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Rumäniens Wirtschaft und Politik
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Schon früh wurde der wirtschaftliche Aufschwung Rumäniens von und für
eine sehr schmale Elite betrieben. Das ist heute nicht viel anders. Wie sonst wäre
es zu erklären, dass die
wirtschaftlichen Wachstumsraten abenteuerlich hoch,
die
Armut aber nach wie vor groß ist.

Von Hannes Hofbauer
(01. 01. 2007)

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Hannes Hofbauer
promedia@mediashop.at

Jahrgang 1955, hat Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien studiert. Er arbeitet als Journalist und Publizist. Seit 1989 bereist er die Länder Osteuropas und hat – mit Co-Autoren – historisch angelegte Regionenportraits der Bukowina, Transsylvaniens/ Siebenbürgens und Schlesiens verfasst.


Buchtipp


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Hannes Hofbauer.

Mitten in Europa. Politische Reiseberichte aus Bosnien-Herzegowina, Belarus, der Ukraine, Transnistrien / Moldawien und Albanien
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Promedia Verlag, 2006, 222 S. ISBN: 3853712509


 

Linktipp

Deutsch-rumänische
Handelskammer
in Bukarest

 

 

 

 

Wohin sich die Millionen unbrauchbar Gewordener, vom Kommunismus Proletarisierten und jetzt Prekarisierten in naher Zukunft wenden sollen, ist nach der EU-weiten Schließung des Arbeitsmarktes für RumänInnen zur zentralen sozialen Frage geworden.



 

 

    Im Sog der drei historischen Zentren Europas finden sich rumänischsprachige Gebiete und Menschen seit Jahrhunderten zwischen den Interessen Wiens bzw. Brüssels, Moskaus und Konstantinopels/Istanbuls. Der sich über ein Jahrhundert hinziehende Rückzug der Osmanen aus der Region und die damit einhergehende Auflösung der drei von der Hohen Pforte oberherrschaftlich verwalteten historischen rumänischen Fürstentümer Moldawien, Transsylvanien und Walachei hat der nachmaligen Türkei ihren Einfluss auf Rumänien geraubt. Umso stärker traten seit dem späten 18. Jahrhundert die österreichischen Habsburger und die russischen Romanovs in Erscheinung.

Die Eingliederung von Teilen der rumänischen Siedlungsgebiete als Siebenbürgen und Bukowina unter Wiener bzw. von Bessarabien unter Moskauer Kontrolle modernisierten wirtschaftlich gesehen einerseits die ehemaligen tributären Ökonomien, brachten sie jedoch andererseits unter verstärkte ökonomische Abhängigkeit. Mit der Gründung Rumäniens als geopolitischem Kompromiss der Weltmächte am Berliner Kongress 1878 verstärkten das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn ihren Einfluss in den rumänischen Siedlungsgebieten. Die Abhängigkeit des Landes von westlichen Interessen kam politisch am sichtbarsten in der Einsetzung eines hohenzollerischen Adelssprösslings, Karl, als erstem rumänischen König zum Ausdruck. Der wirtschaftliche Aufschwung des Landes wurde von und für eine sehr schmale Elite betrieben. Eine Bodenreform im Jahr 1920 machte aus feudal vollständig abhängigen Landarbeitern Kleinstbauern, dem Hunger der Landbevölkerung konnte sie ebenso wenig entgegenwirken wie dem Analphabetismus, der vier Fünftel der RumänInnen betraf. Die gegenüber dem Land parasitäre Stadt blieb als solche bestehen.

    Mit dem Sieg der Roten Armee über Hitler-Deutschland und seine Verbündeten 1944 übernahm eine in der rumänischen Gesellschaft kaum verankerte kommunistische Partei die Initiative. Rasche Proletarisierung unter entwicklungsdiktatorischen Bedingungen industrialisierte das Land, alphabetisierte die Bevölkerung und veränderte die Lebensbedingungen grundlegend: im Jahr 1990 hatte die durchschnittliche Lebenserwartung mit 70 Jahren fast westeuropäisches Niveau erreicht, 1930 war sie noch bei 40 Jahren gelegen.

Nach der Erschießung des letzten national-kommunistischen Führers Nicolae Ceausescu dauerte es in Rumänien länger als in vergleichbaren Nachbarländern, bis sich westliche Konzerne das vormalige Staatseigentum aufteilten. Das lag unter anderem an dem geringen Druck, den mächtige Institutionen wie Weltbank und Währungsfonds auf die postkommunistische Elite ausüben konnten: Ceausescu hatte die in den 1970er Jahren angehäufte Außenschuld Rumäniens im Jahr 1989 zurückbezahlt, das Land war schuldenfrei.

     Erst gegen Ende der 1990er Jahre konnte sich eine den westeuropäischen und US-amerikanischen Konzernen ergebene Administration in Bukarest etablieren. Seither testet das Kapital aus den Zentren radikale ökonomische und soziale Maßnahmen in der rumänischen Peripherie. Mit der Einführung eines Einheitssteuersatzes von 16% "Flat tax" für Unternehmenssteuern ist Rumänien für große Investoren steuerlich das günstigste Land in der Europäischen Union geworden. Der Durchschnittslohn beträgt ein Fünftel des westeuropäischen Niveaus.

Die durch neue Verelendung ausgelöste Mobilisierung hat nach Schätzung des Arbeitsministers zwei Millionen RumänInnen – als großteils "Illegale" – auf westeuropäische Arbeitsmärkte getrieben. In der Landwirtschaft mit dem EU-weit höchsten Beschäftigtenanteil von 35% bauen US-Konzerne großflächig gentechnisch veränderte Lebensmittel an. Die Profitraten von Banken,Versicherungsgesellschaften und Energiekonzernen, die allesamt von westeuropäischen Zentralen aus geführt werden, liegen weit über dem EU-europäischen Durchschnitt. Und von der westeuropäischen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, sitzt der bekannteste rumänische Gewerkschaftsführer, der Bergarbeiter Miron Cozma, seit 1999 wegen Staatsgefährdung im Gefängnis. Dies wohl als Warnung an alle im rumänischen Transformationsrausch zu kurz Gekommenen, gegen ihre soziale Marginalisierung auf die Straße zu gehen.

     Wohin sich die Millionen unbrauchbar Gewordener, vom Kommunismus Proletarisierten und jetzt Prekarisierten in naher Zukunft wenden sollen, ist nach der EU-weiten Schließung des Arbeitsmarktes für RumänInnen zur zentralen sozialen Frage geworden. Zur Zeit sieht es nicht danach aus, dass sich eine politische Kraft dieser Frage annimmt. Stattdessen wird in den Mainstream-Medien weiterhin viel vom Phänomen Rumänien zu lesen sein, in dem die wirtschaftlichen Wachstumsraten abenteuerlich hoch und – gleichzeitig angeblich unverständlicher Weise – die Armut abenteuerlich groß ist.

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