Vasile V.
Poenaru
bardaspoe [at]
rogers.com
geboren
1969, zweisprachig
aufgewachsen, Studium der
Germanistik in Bukarest,
darauf Verlagsarbeit und
Übersetzungen. Lebt
in Toronto.

(c)
Adina Bardaș
Peter Stein
(rechts)
im Gespräch mit
dem
kanadisch-armenischen
Regisseur Atom Egoyan
(links), West Hall, Univer-
sity College, Toronto.
Wo darf der Theatertext
aufhören? Wo setzt die
Kunst der Regieführung
an? Wie ist es um die
kulturpolitischen Voraus-
setzungen und Gegeben-
heiten der Branche
bestellt? Wer sind die
Zuschauer sind und wie
kann man sie erreichen?
Was passiert, wenn
Text und Theater aufein-
ander prallen? Welches
ist die richtige Distanz
zwischen Bühnenautor
und Theaterwelt?
Auch das Stichwort
Urheberrecht kam mehr-
fach auf seine Kosten –
wie die (auch) im Theater
durchaus eingebürgerte
Praxis, sich einfach zu
bedienen, wenn gerade
niemand da ist, der die
Rechte wahrnimmt.
"End of Drama –
Begin of Play" (?)
Stichwort Urheberschaft:
Dass der jeweilige Autor
sich bei der Uraufführung
oft genug das Gesicht
zerkratzt, weil ihm Text
und Theater zu weit aus-
einander klaffen, brachte
der leitende
Dramaturg
des Deutschen Schau-
spielhauses in Hamburg
prompt
und anschaulich
mit Worten wie mit
Gestik zum Ausdruck.
Das Ausschlag gebende
Attribut eines durch und
durch adäquaten Theater-
machers?
– "Begabten
Manns
Natur- und Geistes-
kraft!", würde Mephisto
wohl
entschlossen sagen.
Ein munterer Gast aus
Mississauga, der sich
als "Shakespearian"
auswies, bewegte immer-
fort seine Arme wie eine
übertüchtige Windmühle
gelebter Dramatik und
fragte dabei vorbildlich
theatralisch nach der
story, denn er wolle unbe-
dingt wissen, was denn
nun letztendlich mit
der story los sei.
Geht es immer (nur)
noch darum, eine story
zu erzählen? Und falls ja:
wie? Oder soll etwas
qualitativ Neues geschaf-
fen werden?
|
Let's
have a celebration by the sea (oder in diesem Falle eben by the lake).
Schwerpunkt Dramaturgie am Ontariosee. Keine pure Spaßfabrik, sondern
vielmehr die aus nimmergleicher Richtung gestellte alte, neue Frage vom
Genuss und vom Gewinn der Schauspielerei, des geheimnisvollen Metiers,
brauchbare Texte in stimmungsvolle Bühnenerlebnisse zu verwandeln.
Ergo Ausgangspunkt Theater. Und um den Eingangspunkt brauchen wir uns jetzt
nicht zu kümmern. Wir sind ja allesamt eh schon längst drin. Das liegt in
der Natur der Dinge, in der Natur des Theaters.
Langer Handlung
kurzer Talk. Aristotelische Einheit der ... nein, keine aristotelische
Einheit. Immerhin: Ort (oder sagen wir es mal zweckm äßig
unscharf: versprengter Meta-Ort) der Debatte? Das
drittgrößte Zentrum für Live-Theater im englischen Sprachraum; gleich nach
London und New York. Genauer Zeitpunkt der Debatte? Ja halt irgendwann. Oder
besser: jetzt.
Right now.
Im Juni 2014
tickten sich die aus dem Geiste transatlantischer
Inszenierungskunst geborenen Veranstaltungen ("Celebrating Peter Stein") zu
Ehren des weltberühmten deutschen Theatermachers, dem am 9. Juni die
Doktorwürde der University of Toronto erwiesen wurde, ins transatlantische
Ohr, in die internationalen Fackeln rund um die multikulturellen Lagerfeuer
des CN-Turms, in die vier Winde der ausgedehnten Prärien und der Großen
Seen. Mehrere namhafte Universitäten hatten Peter Stein bereits je einen
Ehrendoktor-Hut aufgesetzt, so etwa die
Friedrich-Schiller-Universität Jena und die Paris-Lodron-Universität
Salzburg – in der Stadt am Mönchsberg wirkte Stein bekanntlich in den
Neunzigern als Schauspielchef der Salzburger Festspiele.
Ein Mann, von
dem gesagt wird, dass er das deutschsprachige Theater revolutionierte,
bietet natürlich einen ausgezeichneten Anlass zur Diskussion rund um die
Bühne und ihre Welten, rund um die Autoren, Dramaturgen, Regisseure und ihre
Helfershelfer. "The Art of directing", so das Thema des als Teil der
Peter-Stein-Würdigung veranstalteten Symposiums an der University of
Toronto, an dem sich eine ganze Reihe von deutschen und kanadischen Experten
sowie ein zahlreiches und interessiertes Fachpublikum beteiligte. Zu den
angereisten deutschen Gästen zählten Jörg Bochow, leitender Dramaturg am
Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, Joachim Fiebach, Theaterwissenschaftler
an der freien Universität Berlin,
sowie auch die bekannten Theaterleute Norbert Kentrup,
Herbert Olschok und Johanna Schall, die Enkelin von Helene Weigel und
Bertolt Brecht.
