Ulla
Berkéwicz hat in ihrem vielbeachteten Essay Vielleicht werden wir ja
verrückt Folgendes geschrieben: "Zynismus
hält am Leben, paart sich mit Spießigkeit, wirft Fratzen".(1)
Im Gegensatz zur Ironie, einer Waffe mit
zarter Klinge, die liebevoll und doch mit Humor
mit den Menschen umgeht, die auf etwas hinweisen möchte, ohne eine
einzige Wahrheit zur Kategorie zu erheben, bedient
sich der Zynismus einer Form der sprachlichen Gewalt.
Er lässt kein wenn, kein aber
zu, setzt absolut und tut dies zudem mit beabsichtigtem
Hochmut. Die Inszenierung dabei beinhaltet den Schmerz, der jenen
zugefügt wird, die sich angesprochen fühlen oder es
sollten. Widerspruch wird ausgeschaltet, da allein der
Versuch des Sich-Wehrens der Lächerlichkeit preisgegeben ist.
Die Spießigkeit hinter dem Zynismus
Die angesprochene
Spießigkeit, die hinter dem (nicht nur) in den Medien kolportierten
Zynismus liegt, ist die Blindheit gegenüber dem anderen; der anderen
Meinung, der anderen Sichtweise, der anderen
Gegebenheiten und der anderen Bedürfnisse.
Die Tücke liegt in den
Informationslücken. Etwas zu vermitteln, bloß anzureißen oder ganz
wegzulassen, ist Teil des Machtinstrumentes,
das JournalistInnen –
und ebenso WissenschaftlerInnen
sowie all jene, die, in welchem Zusammenhang auch
immer, öffentlich zugängliche Texte verfassen
–
in der Hand halten. Umso gefährlicher wird diese
Macht, dann wohl eher Waffe zu nennen, wenn eine
Aussage nicht als persönliche Meinung gekennzeichnet ist und vorgibt,
"Wahrheit" zu
vermitteln. Der Weg zur Manipulation ist dann ein kleiner.
Und die politische
Bildung? Jeder Kommentar, jeder Bericht, jeder
Artikel kann politische Bildung vermitteln. Dazu
braucht es nicht zwangsweise ein politisches Thema. Darüber, wann etwas
politische Bildung sei, ist gerade im
journalistischen Bereich nicht einmal annähernd zu urteilen. Die
Grenzen verschwimmen. Sichtbar sind hingegen die Folgen: nicht der
eine Artikel oder der eine Text verändert
Bewusstsein. Es ist die Summe von Bemerkungen, oft nur zwischen
den Zeilen; die Gesamtheit von Text- und Themenzusammenstellungen;
nicht zuletzt die Frage, ob zwei Artikel zum selben
Thema mit unterschiedlicher Positionierung möglich
sind.
Es handelt sich um nichts
Anderes als um die Haltung, die hinter all dem steckt, was in
seiner Gesamtheit zu einer Zeitung, einer Zeitschrift, einer
Sendereihe wird. Demgemäß stellt sich für den
Journalismus stets aufs Neue die Frage nach
Desinformation oder politischer Bildung
–
wobei in diesem Zusammenhang politische Bildung als
annähernd objektive Aufklärung ohne Ausblendung des Gegenübers gemeint
sei.
Auch JournalistInnen haben
Einstellungen und Vorstellungen, die sie vermitteln möchten.
Diese aus dem Beruflichen weitgehend rauszuhalten und doch nicht bloß
Unwesentliches zu beschreiben, ist eines der
Kunststücke, die den verknappten Unterschied zwischen
reiner Berichterstattung, Desinformation und Vermittlung im Sinne einer
Aufklärung –
nennen wir es also doch politische Bildung
–
ausmacht. Das In-Bezug-Setzen der jeweiligen
Ereignisse scheint hierbei die wesentliche Aufgabe zu
sein. Nicht allein die Themenwahl ist entscheidend.
Mehr noch liegt an der Gestaltung der Annäherung an das
jeweilige Gebiet. Die Inszenierung ist Part dessen, was dem Publikum
vermittelt wird. Vor Jahren noch diskutiert, in
letzter Zeit wieder etwas in die Vergessenheit zurückgedrängt,
ist in diesem Zusammenhang die Bedeutung von Sprache.
