Bewegungen und Terrorakten in Iran und weitere Provokationen nebenbei einen
Krieg auslösen. Die Resolutionen des Kongresses würden da kaum etwas
verhindern. Sie lassen immer Ausnahmen im Namen der "nationalen
Sicherheit" zu, womit Löcher geschaffen werden, die
groß genug sind, dass mehrere Flugzeugträger-Kampftruppen bald schon im
Persischen Golf sein werden –
so lange eine skrupellose Führung die Angst schürt (wie es Condoleezza Rice
mit ihrem Gerede von pilzförmigen Wolken über amerikanischen Städten bereits
2002 tat). Und das Aushecken von Zwischenfällen, die einen Angriff
"rechtfertigen" können, ist
eine alt bekannte Vorgehensweise. Sogar die schlimmsten Monster spüren die
Notwendigkeit solcher Rechtfertigungen und gehen nach diesem Muster vor:
Hitlers Verteidigung des unschuldigen Deutschlands 1939 gegen den
"wilden Terror" der Polen, die
seine weisen und großzügigen Friedensvorschläge abgelehnt hatten, ist nur
ein Beispiel dafür.
Das
wirksamste Hindernis für eine Kriegsentscheidung des Weißen Hauses ist die
Art von organisiertem politischem Widerstand der Bevölkerung, der die
politische und militärische Führung 1968 so einschüchterte, dass sie
zögerte, mehr Truppen nach Vietnam zu schicken
–
aus Angst, sie gegen den zivilen Ungehorsam einsetzen zu müssen, wie wir aus
den Pentagon Papers wissen.
Zweifellos hat Irans Regierung eine harsche Verurteilung verdient, auch für
ihre jüngsten Aktionen, welche die Krise verschärft haben. Es ist allerdings
nützlich zu fragen, wie wir uns verhalten würden, wenn Iran Mexiko und
Kanada eingenommen hätte und besetzt hielte und Vertreter der US-Regierung
festnehmen würde, weil sie der iranischen Besetzung (die natürlich
"Befreiung" genannt würde)
zuwiderhandeln. Stellen wir uns zudem vor, Iran würde Kriegsschiffe in der
Karibik auffahren und glaubhafte Drohungen aussprechen, eine Reihe von
Angriffen auf verschiedene –
nukleare und andere –
Ziele in den USA auszuführen, wenn die US-Regierung nicht sofort alle
nuklearen Energieprogramme stoppt (und natürlich sämtliche Atomwaffen
abrüstet). Stellen wir uns weiter vor, all dies würde geschehen, nachdem
Iran die US-Regierung gestürzt und einen hinterhältigen Tyrannen an die
Macht gebracht hätte (wie die USA es 1953 in Iran taten), und später eine
russische Invasion der USA unterstützt hätte, der Millionen Menschen zum
Opfer fielen (so wie die USA 1980 Saddam Husseins Invasion des Irans
unterstützten, die den Tod Hunderttausender Iraner herbeiführte, was sich
mit Millionen von Amerikanern vergleichen lässt). Würden wir ruhig
zuschauen?
Es
ist nicht schwer, eine Beobachtung von einem führenden Militärhistoriker in
Israel, Martin van Crefeld, zu verstehen. Nachdem die USA den Irak
angegriffen hatten, von dem sie wussten, dass er sich nicht verteidigen
kann, hielt er fest: "Die Iraner wären verrückt,
würden sie nicht versuchen, Atomwaffen zu bauen."
Selbstverständlich will keine vernünftige Person, dass der Iran (oder
irgendein Land) Atomwaffen entwickelt. Eine intelligente Lösung der Krise
würde es Iran ermöglichen, im Einklang mit dem Atomwaffensperrvertrag
Atomenergie zu entwickeln, aber keine Atomwaffen. Ist eine solche Lösung
möglich? Unter einer Bedingung: USA und Iran müssten funktionierende
demokratische Gesellschaften sein, in denen die öffentliche Meinung einen
starken Einfluss auf die öffentliche Politik hat.
Diese Lösung wird sogar mit überwältigender Mehrheit durch die Iraner und
Amerikaner unterstützt, die in Nuklearfragen meistens gleicher Meinung sind.
