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Held und Unbekannter
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George Enescu erfreute sich schon zu Lebzeiten größerer Beliebtheit als
jeder andere rumänische Komponist: dank seiner Werke, die "national" und "universal"
zugleich waren, dank seines grandiosen Geigenspiels und charismatischen Dirigats
und dank der unschätzbaren musikalischen Aufbauhilfe für sein Land, in dem ein
Konzertleben sich erst Ende des 19. Jahrhunderts zu entwickeln begann.


Von Johannes Killyen
(01. 02. 2007)

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    In Mitteleuropa, vor allem in Deutschland, wissen selbst Musikexperten wenig mit dem Namen Enescu anzufangen. Zwei Rhapsodien hat er geschrieben, zwei Reißer, die ins Blut gehen. Ein großer Geiger war er. Das fällt vielen noch ein. Und sonst? Sicher: Alle wichtigen Werke Enescus sind auf Tonträger gebannt und auch greifbar. Bekanntheit garantiert das jedoch nicht, in Zeiten einer schier grenzenlosen Verfügbarkeit von Musik. Wer sich dagegen über Enescu belesen will, wird auch nach längerer Recherche kaum eine handvoll Bücher finden, es sei denn, er (oder sie) ist des Rumänischen mächtig.

In Rumänien war George Enescu zu Lebzeiten ein Held, obwohl oder gerade weil er die rumänische Kultur und Musik in seine Wahlheimat Paris und die großen Konzertsäle der Welt trug. Er galt als "nationaler" ebenso wie "universaler" Komponist, eine Verbindung, aus der in Rumänien gerne Denkmäler gemeißelt werden. Solch ein Denkmal ist Enescu spätestens nach seinem Tod vor 52 Jahren geworden: Geehrt durch ein gigantisches Festival, das ebenso seinen Namen trägt wie sein Geburtsort im Nordosten des Landes. Unangreifbar für die große Mehrheit der rumänischen Musikwissenschaftler ist er geblieben, und wohl auch ein wenig geliebt in der Bevölkerung – vor allem für seine Rhapsodien.

    Auf posthume Beliebtheit aber kam es Enescu, der 1888-1895 am Wiener Konservatorium Violine und Komposition (bei Joseph Hellmesberger junior und Robert Fuchs) studierte und schnell als Wunderkind galt, gewiss nicht an. Er konnte zu Lebzeiten wie kaum ein Anderer über diese Beliebtheit verfügen, dank seines grandiosen Geigenspiels und charismatischen Dirigats, dank der unschätzbaren musikalischen Aufbauhilfe für sein Land, in dem ein Konzertleben sich erst Ende des 19. Jahrhunderts zu entwickeln begann. Als Komponist dagegen agierte er – abgesehen von weniger bedeutenden Gefälligkeitswerken – weitgehend unabhängig. Um Aufführungen seiner Werke musste der Sohn eines orthodoxen Priesters, der ab 1895 in Paris studierte (bei Marsick, Massenet, Fauré und Gédalge), selten betteln. Denn wo immer er auftrat, konnte Enescu eigene Kompositionen aufs Programm setzen.

Ein eigener Weg in die Moderne

   Die Eigenständigkeit seines kompositorischen Weges ist bemerkenswert: Ausgehend von Brahms (den er in Wien persönlich kennenlernte) und Wagner, beeinflusst auch von der französischen Musik, fand Enescu einen spezifisch rumänischen Weg in die Moderne. Hatte er zu Beginn, unter anderem in den Rhapsodien op. 11, die Volksmusik auf geschickte, aber doch konventionelle Weise eingebunden, gewann diese – meist gesungene Volksmusik für seine Werke bald strukturelle Bedeutung. Béla Bartóks Aussage, "dass es nicht genügt, lediglich Motive der Bauernmusik oder Nachahmungen solcher Motive der Kunst einzuverleiben, (weil) das nur einen äußerlichen Aufputz bedeuten würde", gilt auch für Enescu.

Es ist nicht nur die Exotik der Volksmusik, die er sich zunutze macht, es sind ihre Prinzipien zum Beispiel das Primat der Melodie: In Enescus einziger Oper "Oedipe", aber auch in vielen anderen Werken, findet sich tonale neben bitonaler, modale neben vollkommen atonaler Harmonik, die nie Selbstzweck ist, sondern einem einzigen Ziel dient – den Charakter der Melodie zu wahren und zu betonen.

    Scheint es ihm anders nicht möglich, lässt Enescu das gesamte Orchester unisono aufspielen (in der ersten Orchestersuite op. 9 einen ganzen Satz lang), oft unterlegt er der Melodie nur Orgelpunkte oder Bordunquinten oder fächert sie in polyphoner Engführung auf in die Mehrstimmigkeit – das Prinzip der Heterophonie. All das hat der für seine Höflichkeit und lichte Freundlichkeit bekannte Komponist der rumänischen Bauernmusik abgehorcht. All das und noch mehr: Den chromatischen Aufbau der zugrunde liegenden Tonleitern, den ungemein lyrischen Ausdruck und den rezitativartigen "langen" Gesang (cântec lung), der nie stagniert und voll Schmerz und Sehnsucht sein Ziel sucht.

