T ausend
Kilometer lang hat es Raps und gelbes Kreuzkraut in die Felder geregnet. Nun
beginnt das Reich des Mohns und der Büsche, die wie riesige Schneekugeln in
der grünen Landschaft herumliegen. Angemessenerweise strahlt nach
dreißigstündiger Zugfahrt der Vollmond: Die Transylvanian Society of
Dracula (TSD) hat zehn Forscher ins Rathaus von Schäßburg gebeten, das
nun Sighişoara heißt. Hier, im heutigen Rumänien, wurde laut wackeliger bis
unbelegbarer Überlieferung im Jahr 1431 Vlad Ţepeş, der Pfähler, geboren.
Und hier soll nun mit den vielen trüben Annahmen aufgeräumt werden, denen
gleichermaßen das Andenken des walachischen Herrschers wie seines
Roman-Pendants Graf Dracula unterliegt. Eine haarige Sache, denn erst einmal
will die Unterscheidung zwischen historischem und klinischem Vampirismus
gelernt sein.
Die vampirischen Details haben dabei nur scheinbar nichts
mit Rumänien zu tun – denn ohne Bram Stokers recht willkürlich zu einem
Sechstel nach "Transsylvanien"(1) verlegte Romanhandlung würde sich heutzutage
kein Mensch mehr die Ausgrabungsbefunde amtlich zertifizierter Vampirleichen
aus den Jahren um 1732 ansehen. Solche Berichte gibt es reichlich, (2)
allerdings stammen sie vorwiegend von Ausgrabungen in Mähren und Serbien.
Man sieht schon: Das südöstliche Europa war nicht nur in den deutschen
Reichen, sondern umso mehr für die Engländer eine fremde Welt – genauer
gesagt, ein Gebiet der Fantasie und Projektionen, in dem echte Landesgrenzen
natürlich keine Rolle spielen.
S o
kommt es, dass bis heute kaum einer der wenigen Besucher Transsylvaniens den
Unterschied zwischen Vlad Ţepeş und seinem Vater Vlad Dracul kennt. Denn
dracul – seit 1431 Träger des in Nürnberg verliehenen Drachenordens des
Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation – war nur Vlad senior, das heißt
Vlad der Zweite. Der Pfähler, Vlad junior, war hingegen eigentlich nur
drăculea: Sohn des Drachenordensträgers. Trotzdem blieb an ihm der Name
Dracula hängen, entweder weil es auch "teuflisch" heißen kann oder weil es
sonst einfach zu kompliziert wird, wenn sich Romane, Filme und das echte
Leben mischen.
Hilfreich für die Wahrnehmung des heutigen Rumänien war
es dabei nicht, dass die Christen ihren Vlad – den durch psychologische
Kriegsführung (3) die Grenzen verteidigenden und durchaus sympathischen
Herrscher der Walachei als letzte südöstliche Bastion gegen die mächtigen
Ottomanen – gerne als blutgierigen und harten Herrn überzeichneten. Die
Märchen, die über Buda und den Vatikan verbreitet und in deutscher Sprache
gern gedruckt wurden, behandeln daher nicht nur die berühmte Pfählungsszene,
in der der Vlad III. neben Gepfählten speist. Es sind vor allem Lehrmärchen
überliefert, in denen Ţepeş schlicht den schwarzen Mann ersetzt. Sein darin
oft todbringendes Erscheinen droht allerdings schon dann, wenn eine faule
Ehefrau dem Gatten aus Bequemlichkeit kurzärmlige statt langärmliger
Oberbekleidung strickt. Vlad alias der schwarze Mann kommt dann
dahergeritten, tötet die faule Gattin und "gibt dem Mann eine neue". Tja.
