Über die Aurora

Aktuelle Ausgabe

Frühere Ausgaben

Suche

   Schwerpunkte    Theater     Kulturphilosophie     Belletristik      Literatur     Film     Forschung    Atelier     Musik  

......
Der angebliche Mangel an Sein oder
...
Eine gewisse Munterkeit im Schritt
...

Die "Arbeit am Menschen" ist mir verdächtig; warum reicht nicht einfach Arbeit?
Also man arbeite, lerne, dann schließlich wage man sich einmal doch hervor … Und das
Werk mag ankommen, mag nicht ankommen, mag kaum ankommen, es mag auch die Zeit
dafür noch nicht reif sein, doch: man hat etwas getan. Und bilde man sich nur nicht ein,
zuerst vollkommen werden zu müssen, bevor man etwas schaffen dürfe.

Von Peter Hodina
(08. 09. 2010)

...




(c) Reinhard Winkler

Peter Hodina
peterhodina [at] hotmail.com

geboren 1963 in Salzburg.
Studium der Theologie, Philo-
sophie, Politikwissenschaft
und Publizistik in Salzburg.
Lebt und arbeitet als freier
Autor in Gallneukirchen
(Österreich) und Berlin.

Preise
Harder Literaturpreis
(2000). Förderpreis der
Rauriser Literaturtage (2004).

Veröffentlichungen
Die Meuterei der Lemminge
,
Essay (Hecht-Druck, 2001).

Homepage
Peter Hodina

 

 

 

 

Die ewige Lektüre, so
sie uns nicht wirklich zu
einem stärkeren Leben
verhilft, kann selbst
Bestandteil des Gesamt-
quälerischen sein. In
bestimmten Lebens-
abschnitten ist es Gift,
sich etwa Buddha
zu widmen.

 

 

 

 

 

 

 

Andererseits kommt ein
SEIN noch nicht unbedingt
dann zustande, wenn wir
lediglich Werk an Werk
reihen, wenn wir zum
Fließband unserer
eigenen Produktion
werden.

 

 

 

 

 

 

"Kritisiert meinetwegen
dieses Buch – Hauptsache,
das nächste wird besser!"
(Jean Paul Sartre)

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein ewig devotes und
zugleich übermütiges,
überhebliches Studentchen:
dieses Kennzeichen einer
Unreife und Unsicherheit,
nämlich unterwürfig und
überheblich zu sein,
abwechselnd himmelhoch
jauchzend, zu Tode betrübt,
das ist geradezu die
Formel des Sich-noch-
nicht-gewonnen-Habens.
 

 

 

 

 

 

 

 

Lernen wir lieber daher
auf eigene Faust! Die Bücher
stehen uns ja offen; wenn
keine Lehrer uns zuträglich
sind, dann halten wir uns
an die Bücher – oder an
uns selber. Oder an die
Natur. Werden wir unsere
eigenen Lehrer!

 

 

 

 

 

 

 

 

Und dann sagt der Schau-
spiellehrer: "Ich sehe
nichts … Wie lange soll
ich noch warten? Na?!
Wird´s? – Nein, untalentiert.
Der Nächste bitte!"

 

 

 

 

 

 

 

Es sollen einige daran
zugrunde gegangen sein,
dass man ihnen sagte, sie
hätten "zuwenig Sein". Ihr
Verhängnis war, dass sie
glaubten, dass es so
etwas überhaupt gäbe.

 

 

 

 

 

 

 

 

"Aber die jungen Männer
liebten mich, ohne dass
sie den Mut hatten, es
auszusprechen und, da
sie nichts sagten, hörte ich
oft in der Stille des Augen-
blicks ihre Herzen schlagen."

