Über die Aurora

Aktuelle Ausgabe

Frühere Ausgaben

Suche

   Schwerpunkte    Theater     Kulturphilosophie     Belletristik      Literatur     Film     Forschung    Atelier     Musik  

......
Endlich daheim in der Fremde
...
Als 18-Jährige verließ Paula Leichtweiß ihre Geburtsstadt Bukarest,
um mit ihrer Familie nach Deutschland auszuwandern. Vom Ceauşescu-Regime
als "Person ohne Staatszugehörigkeit" gebrandmarkt, war sie über lange Jahre
auf der Suche nach dem Gefühl von "Heimat".

Von Paula Leichtweiß
(01. 02. 2007)

...



Paula Leichtweiß
mp.leichtweiss@online.de

geboren 1963 in Bukarest.
Arbeitete nach ihrem Schulabgang kurzfristig als Hamburger-Restaurant-Mitarbeiterin, schulte dann um zur Sekretärin. Zurzeit Hausfrau und freischaffend in der Foto- und Videobearbeitung tätig. Verheiratet, zwei Kinder. Lebt seit 1981 in Deutschland.

 

 

 

 

Die rumänischen Behörden machten es uns nicht allzu einfach, das Land zu verlassen.

 

 

 

 

 

 

 

Bin ich nun schuldig oder nicht schuldig?

 

 

 

 

 

 

Außer meiner Kleidung und einigen Puppen aus der Kindheit durfte nichts mit. Alles musste verkauft oder verschenkt werden.

 

 

 

 

 

 

 

 

In der neuen Heimat angekommen, wurden wir als Eindringlinge betrachtet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ständig wurde ich auf meine Herkunft angesprochen.

    Es sind etwa 25 Jahre vergangen, seit ich mein Heimatland verlassen habe. Seitdem habe ich nur ein Mal als Touristin für zwei Wochen Anfang der 80er Jahre die Schwarzmeerküste besucht. Aber sonst bin ich, außer kurz bei einem Klassentreffen, nie wieder da gewesen. Mit 18 Jahren habe ich zusammen mit meinen Eltern Rumänien verlassen, um nach Deutschland auszuwandern – zur Familienzusammenführung, hieß es.

Das Ceauşescu-Regime hatten wir alle satt und waren letztendlich der Ansicht, dorthin auswandern zu müssen, wo die anderen Familienmitglieder seit zig Jahren lebten. Da meine Mutter in Siebenbürgen geboren ist und einen deutschen Namen hat, wurden wir häufig als "Nazis" beschimpft. Ich besuchte in Bukarest die deutsche Schule. Es machte mir immer wieder Spaß, mit meiner besten Freundin auf dem Schulweg ausschließlich Deutsch zu sprechen. Wir fühlten uns stark, unverletzbar, da keiner in unserer Umgebung unsere Sprache verstand. Wir haben uns sogar manchmal über Leute lustig gemacht, weil wir genau wussten, keiner würde uns verstehen – wie kindisch! Auch deshalb wurden wir ziemlich dämlich angestarrt. Wir waren Fremde im eigenen Land. Wir haben uns eigentlich nie so richtig heimisch gefühlt. Wir hatten das Gefühl, dahin ziehen zu müssen, wo wir hingehörten.

    Wir stellten schließlich den Antrag auf Ausreise nach Deutschland, und dann war langes Warten angesagt. Ich durfte meine Freude mit keinem teilen. Niemand durfte davon Wind bekommen, denn unser Antrag hätte abgelehnt werden können. Die rumänischen Behörden machten es uns nicht allzu einfach, das Land zu verlassen. Man sagte uns, wir bekämen erst die "kleinen" Papiere – also einen Zwischenbescheid, der bestätigte, dass wir als künftige Auswanderer erfasst wurden und danach die "großen" Papiere, die dann quasi ein Voranschreiten der weiteren bürokratischen Abläufe ermöglichten. Insgesamt hat dieser Vorgang etwa ein halbes Jahr gedauert. Das war verhältnismäßig kurz im Vergleich zu anderen Verfahren, von denen wir gehört hatten.

Als 18-Jährige wurde ich schließlich vor eine Kommission geladen, die mich zu verschiedenen Themen ausfragte. Ich betrat mit meiner Mutter einen Raum, in dem hinter einem langen Tisch etliche dubiose Personen saßen. Allesamt stellten sie mir unangenehme Fragen. Ich fühlte mich wie vor einem Gericht, das mich in Kürze für schuldig erklären würde. Man versuchte mich zu bekehren: Ich solle das Land nicht verlassen. Mir wurde sogar eine Wohnung zugesichert und eine gute Ausbildung. Man versuchte mir klar zu machen, ich müsse dem Wunsch meiner Eltern zum Auswandern nicht nachgeben. Als wir den Raum verließen, fragte ich mich: Bin ich nun schuldig oder nicht schuldig?