Wer außer mir
will da noch boshaft sein und erwähnen, dass der Pfähler wenn überhaupt,
dann nur aus Fluchtgründen oder auf Handelsrouten mal nach Transsylvanien
reiste, ansonsten aber die Walachei
regierte? Und wen kümmert es da noch, dass das angebliche Castle Bran
in Wahrheit die Törzburg im Bezirk Braşov ist, die wahrscheinlich erstens
kein Vlad je betreten hat und die zweitens ein um 1960 für die ursprünglich
angloamerikanischen TouristInnen wieder hergerichtetes Gemäuer aus dem Jahr
1377 ist, das zwar von außen sehr schön anzusehen und von innen äußerst cool
ist (geheime Treppe!), aber als Betrieb ebenso pleite wie der
Durchschnittsrumäne ist? (4)
Pfähler und Gepfählte
"Was
ist eigentlich grausam daran, ein paar tausend Türken zu pfählen?", hakt in
diesem Zusammenhang auch der unerschrockene Historiker Constantin
Rezachevici bei einem unserer Kongresse nach. "Vlad handelte doch nur gemäß
Heimatrecht!" Schon recht: Der Pfähler war ein gebildeter und fanatisch
gerechter Herrscher, (5) der Fremde eben oft gemäß der Gesetze ihrer jeweiligen
Heimat bestrafte. Die Ironie liegt darin, dass die Walachei sonst
ausgesprochen milde Strafen hatte. Selbst von einem Mord konnte man sich
dort mit etwas Glück und Bargeld freikaufen. Vergehen, bei denen man in der
Walachei mit – zwar gelegentlich geschorener – aber doch heiler Haut
davonkam, wurden in Zentraleuropa damals mit Vierteilen geahndet. Denn schon
vor über fünfhundert Jahren war eines der erklärten Ziele des walachischen
Rechtes die in Deutschland erst seit Anfang der 1970er Jahre im Strafrecht
verankerte Besserung der Verurteilten. Dieser Gedanke ist derart modern,
dass er noch heute manchem Stammtischgast aufstößt, der sich Rache statt
Resozialisierung wünscht. Vlad war da schon weiter – er pfählte nur
Ottomanen und säumige Steuersünder, also Menschen, denen anders nicht mehr
zu helfen war.
Die heute bekannteste Tat Vlads des Dritten, die
Errichtung eines "Waldes von Gepfählten" aus muslimischen Soldaten, die er
zum Sterben auf Pflöcke stecken ließ, war hingegen eine vom Steuerrecht
unabhängige Taktik, die seine Herrschaft nach außen wuchtig darstellen
sollte. Denn eine Pfählung bewirkt nicht nur ein qualvolles Sterben des
Aufgespießten, sondern war damals noch dazu eine fürchterliche Entwürdigung:
In den Augen der türkischen Krieger erhielt ein Gepfählter durch das
phallische Tötungsinstrument ein weibliches Attribut.
Auch dass Vlad junior Tartaren gezwungen haben soll, ihre
gebratenen Anführer aufzuessen, ist nach Meinung aller rumänischen
Historiker der Transylvanian Society nicht ernst zu nehmen. Wenn solche
Geschichten Vlad einmal nicht sonderlich wehrhaft erschienen lassen, dann
stammen sie von Feindesseite und sollten ihn schmähen. Doch auch das
steigert nicht ihren Wahrheitsgehalt.
Drei Hauptfiguren der Wahrnehmung von "Dracula-Rumänien"
ab ca. 1960
A ngeschoben
wurde der angesichts dieser gruseligen Fakten und der noch viel gruseligeren
Schreckens-Märchen schwer erklärliche Touristenhype durch drei Personen, (6) die
heute kaum noch jemand kennt. Sie leben aber noch und können angesichts
ihrer Umtriebigkeit auch als Energie-Vampire durchgehen.
Der erste von ihnen ist Nicolae Paduraru, Chef der
Transylvanian Society of Dracula (TSD) aus Bukarest. Wie nahezu alle
Rumänen findet er die in der örtlichen Überlieferung unbekannten Vampire
absurd (7) und hält Vlad III. stattdessen für den Nationalhelden, der er
objektiv auch ist.
Gegen den Verkauf halbseidener Reisen durch Rumänien –
unter egal welchem, gerne auch dem vampirischen Motto – hat Paduraru
trotzdem nichts einzuwenden, schließlich verkauft und leitet er sie ja. Zu
diesem Job kam er, als das Kultur- und Tourismus-Ministerium in Bukarest in
den 1960er Jahren beschloss, dass man das kapitalistische Hollwood-Jedöns –
in stark geregelten Bahnen – auch am angeblichen Borgo-Pass in
Dollar-Scheine umwandeln könnte. Also wurde der junge Nicolae, von den
Amerikanern umgehend "Nicky" getauft, Reiseführer der Regierung und lernte,
mit den beflissenen, aber geschichtlich und kulturell vollkommen
ahnungslosen und für ihn im Kern rätselhaften Gästen umzugehen.