   Wenn dir jemand sagt, deine Herkunft sei zu gering, dann antworte (und antworte auch dir): "Irgendwann muss man sich selber sein eigener Vater werden." Die Herkunft ist nur der Zubringer, etwa der Bus, zur Felswand – klettern musst du nun selber. Einem Kletterer, der sich tapfer dem Gipfel bereits nähert, nun vorzuwerfen, er sei ja "nur" mit dem Bus oder "nur" zu Fuß angekommen statt mit dem Privatjet oder Heli, ist lächerlich, kommt als "Einwand" gegen den Wandbezwinger ja gar nicht in Betracht. So verhält es sich beim Denker auch irgendwann einmal mit der Frage nach seiner "Herkunft": ob er nun zu Fuß, mit Bus oder Bahn oder mit dem Privatjet ankam. Oder – so hätten es manche Sonnenkinder am liebsten – am besten gleich vom Himmel gefallen. Sollen diese zusehen, nicht von der Wand zu fallen!

Mit mentaler Arbeit ist es durchaus möglich, ja wäre es unter Umständen ein Leichtes, sich über innerlich Annagendes hinwegzusetzen. Auf einmal, etwa nach einer ausgiebigen Nietzsche-Lektüre, sind "Probleme", die einen monatelang deprimierten, in ihrer relativen Nichtigkeit erledigt. Zugleich erschrickt man, wie der seelische Unrat einen schon wieder überschwemmt hatte, ohne dass man es so recht merkte oder eine Kur dagegen anpackte. – Vielleicht erklärt sich die LESESUCHT auch daraus, dass alle diese Lektüren als Antidota noch nicht genug anschlagen, dass es eines kräftigeren Trunkes bedarf, um endlich über das innerlich Quälende sich hinwegzusetzen und in ein gutes, beständig produktives Fahrwasser zu kommen. Die ewige Lektüre, so sie uns nicht wirklich zu einem stärkeren Leben verhilft, kann selbst Bestandteil des Gesamtquälerischen sein. In bestimmten Lebensabschnitten ist es Gift, sich etwa Buddha zu widmen, um die Last der Welt zu relativieren: das Abtun der einen bedrückenden Welt als "Maya" kann ja auch ein Mittel sein, selber sich – vermeintlich – zu kräftigen. Also doch, wie Nietzsche sagte, ist hier der "Wille zur Macht" untergründig wirksam.

   Wir sollten nicht, wenn uns das Widrige förmlich entgegenschlägt und uns die alltäglichsten Dinge quälen, uns davon deprimieren lassen, sondern es als Anzeichen dessen werten, dass nun der ANSTIEG beginnt; es wird auf einmal steil, wir seufzen und stöhnen, möchten eine Weile zurückfallen, ins Bett zurück, in die Betäubung, in die Abwesenheit zum Schmerzenden, an irgendeine Mutterbrust oder an einen uns als Nachen unserer Träumereien dienenden soliden, sommersprossigen Freundesnacken oder uns unter eine Achsel flüchtend, als kleines sich zusammenrollendes Kätzchen (das wir ja nicht sind – machen wir uns solches nicht länger vor!); sich in die Illusion zu wiegen, ohne irgendeine Leistung "gut" zu sein, ein "nettes Wesen" zu haben, die Augen davor zuzudrücken, dass das nur ein schöner Glaube, nur ein Wiegenlied ist, das wir uns, obwohl erwachsen, selber summen.

"Am SEIN zuerst arbeiten, an SICH arbeiten …" – warum nicht eher an unseren WERKEN? Das SEIN wird sich daraus schon ergeben: als Glücks-Schimmern, das vom Smaragd der Werke abstrahlt.

Zumindest ist es ein praktisch-dialektisches Verhältnis zwischen SEIN und WIRKEN. – Andererseits, soviel sei den Freunden des SEINS konzediert, kommt ein SEIN noch nicht unbedingt dann zustande, wenn wir lediglich Werk an Werk reihen, wenn wir zum Fließband unserer eigenen Produktion werden. Es hat das mit dem SEIN schon eine gewisse Richtigkeit; aber dem SEIN kann durch Werke nachgeholfen werden. Es ist ein Parallelgedanke zu der alten lutherischen Debatte der sogenannten "Werkgerechtigkeit"; Luthers Antwort war bekanntlich einseitig: gnadenhalber sind wir, sind wir gerechtfertigt. Doch es ist ja auch ein dialektisches In- und Nacheinander denkbar – rein praktisch betrachtet: das Glücksgefühl, wenn wir etwas geleistet haben, das auch uns selber zufriedenstellt, ist der Schimmer der "Gnade". So wie man von einem großen Künstler manchmal sagt, er sei "begnadet". Das bedeutet nicht, dass er nicht gearbeitet hätte.

