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Das rumänische Dorfleben
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Fast jeder im Dorf hatte sein eigenes Haus und seinen eigenen Garten.
Früher lebten dort auch alle Generationen unter einem Dach. Beinah jeder hatte in
seinem Hof mindestens ein Huhn, einen Wachhund, und manche besaßen sogar ein
Schwein. Als Kind gab es nichts Schöneres, als auf allen Vieren
in den hüfthohen
Hühnerstall  zu kriechen, um nachzusehen, ob da auch wirklich ein frisch gelegtes
Ei lag. Wer dachte da schon an Dreck, Flöhe oder sonstiges Ungeziefer?


Von Paula Leichtweiß
Mitarbeit: Irina Wolf
(01. 03. 2007)

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Paula Leichtweiß
mp.leichtweiss@online.de

geboren 1963 in Bukarest.
Arbeitete nach ihrem Schulabgang kurzfristig als Hamburger-Restaurant-
Mitarbeiterin, schulte dann um zur Sekretärin. Zurzeit Hausfrau und freischaffend in der Foto- und Videobearbeitung tätig. Verheiratet, zwei Kinder. Lebt seit 1981 in Deutschland.
 



Irina Wolf

wolfirina@yahoo.com

wurde in Bukarest geboren.
Nach Abschluss ihres
Informatikstudiums kam sie
1988 durch ein Herder-
Stipendium nach Wien.
Nach mehreren Jobs im
Telekommunikations- und
Forschungsbereich wechselte sie
1993 in den Handelsbereich.
Seitdem arbeit sie bei der
Friedrich Wilhelm GmbH &
Co.KG und hält weiterhin engen
Kontakt mit Rumänien.

 

 


(c) Paula Leichtweiß

 

 

 


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(c) Paula Leichtweiß

 

 

 


(c) Paula Leichtweiß

 

 

 


(c) Paula Leichtweiß

 

 

 


(c) Paula Leichtweiß

    Als Kind habe ich öfters die Ferien mit meinen Eltern bei Verwandten auf dem Land verbracht. Dort sind viele Dinge, die wir heute täglich benutzen, oft noch immer der reinste Luxus. Was es im Übermaß gibt, sind Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft – in Rumänien sind das nicht nur Worte, man findet beides in Reinkultur. Uns erging es nicht anders.  Als wir damals bei den Verwandten eintrafen, existierten etwa keine geeigneten Räumlichkeiten zur Verpflegung von Gästen. Doch das störte nicht. Es wurde viel improvisiert, um den Gästen zumindest einen Hauch von Wohlbefinden zu schenken. Alles war sehr unkompliziert. Auch wenn kein richtiges Bett zur Verfügung stand, richtete man notdürftig eine Schlafstätte her, die oft mehr an einen Schlafplatz des liebsten Haustiers erinnerte. Sogar das eigene Bett bot man den Gästen an aber nie habe ich dabei Sätze gehört wie: "Ach, ihr wollt kommen? Es geht jetzt gerade nicht, vielleicht lieber in einer Woche. Jetzt sind nämlich die Zimmer noch nicht hergerichtet und wir müssen noch renovieren."

Bei all unseren Besuchen wurde immer Platz für uns gemacht; wir empfanden uns als Teil der Familie und waren in das tägliche Leben auf dem Land integriert. Ich kann mich nie erinnern, dass die Nachbarn nicht kommen durften, weil Besuch da war. Wir kamen an, und plötzlich war die ganze Nachbarschaft auch da. Alle waren eins eine Gemeinschaft; irgendwie gab es keine Fremden und keine Grenzen. Durch ein Loch im Zaun konnte man zu den Nachbarn und umgekehrt.

   Auch das heutige Dorfleben ist sehr einfach und unkompliziert. Fern von Richtlinien und Bürokratie. Nimmt man dies zum Maßstab, wird einem schnell klar, dass wir unser Leben heute viel komplizierter gestalten als wir es nötig hätten. Ständig halten wir an Klischees und Zwängen fest.

