Moderne Technik,
doch steinzeitliche Mentalität: kalter Vorlauf, kalter Rücklauf. Dazwischen
die zugefrorenen Bewohner. Den Heating Manager oder gar den Lease Manager
will das ratlos dastehende Wartungspersonal an Ort und Stelle nicht
erreichen können. Denn die feiern in aller Behaglichkeit Thanksgiving und
verbitten sich selbstredend jedwelche Störung. Sie leben nämlich keineswegs
etwa in der Steinzeit, sondern in der Gegenwart, ja in der Postmoderne.
Ob
man noch ein paar Tage warten könne? Übers Wochenende wäre ja alles so viel
teurer, und der Boss will kein Geld ausgeben. Das heißt, ein paar Tage und
bezeichnenderweise natürlich auch ein paar Nächte. Der Hausmeister fängt an
zu philosophieren. Über Hitze und Kälte und Röhren und Umwälzpumpen und
mutmaßlich angebrachte Tugenden für Mieter – etwa über die Tugend der
Geduld.
Ob man das
könne? Kundendienst im Konjunktiv: Die rhetorisch gestellte Frage lässt
keine Antwort zu. Es ist ja nun mal niemand da. Wozu sollte denn überhaupt
jemand da sein? Jetzt schlägt der Hausmeister einen strengeren Ton an. Was
soll’s? Ein eigentlicher Notfall sei das ja schließlich offensichtlich auch
wieder nicht: lediglich vierzig unmittelbar betroffene Wohungen. Kurzum:
"Wer sich beklagt, ist kein toleranter Kerl!"
Eine
fehlerhafte Umwälzpumpe sei demontiert worden, hat uns der Hausmeister schon
vor ein paar Tagen nach langem Hin und Her verraten; deswegen das Ausfallen
der Heizung im östlichen Flügel des Wohnblocks. Die neue Pumpe komme bald.
Man möge sich bloß ein klein bisschen gedulden. Zwei, drei Tage. Oder
vielleicht auch eine Woche. Oder sogar ein bisschen mehr. Wer weiß? Den
Manager darf man nicht fragen. Der würde sich nur aufregen.
"Bauen Sie
gefälligst die neue Pumpe umgehend ein", verlange ich darauf schriftlich vom
Lease Manager – und leite das Schreiben sicherheitshalber an den zuständigen
Stadtabgeordneten weiter, als ich merke, dass der Manager dessen ungeachtet
weiterhin in seinen hohen Gefilden weilt. Unerreichbar.
Anstelle
einer Antwort: Besuch vom Hausmeister. Das mit der Pumpe sei nur seine
persönliche Interpretation gewesen, und zwar wohlgemerkt eine sehr schlechte
Interpretation; er sei nicht befugt gewesen, mit mir darüber zu sprechen. Er
habe angenommen, dass wir das wie Erwachsene ins Reine bringen könnten, aber
ich ... ich ... ich ... Verlegen blickt er auf den kalten Heizkörper. Sein
urplötzlich unterbreiteter Vorschlag im Flüsterton: Vergessen wir das ganze.
Er wisse nichts. Überhaupt nichts wisse er. Und der Manager sei – wie immer
– auf keinen Fall zu sprechen.
Also dann wie
gesagt: klagen. Am Montag wird vorerst einmal freilich weiter gefriert, da
städtische Beamte natürlich frei haben, wenn’s was zu feiern gibt. Aber am
Dienstag sind die Jungs wieder im Sattel. "Wenn die Pumpe nicht binnen 24
Stunden installiert ist", brüstet sich der Inspektor von Municipal Licensing
and Standards, "wird der Landlord ganz schön tüchtig zur Kasse gebeten."
Sowas hören die Nachbarn gerne. Sehr zeitgemäß.
Die
24 Stunden vergehen. Weiterhin kalte Heizkörper. Der Inspektor ist auf
einmal gar nicht mehr so richtig bei der Sache. Ihn interessiere streng
genommen ja eigentlich keineswegs, ob die Heizung funktioniert, erklärt er,
sondern allein ob die 21-Grad-Celsius-Schwelle unterschritten wird.