Die Wortwahl, nicht nur die
Argumentationswahl, trifft die Entscheidung, was den
LeserInnen vermittelt wird und wie diese damit umgehen (können).
Manch feministisches Anliegen zur Sprachgestaltung
mag sich teilweise durchgesetzt haben, Sprache ist aber
nach wie vor von Marginalisierung und Gewalt durchsetzt
–
nicht zuletzt auch in Zeitungen.
Dass es auf den ersten
Blick nicht mehr auffällt, kann nicht als Gegenargument
zugezogen werden. Zuweilen liegt die Gewalt in nicht weniger als
einer zynischen Beschreibung. Der Zynismus als
gängige Kategorie des Kommentars hat sich als
vermeintlich humoristisch und "lebendig"
durchgesetzt. Er wird stets von Arroganz begleitet.
Dahinter steckt nichts anderes als Panik; und Ratlosigkeit. Ulla Berkéwicz
spricht in diesem Zusammenhang von Panik als dem einzigen Gefühl, das
uns noch geblieben ist. Die Frage nach dem
"wir", eine der wesentlichen
Fragen in der politischen Bidlung, lässt sie zu Recht
unbeantwortet, da es offensichtlich ist, dass die Medienwelt
verschiedene "wir"
besitzt und ausnahmslos alle gemeint sind, wenn es um die Angst
geht, die das ausdrückt, was es bedeutet, stets und ständig den
Themen der Medien ausgeliefert zu sein.
Keine Rückzugsmöglichkeiten mehr
Flucht vor den Nachrichten?
Ausgeschlossen.
Es ist in vielen Teilen der Welt nicht mehr möglich, gänzlich uninformiert
zu sein. Die Nachrichten drängen sich ins Sein. Die
Abschottung dagegen funktioniert nicht mehr. Auch
darin liegt der Zynismus –
diesmal gegenüber dem Leben –
als Einmischung. Das Wegschauen führt lediglich zum
Schlecht-informiert-Sein, nicht aber zur Freiheit vor den
beschlossenen und aufgedrängten Themen.
Im dreistesten Fall
vermittelt sich die Information als sogenanntes Infotainment:
Nachrichten und ihr Spaßfaktor? Zumindest ihr Unterhaltungswert.
Nirgendwo sonst deckt sich der Unterschied zwischen
Information und Wissensvermittlung deutlicher selbst auf.
Ansatzweise könnte an diesem Punkt die Grenze des Journalismus hin
zur politischen Bildung gesetzt werden; nicht dass
das eine das andere ausschließe, sondern im Sinne
einer Verbindung.
Politischer Journalismus
sollte nicht mit politisch bildendem Journalismus verwechselt
werden. Wie nicht alles Politische eine solche Bildung in sich trägt,
kann Journalismus nicht in jedem Fall zur politischen
Bildung beitragen. Dessen ungeachtet ist Journalismus
ein mächtiges Werkzeug. Walter Benjamin sah das sehr konkret:
"Die
wahre Bestimmung einer Zeitschrift ist, den Geist
ihrer Epoche zu bekunden. (...) In der Tat: eine Zeitschrift,
deren Aktualität ohne historischen Anspruch ist, besteht zu
Unrecht."(2)
Die sich aufdrängende
Assoziation mit der Brille der Aktualität: Die Themen Terrorismus,
Sicherheit und Krieg. Kaum eine Zeitung weicht
dem Thema Terrorismus aus. Es ist leicht zu erraten, dass
MedienvertreterInnen meinen, die Inszenierung rund um das Thema zu
benötigen. Kaum etwas steigert die Auflage so sehr
wie die vermeintliche Entdeckung einer sogenannten
Wahrheit –
und noch besser, wenn es sich um eine Wahrheit rund um Terrorismus
handelt, denn in diesem Fall ist für die dramatische Inszenierung
gleich mitgesorgt. So helfen ausgerechnet die Medien
mit, dem Terrorismus jene Plattform zu geben, ohne die
er in seiner Bedeutung der Schreckensvermittlung nicht möglich wäre.
