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Von
Hans Durrer |
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Am 21. Juli 2010 erfuhren die Nachrichtenkonsumenten weltweit, dass das Foto, das am Wochenende zuvor auf der Website von BP zu sehen war und zeigte, wie Mitarbeiter in Houston, die auf zehn gigantische Videoschirme mit Bildern von den Ereignissen unter Wasser blicken, gefälscht war. Zwei der Bildschirme seien in Wirklichkeit leer gewesen, erkärte BP-Sprecher Scott Dean und führte aus, ein Fotograf des Konzerns habe das Bild mit Hilfe von Photoshop verändert. In der Folge wurde auch das Original veröffentlicht. BP-Sprecher Dean sagte, der Fotograf habe nur seine Photoshop-Kenntnisse unter Beweis stellen wollen. Die Mitarbeiter seien angewiesen worden, das Bildbearbeitungsprogramm nur für Veränderungen wie Farbkorrekturen oder das Erstellen von Ausschnitten zu verwenden. Kurz darauf berichtete die Washington Post von weiteren manipulierten Bildern auf der Website des Konzerns. Wiederum war es ein Blogger, der die Fälschung entdeckt und veröffentlicht hatte: Ein Foto auf der Webpage von BP zeigt das Cockpit eines Hubschraubers. Der Blick durch das Fenster zeigt Einsatzschiffe auf dem Meer, die, so muss man anehmen, mit Aufräumarbeiten beschäftigt sind. Das Foto vermittelt den Eindruck, dass sich der Helikopter in der Luft befindet, doch das tut er nicht: Die Farbabstufungen wirken unrealistisch, zudem hat der Blogger in einer Ecke des Fotos einen Teil eines Kontrollturms ausgemacht und daraus gefolgert, dass sich der Hubschrauber bei der Aufnahme gar nicht in der Luft, sondern am Boden befand. Und genau so war es auch, wie BP schließlich zugab. Spiegel online bezeichnete diese Manipulationen als "PR-Panne", die Wiener Kronen Zeitung sprach vom einem "PR-Debakel" und man darf annehmen, dass wohl die meisten Betrachter dieser Fälschungen diese Einschätzung teilen. Doch eine solche Sichtweise ist irreführend, ja sie ist falsch, denn Bild-Fälschungen sind, im Kontext dieser Ölkatastrophe, zuallererst Lügen und die Leute bei BP, die dafür verantwortlich sind, sind keine PR-Leute, sondern zynische Lügner. Aber ist das nicht sowieso das Gleiche? Nun, die Wahrheit ist bekanntlich ein weites Feld. Angesichts der Tatsache, dass wir alle wissen, dass mit Fotos gelogen werden kann und häufig auch wird, ist es jedoch einigermaßen erstaunlich, dass wir Fotos überhaupt trauen. Und zwar so lange, bis jemand kommt und uns beweist, dass wir uns getäuscht haben. *** Dass Fotos die Wirklichkeit abbilden, sei eine Illusion, meint Pedro Meyer, der Herausgeber der Online Foto-Zeitschrift Zone Zero. Einmal aus den allseits bekannten Gründen, der Wahl des Objektivs, des Films etc., dann aber auch, weil es zwischen der Fotografie und anderen Arten dokumentarischen Schaffens Parallelen gebe, die oftmals übersehen würden. So sei etwa der Journalist keine simple Kopiermaschine, er reproduziere nicht gedankenlos, was sich vor seinen Augen abspiele, sondern er sammle Informationen und stelle dann, was er in Erfahrung bringen konnte, so zusammen, dass akkurat wiedergeben werde, was sich vor Ort abgespielt habe. Ein Dokumentarfilmer tue genau dasselbe, auch er mache Aufnahmen mit der Vorstellung im Kopf, wie er diese anschließend zusammenfügen wolle.Jeder Schritt, meint der fr ühere Fotojournalist Jeff Share auf www.medialit.org, den ein Fotograf mache, also was, wann, wo, warum und wie aufgezeichnet werde, sei subjektiv und ein Foto deswegen immer eine dekontextualisierte Wiedergabe der Realität, festgehalten von einem Menschen, der bewusste oder möglicherweise unbewusste Entscheidungen fällt, die von seiner kulturellen Herkunft, seinen Erfahrungen, Vorlieben und Abneigungen geprägt sind. Joan Fontcuberta, der Herausgeber von Photovision, geht noch einen Schritt weiter: Er hält den Begriff "manipulierte Fotografie" für eine Tautologie, da jedes Foto manipuliert sei.Nur: Wer so argumentiert, verkennt das Wesen der Manipulation, bei der es um eine bewusste Irreführung geht. Er verkennt zudem, was wir von der Fotografie (nein, nicht von der, die sich als Kunst versteht) wollen: die Realität, so wie sie sich unseren Augen präsentiert, einfangen; den Augenblick festhalten; die Zeit zum