Dass die genannten Kompositionsprinzipien rumänischer Provenienz sind, ist Enescus Werken manchmal anzuhören – oft jedoch auch nicht. Den Schritt vom nationalen zum universalen Komponisten hat er souverän vollzogen.

Symphoniker im Herzen

    Auch Lieder hat Enescu komponiert und Chorwerke, daneben große, hervorragende Kammermusik und eine Oper, "Ödipus", von erschlagender Wucht. Doch im Grunde seines Herzens war der Lehrer Yehudi Menuhins Symphoniker: "Symphonisch ... ist die Bezeichnung, die ich für mein Lebenswerk beanspruche, in das ich meine ganze Seele gelegt habe. Aber wenn ich Symphoniker bin, dann heißt das, dass ich mich (nur) so ausdrücken kann, ohne Absicht." Mit "symphonisch" dürfte Enescu, der gerne blumig formulierte und ganz in romantischer Tradition davor zurückscheute, seine künstlerischen Mittel offen zu legen, wohl Folgendes gemeint haben: Den Umgang mit großen Formen und Klangkörpern, die Entwicklung aus autonomer musikalischer Motivation eher als die Orientierung an außermusikalischen Programmen oder dramatischen Vorlagen.

Enescus offizieller Werkkatalog – mit den seiner Ansicht nach "gültigen" Kompositionen enthält rund 40 Kompositionen, denen die Opuszahlen 1-33 zugeordnet sind. Viele sind für Orchester geschrieben: Eine konzertante Symphonie für Cello und Orchester (op. 8), zwei Rumänische Rhapsodien (op. 11), drei Orchestersuiten (op. 9, op. 20, op. 27), zwei Intermezzi für Streicher (op. 12), das symphonische Poem "Vox Maris" (op. 31), eine Konzertouvertüre über Themen im rumänischen Volkscharakter (op. 32), eine Kammersinfonie für zwölf Instrumente als letztes Werk (op. 33), schließlich drei vollendete (op. 13, op. 17, op. 21) Sinfonien und zwei unvollendete (ohne Opuszahl), die der Komponist und Musikwissenschaftler Pascal Bentoiu vor einigen Jahren komplettiert hat.

   George Enescus populärste Werke sind zweifellos die erwähnten Rumänischen Rhapsodien op. 11 (1901/1902), zwei eingängige Reißer, die zwar hervorragend instrumentiert und dramaturgisch geschickt aufgebaut sind, aber doch arg das Klischee vom "Nationalkomponisten" bedienen. Nicht von ungefähr war Enescu unglücklich darüber, dass er stets und vor allem diese beiden Frühwerke mit ihren relativ oberflächlichen Folklorismen dirigieren sollte.

Ende des Lebens

   George Enescu und Rumänien – sie sollten am Ende nicht mehr zusammenkommen. 1946 hatte der Meister sein Heimatland verlassen, offiziell, um nach langer Kriegszeit wieder einmal im Ausland zu konzertieren. Es wurde ein Abschied für immer und der einzige Weg, um der Vereinnahmung durch die neuen kommunistischen Machthaber zu entgehen. Diese ächteten wenig später den größten rumänischen Komponisten. Der Kritik von drittklassigen Tonsetzern im Komponistenverband folgte am Ende der Ausschluss: Werke Enescus wurden aus den Konzertprogrammen gestrichen.

Schließlich aber die Versöhnung auf Distanz: Höfliche Einladungen aus Rumänien, Rehabilitation und öffentliche Verlautbarungen. Enescu, so hieß es, wünsche nichts sehnlicher, als noch einmal zurückzukehren ins Land hinter den Karpaten, auf den "Boden voller Sagen und Legenden", in dem er so tief verwurzelt war. "Ihr Herz bedarf in erster Linie der Wärme, mit der Sie das Volk erwartet, dem Sie Ihr ganzes Leben so ergeben gedient", schrieb Staatschef Petru Groza. Schließlich die Botschaft, die offiziell Gültigkeit bis 1989 hatte: Die Krankheit lasse eine Heimkehr nicht zu.

   Nun war Enescu Anfang der 50er Jahre zwar körperlich mehr als angeschlagen, doch für Konzerte in New York und London reichte die Kraft allemal. Dennoch war eine Reise nach Rumänien für ihn nicht mehr denkbar. Er litt mit "seinem" Land, von dem er lange profitiert und dem er dann alles doppelt und dreifach zurückgegeben hatte. Doch sehen wollte er es nicht mehr. Am 4. Mai 1955 starb er im Vier-Sterne-Hotel Atala in Paris.


 

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