Mit einem
Thermometer geht er durch den Wohnblock. Wenn er wo 21 Grad Celsius messe,
kehre er sich nicht daran, dass die Heizkörper kalt sind und die Wärme vom
Ofen und von elektrischen Heizern herkommt. Ob wir auch alle brav die
Heizkörper entlüftet haben? Ja, mittlerweile sind sämtliche Nachbarn
Experten in der hohen Kunst des Entlüftens geworden – vergeblich. Der
Inspektor überhört die Schlussbemerkung, da er es sehr eilig hat. Prima! Was
darf’s sonst noch sein?
Der
gute Mann von Municipal Licensing and Standards ist weg. Irgendwann, hatte
er noch wie ermutigend kundgegeben, werde die Heizung bestimmt wieder
funktionieren. Ja, irgendwann. Von den 24 Stunden und der Mahnung und dem
Strafgeld sagte er bald gar nichts mehr. Hätten es nicht so ernst nehmen
sollen. Und so schlimm sei es ja auch wieder nicht – wenigstens tagsüber.
Fahnenflucht?
Nein, der war ja von Anfang an auf der falschen Seite. Hat sich nicht mit
dem korporatistischen Establishment anlegen wollen. Seine "Arbeitsweise":
Ich komme; ich messe die Temperatur in einem auf Kosten des Klägers von
diesem elektrisch geheizten Raum; ich mache mich von dannen. In seinen Akten
war das Problem gelöst, besser, in seinen Akten hatte es nie Bestand gehabt.
No can do.
Was
tun? Das einzige, was man in einer bürokratischen Demokratie tun kann: bis
auf Widerruf klagen – sonst unternimmt die Behörde nichts. Was als gemeines
Schlamassel und Missachtung des Mietvertrags anfing, hat letztendlich nebst
der rechtlichen auch eine soziale Dimenison angenommen und die Nachbarn ein
bisschen näher gebracht. Langsam, aber sicher beginnt sich eine Art
kollektives Bewusstsein zu bilden, wie es wohl früher mal auch bei den
Höhlenmenschen der Fall gewesen sein mag, als sie sich in ihrer Not gegen
allerlei Biester zur Wehr setzten und einander erwärmten, so, wie wir es
bisher in diesem in der Regel ja wohlgeheizten Wohnblock nicht gebraucht
hatten. Der Hausmeister schaut mich nun böse an. Vom möglicherweise etwas zu
geschwätzigen Inspektor weiß er inzwischen, dass ich es war, der die
Behörden einschaltete. Mir geht’s um Aufklärung. Er aber will uns weiterhin
in unserer selbstverschuldeten Unmündigkeit frieren lassen.
Ein Nachbar sagt
gerade, dass seine Tochter wegen der andauernden Kälte im Schlafzimmer
erkrankt ist. Ein Dritter kommt hinzu. Was ich denn da für eine Stimmung
unter die Leute bringe?, fährt mich der prompt herbeigeschlichene
Hausmeister an. Ich muss daran denken, dass mir eine Mitarbeiterin des
Stadtabgeordneten "felsenfest" versichert hatte: Meine Identität als Kläger
werde nicht preisgegeben. Denn privacy gehe der Stadt über alles. Wir seien
ja schließlich erwachsene Leute. Und wer würde es sonst noch wagen, eine
Beschwerde einzureichen? Kurzum: Sowas wäre ja unzivilisiert. Eben.
Ich
bin empört. Die Nachbarn sind empört. Bei der Stadtverwaltung regnet es
Beschwerden. Es bleibt kalt. Die Stadtverwaltung mobilisiert ihre
Knutenschwinger. Jeder Kläger kommt an den Pranger. Die skandalöse
No-Heating-Affäre will aufs Neue peinlichst dokumentiert werden. Aber nicht
vom arroganten Amtsmann, sondern nur von uns Mietern. Ein weiteres Schreiben
an den Stadtabgeordneten stößt wiederum auf taube Ohren. Durch unsere lokale
Reihe von Erkältungen lässt sich der City Councillor keineswegs
beeindrucken. Hat der Inspektor das Problem denn nicht gelöst? Besser: Gab
es überhaupt ein Problem?