Der Regisseur
als "space-wright" und "time-wright". Der Regisseur als Autor, Dramaturg und
Redakteur. Der Regisseur als Dokumentarist/Aktivist. Durch Begrifflichkeit
wie durch Anschaulichkeit weiter führende Konzepte, scharf gezeichnete
Vorstellungen des Wesens der Regie. Die in Angriff genommenen Teilaspekte
und Gesamtperspektiven der heutigen Theaterproduktion und der sinnstiftenden
Wechselwirkungen zwischen Bühnentext und Bühnenereignis vermittelten im
lockeren Dialog ein facettenreiches Bild der aktuellen Herausforderungen der
Inszenierungsarbeit und ihrer auf Anhieb mehr oder weniger sichtbaren
Zusammenhänge. Wo der Theatertext aufhören darf, wo die Kunst der
Regieführung ansetzt, wie es um die kulturpolitischen Voraussetzungen und
Gegebenheiten der Branche bestellt ist, wer die Zuschauer sind und wie man
sie – in Deutschland oder eben in Kanada – am besten vermittels des
Mysteriums der Inszenierung zu erreichen vermag, all dies wurde in Toronto
an einem sonnigen Junitag anno 2014 aus vielfach variierender Perspektive
dialogisch sinnvoll bedacht. Zwar gab es dann am Ende keine gescheite
Antwort, aber immerhin zeichnete sich im Laufe der Debatte eine klare
Fragestellung ab.
Wie es sich denn
überhaupt füge, dass Text und Theater gleichsam in aller intrinsischen
Unzulänglichkeit der Inszenierung an sich und für uns ereignisreich
aufeinander prallen, was dabei alles auf den Zuschauer zukomme, wenn mal ein
szenischer Entwurf im hinreißenden Bühnengeschehen ankommt, ferner wie es um
das Zeitliche bestellt ist, um das Dingliche, um das Räumliche,
ja welches die richtige Distanz zwischen Bühnenautor und Theaterwelt sei:
auch dies Fragen, die mit Nachdruck gestellt wurden. Im vereinfachten
Englisch: "Text meets theater". Und
merkwürdigerweise wurde im Rahmen der Diskussion der Begriff "Text" als
männlich gehandelt (also "he", the text, und nicht etwa "it", wie ja
ansonsten im Englischen üblich), was allerhöchstwahrscheinlich auf den
unbewussten Einfluss des Deutschen auf die englischsprachige Symposiumwelt
am Ontariosee zurückzuführen ist – und auf den einem jedweden Theatertext
innewohnenden Trieb, auf der Bühne "seinen Mann zu stehen."
Der mit allen
Wassern der Elbe, des Atlantiks, des Ontariosees gewaschene
Theaterwissenschaftler Jörg Bochow, der von 2000 bis 2005
an der University of Toronto wirkte und folglich auch in der kanadischen
Theaterwelt alles andere als fremd ist, bemühte sich um einen
möglichst authentisch und einleuchtend gezeichneten Umriss des
zeitgenössischen Theaterbetriebs, wobei auch mal so mancher Seitenblick auf
die geheime Hexenküche der Dramaturgie, des klangvollen Mit- und
Gegeneinander von Autor und Theater, von Urheber und Drama, von Text,
Handlung und story gewährleistet wurde. Das Stichwort Urheberrecht kam
selbstredend mehrfach auf seine Kosten – wie die (auch) im Theater durchaus
eingebürgerte Praxis, sich einfach zu bedienen, wenn gerade mal niemand da
ist, der die Rechte wahrnimmt. In Sachen Erschwinglichkeit (der
Eintrittspreise) und Nicht-Untergehen-Wollen (des
Theaters), in Sachen Weitermachen und Subventionen und Kulturpolitik
und Rezeption schielten die kanadischen Kollegen bisweilen neidisch nach
Deutschland. Freilich hat der Kaiser in Faust II auch für sie längst
die krisenfreundliche Antwort parat: "Es fehlt das Geld? Nun gut, so schaff
es denn!"
In Anlehnung an
die 2008 auf einem Symposium an der Uni München akademisch gemünzte Phrase
"End of Drama – Begin of Play" führte Richard Rose, Artistic Director des
Tarragon Theatre, Toronto, die Diskussion rund um die Problematik der
Urheberschaft und des Wesens der Theateraufführung unter vielfacher
Berücksichtigung des "bloßen" Theaterstücks überzeugend weiter. Wem
allerdings letztendlich der Theaterabend gehört, wer das Sagen hat, wenn ein
Drama wo hin soll, zum Beispiel in den rückblickenden Erwartungshorizont der
Theaterbesucher, der Kritiker, des Autors, des Regisseurs, des Dramaturgen:
ja wenn man sich da einig wäre!