Der iranisch-amerikanische Konsens schließt die vollständige Abschaffung
aller Atomwaffen weltweit mit ein (82% der Amerikaner); falls dies auf Grund
des Widerstands der Eliten vorerst nicht umgesetzt werden kann, dann
immerhin eine "Zone ohne Atomwaffen im Nahen Osten,
der sowohl die islamischen Staaten als auch Israel angehören"
(71% der Amerikaner). 75% der Amerikaner wollen die Beziehungen zu Iran
verbessern statt Gewalt anzudrohen. Kurz gesagt: Falls die öffentliche
Meinung einen bedeutenden Einfluss auf die staatliche Politik in den USA und
in Iran hätte, läge eine Krisenlösung im Bereich des Möglichen, ebenso wie
viel weiterreichende Lösungen für das globale Atomwaffenproblem.
Demokratie verbreiten
–
zu Hause
Diese
Fakten zeigen einen möglichen Weg auf, um den offenen Ausbruch der Krise zu
verhindern, aus der vielleicht sogar ein 3. Weltkrieg droht. Dieser
fürchterlichen Gefahr könnte mit einem bekannten Vorschlag entgegengewirkt
werden: Verbreitung der Demokratie
–
dieses Mal zu Hause, wo es bitter nötig ist. Die Unterstützung der
Demokratie zu Hause ist sicher machbar, und selbst wenn wir ein solches
Projekt nicht direkt in Iran ausführen können, könnten wir doch handeln, um
die Erfolgsaussichten der mutigen Reformer und Oppositionellen zu
verbessern, die dieses Ziel anstreben. Unter ihnen gibt es Personen, die
bekannt sind (oder sein sollten), wie Saeed Hajjarian, Nobelpreisträgerin
Shirin Ebadi und Akbar Ganji, sowie all jene, die wie üblich unbekannt
bleiben, darunter Gewerkschaftsaktivisten, von denen wir kaum jemals etwas
erfahren; zum Beispiel die, die das Iranian Workers Bulletin herausgeben.
Am besten können wir die Aussichten für die Verbreitung der Demokratie in
Iran verbessern, wenn wir die staatliche Politik hier drastisch verändern,
damit sie die öffentliche Meinung zum Ausdruck bringt. Dazu würde ein
Verzicht auf die üblichen Drohungen gehören, die ein Geschenk für die
iranischen Hardliner sind und durch die wirklich für die Demokratie
engagierten Iraner bitter verurteilt werden (im Gegensatz zu den
"Unterstützern", die
demokratische Slogans im Westen verbreiten und als große "Idealisten"
gelobt werden, obwohl aus ihren Taten bekannt ist, wie sehr sie die
Demokratie hassen).
Die
Verbreitung der Demokratie in den Vereinigten Staaten könnte noch viel
weiterreichende Auswirkungen haben. In Irak würde sofort oder bald ein
Zeitplan für den Truppenabzug umgesetzt, in Übereinstimmung mit der
überwältigenden Mehrheit der Iraker und einer bedeutenden Mehrheit der
Amerikaner. Die Budgetprioritäten des Bundes würden regelrecht umgekehrt. Wo
die Ausgaben heute steigen, wie auf Grund zusätzlicher Kredite für die
Kriege in Irak und Afghanistan, würden sie drastisch sinken. Wo die Ausgaben
stagnieren oder sinken (Gesundheit, Bildung, Berufsbildung, Förderung von
nachhaltigem Energieverbrauch und erneuerbaren Energien, Finanzierung der
UNO und deren Friedensmissionen, usw.), würden sie stark steigen. Bushs
Steuersenkungen für Personen mit 200.000 Dollar
Einkommen oder mehr würden unverzüglich rückgängig gemacht. Die USA hätten
schon lange ein nationales Gesundheitssystem eingeführt und das
privatisierte System abgelehnt, das pro Kopf doppelt so viel kostet wie die
Systeme ähnlicher Länder und eines der schlechtesten Ergebnisse in der
industriellen Welt hervorbringt. Sie hätten ein Steuersystem abgelehnt, das
vielen Personen, die es aufmerksam betrachten, als ein gerade
"entgleisender Steuerzug"
erscheint. Die USA hätten das Kyoto-Protokoll zur Reduktion der
Kohlenstoffdioxydemissionen ratifiziert und noch stärkere Maßnahmen für den
Umweltschutz vorangetrieben. Sie würden der UNO die Führerschaft bei der
Lösung internationaler Krisen zugestehen, auch in Irak. Immerhin wollte laut
Meinungsumfragen bereits kurz nach der Invasion von 2003 eine breite
Mehrheit der Amerikaner, dass sich die UNO um die politische Transformation,
den wirtschaftlichen Wiederaufbau und die zivile Ordnung dieses Landes
kümmert.