Ich muss
unwillkürlich daran denken, dass ich vor drei Jahren den nun amtierenden
Councillor Shiner gewählt hatte, und nicht dessen Gegenkandidaten, der
zufälligerweise Shiller hieß. War das ein Fehler gewesen? Schließlich hatten
wir ja damals gerade das Schillerjahr hinter uns und nicht etwa das
Shiner-Jahr. Und der Mensch ist nur dort ganz Mensch, wo er spielt. Spielen
die mit uns?
Verfängt
sich einer in den Schlingen der kanadischen Bürokratie am Ontario-See, ist
er offensichtlich darauf angewiesen, dass die globale Erwärmung die lokale
Erkältung irgendwie wettmache. Tatsächliche Steinzeitmenschen hätten
womöglich längst ihre Geduld verloren und zu aussagekräftigeren Vokabeln
gegriffen. Nicht so hier. Die Nachbarn trinken Tee, schlucken Pillen und
sehnen sich nach dem Ausgang aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit.
Energiesparen mag dabei zwar an sich eine durchaus sinnvolle Idee sein. Nur
ist ja eben nicht jeder Tag Weltspartag.
Die schließlich
nach langem Streiten erfolgte Wiederinstandsetzung der Heizung im Wohnblock
wird vom Municipal Licensing and Standards Officer als großer Verdienst, ja
als ein wahrhafter Erfolg der niederen Staatsgewalt verkauft. Yabadabadoo!
Ende gut, alles gut. Er habe ja gesagt, dass die Heizung irgendwann bestimmt
wieder funktionieren werde. I said so! Didn’t I say so? I said so! Die
akustische Maske, die er dabei auflegt, gleicht verdächtigerweise derjenigen
des Hausmeisters – vom großen leeren Versprechen mit streng begrenzter
Haftung bis aufs allerwinzigste Unwort ohne verbindliche Geltung. Auch die
Assistentin des bestens gegen seine Wähler abgeschirmten Abgeordneten
bedient sich bisweilen derselben Maske, wenn sie sich darüber beschwert,
dass wir uns beschwert haben. Auf den Sachverhalt geht sie nicht ein. Den
Kontakt mit dem Municipal Licensing and Standards Officer habe sie ja
ordnungsgemäß hergestellt. Ob das denn wirklich nicht genüge?
Was
wir denn jetzt noch wollen? Wir mögen es doch sagen, aber der Reihe nach,
bitte, jeder einzeln. Kollektive Beschwerden zählen nämlich nicht, will der
Inspektor nun die Leute glauben machen. Zum Glück nimmt ihm das keiner mehr
ab. Eine Ahnung macht sich von Wohnung zu Wohnung breit: Wir sind das Volk.
Wir sind die Bewohner. Wir zahlen Miete und Steuern. Und im Mietvertrag kann
sogar ein Kind die Leistungen nachlesen, die uns zustehen – und in den
Gesetzen auch, mögen sie nun in der Flüchtigkeit des Internets oder in der
Ewigkeit der den Steinplatten von früher entsprechenden Hard Copies
aufgehoben sein, die der Drucker, ein bald aussterbender Dinosaurier unserer
Digitalzeit, halb technisch und halb tierisch ausspuckt.
Und irgendwann
erfolgt dann der Übergang in die Wahlzeit. Dann hört die Bevormundung auf.
Dann wird auch das Heizen, dann wird auch die Gesundheit, dann wird auch die
Community plötzlich wieder wichtig für unsere nahen, fernen Vertreter
–
und auch die Rechtschaffenheit der Big Business Player. Dann gibt’s wieder
so einen richtig populistischen, altmodischen Wettlauf um die lokale Macht.
Dann spielt jeder die väterliche Figur, den Good Guy, der gerne mal auch die
eigenen Füße als Motor der Gemeinde anspringen lässt, dann will jeder was
für die lieben Bürger, seine Schafe, seine hochverehrten Höhlenbewohner
getan haben ("Liebe Damen und Herren, werte Steinzeitmenschen"); alle
Spielregeln wollen beachtet und jede Inspektion will ordnungsgemäß und
verantwortungsvoll vor sich gegangen sein. Dann wird nämlich auf einmal auch
für die Säbelzahntiger, Mammuts und Dinosaurier im Amt von Belang, was sich
so alles zwischen Vorlauf und Rücklauf der Heizkörper tut.
Zuerst erschienen in: Der Lichtwolf, Nr. 31, Herbst 2010