A ls
die Regierung Ceauşescu 1989 die Segel strich, machte sich Paduraru
selbständig und tourte fortan mit Bildungsbürgern, Künstlern oder den
gelegentlich anstrandenden Gothics (8) – überwiegend aus Angelsachsen und
den USA – auf eigene Rechnung durch das von den Besuchern als putzig bis
pittoresk wahrgenommene "Transsylvanien".
Die Reiserouten könnten viel über die Geschichte Europas
erzählen, denn sie sind durchaus tipptopp ausgesucht. (9) Wer aber lieber ein in
die Natur gewachsenes Vampir-Disneyland sehen will, wo in Wirklichkeit eben
Wirklichkeit herrscht, der wird ebenso gerne Märchen, Mythen und Gemunkel
aufgetischt bekommen. Interessiert sich einer der Gäste einmal zu sehr fürs
Land, wird er aber ebenso an allem Schmutz und möglichst auch an der größten
Armut – so gut das eben geht – vorbeigelotst. Die deswegen von vornherein
ambivalent ausgelegte Begrüßungsformel Padurarus lautet daher:
We assume you have the standard apprehension of Dracula,
of vampires in general – derived from many films and few books.
You may, on the contrary, be well informed, but you did
not yet measure your knowledge up against the reality.
Welcome to Romania!
W as
in dieser "Realität" weder der aufmerksame noch der fantasiebegabte
Angelsachse begreifen kann, ist, dass Pferdefuhrwerke auf asphaltierten
Straßen nicht "mittelalterlich", sondern womöglich erst vor 30 Jahren gebaut
sind und dass auch gelegentlich Kopftuch tragende Landfrauen durchaus einen
Fernseher haben. Der unlösbare Twist der Touren ist eben, dass die
Reiseveranstalter Erwartungen der aus ihrer Sicht superreichen Besucher
nicht ohne Not erschüttern wollen. Kein Wunder: Was würden Sie denken und
tun, wenn Ihnen ein lächelnder Mann mit blitzenden Zähnen, vollen Wangen und
einer Jacke aus Hightech-Polyester für eine Suppe mit Brot als "Trinkgeld"
ohne erkennbaren Grund das Zwanzigfache des verlangten Preises hinlegt und
im Übrigen eine sympathische, wenngleich irgendwie naive Type ist?
Trotzdem wirft Tourleiter Paduraru auch nach vierzig
Jahren im Business immer noch genervt das Handtuch, wenn beispielsweise
U.S.-Filmteams allzu sehr über sein Land lachen. Beim großen Dreh für
National Geographic TV International mit weltweiter Ausstrahlung der
Sendung, (10) bei dem es dem U.S.-Team an Ernsthaftigkeit gegenüber der in der
Tat gewaltigen und von Gewalt durchtränkten Geschichte Rumäniens gebrach,
winkte er beispielsweise mittendrin ab, verzichtete auf das dringend
benötigte Honorar und fuhr mit seinem klapprigen Auto lieber wieder nach
Hause.
Die ewige Dracula-Club-Präsidentin
Z weite
Hauptvertreterin Dracula-Rumäniens ist meine gute Freundin Jeanne Youngson,
geborene Keyes. Sie war mit dem Hollywood-Film-Produzenten und zweifachen
Oscar-Gewinner Robert Youngson (11) verheiratet, bis er 1974 im New Yorker
Greenwich Village starb. Da Mister Youngson berufsbedingt meist am
entgegengesetzten Ende der USA – eben in Hollywood – weilte, hatte seine
Gattin nicht nur Zeit für Schöngeistiges, sondern neben einem Penthouse am
Washington Square in Manhattan (in dem sie bis heute lebt) auch eine recht
leer stehende Wohnung auf der Fifth Avenue No. 1 sowie ein wenig Spielgeld
übrig.