Wenn die öffentliche Meinung zählte, würden die USA die in der UNO-Charta
formulierten Grenzen der Gewaltanwendung akzeptieren, im Gegensatz zu dem
von beiden Parteien geteilten Konsens, dieses Land habe als einziges das
Recht, bei –
realen oder imaginären –
Bedrohungen Gewalt einzusetzen, auch wenn es sich um Gefahren für Märkte und
Ressourcen handelt. Die USA (und andere Staaten) würden das Veto des
Sicherheitsrats aufgeben und die Mehrheitsmeinung akzeptieren, auch wenn es
nicht ihre eigene ist. Die UNO erhielte die Möglichkeit, Waffengeschäfte zu
regulieren; die USA würden ihre Waffengeschäfte reduzieren und andere
Staaten dazu drängen, dies ebenfalls zu tun, was ein bedeutender Beitrag zur
Verminderung von groß angelegter Gewalt auf der ganzen Welt wäre. Beim
Umgang mit Terror würden diplomatische und wirtschaftliche Maßnahmen im
Zentrum stehen, nicht Gewalt, was der Einschätzung der meisten Spezialisten
auf dem Gebiet entspricht, aber der heutigen Politik diametral widerspricht.
Zudem
unterhielten die USA, wenn die öffentliche Meinung die Politik beeinflussen
würde, diplomatische Beziehungen mit Kuba, die den Menschen in beiden
Ländern zu Gute kämen (sowie, nebenbei, auch dem Agribusiness, den
Energiekonzernen usw. in den USA), anstatt mit dem Embargo praktisch allein
auf der Welt zu stehen (es wird nur durch Israel, die Republik Palau und die
Marshallinseln unterstützt). Washington würde den breiten internationalen
Konsens zu Gunsten einer Zwei-Staaten-Lösung in Palästina/Israel
unterstützen, den es (zusammen mit Israel) seit 30 Jahren
–
abgesehen von einigen konfusen und vorübergehenden Ausnahmen
–
blockiert hat, und den es heute in Wort und vor allem in Tat weiterhin
blockiert, trotz den verlogenen Behauptungen, auf Diplomatie zu vertrauen.
Die USA würden Israel und Palästina in gleichem Ausmaß unterstützen und
jeweils der Seite die Hilfe entziehen, die sich nicht an den internationalen
Konsens hält.
Beweismaterial zu solchen Fragen wird in meinem Buch "Failed
States" besprochen, sowie in "The
Foreign Policy Disconnect" von Benjamin Page (und
Marshall Bouton), das auch ausführlich zeigt, dass die öffentliche Meinung
zu außenpolitischen (und vermutlich auch innenpolitischen) Fragen dazu
neigt, über längere Zeiträume kohärent und stabil zu sein. Meinungsumfragen
müssen mit Vorsicht behandelt werden, aber sie sind sicherlich vielsagend.
Die
Verbreitung der Demokratie zu Hause ist keine Lösung für alle Probleme. Sie
wäre aber nützlich, um unserem Land zu helfen, ein verantwortungsvoller
Akteur auf der internationalen Ebene zu werden (ein "responsible
stakeholder", wie das jeweils bei den Feinden gesagt
wird), anstatt in weiten Teilen der Welt gefürchtet und gehasst zu sein.
Eine funktionierende Demokratie zu Hause ist nicht nur ein Wert für sich
selbst, sondern verspricht reale Möglichkeiten eines konstruktiven Umgangs
mit vielen Problemen der Gegenwart, auf internationaler und nationaler
Ebene; auch mit den Problemen, die im wahrsten Sinne des Wortes das
Überleben der Menschheit bedrohen.
Dieser Artikel wurde uns freundlicherweise
von
Zmag.de zur Verfügung
gestellt.
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