
(c) Reinhard Winkler
Peter
Hodina
peterhodina [at] hotmail.com
geboren 1963 in Salzburg.
Studium der Theologie, Philo-
sophie, Politikwissenschaft
und Publizistik in Salzburg.
Lebt und arbeitet als freier
Autor in Gallneukirchen
(Österreich) und Berlin.
Preise
Harder Literaturpreis
(2000). Förderpreis der
Rauriser Literaturtage (2004).
Veröffentlichungen
Die Meuterei der Lemminge,
Essay, Hecht-Druck, 2001.
Steine und Bausteine 1/2.
Avinus Verlag, 2009/10
Sternschnuppen über
Hyrkanien, Reihe 'Lyrik
der Gegenwart', Band 18,
Edition Art Science, 2012.
Biographie
Peter Hodina
Wenn mein Kollege nun
also immer noch, obwohl
schon Mitte Fünfzig, ein
Idiot der Familie ist, was
bin dann ich? Auf jeden
Fall der NOCH größere
Idiot der Familie, meiner
Familie, meiner Herkunfts-
familie, denn selber habe
ich keine gegründet und
auch nicht gründen
wollen.
Es war bei meinem
morgendlichen Gang
immer unangenehm, die
Launen jenes Greißlers
abzubekommen, der
seine Verärgerung, dass
die Meinen bei ihm kaum
mehr einkauften, an mir
abließ, indem er mich
stets mit "Sir Peter!"
spöttisch begrüßte.
Meine Mutter sowie
deren Mutter, die mit im
Haushalt wohnte, hatten
keine gescheitere Idee,
als mich fortwährend zu
verkleiden, sogar in
einem Mozartkostüm bin
ich zeitweise herum-
spaziert.
Zusätzlich wurde ich
zum Doppelgänger des
niederländischen Kinder-
schlagerstars "Heintje"
dressiert, was meinen
Vater sehr verdross, zum
x-ten Mal den Schlager
"Mama!" durch die Diele
unseres Hauses hallen zu
hören, wenn Besuch kam.
Beim Spatenstich für
den Neubau einer Volks-
schule "durfte" ich – das
wurde immer ein Dürfen
genannt, war aber ein
Müssen, da gab es kein
Fackeln – ein ganz langes
gereimtes Gedicht, das
meine Mutter verfasst
hatte, im Beisein des Salz-
burger Bürgermeisters
aufsagen.
... unbedingt also Klassen-
sprecher werden wollen
müssen, sogenannte Schau-
kästen nach der Art des
Vaters, der ja auch Lehrer
gewesen war, gestalten,
mich durch Fleißaufgaben
aufdrängend, Malwett-
bewerbe gewinnend,
aber nicht Fußball-
spielen könnend.
Auf einer alten Tonkas-
sette fand ich eine Selbst-
aufnahme meiner Ballade
'Der Tod des Galliers' aus
dem Jahre 1975. Seltsam
und freilich noch immer
peinlich berührt mich
meine eigene Stimme
vor dem Stimmbruch, in
ihrer Feierlichkeit und
den grotesken Fehlbe-
tonungen.
Einmal wagte ich, im
Beisein meines Vaters
zu improvisieren: er, der
sich einen unmusikalischen
Menschen nennt, erstarrte
säulengleich und ratlos
bei dieser Musik mit dem
Staubtuch in der Hand,
mit dem er seine Antiqui-
täten hatte abwischen
wollen.
Mein ältester Bruder
entwand mir einmal
meine Mappe mit heim-
lich verfassten Gedichten;
ich wollte sie ihm noch
wegreißen, aber er,
damals schon ein berufs-
tätiger Mittzwanziger,
stellte sie unten im Wohn-
zimmer meinen Eltern vor,
deklamierte sie mit spötti-
scher Gebärde, gegen
meinen vergeblichen
Widerstand.
Man will doch nicht ewig
nur der "Mutterfortsatz"
bzw. der "Elternfortsatz"
sein – und selber deren
Wurm dabei bleiben. Ich
will mir das fortan nicht
mehr einreißen lassen,
was in mir eingerissen ist.
Es wäre mir leichter,
kein sogenanntes "Kind
der Liebe" zu sein,
sondern eine verantwort-
ungslose Rauschzeugung,
ein ungeplanter, in die
Buschen gepisster Bang.
Mein Vater zeigte mir
als Lehrer bei einem
Spaziergang ein kleines
Eichenpflänzchen, das
neben dem großen Stamm
einer vielhundertjährigen,
sogar tausendjährigen
Eiche sein Kümmer-
dasein führte.
"Lerne du nur fleißig
beten, du kannst nicht
zur Jagd gehen, denn du
wirst Weiberröcke tragen
und müsstest als ein Weib
auf dem Sattel sitzen"
"Was tun sie? Was ist
ihre Tätigkeit? Schreiben?
Spazierengehen, ja; auf
die Schreibmaschinen-
tasten hauen, ja; Pfeife
rauchen, ja; auf einem
Bleistift kaun, ja;
aber sonst?"
"Ich hätte nicht gewusst,
was ich sonst tun soll.
Schriftsteller habe ich
nie als Beruf betrachtet,
sondern als Existenzform,
mit der ich in dieser
irren Welt überlebte."
Die Reisenden werden
auf mysteriöse Weise
von Angst heimgesucht,
die sich bei einigen, vor
allem Kindern, bis zur
Panik steigern. Der Zug,
von gleich zwei Dampfloks
gezogen, donnert in
meiner Horrorgeschichte
auf die Brücke zu und ...
Mein
Deutschlehrer
hat
es zugelassen, dass ich
immer mehr zu einer Art
Kanzelprediger wurde.
Ich beschloss, gleich
nach bestandener Matura
Politiker zu werden.
"Er sah immer aus wie
nach einer dreißigstün-
digen Eisenbahnfahrt,
schmutzig, ermüdet, zer-
knittert, ging schief und
verlegen herum, sich gleich-
sam an eine unsichtbare
Wand drückend, und der
Mund unter dem dünnen
Schnurrbärtchen quälte
sich irgendwie schief
herab."
Einmal brachte ich im
Kleinen Theater in Salz-
burg das gesamte Publikum
gegen mich auf, als ich
es wagte, bei einem
Benefiz-Abend, als eine
Band für Amnesty Inter-
national spielte und ich
eine Auswahl von fremden
Texten hätte lesen sollen,
eigene Gedichte zusätzlich
auch noch zu lesen
mich erkühnte.
Es war eine beherzte
Ansprache, die ich hielt.
Sogar einen neuen Anzug
hatte ich mir im Kaufhaus
Forum unter Aufbietung
meiner gesamten Erspar-
nisse gekauft. Zusätzlich
hätte das Essen im Hotel
für mich damals unglaub-
liche 2.000 Schilling
gekostet.
Im Frühjahr 1998 hatte
ich im Berliner "Tränen-
palast" eine abends sehr
spät angesetzte Gruppen-
lesung mit teilweise bekann-
ten Berliner literarischen
Größen, und es herrschte
eine aufgeheizte, aggres-
sive Stimmung im Saal;
eine Kollegin aus Öster-
reich las ihre Gedichte
vor und Rufe aus dem
Publikum unterbrachen
sie mehrmals sexistisch
mit der Aufforderung
"Ausziehen! Ausziehen!"