Also wandelte sie das überschüssige Appartment nach
seinem Tod in ein Dracula-Museum um. Es bestand in erster Linie aus Nippes
und Plastikklimbim, der bloß irgendetwas mit Fledermäusen, dem
Hollywood-Dracula oder auch Bram Stoker und Henry Irving (12) zu tun haben
musste. Daneben fanden sich zwar auch einige wertvolle Erstausgaben, die man
aber zwischen dem leicht deplatzierten Malteserfalken, (13) Original-Filmrollen
von Laurel & Hardy (14) und einem Film-Umhang, der tatsächlich in einem
Dracula-Film verwendet wurde, herausfischen musste.(15) Diesen Umhang hatte
höchstwahrscheinlich Christopher Lee getragen, denn Robert Youngson
arbeitete in Hollywood als Produzent für Warner Bros., die unter anderem die
Filme Taste The Blood Of Dracula
(1969), Dracula Has Risen From The Grave (1968), Dracula A.D. 1972
(1972) und Horror Of Dracula (1957), alle besetzt mit Lee,
herausgebracht hatten.
J eanne
Youngsons Dracula-Sammlung wäre heute inklusive des Plastikzeugs wohl
einiges wert. Doch da das zyklisch wiederkehrende Vampirthema gerade keine
Hochphase hatte, als sie die Sammlung auflöste, sind die Gegenstände nun in
alle Winde verstreut. Auch der von ihr gegründete Count Dracula Fan Club
(erster Dracula-Verein der Welt, gegr. Juni 1965) und viele weitere ihrer
Organisationen sind angesichts rasant versterbender Mitglieder nur noch
Legende beziehungsweise ein exponentiell schrumpfendes Empfänger-Netzwerk
der auf Papier gedruckten und viermal jährlich mit der echten Post (!) in
Großdruck versandten Mitteilungen.
Durch ihr nimmermüdes, wenngleich vollkommen
unsystematisches Reisen zu den Draculaforschern der Welt, als Herausgeberin
unzähliger unwissenschaftlicher Berichte und Mini-Storys sowie als von
Nicolae Paduraru seit dem ersten Tag beeinflusste Rumänien-Touristin ab 1965
formte Youngson in den Vereinigten Staaten stark die Wahrnehmung
"Transsylvaniens" als einer zwar mystischen und spannenden, aber doch
harmlosen und eigentlich leicht begreifbaren Gegend. Ihre Vereins-Broschüren
nehmen daher neben Film-Informationen viele für Zentral- und Ost-Europäer
haarsträubende Motive auf. Das Count Dracula Chicken Cookbook (1979)
ist beispielsweise von der noch heute in Teilen Rumäniens einzig verfügbaren
Fleischquelle, dem Federvieh, humorig inspiriert. Was Rumänen in den 1960er
Jahren weniger lustig fanden, focht Youngson dabei nicht an. Im Vorwort zu
ihrer burgeoisen Kochanleitung kann sie daher auch mit Augenzwinkern
behaupten:
"Das Original dieses Buches fiel mir in einer staubigen
Kammer in die Hände. Auf dem Einband stand:
'Graf Dracula
Schloss Dracula
Transsylvanien'."
Diesen mädchenhaft-verspielten Stil hält Jeanne bis heute
durch. Ihre Veröffentlichungs-Liste ist daher zwar lang und munter, aber
ohne Substanz.
Bram Stokers Transsylvanien
D as
unbeschwerte Wirken der Club-Präsidentin Youngson begründet den
jahrzehntelangen Zwist mit ihrer ewigen Widersacherin, der kanadischen
Literaturforscherin Elisabeth Miller. Sie soll daher die dritte
Protagonistin in unserem kleinen Fremdbild-Reigen sein. Anders als Youngson
ist Miller nämlich kein diffus-naiver Dracula-Fan mit
Hollywood-Direktschaltung, sondern eine Frau, die sich mit ihren
StudentInnen kreuz und quer durch die Klassiker der Vampirliteratur gewühlt
hat, nachdem auch sie mit Paduraru konferierte und bemerkt hatte, dass seine
Berichte immer so ausfallen, wie es dem zahlenden Publico gerade behagte.
Bei ihren Nachforschungen nahm Miller die zuvor nie
gründlich gesichteten Manuskripte von Bram Stoker unter die Lupe, die
ohnehin erst einige Jahre zuvor in einem Bauernhaus aufgetaucht waren.
