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Journalistische Panik
...

Es ist in vielen Teilen der Welt nicht mehr möglich, gänzlich uninformiert zu sein. Die Nachrichten
drängen sich ins Sein. Die Abschottung dagegen funktioniert nicht mehr.

Von Daniela Ingruber
(05. 08. 2007)

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Daniela Ingruber
daniela.ingruber [at] gruene.at

geboren 1966 in Lienz,
ist Politik- und Theaterwissen-
senschaftlerin. Ihre Publika-
tions- und Forschungsschwer-
punkte sind Kriegsforschung,
Neue Medien und Entwick-
lungspolitik. Sie ist als Chef-
redakteurin des planet°-
zeitung der grünen bildungs-
werkstatt tätig, als Lektorin
an verschiedenen Univer-
sitäten und als Mitarbeiterin
der Diagonale - österreichi-
sches Filmfestival.

Homepage
www.nomadin.at

 

 

 

 

Nicht der eine Artikel oder
der eine Text verändert
Bewusstsein. Es ist die
Summe von Bemerkungen,
oft nur zwischen den Zeilen.

 

 

 

 

 

 

 

Die Inszenierung ist Part
dessen, was dem Publikum
vermittelt wird.

 

 

 

 

 

 

Sprache ist nach wie vor
von Marginalisierung und
Gewalt durchsetzt – nicht
zuletzt auch in Zeitungen.

 

 

 

 

 

 

Panik ist das einzige
Gefühl, das uns noch
geblieben ist.

 

 

 

 

 

 

Im dreistesten Fall vermittelt
sich die Information als
sogenanntes Infotainment:
Nachrichten und ihr
Spaßfaktor?

 

 

 

 

 

 

 

"Die wahre Bestimmung
einer Zeitschrift ist, den
Geist ihrer Epoche zu
bekunden."

 

 

 

 

 

 

 

Ausgerechnet die Medien
helfen mit, dem Terrorismus
jene Plattform zu geben,
ohne die er in seiner Bedeu-
tung der Schreckensver-
mittlung nicht möglich wäre.

 

 

 

 

 

 

Was bedeutet die große
Erzählung der Wahrheit
heute noch? Ihre Daseins-
berechtigung hat sie
längst verloren.

 

 

 

 

 

 

 

Ein Teil der Bevölkerung
wird mehr wollen, als nur
informiert zu werden.

 

 

 

 

 

 

 

Den LeserInnen ist es
zumutbar, dass sie mehr
erfahren, als die sogenannte
Wahrheit nur einer Seite.

 

 

 

 

 

 

Die zunehmende Anbindung
an die inzwischen gar nicht
mehr so neuen Medien
schafft für Printmedien
einiges an längerfristigen
Problemen.

 

 

 

 

 

 

 

Rasche Information im
Internet, Hintergründe und
Kommentare in den
Printmedien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

   Ulla Berkéwicz hat in ihrem vielbeachteten Essay Vielleicht werden wir ja verrückt Folgendes geschrieben: "Zynismus hält am Leben, paart sich mit Spießigkeit, wirft Fratzen".(1)

Im Gegensatz zur Ironie, einer Waffe mit zarter Klinge, die liebevoll und doch mit Humor mit den Menschen umgeht, die auf etwas hinweisen möchte, ohne eine einzige Wahrheit zur Kategorie zu erheben, bedient sich der Zynismus einer Form der sprachlichen Gewalt. Er lässt kein wenn, kein aber zu, setzt absolut und tut dies zudem mit beabsichtigtem Hochmut. Die Inszenierung dabei beinhaltet den Schmerz, der jenen zugefügt wird, die sich angesprochen fühlen oder es sollten. Widerspruch wird ausgeschaltet, da allein der Versuch des Sich-Wehrens der Lächerlichkeit preisgegeben ist.

Die Spießigkeit hinter dem Zynismus

   Die angesprochene Spießigkeit, die hinter dem (nicht nur) in den Medien kolportierten Zynismus liegt, ist die Blindheit gegenüber dem anderen; der anderen Meinung, der anderen Sichtweise, der anderen Gegebenheiten und der anderen Bedürfnisse.

Die Tücke liegt in den Informationslücken. Etwas zu vermitteln, bloß anzureißen oder ganz wegzulassen, ist Teil des Machtinstrumentes, das JournalistInnen und ebenso WissenschaftlerInnen sowie all jene, die, in welchem Zusammenhang auch immer, öffentlich zugängliche Texte verfassen in der Hand halten. Umso gefährlicher wird diese Macht, dann wohl eher Waffe zu nennen, wenn eine Aussage nicht als persönliche Meinung gekennzeichnet ist und vorgibt, "Wahrheit" zu vermitteln. Der Weg zur Manipulation ist dann ein kleiner.