Wir sind immer auch
die Opfer der Theorien,
die wir uns für unser
Leben zurechtgelegt
haben
– das ist ein Tribut
an das "Allgemeine".
Ein Literaturwissen-
schaftler-Freund schrieb
kürzlich,
ein Schwein
brauche einen Reibe-
baum – aber auch eine
Suhle. Fehle dem
Schwein
der Reibebaum, würde
es verrückt, also rich-
tungslos werden.
Linktipp
www.seeliteratur.at
|
I.
Einleitung: Eine mögliche Dialektik des Themas?
Das
Thema für die heurigen 14. Internationalen Wolfgangsee-Literaturtage(2) war MIR
plötzlich eingefallen – es fand überraschend Anklang. Haben wir als
Schreibende Niederlagen oder Resonanzlosigkeit erfahren, haben wir diese
über lange Strecken sogar oder punktuell-nachhaltig-verstörend erfahren und
haben trotzdem also weitergemacht? Sofort stellt sich in unserer
puritanischen Arbeitszwangsmoral-Gesellschaft die Frage, will sich
einschleichen, aufdrängen: Wären wir nicht selber schuld an unseren
Niederlagen? Mag sein. Sind es denn überhaupt Niederlagen oder wohnt ihnen
manchmal eine Dialektik inne, werfen Niederlagen nicht auch ein Licht auf
jene, die sie uns zufügen, würde in ihnen nicht auch die
Gesellschaftsstruktur sichtbar? Stehen nicht sogar die Niederlagenzufüger
unter Umständen in schlechterem Lichte da, wenn wir uns entsprechend
ENTSCHÄMT haben und die Mechanik der Zurückweisung zu verstehen suchen und
offenlegen? Literatur ist ja nicht nur ein existentiell-subjektiver
Bekenntnisvorgang, sondern auch ein gesellschaftlicher Erkenntnisprozess.
Wir bewegen uns in einem Labyrinth vorwärts – und in dieser Vorwärtsbewegung
werden wir mit SPERREN konfrontiert und erleiden dabei Blessuren,
"Sperrschmerzen"(3). Unter Umständen bleiben wir dauernd Gesperrte,
Verhinderte. Man kennt den Typus des "verhinderten Künstlers" als Sozial-
bzw. Asozialcharakter.
II.
"Der Idiot der Familie"
Der
Reihe nach. Zwanglos. Einer zwanglosen Reihe nach will ich das gestellte
Thema angehen und aufrollen. Ein befreundeter Schriftstellerkollege, der vor
zwei Jahren mit einem Erzählband verhältnismäßig groß und spät, erst Mitte
seiner Lebensfünfziger, reüssiert hatte, nannte sich, als wir uns zufällig
in der Stadt Salzburg trafen, einen "Idioten der Familie". Bekanntlich hatte
ja Jean-Paul Sartre sein spätestes, unvollendet gebliebenes Werk über
Flaubert (und indirekt über sich selbst) 'Der Idiot der Familie' genannt. Es
umfasst bei 2.500 Seiten, der Autor erblindete zusehends. Wenn das jetzt
nicht wirklich auch grotesk wirkt – meine Formulierung: "ERBLINDETE
ZUSEHENDS", erblindete sozusagen offenen Auges. Wenn mein Kollege nun also
immer noch, obwohl schon Mitte Fünfzig, ein Idiot der Familie ist, was bin
dann ich? Auf jeden Fall der NOCH größere Idiot der Familie, meiner Familie,
meiner Herkunftsfamilie, denn selber habe ich keine gegründet und auch nicht
gründen wollen. Mein Kollege hat gar keine Ahnung, welchem Abgrund an
Idiotentum er in meiner Gestalt begegnen darf. ER mag ja der größere
Schriftsteller von uns beiden sein, das erkenne ich neidlos an, er hat auch
einiges in seinem Erzählband geleistet und auch einige Welterfahrung
angesammelt, die mehr wiegt als meine, also ein Apfelbäumchen gepflanzt,
drei Kinder gezeugt, ein paar Filmchen gedreht und ein Büchlein geschrieben,
wofür, nach Luther, ihm ja schön langsam die Welt dann untergehen dürfte,
aber wenn er auch all diese Vorzüge angesammelt hat, wirklich ein Leben, das
ein Leben genannt werden darf, sich auszugestalten vermochte, ist ihm mit
mir ein Idiot-Antipode erwachsen. Der alles auf seine Idiotenkarte gesetzt
hat, sogar sein Leben auf die hohe Kante der Idiotie schon lange und seit
jeher setzt, was ab seiner Alphabetisierung in der Kindheit bereits immer
klarer geworden ist. Denn seine, das heißt meine Alphabetisierung geschah
zwar schon im Vorschulalter, ich erlernte das Alphabet selbst, um auch wie
die Erwachsenen schon Zeitung lesen zu können, vor allem über den Übeltäter
Charles Manson, über die Boxkämpfe, Autorennen, Unglücke, auch noch die
Weltraumfahrt. Die Kronen-Zeitung war eigentlich die Zeitung,
die für so jemanden wie mich gemacht wurde, aber damals hatte meine Familie
die Krone nicht, stattdessen die gutbürgerlichen Salzburger
Nachrichten abonniert. Um also diese reißerischen Nachrichten innerhalb
der weniger reißerischen, ja gar nicht reißerischen Salzburger
Nachrichten lesen zu können, habe ich mir das Lesen selber relativ
schnell beigebracht. Mit Fünf. Schon am frühen Vormittag wurde ich von der
Großmutter mütterlicherseits zu unserem Greißler geschickt, die Zeitung zu
holen und irgendeine Kleinigkeit, ein Stück Butter. Es kam billiger, das
Haus musste abgespart werden, die abonnierte Zeitung beim Kaufmann selber
abzuholen, statt sie per Post oder Zeitungsausträger zustellen zu lassen. Da
der Greißler, wie die Meinen meinten, inzwischen immer unverschämter teurer
wurde, kauften sie schließlich bei ihm gar nichts mehr ein, sondern
stattdessen in den ersten entstehenden Supermärkten oder in Freilassing, das
in Bayern über der Grenze lag. Es war bei meinem morgendlichen Gang immer
unangenehm, die Launen jenes Greißlers abzubekommen, der seine Verärgerung,
dass die Meinen bei ihm kaum mehr einkauften, an mir abließ, indem er mich
stets mit "Sir Peter!" spöttisch begrüßte. "Wollen Sir Peter heute wieder
nur ein Stück Butter kaufen? Sind Sie so fein, sich nur von einem Stück
Butter zu ernähren?" Es wurde mir schließlich zu einem allmorgendlichen
Grauen dieser Gang, der mich an einem Holzhaus vorbeiführte, in dem ein
ehemaliger KZ-Aufseher wohnte und oft Gruben in seinem Garten aushob. Als
Vorschulkind war ich darauf gedrillt worden, alle Leute aus der
Nachbarschaft unterschiedslos höflich zu grüßen, so auch den pensionierten
Schergen, der inzwischen ein sogenannter Bischof geworden war: ein Bischof
einer dubiosen Sekte, der mich übrigens nie zurückgrüßte und mich
verunsichert anblickte, sich wundernd, dass ihn jemand grüße, solch ein
unbekanntes Kind. Ich ließ aber, als Automat, zu dem ich erzogen worden war,
trotzdem nicht ab, ihn zu grüßen. Oft grub jener Glatzkopf in seinem Garten,
so als höbe er Gräber aus – und einmal blieben sein Sohn und dessen
Lebensgefährtin im Pazifik für immer verschollen, nie wurden die Leichen
gefunden, und die Nachbarschaft munkelte, der alte SS-ler hätte sie
womöglich in seinem Garten verscharrt. Jeden Vormittag kam ich also schon in
diese unangenehmen Gefühle hinein, der Gang zum Greißler war mir grauenvoll,
ich wurde von diesem "Sir" genannt und wusste nicht einmal, was das ist.