Was wäre ein terroristischer Akt, über den nicht
berichtet würde? Er könnte nicht ins mediale
Unbewusste der Bevölkerung eindringen und würde seine Wirkung rasch
verlieren. Die Beziehung beruht auf Gegenseitigkeit.
Gerade wenn es um brisante
Themen geht, scheint JournalistInnen und/oder
RedakteurInnen oft nicht bewusst zu sein, welch wesentliches Instrument der
politischen Bildung sie in Händen halten.
LeserInnen wollen Antworten. Ihre LeserInnenschaft aufzuklären gehört
wiederum zu den Aufgaben von JournalistInnen. Von
ihnen wird angenommen, sie seien den Geschehnissen
der Welt näher. Zweifellos sind sie oftmals ZeugInnen bedeutender
Ereignisse. Über ihre Informiertheit sagt das gleichzeitig nicht
immer etwas aus, wie die im Irakkrieg
"eingebetteten" ReporterInnen bewiesen haben.
Nichts ist schwieriger und
näher an der Problematik politischer Bildung als das Vermitteln
von scheinbaren Wahrheiten. Gerade polarisierende Themen beinhalten
die Sehnsucht nach dem, was Wahrheit genannt wird.
Doch was bedeutet die große Erzählung der Wahrheit
heute noch? Ihre Daseinsberechtigung hat sie längst
verloren. Ersetzt werden kann sie lediglich von den
Versuchen einer Annäherung. Voraussetzung dafür ist
ein Ernst-Nehmen der LeserInnen. Es handelt sich dann um eine
Form des Dialogs, der beinhaltet, dass den LeserInnen durchaus auch
etwas zugemutet wird:
"Wie
der Schriftsteller die anderen zur Wahrheit zu ermutigen versucht durch
Darstellung, so ermutigen ihn die anderen, wenn sie ihm, durch
Lob und Tadel, zu verstehen geben, daß sie die
Wahrheit von ihm fordern und in den Stand kommen wollen,
wo ihnen die Augen aufgehen. Die Wahrheit nämlich ist dem
Menschen zumutbar. Wer, wenn nicht diejenigen
unter Ihnen, die ein schweres Los getroffen hat, könnte besser
bezeugen, daß unsere Kraft weiter reicht als unser Unglück, daß
man, um vieles beraubt, sich zu erheben weiß, daß
man enttäuscht, und das heißt, ohne Täuschung, zu leben
vermag."(3)
In diesem
Bachmann‘schen Sinne sollte dem Publikum mehr zugemutet werden, was
Hintergrundberichterstattung und Details betrifft. Gerade darin liegt
eine Chance für mehr politische Bildung, die vom
bloßen Schulfach losgelöst wird.
Emanzipation der LeserInnen
Die Schnelllebigkeit der
Medienwelt wird in den nächsten Jahren voraussichtlich dazu
beitragen, ein Bedürfnis nach verlässlicher Information zu begründen.
Die Nebenbei-Berichterstattung wird es zwar weiterhin geben, doch lässt ein
gewisser Optimismus erwarten, dass ein Teil der
Bevölkerung davon genug haben wird und mehr will, als nur
informiert zu werden.
So stellt das
journalistische Instrument des Kommentars eine dieser Möglichkeiten dar, die
Printzeitungen nach wie vor lesenswert machen können; ebenso
existiert ein Publikum für aufbereitete
Hintergrundberichterstattung zu solchen Themen, die in aller Munde sind. In
all dem ist man bereits nahe an politischer Bildung. Wer hätte
gedacht, dass ausgerechnet hier eines Tages die
Chance von Zeitungen liegen könnte: in der Annäherung an
politische Bildung?
Der zweite Schritt ist der
Umgang mit den LeserInnen als Gesamtheit. Walter Benjamin
hat stets davor gewarnt, eine Gemeinschaft unter den LeserInnen
vermuten und begründen zu wollen. Das würde alle
Beteiligten einschränken. Respektiert werden sollten
die LeserInnen als Vielheit, als vielfältiges Publikum. Nur dann wird man
ihnen gerecht.