Und die politische Bildung? Jeder Kommentar, jeder Bericht, jeder Artikel kann politische Bildung vermitteln. Dazu braucht es nicht zwangsweise ein politisches Thema. Darüber, wann etwas politische Bildung sei, ist gerade im journalistischen Bereich nicht einmal annähernd zu urteilen. Die Grenzen verschwimmen. Sichtbar sind hingegen die Folgen: nicht der eine Artikel oder der eine Text verändert Bewusstsein. Es ist die Summe von Bemerkungen, oft nur zwischen den Zeilen; die Gesamtheit von Text- und Themenzusammenstellungen; nicht zuletzt die Frage, ob zwei Artikel zum selben Thema mit unterschiedlicher Positionierung möglich sind.

   Es handelt sich um nichts Anderes als um die Haltung, die hinter all dem steckt, was in seiner Gesamtheit zu einer Zeitung, einer Zeitschrift, einer Sendereihe wird. Demgemäß stellt sich für den Journalismus stets aufs Neue die Frage nach Desinformation oder politischer Bildung wobei in diesem Zusammenhang politische Bildung als annähernd objektive Aufklärung ohne Ausblendung des Gegenübers gemeint sei.

Auch JournalistInnen haben Einstellungen und Vorstellungen, die sie vermitteln möchten. Diese aus dem Beruflichen weitgehend rauszuhalten und doch nicht bloß Unwesentliches zu beschreiben, ist eines der Kunststücke, die den verknappten Unterschied zwischen reiner Berichterstattung, Desinformation und Vermittlung im Sinne einer Aufklärung nennen wir es also doch politische Bildung ausmacht. Das In-Bezug-Setzen der jeweiligen Ereignisse scheint hierbei die wesentliche Aufgabe zu sein. Nicht allein die Themenwahl ist entscheidend. Mehr noch liegt an der Gestaltung der Annäherung an das jeweilige Gebiet. Die Inszenierung ist Part dessen, was dem Publikum vermittelt wird. Vor Jahren noch diskutiert, in letzter Zeit wieder etwas in die Vergessenheit zurückgedrängt, ist in diesem Zusammenhang die Bedeutung von Sprache.

   Die Wortwahl, nicht nur die Argumentationswahl, trifft die Entscheidung, was den LeserInnen vermittelt wird und wie diese damit umgehen (können). Manch feministisches Anliegen zur Sprachgestaltung mag sich teilweise durchgesetzt haben, Sprache ist aber nach wie vor von Marginalisierung und Gewalt durchsetzt nicht zuletzt auch in Zeitungen.

Dass es auf den ersten Blick nicht mehr auffällt, kann nicht als Gegenargument zugezogen werden. Zuweilen liegt die Gewalt in nicht weniger als einer zynischen Beschreibung. Der Zynismus als gängige Kategorie des Kommentars hat sich als vermeintlich humoristisch und "lebendig" durchgesetzt. Er wird stets von Arroganz begleitet. Dahinter steckt nichts anderes als Panik; und Ratlosigkeit. Ulla Berkéwicz spricht in diesem Zusammenhang von Panik als dem einzigen Gefühl, das uns noch geblieben ist. Die Frage nach dem "wir", eine der wesentlichen Fragen in der politischen Bidlung, lässt sie zu Recht unbeantwortet, da es offensichtlich ist, dass die Medienwelt verschiedene "wir" besitzt und ausnahmslos alle gemeint sind, wenn es um die Angst geht, die das ausdrückt, was es bedeutet, stets und ständig den Themen der Medien ausgeliefert zu sein.

Keine Rückzugsmöglichkeiten mehr

   Flucht vor den Nachrichten? Ausgeschlossen.
Es ist in vielen Teilen der Welt nicht mehr möglich, gänzlich uninformiert zu sein. Die Nachrichten drängen sich ins Sein. Die Abschottung dagegen funktioniert nicht mehr. Auch darin liegt der Zynismus
diesmal gegenüber dem Leben als Einmischung. Das Wegschauen führt lediglich zum Schlecht-informiert-Sein, nicht aber zur Freiheit vor den beschlossenen und aufgedrängten Themen.

Im dreistesten Fall vermittelt sich die Information als sogenanntes Infotainment: Nachrichten und ihr Spaßfaktor? Zumindest ihr Unterhaltungswert. Nirgendwo sonst deckt sich der Unterschied zwischen Information und Wissensvermittlung deutlicher selbst auf. Ansatzweise könnte an diesem Punkt die Grenze des Journalismus hin zur politischen Bildung gesetzt werden; nicht dass das eine das andere ausschließe, sondern im Sinne einer Verbindung.