Beim Heimgehen hatte ich die Zeitung schon aufgeschlagen und las sie: den
Gerichtsteil als erstes. Mit Heißbegier fand ich mein gefundenes Fressen an
Mordsachen, die sich auf der Welt, am besten sogar in nächster Nähe ereignet
hatten, was der besondere Leckerbissen dann war, der meine Phantasie vollauf
sättigte.
Zu jener Zeit
wurden mir viele Kostüme geschneidert; meine Mutter sowie deren Mutter, die
mit im Haushalt wohnte, hatten keine gescheitere Idee, als mich fortwährend
zu verkleiden, sogar in einem Mozartkostüm bin ich zeitweise herumspaziert.
Ich war als Bahnhofsvorstand verkleidet worden, als Derwisch in einem weißen
seidenen Gewand, die Großmutter ließ mich mit den Tapferkeitsmedaillen ihres
verstorbenen Mannes spazieren gehen. Ich war eine kleine Puppe,
vorprogrammiert zum Pup(p)enjungen, effeminiert, verzärtelt, so wollten es die
Weiber daheim. Als ich den "Fahrdienstleiter", in den ich verkleidet worden
war, am Salzburger Hauptbahnhof einmal ernstnahm und den Stab hob, worauf
der Zug natürlich nicht gleich abfuhr, bekam ich eine saftige Watschen: denn
was hätte passieren können, ein Zugunglück womöglich, wenn der Zug
tatsächlich abgefahren wäre? Das nennt man Erziehung zum
Verantwortungsbewusstsein. Wahrscheinlich habe ich viele feuchte Fürze in
jenes Seidenkostüm des Derwischs abgelassen. Mein Schwanz wusste noch nichts
von sich, außer dass er zum Pipimachen da war. Zusätzlich wurde ich zum
Doppelgänger des niederländischen Kinderschlagerstars "Heintje" dressiert,
was meinen Vater sehr verdross, zum x-ten Mal den Schlager "Mama!" durch die
Diele unseres Hauses hallen zu hören, wenn Besuch kam. "Mama, / Sollst doch
nicht um deinen Jungen weinen (…)", Text und Melodie von einem gewissen
Bruno Balz, und so ward ich zum Balzen um Mama von derselbigen erzogen
worden. Es wundert mich, dass ich diesen Text damals so früh überhaupt
auswendig hatte lernen können. "Tage der Jugend vergehen / Schnell wird der
Jüngling ein Mann / Träume der Jugend verwehen / Dann fängt das Leben erst
an / Mama, ich will keine Tränen sehen / Wenn ich von dir dann muss gehen."
Vielleicht war das auch schon meine allererste Troubadix-Erfahrung: mein
Vater stellte dieses ihn nervende Treiben ab. Ob dabei meinerseits Tränen
flossen?
III. Musterkinder – Kindheitsmuster
Meine
Mutter, von Beruf Volksschul-Oberlehrerin, wollte aus ihren drei Söhnen
Vorzeigekinder, Musterknaben machen; sie verliebte sich förmlich in uns,
wenn wir auf diesem ihr wohlgefälligen Wege Fortschritte zu machen uns
beflissen zeigten, doch wir wurden schmutzige Gegenstände, wenn nicht und
nicht mehr, was spätestens bei uns dreien ab der Pubertät voll einsetzte, da
wir aus Vorzugsschülern dann mutwillig zu den allerschlechtesten unserer
jeweiligen Klassen herunterkamen, zu Eselsbänklern. Ich war von den dreien
das Nesthäkchen, und in mich hatte sich also am meisten das Nest verhakt.
Die Damen hoben mich auf einen Baumstumpf und ich sang ein Lied: "Der
Schaffner hebt den Stab, / Jetzt fährt das Zügle ab. / So fasst euch an, so
fasst euch an, / wir fahren mit der Eisenbahn, der Eisenbahn." Und dann
applaudierten die Greisinnen und Kriegsinvaliden aus dem Altersheim, die
dort spazieren gingen. Jahre später, als mir der Glaube an die prinzipielle
Unschuld der Züge abhanden gekommen war, würde ich dann selber dichten: "Er
hob den Stab, / und das Zügle fuhr ab / zum Massengrab."(4) Beim Spatenstich
für den Neubau einer Volksschule "durfte" ich – das wurde immer ein Dürfen
genannt, war aber ein Müssen, da gab es kein Fackeln – ein ganz langes
gereimtes Gedicht, das meine Mutter verfasst hatte, im Beisein des
Salzburger Bürgermeisters aufsagen, bei dem ich mich auch nicht verhaspelte.
Hier bekam ich wohl zum ersten Mal einen langen Applaus aus einer
dreistelligen Zahl von Händepaaren, obwohl mich der Trachtenanzug, in den
ich gesteckt worden war, die ganze Zeit kratzte. Die Mutter indessen, deren
Ehrgeiz trotzdem dadurch noch nicht genug befriedigt worden war, nahm selber
zusätzlich an Kinderchorwettbewerben teil, von denen sie sogar einmal den
bundesweiten gewann, so gut hatte sie ihren Chor für den Auftritt präpariert
gehabt. Von einem besonderen Talent war bei mir nichts zu sehen, außer dass
meine Mutter mich eben zu einem solchen dressieren hatte wollen und ich die
Zuneigung von "Mama" mir durch Anpassung hatte verdienen wollen.
IV.
Spott und reichlich Tränen
Im
Gymnasium später kam man mit einer derartigen Zurichtung nicht sehr weit.
Die Wettbewerblerei ging weiter: unbedingt also Klassensprecher werden
wollen müssen, sogenannte Schaukästen nach der Art des Vaters, der ja auch
Lehrer gewesen war, gestalten, mich durch Fleißaufgaben aufdrängend,
Malwettbewerbe gewinnend, aber nicht Fußballspielen könnend. Dabei schon
eine Hinterfotzigkeit herausgebildet habend: denn auch im Peinigen der
Lehrer wollte ich mich an hervorragendster Stelle bewähren, weil immerzu auf
Applaus begierig gemacht. Meine Mutter schrieb gerne Gelegenheitsgedichte,
oft Geburtstags- und Jubiläengedichte, ausnahmslos gereimte, mit manchmal
spöttischen, ja taktlosen Zeilen. Was ich flugs nachprobierte und mir unsere
Gymnasiallehrer aufs Korn nahm. Diese durfte ich auch zu Beginn des
Schuljahres, es war in der dritten Klasse, vortragen; sie müssen auf ihre
Weise gekonnt gewesen sein. Nichts davon ist mir im Gedächtnis geblieben, es
sei denn eine Zeile: "Die Sonne sinkt und dazu die Glatze blinkt …" Die
Glatze des allerdings gutmütigen und kinderseelenfreundlichen
Naturgeschichtslehrers. Auf den Geschmack und in Fahrt gekommen, nahm ich
mir jeden Lehrer, jede Lehrerin vor. Meinen Schulkameraden gefiel daran in
erster Linie, dass so Zeit totgeschlagen werden konnte. Nur war ich auf
einmal an den Chemielehrer geraten, des Namens Iglhauser, der diesen Spaß,
den ich mir schon nur mit seinem Namen machte, mir übelnahm – und zwar
hartnäckig und grausamst über das ganze Schuljahr weiter. Es sind damals bei
mir auch oft Tränen geflossen – sehr zum Spott meiner Mitschüler. Nennen wir
diesen Einschnitt die Troubadix-Erfahrung Nr. 2.