Seitdem hat sie einen guten Überblick darüber, wie und wo sich Theaterautor
und -manager Stoker die Anregungen für den Roman Dracula besorgte. So
war es beispielsweise nicht Vlad III., der Transsylvanien zur fiktiven Folie
für die späteren Filmvampire machte. Stattdessen suchte Stoker zunächst
unabhängig von Dracula nach einer Gegend, in der noch Aberglaube und
Rückständigkeit herrschen sollten. "Seine Beschreibung Transsylvaniens
stützt sich zwar durchaus auf Beschreibungen aus Büchern, die ihm vorlagen",
sagt Elisabeth Miller dazu, "aber er reicherte diese mit einem guten Schuss
spätviktorianischer Abfälligkeit an." (16). Kein Wunder – die Viktorianer
sahen sich nicht ganz zu Unrecht als technisch und geistig der restlichen
Welt voraus.
W ie
eher den österreichischen als den deutschen LeserInnen bekannt sein dürfte,
sollte der Roman nach einer Notiz Stokers vom 14. März 1890 ursprünglich in
der Steiermark spielen. Es ist unbekannt, welches Gespräch oder Buch den
Autor schließlich dazu brachten, den Vermerk "Styria" durchzustreichen und
irgendwann während der folgenden zwei Jahren durch "Transsylvanien" zu
ersetzen. (17) Stattdessen finden sich aber sichere Hinweise darauf, aus welchen
Büchern sich Stoker mit Informationen versorgte, nachdem er sich einmal für
die Welt hinter den Wäldern entschieden hatte:
– Emely Gerards Artikel Transylvanian Superstitions,
den sie 1888 in ihr Buch The Land Beyond the Forest
(Blackwood, London, 1888) aufnahm (daraus von Stoker für den Roman
Dracula unter anderem entnommen: St. Georgs-Tag, blaue Flammen,
Bekämpfungsmittel gegen Nosferati/"Vampire")
– Andrew Crosses Buch Round About the Carpathians
(Blackwood, London, 1878; Beschreibung des güldnen Mediasch-Weins, der
Beschirrung örtlicher Kutschen und der Kleidung der Roma)
– Major Johnsons Buch On the Track of the Crescent
(Hurst & Blackett, 1885; örtliche Speisen, Menschengruppen in Transsylvanien
(Magyaren, Siebenbürger "Sachsen", Slowaken usw., Kreuze an Wegkreuzungen
etc.)
– Charles Boners Buch Transylvania: Its products and
its people (Longmans, Green, Reader & Dyer, 1865; u. a. Erwähnung eines
"Borgo Prund"/"Borgo-Passes")
sowie
– William Wilkinsons Buch An Account of the
Principalities of Wallachia and Moldavia (Arno Press, New York,
1820), in dem der Name "Dracula" erwähnt wird.
Stoker selbst war niemals in Osteuropa. Sonst hätte er
die Heimstatt des Gruselfürsten auch sicher nicht an den Borgo-Pass verlegt:
Erstens gibt es dort kein Schloss (das jetzige Castle Dracula Hotel
ist ein Touristengag), und zweitens ist gerade der Borgo-Pass nicht steinig,
sondern mild wie eine Rehwiese im Morgentau. "Waldige Täler gibt es am
Borgo-Pass durchaus", stimmt mir die drahtige Dracula-Gelehrte Miller zu,
"aber die wild zerklüfteten Pfade hat Stoker aus einer Reisebeschreibung
abgeschrieben, die eine völlig andere Ecke der Karpaten beschreibt".
Epilog: Spaß im Familien-Draculaland
D er
Untergang der Dracula-Legende steht zwar nicht bevor, die Zeit des
Dracula-Tourismus ist aber vielleicht für immer vorbei. Rumänien könnte
durch die Anbindung an die EU in den kommenden Jahrzehnten und vor allem
durch die schon jetzt oft gute Schulbildung der Jugendlichen bald ein
modernes Gesicht erhalten. Wenn auch noch die ständig fotografierten
Pferdekarren verschwinden und, wie es derzeit scheint, auch der letzte
deutsch sprechende Siebenbürge in den Westen gewandert ist, dann wird wohl
auch für touristische Veteranen nur noch eine fast unerklärliche Erinnerung
an Zeiten bleiben, in denen sie ein Land für sich erschlossen, dass es
eigentlich nie gegeben hat.
Selbst die Pläne für einen Dracula-Park ("Draculand"),
die man in Siebenbürgen teils liebend gern (Arbeitsplätze!), teils aber auch
mit großer Bitterkeit (die alten Eichen!) gesehen hatte, waren mangels
Finanzierbarkeit von der ersten Sekunde eine Totgeburt, (18) was aber erst seit
2006 auch offiziell zugegeben wird. Damit hat sich zum Glück auch der
unlösbare Streit erledigt, ob man im Park den historischen Wojwoden (und
falls ja, welchen: Vlad junior oder senior?) oder den eigentlich verhassten
Hollywood-Fürsten hätte hervorheben sollen.