    Einige Monate später bekamen wir den erlösenden Bescheid. Unserer Ausreise stand nun nichts mehr im Wege. Die Freude war groß. Wir fühlten uns, als dürften wir heimfahren. Wir bekamen unsere Reisepässe, darauf stand "Reisepass für Personen ohne Staatszugehörigkeit" – also fast so wie "herrenlos". Viele weitere Behördengänge waren dann angesagt, bis uns schließlich die Haushaltsauflösung bevorstand. Ich musste mich von all meinen Freunden und von meinem so vertrauten Jugendzimmer verabschieden. Es war schon ein seltsames Gefühl, sich von allem trennen zu müssen, denn wir durften nur zwei Holztruhen mitnehmen, die an alte Reisekoffer aus vergangenen Jahrhunderten erinnerten. Jedes Einzelteil drängte mich, es noch einmal genau anzusehen: Gehst du nun mit, oder musst du da bleiben?

Außer meiner Kleidung und einigen Puppen aus der Kindheit durfte nichts mit. Alles musste verkauft oder verschenkt werden. Auch meine geliebte schwarze Katze durfte nicht mit. Die wurde zu einer entfernten Verwandten meines Vaters gebracht, doch da blieb sie nicht. An unserem letzten Abend in unserer Wohnung miaute sie plötzlich vor der Haustür. Sie war zurückgekehrt, obwohl ich sie in einer Reisetasche mit der Straßenbahn weggebracht hatte. Der Abschied von all unseren Freunden am Flughafen war herzzerreißend. Endlich wurde mir klar, es gab kein Zurück.

    In der neuen Heimat angekommen, wo wir uns eigentlich "daheim" fühlen sollten, wurden wir als Eindringlinge betrachtet. Die Behördengänge beim Erstellen der neuen Papiere machten uns klar, dass wir eigentlich nicht hierhin gehörten. Uns wurde das Gefühl vermittelt, unsere alte Heimat verraten zu haben. Irgendwie bekam ich dadurch ein schlechtes Gewissen. Beim ersten "Interview" in Deutschland erging es mir ähnlich wie vor der Kommission in Rumänien. Wohl wieder schuldig? Doch wir ließen uns die Euphorie nicht trüben, endlich dort angekommen zu sein, wo wir hingehörten. Zunächst war alles aufregend neu. Nach einem Vierteljahr wurde uns eine hübsche Mietwohnung angeboten. Wir sagten sofort zu. Zu diesem Zeitpunkt dachten wir: endlich daheim. Leider hielt diese Euphorie für mich nicht allzu lange an.

Ich durfte nun die Schule besuchen. Ich verfügte ja über keinen Abschluss, weil ich wegen unserer Ausreise die Schule hatte abbrechen  müssen. Das neue Schulsystem machte mir sehr zu schaffen. Ich war an meine Klassengemeinschaft gewöhnt. Hier hatte ich auf dem Gymnasium Kurse und die Klassenkameraden waren nie die gleichen. Wir waren zwar eine "Tutorengruppe", sahen uns aber nur in den Pausen zwischen den Unterrichtsstunden. Ich war eine Klassenlehrerin gewöhnt – jetzt hatte ich einen Tutor. Meine Mitschüler waren zwar alle nett, aber irgendwie sehr fremd. Ständig wurde ich auf meine Herkunft angesprochen. Das fanden viele zwar sehr interessant, aber ich fühlte mich sehr unwohl in meiner Haut – ich war die Neue aus Rumänien. Ich durfte viel über meine alte Heimat berichten, aber irgendwie konnte ich mich nie so richtig als Dazugehörige fühlen. Dieser Eindruck wurde mir mehr durch die Lehrer vermittelt als durch meine Mitschüler. Schließlich war ich dann der Meinung, ich müsse mich endlich zusammenreißen, mich auf meinen Hosenboden setzen, alles ignorieren und ernsthaft lernen, um bei den Lehrern einen besseren Eindruck zu hinterlassen. Das tat ich zwar, kam aber nie so richtig an. Ich konnte mich noch so anstrengen, doch leider führte dies zu keinem Erfolg. Auch meine Zensuren wurden dadurch nicht besser.

 

 

Vielleicht hätte ich mich dagegen wehren sollen, vielleicht hätte ich es auf eine Konfrontation ankommen lassen sollen, aber im Ceauşescu-Regime wurde uns eingetrichtert, den Mund zu halten und sich fügen.

 

 

 

 

 

Mittlerweile bin ich glücklich verheiratet und Mutter zweier Kinder. Ich weiß: ich bin daheim.

 

 

 

 

Das Klassentreffen ... überwältigend!

 

 

 

 

 

 

Als Tourist im eigenen Land zu sein? – sehr seltsam.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sie alle waren auf einmal wieder da: die ganzen Erinnerungen, der alte Schulhof, die alten Schulkollegen, meine hochgeschätzte ehemalige Klassenlehrerin.