V.
Zerstückelungsphantasien eines Zwölfjährigen
Übrigens
ist doch noch ein Gedicht aus dieser meiner Frühzeit zufällig erhalten
geblieben. Auf einer alten Tonkassette fand ich eine Selbstaufnahme meiner
Ballade 'Der Tod des Galliers' aus dem Jahre 1975, damals war ich Zwölf.
Diese Ballade hatte keinen Asterix-Bezug, sondern war als ernsthaftes
Trauergedicht auf den gallischen Helden Vercingetorix gedacht gewesen.
Seltsam und freilich noch immer peinlich berührt mich meine eigene Stimme
vor dem Stimmbruch, in ihrer Feierlichkeit und den grotesken Fehlbetonungen
meines Gedichts, das ich heimlich für mich, nicht etwa als Schulaufgabe,
geschrieben hatte.
DER FLUCH DES GALLIERS
Ein totes
Feld, besät mit Leichen,
die Sonne blutrot untergeht – und jetzt versinkt.
Nur Schatten, die darüber schleichen,
das Trauerlied im Sturm verklingt.
Des Caesars Truppen
waren stärker,
sie schlugen Mann und Pferd.
Drum liegt der Fürst im dumpfen Kerker,
zerbrochen ist sein Schwert.
Der Sturmwind braust
durch die finst’re Nacht.
Er trägt hinaus ins Fern die Kunde:
Morgen wird Vercingetorix umgebracht,
um Zwölf, zur Mittagsstunde.
Am nächsten Tage war's
soweit,
der Richtplatz ward bereitet.
Seht, wie heldenhaft der Gallierfürst
zu seinem Ende schreitet!
Er wird bespuckt und
auch geschlagen,
er wird beschimpft und ausgelacht.
Es gibt nur wenige, die darüber klagen –
Er wird auch von ihnen umgebracht.
In einen Käfig
eingepfercht
Wird Vercingetorix gezogen,
man tritt und schleifet ihn
durch des Triumphes Bogen.
Am Richtplatz stehend
spricht er den letzten Fluch zum Volk hinab:
"Das Gleiche, Caesar, bringt dich auch ins Grab!
Mit dir verblasst der helle Strahl,
durchbohren wird man dich mit blankem Stahl!"
Der Richter senkt das
blut’ge Schwert,
des Helden Haupt rollt in den Sand.
Mit ihm, dem Vercingetorix,
stirbt auch das Gallierland.
Doch jenes Fürsten
strenger Fluch
Zerstörte auch das große Reich:
So wurde es zerstückelt –
dem toten Gallier gleich!
VI. Geheimhalterei:
"Seele – das tat man nicht"
Schon
damals hatte ich meine Gedichte schamhaft verfasst und vor den Augen anderer
versteckt. Sie waren ein Geheimnis, etwas Intimes. Auch wenn ich auf dem
Klavier improvisierte, tat ich es nur, wenn die Familienangehörigen außer
Haus waren. Nur meine Großmutter mütterlicherseits durfte meinen oft
halbstundenlangen Improvisationen zuhören. Einmal wagte ich, im Beisein
meines Vaters zu improvisieren: er, der sich einen unmusikalischen Menschen
nennt, erstarrte säulengleich und ratlos bei dieser Musik mit dem Staubtuch
in der Hand, mit dem er seine Antiquitäten hatte abwischen wollen. Jene
Äußerungen waren "Seelenäußerungen". "Seele" – das tat man nicht; etwas
Seelisches, Ausdruck einer Eigenpersönlichkeit, Selbstausdruck – das stand
uns nicht zu. Für das Geistige war die Kirche zuständig. Somit entwickelte
ich mein Seelisches von Anfang an als etwas Verbotenes, schamhaft; ich
errötete, wenn es entdeckt wurde; es war so peinlich, wie wenn man beim
Masturbieren ertappt wurde. Mein ältester Bruder entwand mir einmal meine
Mappe mit heimlich verfassten Gedichten; ich wollte sie ihm noch wegreißen,
aber er, damals schon ein berufstätiger Mittzwanziger, stellte sie unten im
Wohnzimmer meinen Eltern vor, deklamierte sie mit spöttischer Gebärde, gegen
meinen vergeblichen Widerstand. Darunter war ein Gedicht 'Liebe gegen
stählerne Ordnung', ein liebesbedürftiges Gedicht, und all diese intimen
Herzensergießungen eines noch nicht ganz Fünfzehnjährigen wurden bis auf die
Knochen bloßgestellt. Es war wahrscheinlich eine der letzten Situationen
meines Lebens, in denen ich wirklich errötete. Mein Vater hatte zwar
vor Rührung feuchte Augen, weil ich in altmodischen Versen dichtete, aber er
schritt nicht gegen solches Entblößtwerden meiner Person ein.