Wie man sieht, hat die alle Moden und Irrtümer
überdauernde Arbeit der Transylvanian Society ihr Gutes. Sie stellte durch
ihre Forschungen nicht nur fest, dass der Roman-Graf bei Stoker auch am Tage
umherwandert, wenngleich er dabei seine magischen Kräfte verliert. Es zeigte
sich aber zugleich, dass bei uns Menschen etwas gerade Umgekehrtes
geschieht: Je heller das touristische Fantasma ausgeleuchtet wird, desto
faszinierender werden seine eigentlichen Wurzeln. Und wo vorher ein Haufen
aufgekratzter Fans herumlief, sitzen nun sich gegenseitig anregende
ForscherInnen aus aller Welt – einmal im Jahr, in Transsylvanien.
Anmerkungen
(1) Die übrigen fünf Sechstel des Romans Dracula spielen in
England.
(2) Vgl. beispielsweise Calmet A.: Gelehrte Verhandlung der Materi von
Erscheinungen der Geistern und denen Vampiren in Ungarn, Mahren etc., 2.
Aufl. Matthäus Rieger, Augsburg, 1732; Benecke M.: Vorwort zu Calmets
"Über Geistererscheinungen“. Bohmeier, Leipzig, 2006; Hamberger K.:
Mortus non mordet, Dokumente zum Vampirismus 1689–1791. Turia & Kant,
Wien, 1992; Kreuter P.: Der Vampirglaube in Südosteuropa. Weidler (Serie
Romanice), Berlin, 2001; Benecke M,. Deml U., Kreutz K., Hennecke A.,
Risse M., Verhoff M. A., Natürliche Leichenerscheinungen als Ursprung
des Vampirglaubens. Frühjahrstagung der dt.
Ges. f. Rechtsmed.,
Abstractband, S. 58 (2004); Pescod-Taylor D., Benecke M., Vampires &
Decomposition. Bizarre (London) May/June 1997, S. 60–61 (2004); Petrescu
M., The long shadow of Dracula: Last week, six men were jailed for
ripping out the heart of a corpse they believed was "undead", The Sunday
Telegraph (London), o. S. (2005)
(3) vorwiegend durch Pfählen, siehe auch weiter unten, was eine extreme
Entehrung bedeutete: anales Eindringen und totale Hilflosigkeitsgefühle
bei harten Jungs (wenngleich nicht zehntausendfach durchgeführt – das
war nur eine Propagandalüge), besonders durch Hinterhalte im Wald.
Diese, auch von den weit unterlegenden Walachen durchführbaren
Auflauerungen, machten den damals noch ohne Feldküche und Verpflegung
einfallenden Ottomanen durch das Abschneiden von Versorgungs- (das heißt
Plünderungs-)Wegen massiv zu schaffen (hungrige Soldaten).
(4) Bspw. APA/DPA: Draculas Schloss zu verkaufen. Agenturmeldung,
18. Dez. 2006. – Das Schloss wurde im Mai 2006 an Dominic von Habsburg,
Enkel der Prinzessin Ileana von Rumänien, zurückgegeben, da es seit 1920
seiner Großmutter, Königin Maria, gehörte, später aber von den
Kommunisten einkassiert worden war. Übergabe-Bedingung ist derzeit, dass
das Schloss drei Jahre lang Museum bleiben soll; danach wird sich der
dort entstandene, ohnehin anachronistische "Dracula"-Markt mit Schnaps,
Holzfigürchen, Tellern usw. vermutlich nicht mehr halten können. Derzeit
(Sept. 2007) steht das Schloss vertragswidrig schon zum Verkauf.
(5) Er gilt heute auch als Symbol für einen Herrscher, der Korruption
energisch bekämpft.