   Politischer Journalismus sollte nicht mit politisch bildendem Journalismus verwechselt werden. Wie nicht alles Politische eine solche Bildung in sich trägt, kann Journalismus nicht in jedem Fall zur politischen Bildung beitragen. Dessen ungeachtet ist Journalismus ein mächtiges Werkzeug. Walter Benjamin sah das sehr konkret:

"Die wahre Bestimmung einer Zeitschrift ist, den Geist ihrer Epoche zu bekunden. (...) In der Tat: eine Zeitschrift, deren Aktualität ohne historischen Anspruch ist, besteht zu Unrecht."(2)

Die sich aufdrängende Assoziation mit der Brille der Aktualität: Die Themen Terrorismus, Sicherheit und Krieg. Kaum eine Zeitung weicht dem Thema Terrorismus aus. Es ist leicht zu erraten, dass MedienvertreterInnen meinen, die Inszenierung rund um das Thema zu benötigen. Kaum etwas steigert die Auflage so sehr wie die vermeintliche Entdeckung einer sogenannten Wahrheit und noch besser, wenn es sich um eine Wahrheit rund um Terrorismus handelt, denn in diesem Fall ist für die dramatische Inszenierung gleich mitgesorgt. So helfen ausgerechnet die Medien mit, dem Terrorismus jene Plattform zu geben, ohne die er in seiner Bedeutung der Schreckensvermittlung nicht möglich wäre. Was wäre ein terroristischer Akt, über den nicht berichtet würde? Er könnte nicht ins mediale Unbewusste der Bevölkerung eindringen und würde seine Wirkung rasch verlieren. Die Beziehung beruht auf Gegenseitigkeit.

  Gerade wenn es um brisante Themen geht, scheint JournalistInnen und/oder RedakteurInnen oft nicht bewusst zu sein, welch wesentliches Instrument der politischen Bildung sie in Händen halten.
LeserInnen wollen Antworten. Ihre LeserInnenschaft aufzuklären gehört wiederum zu den Aufgaben von JournalistInnen. Von ihnen wird angenommen, sie seien den Geschehnissen der Welt näher. Zweifellos sind sie oftmals ZeugInnen bedeutender Ereignisse. Über ihre Informiertheit sagt das gleichzeitig nicht immer etwas aus, wie die im Irakkrieg "eingebetteten" ReporterInnen bewiesen haben.

Nichts ist schwieriger und näher an der Problematik politischer Bildung als das Vermitteln von scheinbaren Wahrheiten. Gerade polarisierende Themen beinhalten die Sehnsucht nach dem, was Wahrheit genannt wird. Doch was bedeutet die große Erzählung der Wahrheit heute noch? Ihre Daseinsberechtigung hat sie längst verloren. Ersetzt werden kann sie lediglich von den Versuchen einer Annäherung. Voraussetzung dafür ist ein Ernst-Nehmen der LeserInnen. Es handelt sich dann um eine Form des Dialogs, der beinhaltet, dass den LeserInnen durchaus auch etwas zugemutet wird:

"Wie der Schriftsteller die anderen zur Wahrheit zu ermutigen versucht durch Darstellung, so ermutigen ihn die anderen, wenn sie ihm, durch Lob und Tadel, zu verstehen geben, daß sie die Wahrheit von ihm fordern und in den Stand kommen wollen, wo ihnen die Augen aufgehen. Die Wahrheit nämlich ist dem Menschen zumutbar. Wer, wenn nicht diejenigen unter Ihnen, die ein schweres Los getroffen hat, könnte besser bezeugen, daß unsere Kraft weiter reicht als unser Unglück, daß man, um vieles beraubt, sich zu erheben weiß, daß man enttäuscht, und das heißt, ohne Täuschung, zu leben vermag."(3)

In diesem Bachmann‘schen Sinne sollte dem Publikum mehr zugemutet werden, was Hintergrundberichterstattung und Details betrifft. Gerade darin liegt eine Chance für mehr politische Bildung, die vom bloßen Schulfach losgelöst wird.

Emanzipation der LeserInnen

   Die Schnelllebigkeit der Medienwelt wird in den nächsten Jahren voraussichtlich dazu beitragen, ein Bedürfnis nach verlässlicher Information zu begründen. Die Nebenbei-Berichterstattung wird es zwar weiterhin geben, doch lässt ein gewisser Optimismus erwarten, dass ein Teil der Bevölkerung davon genug haben wird und mehr will, als nur informiert zu werden.