 

    In meiner damaligen Verzweiflung kam mir plötzlich eine Idee: Ich bat eine Mitschülerin (eigentlich die Klassenbeste), für mich ein Referat zu schreiben. Ich schrieb es auf ein neues Blatt Papier und und gab es unter meinem Namen ab. Das Resultat war wieder einmal niederschmetternd. Ich bekam dafür nur vier von fünfzehn möglichen Punkten. Nun stand für mich endgültig fest: Es liegt nicht an meiner Anstrengung, sondern an meiner Person, an meiner Herkunft. Dasselbe Gefühl hatte ich, was die Mitarbeit im Unterricht betraf: Auch sie wurde nie so richtig anerkannt. Mit den wachsenden Misserfolgen schwand auch die dazugehörende Motivation und irgendwann brach ich die Schule ab. Vielleicht hätte ich mich dagegen wehren sollen, vielleicht hätte ich es auf eine Konfrontation ankommen lassen sollen, aber im Ceauşescu-Regime wurde uns eingetrichtert, den Mund zu halten und sich fügen. Ich fühlte mich zwar daheim, aber auch sehr fremd und abgestoßen. Nicht das geringste Zeichen von Anerkennung durfte ich hier erfahren. Ich konnte mich schließlich nicht mehr dagegen wehren: Ich hatte Heimweh.

Mittlerweile bin ich glücklich verheiratet und Mutter zweier Kinder. Ich weiß: ich bin daheim. Da, wo meine Familie ist, da bin ich daheim. Auch viele Freunde habe ich in den letzten 25 Jahren dazubekommen. Mittlerweile fühle ich mich, als gehörte ich endlich dazu. Ein schönes Gefühl!

    Vor einigen Jahren war ich der Meinung, ich müsse meiner Familie das Land zeigen, wo ich aufgewachsen bin. Auf diese glorreiche Idee kam ich durch ein vorangegangenes Klassentreffen, das in Bukarest stattfand. Leider hatte ich zu diesem Zweck nur drei Tage eingeplant – viel zu kurz. So musste ich feststellen, dass mir Rumänien doch sehr gefehlt hatte. Nach 20 Jahren waren mir viele Straßen und Gebäude auf einmal so vertraut, als wäre ich nie weg gewesen. Das Haus, in dem unsere Wohnung war, stand immer noch, und ich hatte das Gefühl, ich kehrte heim. Ja sogar unsere nette Nachbarin aus dem Erdgeschoss wohnte immer noch da. Viele Freudentränen flossen bei unserem Wiedersehen. Und das Klassentreffen ... überwältigend! Emotionsgeladen wie all die Male davor. Als hätte ich meine nie gehabten Geschwister wiedergefunden. Nur leider war alles viel zu kurz.

In der ersten Woche unseres Urlaubs, den wir anschließend dort verbrachten, waren wir Gäste einer sehr lieben ehemaligen Schulkollegin. Ich bin so froh, dass wir uns wiedergefunden haben! Sie ist ein Teil meiner wiedergefundenen Kindheit und Jugend. Obwohl wir zu Schulzeiten nicht sehr viel miteinander zu tun gehabt hatten und auch jetzt nicht viele Gemeinsamkeiten haben, verstehen wir uns blendend. Die zweite Woche verbrachten wir am Schwarzen Meer. Auch das war schön und aufregend, aber als Tourist im eigenen Land zu sein? – sehr seltsam. Die dritte Woche fuhren wir in die Berge, abgeschnitten von jeglicher Zivilisation. Auch dort wohnten wir bei Freunden allein die Reise dorthin war abenteuerlich. Im Zug wurden wir angestarrt, als kämen wir von einem anderen Stern, als würde uns auf der Stirn geschrieben stehen, dass wir hier fremd sind. Alles war wieder sehr vertraut, aber ich habe mich mal wieder sehr fremd gefühlt.

    Vergangenes Jahr war ein neuerliches Klassentreffen, wieder in Bukarest, 25 Jahre seit Schulschluss. Irgendwie habe ich den Drang verspürt, die Sache in die Hand zu nehmen, in den letzten Jahren Kontakte zu alten Schulkollegen wiederherzustellen und sie zu animieren, zu einem weiteren Klassentreffen zu kommen. Und es kamen viel mehr als ich erwartet hatte. Auch jetzt flossen Freudentränen, denn es war wieder überwältigend; wieder um Jahre zurückgeschmissen, wieder Kind zu sein, wieder daheim.

Sie alle waren auf einmal wieder da: die ganzen Erinnerungen, der alte Schulhof, die alten Schulkollegen, meine hochgeschätzte ehemalige Klassenlehrerin. Gerne haben wir uns an die "guten alten Zeiten" erinnert. Gemeinsam waren wir stolze Pioniere gewesen – na ja, zumindest hatte man uns das eingetrichtert , Mitglieder des VKJ (Verband der kommunistischen Jugend) und nicht zuletzt Schüler der deutschen Schule – damals eine ganz besondere Schule Bukarests. Seitdem haben wir wieder ständigen Kontakt zueinander, obwohl wir in aller Welt verstreut sind.

    Ich denke, das brauche ich: Immer wieder dorthin zurückzukehren, wo ich meine Kindheit und einen Teil meiner Jugend verbracht habe. Denn das tut immer gut daheim zu sein, egal, wo das ist.

Ausdrucken?

....

 

Zurück zur Übersicht