   Doch, ich finde, VÖLLIG verkehrt wäre es, in sein SEIN (was ist das überhaupt?) hineinzustarren, als käme erst DARAUS das Recht zu eigenen Werken … Oder darauf zu warten, es förmlich zu ERKRIECHEN, dass irgend so ein angeblicher "Meister des Seins" uns die "Erlaubnis" gibt, nun, da wir Seins genug sind (das bestimmt er, der Meister des Seins; nach welchen Kriterien? – und er hält uns hin, bis wir alt werden …), zu schaffen. Die "Arbeit am Menschen" ist mir daher verdächtig; warum reicht nicht einfach Arbeit? – Also man arbeite, lerne (auch vor allem selbst, autodidaktisch, probiere, wähle, verwerfe – wiederum selber –), lerne von jemandem "etwas ab", um diesen guten Ausdruck, den auch Nietzsche verwendet, zu gebrauchen (und wären es Gemälde alter Meister im Louvre), dann schließlich wage man sich einmal doch hervor … Und das Werk mag ankommen, mag nicht ankommen, mag kaum ankommen, es mag auch die Zeit dafür noch nicht reif sein, genug: man hat etwas getan. Und bilde man sich nur nicht ein, ZUERST vollkommen werden zu müssen, bevor man etwas schaffen dürfe. Mit Sartre es diesbezüglich halten, der zu seinen Kritikern sagte: "Kritisiert meinetwegen dieses Buch – Hauptsache, das nächste wird besser!"

Man muss nicht alles SOFORT können – oder ZUVOR alles können wollen, bevor man "überhaupt dürfe", sondern eine gewisse Munterkeit im Schritt sei doch schließlich erlaubt. Dir übrigens von dir selbst erlaubt. Wie auch eine Studienzeit limitiert auf vier, fünf, vielleicht sechs Jahre ist und nicht in alle Ewigkeit fortgesetzt werden sollte: zumindest auf einem anderen Niveau muss man sie fortsetzen, nicht mehr auf dem des Studenten. "Studieren" muss man sein ganzes Leben, wir haben niemals, solange wir leben, ausgelernt, Lernen IST gewissermaßen LEBEN und Leben ist Lernen. Aber nicht mehr als ewig devotes und ZUGLEICH übermütiges, überhebliches Studentchen: dieses Kennzeichen einer Unreife und Unsicherheit, nämlich unterwürfig UND überheblich zu sein, abwechselnd himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt, das ist geradezu die Formel des Sich-noch-nicht-gewonnen-Habens, wie sie den (auch den begabten) Studierenden meist charakterisiert.

   "Mit 'SEIN' meine ich: ihr müsset zuerst große Ficker und kulinarische Feinspitze werden, Hobbyhaubenköche und Galane, bevor ihr etwas, außer banalerweise Kinder, in die Welt setzen dürftet …", so spricht der uns verhindernde UND verführen wollende "Meister" – der "Lehr- und Lebemeister". Und dann sagt er auch noch die alte Banalität (ein Zahnrädchen steckt obendrein am Revers seines Jacketts): "Zuerst muss der Mensch gehorchen, bevor er befehlen darf." Und da wir immer noch nicht zu begreifen scheinen, brüllt er uns ins Gesicht (sein Atem stinkt, das merken wir erst jetzt): "Leben heißt abgetötet werden! Wir alle wurden nicht, was wir einst werden wollten." Soviel dieser "allseitige" Mensch auch kann, er kann nichts ganz – er ist lediglich doch nur ein Bourgeois, der auf "Adel" macht. Er ist auch in seinem Fach dann nicht auf der Höhe (er bedarf des Bluffs, des Anschnauzens, ihm fehlt der generöse Luxus des Weisen, ja er ist alles, nur eben kein Philosoph – auch wenn "Philosoph" sein ausgewiesener Beruf ist). Lernen wir lieber daher auf eigene Faust! Die Bücher stehen uns ja offen; wenn keine Lehrer uns zuträglich sind, dann halten wir uns an die Bücher – oder an uns selber. Oder an die Natur. Werden wir unsere eigenen Lehrer!