So stellt das journalistische Instrument des Kommentars eine dieser Möglichkeiten dar, die Printzeitungen nach wie vor lesenswert machen können; ebenso existiert ein Publikum für aufbereitete Hintergrundberichterstattung zu solchen Themen, die in aller Munde sind. In all dem ist man bereits nahe an politischer Bildung. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet hier eines Tages die Chance von Zeitungen liegen könnte: in der Annäherung an politische Bildung?

   Der zweite Schritt ist der Umgang mit den LeserInnen als Gesamtheit. Walter Benjamin hat stets davor gewarnt, eine Gemeinschaft unter den LeserInnen vermuten und begründen zu wollen. Das würde alle Beteiligten einschränken. Respektiert werden sollten die LeserInnen als Vielheit, als vielfältiges Publikum. Nur dann wird man ihnen gerecht.

Das gilt auch für Blätter, die nahe an einer Partei fungieren. Alles andere wäre zu billig. Die einseitige Betrachtung ist nicht mehr glaubwürdig. Den LeserInnen ist es zumutbar, dass sie mehr erfahren, als die sogenannte Wahrheit nur einer Seite. Darin steckt die Chance der politischen Bildung.

Politische Bildung soll und kann nicht nur von Politik handeln. Das wäre eine schwerwiegende Themenverfehlung. Für JournalistInnen liegt die Aufgabe auch und vor allem darin, zu vermitteln, Zusammenhänge be-greif-bar zu machen. Das Zusammenführen der Details kann in der Folge den LeserInnen überlassen, ja zugemutet, werden.

   Offen ist noch, wie sich die Online-Medien dazu entwickeln werden. Derzeit ist das Lesen im Netz noch ein anderes als jenes im Printmedium. Mehr noch: Die zunehmende Anbindung an die inzwischen gar nicht mehr so neuen Medien schafft für Printmedien einiges an längerfristigen Problemen. Darunter jenes des Umgangs mit der gesteigerten Geschwindigkeit. Es wird stets schwieriger, noch aktuell zu sein. WelcheR LeserIn will schon beim Frühstück das nochmals lesen, was sie/er am Abend vorher bereits im Fernsehen oder in den Online-News gesehen, gehört, gelesen hat? Das sich daraus ergebende Nachlaufen der Printmedien bedeutet hier ein ständiges Nachhinken. Immer ist das Fernsehen, insbesondere aber das Internet schneller, als eine Printzeitung sein kann.

In der Folge findet eine Aufgabenverteilung statt: rasche Information im Internet, Hintergründe und Kommentare in den Printmedien. Doch gerade in der politischen Bildung scheint es eine Wegbewegung vom Printmedium hin zum Internetauftritt zu geben. Dass sich auch die Informationen der Gesellschaft für Politische Aufklärung(*) als Printmedium zurückziehen und in Zukunft nur noch online zugänglich sind, mag primär an steigenden Print- und Versandkosten liegen. Auch andere Gründe liegen auf der Hand, die dafür sprechen, die Produktion des Magazins von einem Print- und Internetmedium auf ein reines Online-Magazin zu verlegen. Die Informationen der Gesellschaft für Politische Aufklärung stehen mit dieser Entwicklung nicht alleine. Andere Institutionen und Nichtregierungsorganisationen der politischen Bildung sind gezwungen, ähnlich zu agieren.

   In zweiter Instanz steckt hinter dieser Entwicklung ein Abbild der Moderne: eine Digitalisierung der Informationsvergabe und Informationszugänglichkeit. Die Folgen dessen reichen von mehr Bequemlichkeit bis hin zu einer Tendenz des Ausschlusses im Sinne des digital divide, der gerade für Medien der politischen Bildung im deutschsprachigen Raum immer deutlicher wird.

Vielleicht befinden sich die Medien an einem Scheideweg. Vorausgesagt werden kann lediglich: Die journalistische Aufgabe im Sinne der politischen Bildung liegt zwischen dem Umstand, dass Berichterstattung unterhalten muss, um etwas zu bewirken, und jenem, dass die LeserInnen ernst genommen werden sollten, wenn es um ihr Vermögen der Unterscheidung zwischen Manipulation und Anliegen geht.


Anmerkungen:

1) Berkéwicz, Ulla: Vielleicht werden wir ja verrückt. Eine Orientierung in vergleichendem Fanatismus. FFM 2002, S. 11

2) Benjamin, Walter: Angelus Novus. FFM 1988, S. 369

3) Bachmann, Ingeborg: Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar. München 1981, S. 77

*Der Artikel ist zuerst erschienen in: Informationen der Gesellschaft für politische Aufklärung. Nr. 75, Herbst 2004.

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