Unser aller
Leitwort? The show must go on. Dass der jeweilige Autor sich dann bei der
Uraufführung oft genug das Gesicht zerkratzt, weil ihm Text und Theater zu
weit auseinander klaffen, brachte der u. a. aus dem Geist der Hamburger (und
Stuttgarter) Dramaturgie heraus sprechende leitende
Dramaturg des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg prompt
einschlägig und anschaulich mit Worten wie mit Gestik zum Ausdruck
– und schon war der Ball wieder bei den Kanadiern:
"Is
it your play?"
"Well, my name's
on it. It gets reviews".
Mit diesem Wort
rückte Artistic Director Richard Rose das Unbehagen des Urhebers des
zugrundeliegenden Theatertextes mit voller Wucht in den Mittelpunkt der
Betrachtungen – und drehte den Spieß auch gleich einmal erneut um, indem er
sich intensiv dem Begriff Texttheater widmete. Dass er dabei immer wieder
aufs Neue darauf hinweisen musste, dass sich die Erscheinungsform Theater
"in time and space" abspielt, macht wohl die einzige Schwäche seines
ansonsten sehr ansprechenden Beitrags aus.
Fast musste man
angesichts all dieser doch recht sinnvoll in den Raum (und in die Zeit)
gestellten Erörterungen an Georg Büchners Lenz denken:
"Der Name,
wenn's beliebt."
"Lenz."
"Ha, ha, ha, ist
er nicht gedruckt? Habe ich nicht einige Dramen gelesen, die einem Herrn
dieses Namens zugeschrieben werden?"
"Ja, aber
belieben Sie mich nicht darnach zu beurteilen."
Die Beurteilung
von Theatertexten, die Beurteilung von Texttheater und Textwelten innerhalb
der Welt des Theaters, die Beurteilung der ästhetischen Qualität der
sprachlichen und außersprachlichen Erlebnisse, die sich dem Publikum
darbieten, die das Publikum einverleiben, die das Publikum sein eigen nennt,
wenn ein Stück aufgeführt wird, Ereignis wird, Raum und Zeit mit Sinn und
Sein erfüllt, kristallisierte sich im Rahmen der Debatte zur einen zentralen
Frage des Umgangs von Theaterleuten mit dem im Geiste der Dramaturgie
umrissenen Konzept des zeitge nössischen
Theaters heraus. Was das mutmaßlich Ausschlag gebende
Attribut eines so durch und durch adäquaten Theatermachers anbelangt, ist
guter Rat freilich immer noch teuer. "Begabten Manns
Natur- und Geisteskraft!", würde Mephisto wohl
entschlossen sagen, wenn er gerade mal zum Dramaturgienarr berufen
worden wäre. Doch wer wird ihn denn gleich zum Dramatur... ach so, der
Kaiser!
Über die vielen
verschiedenartigen Modalitäten des Urhebertums, über die oft sonderbaren
Formen der Theaterproduktion, über das andauernde Redigieren, Hinzudichten,
Wegschneiden, ja darüber, ob bzw. inwiefern man sich denn eigentlich
überhaupt an einem Theatertext vergreifen kann, ohne dass er eine gleichsam
sein innerstes Wesen mutierende Gewalt erleidet bzw. ob man einem Text
überhaupt Gewalt zufügen kann (was der Hamburger Dramaturg stark
bezweifelte, denn Texte haben ja schließlich keine Gefühle), darüber wurde
im mal müßigen, mal heftigen Schritt bedachtsam erkundender Theaterleute in
vielen variierenden Tönen der Theaterwissenschaft debattiert. Ein munterer
Gast aus der Nachbarstadt Mississauga, der sich als "Shakespearian" auswies,
bewegte immerfort seine Arme wie eine übertüchtige Windmühle gelebter
Dramatik und fragte dabei vorbildlich theatralisch nach der story, denn er
wolle unbedingt wissen, was denn nun letztendlich mit der story los sei.
Die
Antwort war allerdings schon längst gefallen, noch ehe der
Mississauga-"Shakespearian" den ersten seiner vielen gewiss theaterkundig
intendierten Kreise durch die frische Luft am Ontariosee beschreiben konnte.
"The way stories are told has changed a lot" (Bochow). Und die erstbeste
Frage, die im Rahmen des Symposiums gestellt wurde, möge jetzt einmal
vorübergehend ruhig als bestmöglicher Schluss unserer Diskussion rund um die
Erscheinungsform Theater und das Ereignis-werden-Wollen des Unzulänglichen
herhalten: Geht es
immer (nur) noch darum, eine story zu erzählen? Und falls ja: wie? Oder soll
etwas qualitativ Neues geschaffen werden? |
|