VII. Die
sogenannten "besonderen Kinder" als "Elternfortsätze"
Wie oft reden
Eltern ihren Kindern ein, dieselbigen wären "etwas Besonderes"… Wobei ein
unabhängiger und unbestechlicher Beobachter bei solchen "besonderen" Kindern
allzu oft bemerken wird können, dass sie meist sogar hinter dem Durchschnitt
etwas nachhinken, dass sie zurückgeblieben sind. Warum beschäftigt mich der
ganze Kinderkram hier? Weil von dorther eine Infragestellung meiner selbst
kommen kann. Es wäre übel, wenn meine heutige Schriftstellerei noch immer
DORT ihre geheime Wurzel hätte: Mama gefallen zu wollen. Ja dazu gedrillt
worden zu sein, dieses Gefallenfinden als Lebenselement zu benötigen,
dahingehend süchtig, abhängig gemacht worden zu sein. Wenn ich meine
Schriftstellerei manchmal brachliegen lasse, verschlampe, könnte das eine
Ursache darin haben, es immer noch nicht wirklich einsehen zu können, dass
ich Mutter- oder Elternliebe nur dann bekomme, wenn ich "etwas Besonderes"
bin und irgendworin ein möglichst außerordentliches Talent unter Beweis
stelle oder auch nur simuliere. Dass meine Mutter schon seit sechs Jahren
tot ist, spielt keine Rolle, denn die Konditionierung ist fest für alle
Ewigkeit im Unbewussten montiert – es ist dann ja nur noch peinlicher. Man
will doch nicht ewig nur der "Mutterfortsatz" bzw. der "Elternfortsatz" sein
– und selber deren Wurm dabei bleiben. Ich will mir das fortan nicht mehr
einreißen lassen, was in mir eingerissen ist, was sich in mir eingerissen
hat. Besser verfaulen, als ein "Delegierter" seiner Familienherkunft zu
sein.(5)
VIII. Sicher
kein Barde, nur Nesthäkchen: zur Geschwisterkonstellation
Einen
eigentlichen "Troubadix" – nämlich als Bardengestalt – vermag ich in mir mit
Ausnahme dessen, dass ich als Rollkragenpullover tragendes Kind der frühen
70er Jahre einmal vorübergehend Schlagersänger wie Roy Black werden wollte,
im direkten Sinne ja nicht zu entdecken. Als Troubadour, als Minnesänger
holder, ferner Frauenanmut, hatte ich nie um deren Gunst jemals rittern
wollen. Als die Meinen zu meiner dann drei Wochen zu früh eintreffenden
Geburt sich rüsteten, hatten sie für mich ein rosarotes Babygewand schon
vorbereitet gehabt oder eine rosarote Masche auf diesem flauschigen Gewand,
Nachthemdchen oder was das war, denn sie wollten nach zwei Buben diesmal ein
Mädchen haben. Ein Püppchen. Es war mir ärgerlich, dass meine Mutter mich
bis in die Knabenjahre manchmal "Püppchen" nannte. Zuerst stecken die
nämlich dich in einen Schwuchtel-Brutkasten, erlauben dir aber später nicht,
schwul zu sein. Das ist deren Perfidie. Freud sagte einmal, wir statten
unsere Kinder für die Tropen aus und schicken sie dann zum Nordpol. "Du
kannst ja hingehen, wo der Pfeffer wächst" – den Satz hörte ich oft. Genug,
ich konnte zwar im Vorschulalter schon lesen und fast schon wie ein
Erwachsener schreiben, aber Zahlen waren mir total unbekannt und ich konnte
nicht einmal menschliche Gesichter zeichnen. Es geht mir in diesem Text
darum, jede Fiktion von Begabung, die bei mir vorliegen könnte,
rücksichtslos zu schreddern. "Woher er das hat? Von wem er das geerbt hat?",
das sind Fragen ohne Belang. Und wenn. Solche Eltern wollen talentierte
Kinder, deren Talent auch anerkannt würde, damit ein Licht auf sie selber
als Erzeuger solchen Talents falle, damit der heilige Samensaft der Gene,
womöglich damit obendrein die angebliche sittliche Idealität der Liebe
geadelt würde, die das Elternpaar in einer langweiligen Landgegend
zusammenleimte, statt dass hier nur brachiale Geilheit und sexueller
Notstand in erster Linie vorgelegen hätten. Es wäre mir leichter, kein
sogenanntes "Kind der Liebe" zu sein, sondern eine verantwortungslose
Rauschzeugung, ein ungeplanter, in die Buschen gepisster Bang.
Früh werden in
einer Familie mit mehreren Kinderdelegierten die Rollen verteilt, oft wie es
ungleicher nicht sein kann. So finden sich Geschwister, wie sie
unterschiedlicher nicht sein könnten. So kommt der Nachzügler auf die Kunst,
die ihm die Brüder übriggelassen hatten: der Älteste warf sich sofort aufs
Geldverdienen, der Zweite auf die Mathematik, wo er die Engen der
Kinderklemme am besten verdrängen hatte können, ich auf die übriggelassenen
Romane. Dies als "Schicksal" anzuerkennen, heißt schon eine Misslichkeit, um
nicht zu sagen Niederlage einzubekennen. Als der Vielvölkerstaat der
Habsburgermonarchie in die verschiedenen Nationalitäten zerfiel, hieß es
1919 dann: "Österreich – das ist der Rest", den Dr. Karl Renner dann auflas.
Ein Nachzügler der Familie – das ist der Rest, dem bleibt der Rest, dem ist
der Rest gegeben worden, der hat sich die Resteln geholt, ist der
Restelfresser. Ein Nachzügler der Familie – der ist nicht nur der Rest und
isst auch nicht nur den Rest, sondern sitzt dann zusätzlich oft zu lang im
Nest und wird Zeuge des Alterungsprozesses seiner komischen Vogeleltern. Das
zu schwache, nicht lebensfähige Vögelchen würde auch von den Geschwistern,
wenn nicht sogar von der Mutter aus dem Nest geworfen, meinte schon in
meinen frühesten Kindertagen mein ältester, diesbezüglich noch immer
sozialdarwinistisch handfester Bruder, der heutige Geschäftsmann, was zu
sagen ihm mein Vater anständigkeitshalber dann doch verbot. Es sich verbat,
dass jener so redete. Doch wieder wie immer inkonsequent, zeigte derselbe
Vater als Lehrer mir bei einem Spaziergang ein kleines Eichenpflänzchen, das
neben dem großen Stamm einer vielhundertjährigen, sogar tausendjährigen
Eiche sein Kümmerdasein führte. "Dieselbe Eiche! Aber chancenlos. Die große
Eiche nimmt dem Keimling Licht und Wurzelboden weg." Sollte ich es auf mich
münzen und mich früh bescheiden lernen? "Wenn du glaubst, es geht nicht
mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her!", mit solchen Spruchweisheiten
tröstete mich meine Mutter schon im Voraus.
Die kleinen
Familien, die auf sich halten, soweit sind wir in Österreich schon noch eine
Monarchie, haben die Schemata der Hochadelsfamilien, womöglich der
Kaiserfamilie im Kleinformat in sich installiert, wohl KAUM durch die Gene.
Dem zur Erbfolge bestimmten Ältesten wird eine Büchse geschenkt, "reich mit
Perlmutter und Jade" eingelegt; der Jüngste indessen wird für den
geistlichen Stand bestimmt, ob ihm das passt oder nicht – er wird passend
gemacht. Die steten Tropfen des Erziehungsprozesses werden seinen Stein
schon höhlen, seinen Widerstand zermürben. "Der sechsjährige Leopold, der
auch zur Jagd zu gehen verlangte, wurde im Hinblick auf seine Bestimmung zum
geistlichen Stande mit einem Rosenkranz aus böhmischen Granaten getröstet,
der neben dem Bette des verstorbenen Vaters gehangen hatte. Dies gab Anlass
zu einer Rauferei, da Ferdinand (der Älteste, Anm. P.H.) den Kleinen
auslachte und neckend sagte: 'Lerne du nur fleißig beten, du kannst nicht
zur Jagd gehen, denn du wirst Weiberröcke tragen und müsstest als ein Weib
auf dem Sattel sitzen', eine von den Anspielungen, mit denen die Geschwister
den wilden Buben zu reizen liebten. In lautloser Wut stürzte sich Leopold
auf den großen Bruder, warf ihn mit dem ersten Anlauf zu Boden und schlug
den jämmerlich Schreienden mit der Faust auf den Kopf, indem er schrie: 'Ich
will dir auf deinen dreckigen Grind beten!', bis Marias (das ist die Mutter
der beiden, Anm. P.H.) feste Hand den Knäuel auseinanderriss." Dieses
berichtet Ricarda Huch im "Vorspiel" zu ihrer mehr als tausendseitigen,
romanhaft geschilderten Geschichte des Dreißigjährigen Krieges.(6) Oft werden
sich solch ähnliche Geschichten bei groß und klein zugetragen haben.