(6) Es gäbe in diesem Zusammenhang noch drei weitere wichtige Charaktere
zu beschreiben, was aus Platzgründen aber nicht möglich ist: Radu
Florescu, Vincent Hillyer und Raymond McNally, die jeweils
einflussreiche Bücher zum Thema geschrieben haben, massiv im Fernsehen
aufgetreten sind und dabei teils das Interesse bündelnd im
"Dracula-Schloss" übernachtet haben. Details finden sich in den Büchern
der drei, die im Internet sehr leicht zu finden sind. Achtung: Unbedingt
die aktuellsten Auflagen besorgen, ältere Ausgaben strotzen teils vor
Sachfehlern.
(7) Man glaubt auf dem Land stattdessen an männliche strigoi
(ursprünglich aus dem lateinischen striga = Hexe; gemeint sind
heute aber Untote oder noch eher Menschen mit bösem Blick) oder, viel
seltener, weibliche yellele (drei böse Frauen; vgl. zu diesem
uralten Motiv auch Bram Stokers Dracula, die Statuen der griechischen
Göttin Hekate (in Dreigestalt) oder die Gleichsetzung von Diana, Hekate
und Proserpina als der Magie kundige Töchter der Nacht (zu letztem Motiv
aktuell bspw. die rumänischstämmige Autorin Petra Aescht: Nachtridders –
Hexendarstellungen des Jacques de Gheyn II, Magisterarbeit, Univ. Bonn,
2006)).
(8) Zum Zusammenhang von Gothic, Vampiren und "Vampyren" vgl. Benecke
M.: Vampire unter uns: Jugendliche Vampir-Subkulturen. In: Bertschik J.,
Tuczay C. (Hrsg.) Poetische Wiedergänger. Deutschsprachige
Vampirismus-Diskurse vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Francke,
Tübingen, S. 285–302, 2004.
(9) Typische Stationen: Bucureşti – Poienari – Törzburg (Castle Bran)
– Braşov (Kronstadt) – Sighişoara (Schäßburg) – Bistriţa (Bistritz) –
Targu Mureş – Sinaia.
(10) Moore P., Pinto M., Goulding D., Buckley B., Benecke M., Dermengiu
D., Miller E., Hoggard S.: Riddles of the Dead 7: Dracula Unearthed.
National
Geographic TV International, Washington, 2002.
(11) Oscars
jeweils für die Kurzfilme (one-reeler) von Warner Bros. Blaze
Busters (1950) und World of Kids (1951); erneut nominiert
1956 für den Kurzfilm I never forget a face.
(12) Sir Henry Irving war Hamlet-Darsteller und Freund von Stoker.
Dieser schrieb Irving die Rolle des Dracula auf den Leib, damit er sie
möglichst auf der Bühne gäbe, was der Charakterdarsteller aber nie tat.
(13) Goldgefüllter Gegenstand der Begierde aus dem Kriminalfilm The
Maltese Falcon von 1941 (mit Humphrey Bogart).
(14) Laurel & Hardy wurden teils auch von Robert Youngson "produziert",
das heißt neu zusammengestellt und wiederveröffentlicht.
(15) Das Dracula-Museum wurde 1998 vom Autor aufgelöst. Youngson
verkaufte den Inhalt an die Betreiber des Musicals Tanz der Vampire,
das damals in Wien, danach in Stuttgart und zurzeit in Berlin aufgeführt
wird.
(16) Miller E.: The Geography of Dracula. In (dies.): Dracula: Sense &
Nonsense. Desert Island Books, Westcliff-on-Sea (Essex, U.K.), 2000, p.
140–179; hier S. 148: "Stoker’s Transylvania is an amalgam of material
gathered from a number of book-sources, sprinkled with a goodly doe of
late-Victorian cendescension." – S. auch Fußnote 1 auf S. 9.
(17) Alle Begründungen, die in der Sekundärliteratur zur Ortsverlagerung
von der Steiermark nach Transsylvanien zitiert werden, sind unbelegt und
damit erfunden.
(18) Eine erfahrene deutsche Freizeitpark-Firma sollte das Gelände
errichten; allerdings galt Rumänien bei den befragten Banken als eines
der besonders für Hermes-Kredite kreditunwürdigsten Länder der Welt.
Zudem war die Anbindung nach Schäßburg, wo der Park um 2002 herum
geplant war völlig witzlos: ab Bukarest mit dem Schellzug 4 1/2 Stunden.
Der Eintritt sollte bei zehn Dollar liegen, was angesichts der
örtlichen Löhne, aber auch der
niedrigen Bevölkerungsdichte, ebenfalls mehr als realitätsfremd war.
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