Stillstand bringen. Wir erwarten von Fotos, dass der Fotograf uns vermittelt, was seine Augen gesehen haben und was er seinen Augen zu sehen erlaubt hat. Aber das genügt nicht, denn wir wollen von Fotos mehr: wir wollen sie echt, und wir wollen sie wahr; wir erwarten von ihnen, dass sie uns nicht hinters Licht führen. Auch wenn uns klar ist, dass Fotos uns die Dinge oft nicht so zeigen, wie unsere Augen sie wahrnehmen – getäuscht und angelogen werden wollen wir deshalb noch lange nicht. *** Zugegeben, an Fotos "herumzudoktern" ist gängig und nichts Neues, das gibt es, seit es die Fotografie gibt. Aufhellen, Nachdunkeln, eine Horizontale in eine Vertikale umwandeln etc, sei es in der Dunkelkammer oder am Computer – welcher Foto-Redakteur hätte dies oder Ähnliches nicht schon mal gemacht? Und überhaupt: Was soll denn schon dabei sein? Kommt ganz drauf an, welche Fotografie wir meinen. Von der Werbefotografie (und PR-Fotos sind nichts anderes) erwartet niemand, dass sie aufrichtig ist (es soll jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass 'aufrichtiges Informieren' Bestandteil erfolgreichen Werbens sein kann), von Nachrichtenbildern oder dokumentarischen Aufnahmen hingegen erwarten wir, dass sie uns die Wirklichkeit so präsentieren, wie sie der Fotograf vor Ort gesehen und mit seiner Kamera eingefangen hat.Anzunehmen, dass die PR-Abteilung von BP etwas anderes auf Ihre Website stellt als was den eigenen Zwecken dient, ist naiv. Und ebenso gilt: BP vorzuwerfen, dass sie f ür sich wirbt, verkennt das Wesen einer Konzern-Webpage. Vorausgesetzt, dass bei einer Ölkatastrophe wie derjenigen im Golf vom Mexiko die üblichen Regeln gelten. Das tun sie aber nicht, denn in diesem Fall ist Aufklärung nicht nur gefragt, sie ist Verpflichtung. Mit andern Worten: Wer diese Katastrophe unter PR-Gesichtspunkten, also als reinen Wahrnehmungswettstreit, sieht und verkennt, dass es hier um das reale Leben von Menschen geht, denen ihre Lebensgrundlage abhanden gekommen ist. Wenn wir Fotos als Dokumente, als Informations- und als Erinnerungsstücke verstehen wollen, müssen wir, was sich unseren Augen zeigt, befragen. Wie, Wann, Wo, Warum, und für welchen Zweck sind diese Aufnahmen gemacht worden? Fragen müssen wir aber auch, was wir alles nicht zu sehen gekriegt haben, was gerade vor der Aufnahme passiert ist und was gerade nachher, und was uns alles nicht gezeigt worden ist.Genau das hat der Blogger gemacht, der den BP-Schwindel aufdeckte. Und es sind immer wieder Blogger, die den Foto-Manipulateuren auf die Schliche kommen. Man denke etwa an den August 2006, als ein freier Mitarbeiter der Agentur Reuters die aus den Trümmern aufsteigenden Rauchschwaden im von israelischen Kampfbombern bombardierten Beirut verdunkelt, damit sie den Eindruck einer brennenden Stadt vermitteln. Das ist nicht hinnehmbar. Mit anderen Worten: Kritisches Hinterfragen ist zur Domä ne der Blogger geworden.*** Entgegen einer weitverbreiteten Annahme bilden Fotos die Wirklichkeit nicht ab. Sie können es auch gar nicht, denn bekanntlich befindet sich unser Leben in stetigem Fluss, und diesen abzubilden, ist schlicht ein Ding der Unmöglichkeit. Aber was tun dann Fotografien überhaupt, wenn sie nicht die Welt, die inszenierte oder die vorgefundene, abbilden? Sie kreieren die Illusion von etwas Festem, sie versehen uns mit Halt und Orientierung, sie geben unserer Sehnsucht nach Beständigkeit Form und Ausdruck, sie helfen uns, uns auf dieser Welt zurechtzufinden – und das ist gut so. Sie tun aber noch etwas ganz anderes, meint Paolo Maurensig in Der Schatten und die Sonnenuhr: "Jede Form opfert sich, um eine andere, unmittelbar folgende Form hervorzubringen. Das ist der menschliche Geist. Er hat sogar die Gabe, sich zurückschauend so weit zu korrigieren, dass nichts, obwohl es nun der Vergangenheit angehört, als feststehend angesehen werden kann. Die Photographie hingegen fixiert und kristallisiert die Realität. Sie saugt in gewisser Weise dem Lebensfluss selbst das Blut aus und gibt als Leben aus, was nicht mehr Leben ist."Wie schon die alten R ömer wussten: Mundus vult decipi, "Die Welt will betrogen werden." Doch angelogen werden wollen wir deswegen trotzdem nicht.
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