Mir geht es
darum, die Ausgangslage zu bestimmen, nicht auf Zigeunerinnenart in den
Karten zu lesen, sondern die Karten realistisch einzuschätzen, die ich
mitbekommen habe, ob sie denn nur hauptsächlich schlechte Karten, ein
schlechtes Blatt wären. Literatur ist doch keine Fortsetzung des
"Familienstellens" mit anderen Mitteln.
IX. Nüchtern sei
Prosa: Was regen wir uns auf, es liegt ja nur Papier vor uns
Machen wir einen
nüchternen Schnitt jetzt, bevor weitere meiner definitiven
Troubadix-Erfahrungen aufgezählt werden.
Helmut
Heißenbüttel: "Was tun sie? Was ist ihre Tätigkeit? Schreiben?
Spazierengehen, ja; auf die Schreibmaschinentasten hauen, ja; Pfeife
rauchen, ja; auf einem Bleistift kaun, ja; aber sonst? Möglicherweise (und
vielleicht sogar zweifellos) gibt es einen Punkt oder einen Bezirk, auf den
sich alles beziehen lässt. Ich lese eine Geschichte und stelle mir während
des Lesens, also während des aufmerksamen Schauens, also deutlichen Sehens,
alles mögliche vor. Was tut er sonst noch? Wenn er vom Vormittagsspaziergang
nach Hause kommt, die Post sortieren und lesen. Das Gelesene zu mehreren
Häufchen ordnen und diese zu denen von gestern und vorgestern schieben. Das
Buch, in dem er gelesen hat, auf den Schreibtisch zurücklegen. Aufstehen,
zum Bücherregal gehen, mit ausgestrecktem Zeigefinger an einer Buchreihe
entlangsuchen, ein Buch herausziehen, darin blättern, es wieder wegstellen,
das alles wiederholen. Etwas Etudenhaftes hängt auch an seinen rigorosesten
Ausdrucksleistungen."(7)
Ein Löschblatt
der vergossenen Tränen, des vergossenen Schweißes sein. Die Rettung in die
Schrift, der Blick des Schreibenden auf sich selbst, ohne Pathos. Es muss
kein Roman werden, es müssen nicht Gesänge sein; der Schreibende braucht
kein außerordentlicher Mensch, kein Wunderkind, kein Held zu sein. Er kann
auch zum "Chronisten der täglichen Ereignisse" (Peter Handke) werden. Zum
Protokollanten seiner Träume. Seine Methode kann im Dodererschen Sinne eine
"tangentiale" sein: in Menschenbeobachtungen bestehen, aus der Sicht des
Passanten, des Flaneurs; er kann aber ebenso, wie Salvador Dalí es uns
vorlegitimierte, seine Paranoia zur Methode ausbauen, seine inneren Zwänge
und Krämpfe begrüßen und verherrlichen. Auch "Unreife", falls noch immer
vorhanden, kann, wie Witold Gombrowicz in seinem grotesken Roman
'Ferdydurke' vorführte, als ein durchaus produktives Prinzip wirken. Der
Autor könnte aber auch wie der Schweizer E.Y. Meyer schließlich immer mehr
verstummen. "Er ist für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen – obwohl er
fast keinen Leser mehr hat."(8) Der Interviewer treibt den Solothurner
gemeiner-, das heißt kapitalistischerweise in die Enge: "Sie hätten sagen
können: Ich habe als Autor keinen Erfolg mehr, also sattle ich beruflich
um." – Meyer: "Ich hätte nicht gewusst, was ich sonst tun soll.
Schriftsteller habe ich nie als Beruf betrachtet, sondern als Existenzform,
mit der ich in dieser irren Welt überlebte. Mein zwischenzeitliches
Schweigen ist vielleicht symptomatisch für das Verstummen von Millionen von
Menschen. Es ist die Aussichtslosigkeit, die mich bedrückt."(9)
X. Weitere
exemplarische Troubadixe
Rückblende.
'Ein
Porträt des Künstlers als junger Mann' (James Joyce, 1916), 'Bildnis des
Künstlers als junger Affe' (Michel Butor, 70 Jahre später). Wie war denn das
mit mir als junger Mann? Ich hatte alle Deutsch-Schularbeiten bis auf eine
ausnahmslos mit "Sehr gut" absolviert – auf die eine bekam ich eine Fünf:
wegen Themenverfehlung. Das Thema damals in der fünften Gymnasialklasse
lautete: 'Menschen in Panik'. Ich beschrieb eine spezielle Form der
präkognitiven Panik, die sich schon VOR einem Unglück, einem
Eisenbahnunglück, bei den Passagieren geheimnisvollerweise abgezeichnet
hatte. Wohl schien mich die Anfang 1880 von Theodor Fontane verfasste
Ballade 'Die Brück' am Tay' dabei beeinflusst zu haben, der ein wirkliches
Ereignis zugrundelag: In Schottland war eine Woche vor der Niederschrift des
Gedichts eine Eisenbahnbrücke im Sturm zusammengebrochen und riss 75
Menschen in den Tod. Diese Ballade muss bei meiner sogenannten
"Phantasieerzählung" Pate gestanden haben, obwohl sie in diesem Jahr nicht
zum Schulstoff gehörte. Vielleicht hatte ich sie einmal im Radio gehört. Von
diesem Stoff aufgeladen – ich konnte ihn doch nicht etwa sogar spontan
erfunden haben? –, beschrieb ich die halbe Stunde VOR dem Unglück. Die
Reisenden werden auf mysteriöse Weise von Angst heimgesucht, die sich bei
einigen, vor allem Kindern, bis zur Panik steigern. Der Zug, von gleich zwei
Dampfloks gezogen, donnert in meiner Horrorgeschichte auf die Brücke zu –
und erst, als die Brücke zusammenkracht, löst sich das Rätsel. Ich hatte es
mit meiner ganzen Halbwüchsigen-Phantasie so spannend wie möglich gemacht,
schrieb mit angehaltenem Atem. Rechtschreibfehler waren mir wie immer keine
unterlaufen; daran lag es nicht, dass mein Heft als Letztes vom
Deutschlehrer übrigbehalten wurde. Er hatte die Hefte der Reihe je nach
Leistungsbeurteilung vorsortiert, mit zwei Sehr gut beginnend. Diesmal, so
schien es, hatte es keine Fünf gegeben. Hammerschmied, so hieß er – er würde
zusätzlich auch unser "Klassenpapa" durch acht Jahre hindurch dann werden –
machte es für mich ungemein spannend, denn ich rechnete fix damit, klar der
Beste zu sein, wenn ich an meinen Feuereifer dachte. Als nach der
Schularbeitsstunde die Pausenglocke geläutet hatte, war punktgenau der
Eisenbahnzug in den Wasserfluten untergetaucht und hatte mein mit größter
Spannung aufgebautes phantastisches Rätsel seine nüchterne Erklärung
gefunden. Wohl nie in der Schulzeit war mir eine Geschichte so sehr
gelungen, das meine ich durchaus noch heute. Mein Heft lag als letztes also
auf dem Tisch, Hammerschmied schlug es auf und sagte: "Hodina – Nicht
genügend. Thema total verfehlt." Mir blieb die Spucke weg, könnte ich sogar
geweint haben? Egal, ich versank wie mein Zug in den Fluten des
Hohngelächters meiner Schulgenossen, die alle ihre Schäfchen ins Trockene
gebracht hatten. Die Häme war unglaublich. "Tand,
Tand / Ist das Gebilde von Menschenhand", heißt es bekanntlich in der
Fontane-Ballade. Mein pubertärer Wurf war in Grund und Boden vernichtet. Der
Deutschlehrer gab eine Definition: Panik könne erst NACH einem Ereignis
eintreten. Dass es ereignislose Panik auch geben könne – der Psychologe
kennt sie bei sogenannten "Panikattacken" – passte nicht ins gediegene
Weltbild des gebürtigen Pinzgauer Bauernsohnes. Dass es parapsychologische
Präkognition, Vorahnung geben könne, noch weniger. Ohne mich seinerzeit
schon mit diesen Phänomenen beschäftigt zu haben, traf ich gleichwohl ins
Schwarze meiner schwarzen Phantastik und fühlte mich im Recht, haderte mit
der Note.