Andererseits: der SCHNEE-LEOPARD hat doch ein Sein!

Doch wenn dir jemand (etwa ein Schauspiel-Lehrer, oder eine Geliebte deiner Jugendjahre) zuruft: "SEI! SEI endlich!", was sollst du dann tun, was kannst du in einer solchen Situation dann tun?

Zu einem 60 Kilo schweren Mann sagt jemand: "SEI 80 Kilo, auf der Stelle!" Wie soll er das machen? Soll er sich aufblähen? Sich in sich zusammendrücken, um auf diese Weise "sich schwer zu machen"?

"SEI!" (als Aufforderung) bedeutet: gehe aus dir heraus, VERKÖRPERE dich, ERSCHEINE!" Gerufen, wie zu einem Geist: "Erscheine!" Komm' aus deiner Ecke heraus, zeige dich!

Und dann sagt der Schauspiellehrer (vielleicht an Stanislawskij geschult): "Ich sehe nichts … Wie lange soll ich noch warten? Na?! Wird´s? – Nein, untalentiert. Der Nächste bitte!" (Und dann sind wir vor den Kopf geschlagen.)

Dabei ist, nach Nietzsche auch, das SEIN des Schauspielers ein prekäres. Unsicheres. Mediales! Ja, es kann bei ihm (an uns allen, mehr oder weniger?) sogar von einem "Mangel an Sein" gesprochen werden. Und dieses soll dann auf der Stelle, in Anbetracht einer Rolle, herausgezogen werden – aus jenem Nichts.

   Es sollen einige daran zugrunde gegangen sein, dass man ihnen sagte, sie hätten "zuwenig Sein". Ihr Verhängnis war, dass sie glaubten, dass es so etwas überhaupt gäbe. Dass es eine AUTORITÄT diesbezüglich gäbe. Dass vom Spruch dieser Autorität ihr Wert, ihr Sinn abhinge. Sie schnappten danach, vergeblich, sie schnappten danach, das ihnen abgesprochene Sein wurde vor ihren aufschnappenden Mäulern immer höher gehängt, wie man "den Brotkorb höher hängt" – und dann hatte man sie. Sie waren darauf dressiert, ziemlich schnell, von einem SEINSGEBER abzuhängen: und er, der sich einen "begnadeten Lehrer" schimpft, hielt jenen SEINSKORB, in dem nichts war, immer höher. Nein, sie schnappten von selbst, sie schnappten nach Luft … Sprangen hoch, schnappten, sprangen hoch, schnappten – und konnten sich nie erringen. – Was war das für ein Lehrer?! – Er sei verworfen! (Und trotzdem springen diese noch immer hoch.)

Es gibt zumindest eine Ausnahme, will mir scheinen (es mag etwas romantisch klingen): der Mut zur LIEBESERKLÄRUNG! Hier musst du aus dir heraustreten, oder wenn wir so sagen wollen: zu deinem Sein kommen. Dein Sein in die Waagschale werfen. Sonst hast du deine Chance verloren. Wie die junge hübsche Wanderschauspielerin in Jules Boissières Opiumraucher sagt: "Aber die jungen Männer liebten mich, ohne dass sie den Mut hatten, es auszusprechen und, da sie nichts sagten, hörte ich oft in der Stille des Augenblicks ihre Herzen schlagen." Keiner nahm es auf sich, ihrem Wander- und Abenteuerleben, das mit Armut und Unstete verbunden war, zu folgen: "enttäuscht von den Beschwerden, die sie für die Liebe auf sich nehmen müssten, abgeschreckt von meinem Traum und verzehrt, weil sie mich nur leicht berührt hatten, wieherten sie nach dem ehrbaren heimischen Stall, wo ihre Familien friedlich und satt verdauten!"

Ausdrucken?

....



Zurück zur Übersicht