Das gilt auch für Blätter,
die nahe an einer Partei fungieren. Alles andere wäre zu billig.
Die einseitige Betrachtung ist nicht mehr glaubwürdig. Den LeserInnen
ist es zumutbar, dass sie mehr erfahren, als die
sogenannte Wahrheit nur einer Seite. Darin steckt die
Chance der politischen Bildung.
Politische Bildung soll
und kann nicht nur von Politik handeln. Das wäre eine
schwerwiegende Themenverfehlung. Für JournalistInnen liegt die Aufgabe auch
und vor allem darin, zu
vermitteln, Zusammenhänge be-greif-bar zu machen. Das
Zusammenführen der Details kann in der Folge den LeserInnen überlassen, ja
zugemutet, werden.
Offen ist noch, wie sich
die Online-Medien dazu entwickeln werden. Derzeit ist
das Lesen im Netz noch ein anderes als jenes im
Printmedium. Mehr noch: Die zunehmende Anbindung an
die inzwischen gar nicht mehr so neuen Medien schafft für Printmedien
einiges an längerfristigen Problemen. Darunter jenes des Umgangs mit
der gesteigerten Geschwindigkeit. Es wird stets
schwieriger, noch aktuell zu sein. WelcheR LeserIn
will schon beim Frühstück das nochmals lesen, was
sie/er am Abend vorher bereits im Fernsehen oder in
den Online-News gesehen, gehört, gelesen hat? Das
sich daraus ergebende Nachlaufen der Printmedien
bedeutet hier ein ständiges Nachhinken. Immer ist das
Fernsehen, insbesondere aber das Internet schneller, als eine Printzeitung
sein kann.
In der Folge findet eine
Aufgabenverteilung statt: rasche Information im Internet,
Hintergründe und Kommentare in den Printmedien.
Doch gerade in der politischen Bildung scheint
es eine Wegbewegung vom Printmedium hin zum
Internetauftritt zu geben. Dass sich auch die
Informationen der Gesellschaft für Politische
Aufklärung(*) als Printmedium zurückziehen und
in Zukunft nur noch online zugänglich sind, mag
primär an steigenden Print- und Versandkosten liegen.
Auch andere Gründe liegen auf der Hand, die dafür sprechen, die
Produktion des Magazins von einem Print- und Internetmedium auf ein
reines Online-Magazin zu verlegen. Die Informationen
der Gesellschaft für Politische Aufklärung stehen
mit dieser Entwicklung nicht alleine. Andere Institutionen und
Nichtregierungsorganisationen der politischen Bildung sind gezwungen,
ähnlich zu agieren.
In zweiter Instanz steckt
hinter dieser Entwicklung ein Abbild der Moderne: eine
Digitalisierung der Informationsvergabe und
Informationszugänglichkeit. Die Folgen dessen reichen
von mehr Bequemlichkeit bis hin zu einer Tendenz des Ausschlusses im
Sinne des digital divide, der gerade für Medien der
politischen Bildung im deutschsprachigen Raum immer
deutlicher wird.
Vielleicht befinden sich
die Medien an einem Scheideweg. Vorausgesagt werden kann
lediglich: Die journalistische Aufgabe im Sinne
der politischen Bildung liegt zwischen dem Umstand,
dass Berichterstattung unterhalten muss, um etwas zu bewirken, und jenem,
dass die LeserInnen ernst genommen werden sollten, wenn es um ihr
Vermögen der Unterscheidung zwischen Manipulation und
Anliegen geht.
Anmerkungen:
1)
Berkéwicz, Ulla: Vielleicht werden wir ja
verrückt. Eine Orientierung in vergleichendem
Fanatismus. FFM 2002, S. 11
2) Benjamin,
Walter: Angelus Novus. FFM 1988, S. 369
3)
Bachmann, Ingeborg: Die Wahrheit ist dem
Menschen zumutbar. München 1981, S. 77
*Der
Artikel ist zuerst erschienen in:
Informationen der
Gesellschaft für politische Aufklärung.
Nr. 75, Herbst 2004.
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