Obwohl mir diese
Fünf den Vorzug verdarb, zeigte sich mir in den darauffolgenden Jahren jener
Lehrer sehr gewogen: Ich hatte von da an immer Sehr gut. Er ließ mich meine
Aufsätze vor der sich meist langweilenden Klasse vorlesen, diese Aufsätze –
manchmal waren es politische Reden, denn wir schrieben in der Oberstufe fast
nur mehr sogenannte "Problemaufsätze" – wurden auch immer länger, so wurden
schon jedes Mal 20 Minuten der Unterrichtszeit totgeschlagen und der Lehrer
konnte seine Stimme schonen, bekam trotzdem dafür bezahlt. Er hat es
zugelassen, dass ich immer mehr zu einer Art Kanzelprediger wurde. Ich
beschloss, gleich nach bestandener Matura Politiker zu werden. Ein paar
Gedichte schrieb ich für mich auch und improvisierte auf dem Klavier, doch
das war Ausdruck einer vor mich hinwallenden, im humanistischen Gymnasium
hochgezüchteten idealen Verliebtheit in schöne Jungen von
klassisch-griechischer Gestalt, deren Held ich sein wollte, sie aber waren
mein Augenstern.
Hören wir Stefan
Zweig von einem seltsamen Jüngling berichten: "Er sah immer aus wie
nach einer dreißigstündigen Eisenbahnfahrt, schmutzig, ermüdet, zerknittert,
ging schief und verlegen herum, sich gleichsam an eine unsichtbare Wand
drückend, und der Mund unter dem dünnen Schnurrbärtchen quälte sich
irgendwie schief herab. Seine Augen (erzählten mir später die Freunde)
sollen schön gewesen sein: ich habe sie nie gesehen, denn er blickte immer
an einem vorbei (auch als ich ihn sprach, fühlte ich sie keine Sekunde lang
mir zugewandt): all dies verstand ich erst später aus dem gereizten
Minderwertigkeitsempfinden, dem russischen Verbrechergefühl des
Selbstgepeinigten."(10) Der hier mit gekonnten Strichen gezeichnet wird, ist
übrigens nicht der junge, in Wien unstet vagabundierende verkannte "Kunstmaler" Hitler, sondern der Verfasser von
'Geschlecht und Charakter',
Otto Weininger, der sich nach Fertigstellung dieses Wälzers in der Wiener
Schwarzspanierstraße 15, dem Sterbehaus Beethovens, in das er sich für diese
Tat einquartierte, in der Nacht auf den 4. Oktober 1903 eine Kugel ins Herz
schoss. Freud hatte zuvor das Werk des erst 23-Jährigen scharf kritisiert.
Trotzdem sollte der Wälzer schließlich 39 Auflagen erleben und somit ein
umstrittenes Kultbuch werden.
Ich erwähne das
so ausführlich, weil auch ich gleich zu Studienbeginn ein eifriger Leser
Weiningers geworden war. Und weil ich in meinem scheuen Auftreten jenem
jungen Manne etwas glich. Um meine frühen Lebenszwanziger ereignen sich
trommelfeuerartige Troubadix-Erfahrungen. Ich muss in diesen Jahren direkt
unter einem Unstern gestanden haben. Einmal brachte ich im Kleinen Theater
in Salzburg das gesamte Publikum gegen mich auf, als ich es wagte, bei einem
Benefiz-Abend, als eine Band für Amnesty International spielte und ich eine
Auswahl von fremden Texten hätte lesen sollen, eigene Gedichte zusätzlich
auch noch zu lesen mich erkühnte. Die scheinbar altmodische Machart dieser
Gedichte lief der damals noch grassierenden Frankfurter Ästhetik zuwider. Im
Nachhinein ist es kaum mehr nachzuvollziehen und aus heutiger Sicht fast
schon wieder nostalgisch, wie stark ein solches, vorwiegend studentisches
Publikum dazumal mit Adorno und Walter Benjamin, mit Marx und Brecht
aufgeladen war. Es waren sicher an die 80 Leute, die mich ausbuhten, weil
ich darauf beharrte, das eine oder andere Gedicht von mir selber
vorzutragen, von denen manche 30 Jahre später in meinem Lyrikband
'Sternschnuppen über Hyrkanien' doch noch erschienen sind. Ich ließ mich
sogar auch noch auf eine Publikumsbeschimpfung ein. Als die hagere,
untergewichtige Vogelscheuche in dunkelbraunem Samtsakko, mit stechendem
Blick bei viel dunklerem Auge als heute und fast mit Pilzfrisur. Ich hörte
von allen Seiten die Ausrufe: "Blamage! Blamage!" Nicht einer trat auf meine
Seite. Am nächsten Tag laborierte ich auch noch zusätzlich an einer Angina,
war ich doch schon zuvor an besagtem Theaterabend fiebrig und nicht nur
lampenfiebrig gewesen.
Wenig später
wiederholte sich "Troubadix". Diesmal im nobelsten Grandhotel der Stadt: dem
Österreichischen Hof (dem heutigen Hotel Sacher), in dem sich übrigens
ziemlich genau vier Jahre vorher Jean Améry selbstgetötet hatte. Ich war von
der Schauspielerin Barbara Rütting dem sogenannten "Zonta-Club", einer
Damenrunde von Gemahlinnen hochmögender Angehöriger des Rotary-Clubs,
empfohlen worden, um über Bertha von Suttner zu referieren. Da ich den
Aufstieg der Grünen prophezeite, ja wohl sogar die kommende Revolution,
hatte ich alle diese Dirndlträgerinnen in kürzester Zeit geschlossen gegen
mich aufgebracht. Es war eine beherzte Ansprache, die ich hielt. Sogar einen
neuen Anzug hatte ich mir im Kaufhaus Forum unter Aufbietung meiner gesamten
Ersparnisse gekauft. Zusätzlich hätte das Essen im Hotel für mich damals
unglaubliche 2.000 Schilling gekostet. Der Geschäftsführer des Hauses war
auch anwesend, Abkömmling des französischen Hochadels, Träger eines durch
Jahrhunderte berühmten Namens, der mich gleich nach dem Vortrag coram
publico vorführte, als minderklassigen "Sohn einer Volksschullehrerin", um
nämlich eine der anwesenden älteren Damen, die selber Volksschullehrerin und
später ÖVP-Stadträtin von Salzburg war, die Künstlergattin Martha Weiser,
damit zu kränken. Ich war lediglich willkommenes Mittel zu diesem üblen
Zweck. Die Dirndlträgerinnen, die ihren Clubabend hauptsächlich dazu
gebrauchten, um sich, falls vorhanden, gegenseitig mit ihren in Österreich
seit 1919 abgeschafften Adelstiteln anzureden, waren enttäuscht, einen
derart jungen Mann vor sich zu haben, der ebenso verlegen wie
fanatisch-radikalpazifistisch war und der das Silberbesteck ungelenk
handhabte sowie – was gar nicht ging – Bier bestellte, worauf der Kellner
wirklich Stress bekam und errötete. Ich konnte ganz einfach die Namen der
französischen Weine nicht aussprechen: deshalb Bier! Keine einzige jener
vertrockneten, standesbedachten Damen fand ein nettes Wort für mich. Ich
nahm den Eindruck mit, vor "toten Seelen" geredet zu haben und war früh,
vielleicht zu früh an die Grenze meines Talents gestoßen, Überschwang, wie
ich erhoffte, in ihnen erzeugen zu können. Alleine ging ich über die
Altstadtplätze nachts nach Hause, erledigt, vor den Kopf geschlagen.
Von meinen
späteren Troubadix-Erfahrungen erwähne ich noch eine allerletzte: Im
Frühjahr 1998 hatte ich im Berliner "Tränenpalast" eine abends sehr spät
angesetzte Gruppenlesung mit teilweise bekannten Berliner literarischen
Größen, und es herrschte eine aufgeheizte, aggressive Stimmung im Saal; eine
Kollegin aus Österreich las ihre Gedichte vor und Rufe aus dem Publikum
unterbrachen sie mehrmals sexistisch mit der Aufforderung "Ausziehen!
Ausziehen!" Als ich an der Reihe war, hatte ich sogleich heftigen Gegenwind,
nach 20 Minuten wollte eine Kreuzberger Szenegröße mich sogar mit physischer
Gewalt von der Bühne herunterstoßen, dabei kaum verständliches Zeug
hervorbrabbelnd, das auf ausländerfeindliche Weise gegen ÖsterreicherInnen
als solche gerichtet war. "Es reicht uns euer Hitler und euer Freud!
Schleicht euch!" Als dieser besoffene Rüpel, der übrigens den Nach- oder
Künstlernamen HASS trug, mich angefasst hatte, nahm doch ein Teil des
Publikums nun plötzlich für mich Partei und es gelang mir so, das gegen mich
zunächst feindselig gewesene Auditorium zu DREHEN. Am Ende gab es doch noch
einen langen Applaus. Der schließlich GEDREHTE TROUBADIX also als
Spezialform einer Troubadix-Erfahrung.
Dies waren ein
paar meiner Troubadix-Erfahrungen. Es hat aber auch schönere oder zumindest
gemischtere ANDERE Erfahrungen gegeben. Damals jedoch als junger Mann oder
junger Affe hätte ich allerdringendst Zuspruch gebraucht. Lange Jahre
unnötiger Scham standen mir noch bevor. Wie gerne wäre ich rückblickend ein
dankbarer Mensch! Dr. Samuel Johnson hatte solches Glück, hatte ganz einfach
Glück, zumal er über einen Gönner, Warburton, sagen konnte: "Er erkannte
mich an, zu einer Zeit, als Anerkennung für mich von Wert war."
XI.
Stehengebliebene Uhren
Ein Autorkollege
– eben der eingangs Erwähnte, auch ein, wenngleich als solcher kleinerer
"Idiot der Familie" – sagte zu mir neulich, bei ihm sei mit etwa 15 seine
Lebensuhr stehengeblieben. Die weiteren 40 Jahre hätten ihn nicht mehr aus
diesem Loch herausreißen können. Bei mir waren es zehn Jahre mehr: Ich hatte
lange den Eindruck, dass bei mir mit 25 besagte Uhr stehengeblieben wäre.
Ein Shifting zurück sei möglich. Der Kollege gebrauchte das Wort
"Regression". Einige Zeit hatte ich sogar das Gefühl, immer Geschichten aus
der Kinderwagenperspektive schreiben zu müssen, was ich aber gänzlich
abgelegt habe. Wir sind immer auch die Opfer der Theorien, die wir uns für
unser Leben zurechtgelegt haben
– das ist ein Tribut an das
"Allgemeine".
Wir legen gängige Theorien, hier psychoanalytische oder
vulgär-psychoanalytische ans eigene Leben an, wie der Regressionsbegriff
zeigt. Stehengeblieben zu sein mit 15 oder 25 wurde mit entsprechenden
Traumata von uns beiden in Beziehung gesetzt. Aber ich will eine andere
Theorie versuchen – eine Ad-hoc-Theorie. Was wir
"Trauma" nennen, bedeutet,
eine datierbare Ohnmachtserfahrung
– und zwar eine gravierende
Ohnmachtserfahrung – erlebt zu haben. An die Grenze eines Kontrollverlusts
geraten zu sein, dabei vielleicht aber die Kontrolle behalten zu haben um
den Preis selbstunterdrückter Aggression
– dieses als Niederlage erlebt zu
haben, woran dann abzuarbeitende Scham klebt, die aber einmal annihiliert
sein wird, jedoch sehr viel Energie kostete. In eine Situation damals
geraten zu sein, die insofern offen war, als unsere Mittel nicht mehr
zureichten, ihrer Herr zu werden. Dass sich später dann scheinbar "nichts"
mehr ereignete, was als Ereignis vermerkt werden kann, ist die Konsequenz
des "gebrannten Kindes, das das Feuer scheut", um bestimmte scheußliche
Erfahrungen kein zweites Mal mehr machen zu müssen. Was wir als "Trauma"
bezeichnen, war die letzte diesbezüglich offene Situation. Das vermeintliche
Nicht-mehr-Erleben – eine optische Täuschung in Bezug auf den eigenen
Lebenslauf – ist die Folge fortan selbstbeherrschten und mögliche Feinde von
weitem erschnuppernden Verhaltens. Ein Literaturwissenschaftler-Freund
schrieb kürzlich, ein Schwein brauche einen Reibebaum – aber auch eine
Suhle. Fehle dem Schwein der Reibebaum, würde es verrückt, also richtungslos
werden. Das Nicht-mehr-Ereignen ist die Ausschließlichkeit der Suhle der
Gewohnheit, in der man es sich eingerichtet hat. Ob nun traumatisch oder
nicht, handelte es sich bei jenen Situationen noch um lebendige, flüssige,
offene. Es gälte, Stufen in die spätere Watte hineinzuschlagen, Ereignisse,
auch abschlägige, zu provozieren, um den verfahrenen Karren abermals in
Bewegung zu bringen.
Ich möchte mit
Raimund Bahrs weisem Satz schließen:
"vielleicht ist
das eine der wichtigsten troubadixerfahrungen die ein künstler machen kann:
missverständnisse auszuhalten".
Anmerkungen
(7)
Helmut Heißenbüttel: Projekt Nr. 1. D'Alemberts Ende, Frankfurt a.M.(
u.a).: Ullstein, 1981, S. 69.
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