Ein Beispiel: Fast jeder im Dorf hatte sein eigenes Haus und seinen eigenen Garten. Früher lebten dort auch alle Generationen unter einem Dach. Beinah jeder hatte in seinem Hof mindestens ein Huhn, einen Wachhund (auch wenn es nur eine Promenadenmischung war), der an einer langen, schweren Kette sein Dasein behaupten musste, und manche besaßen sogar ein Schwein. Wenn ich heute vor mich hinträume, sehe ich den Hof, in dem sich ziemlich viele Hühner und Enten tummeln, darunter niedliche Küken, die wild herumpiepsen. Im Hintergrund ein Huhn, das laut vor sich hingackert, weil es gerade ein Ei gelegt hat. Und dann natürlich der Hahnenschrei. Er rundete das ganze Bild ab. Als Kind gab es nichts Schöneres, als auf allen Vieren in den hüfthohen Hühnerstall  zu kriechen, um nachzusehen, ob da auch wirklich ein frisch gelegtes Ei lag. Wer dachte da schon an Dreck, Flöhe oder sonstiges Ungeziefer? Für die meisten Mütter heute ein Horrorszenario das Kind könnte sich schließlich irgendwelche Erreger einfangen.

    Für die tägliche Körperhygiene gab es kein fließendes Wasser. Das Wasser aus dem hauseigenen Brunnen wurde in der Küche auf der Herdplatte erhitzt und anschließend in eine Schüssel geleert, in der man sich wusch. Im Sommer konnte man dafür natürlich in den Garten gehen. Sogar der Gang zur Toilette war auf dem Land das reinste Abenteuer. Schon mal vom Plumpsklo gehört? Das war ein "Holz-Kabäuschen", in dem so was wie ein Sitz mit einem Loch eingebaut war, auf dem man seine Notdurft verrichten konnte (auf eventuelle Details wollen wir hier lieber verzichten). Von Klopapier keine Rede, das war schließlich ein Luxusartikel. Statt dessen wurde in Stücke geschnittenes, gebündeltes Zeitungspapier verwendet, das an einer Kordel hing, welche zuvor mit einem Nagel an der Seitenwand eingehämmert worden war. Und natürlich war das Papier sehr rau, aber mit der richtigen "Technik" ließ sich auch dieses Problem meistern. Erst zerknüllte man das Zeitungspapier und dann musste man es aneinanderreiben, damit es einigermaßen geschmeidig wurde … Sofern kein Zeitungspapier vorhanden war, nahm man auch mal das alte Schulbuch des Sohnes – für meinen Mann eine einmalige Gelegenheit, mit rumänischem Unterrichtsstoff in Berührung zu kommen.

Vor einiger Zeit verbrachten wir einen Teil unseres Urlaubs in den Bergen bei Freunden. Vergeblich suchten wir dort nach einem Lichtschalter, denn von Elektrizität keine Spur. Auch nicht von fließendem Wasser. Das heikle Thema "Toilettengang" war auch für unsere Kinder das Erlebnis schlechthin. Das Klo-Häuschen konnten wir  nur über einen kleinen Holzsteg erreichen, da es über einem Hang errichtet worden war. Auf einmal wurde das Normalste auf der Welt zum Riesenproblem. Wie geht man dahin, wohin auch der Kaiser zu Fuß geht, ohne dass man bei seiner Notdurft von Spinnen und anderem Ungeziefer angegriffen wird? Natürlich muss man in solchen Fällen als Geschwisterpaar zusammenhalten, und siehe da: Die große Schwester benötigt auf einmal die moralische Unterstützung ihres jüngeren Bruders. Plötzlich werden Probleme mit Nintendo-Spielen oder Handyempfang zur Nebensache, schließlich gilt es nun ja Wichtigeres zu bewältigen.

    Es gibt wenige Gegenden, die man so lange genießen kann, ohne mit der städtischen Zivilisation in Berührung zu kommen. Außerdem finden sich vielfältige Möglichkeiten, reizvolle sowie schwierige, einsame und kaum erschlossene Gipfel zu besteigen oder zu erklettern. Nur gelegentlich begegnet man ein paar Schafen oder Kühen, die auf menschliche Siedlungen schließen lassen.

Auf einer Bergalm angekommen, trifft man sofort wieder auf die landestypische Gastfreundschaft, wobei man dem Hirten die entgegengehaltene Milchkanne nicht zurückweisen darf! Auf einer Feuerstelle köchelt die frisch gemolkene Schafmilch und an den Hüttenwänden hängen Leinensäckchen, gefüllt mit frischem Käse, der noch reifen muss. Nach der anstrengenden Bergwanderung wird man mit einer grandiosen Aussicht über die rumänischen Karpaten belohnt.

   Wer ein derartiges Abenteuer auf sich nimmt, wird bald archaische Kräfte in sich spüren: Am ersten Tag mit dem angeleinten Wachhund im Tal durch Maisfelder und Lindenwälder spazieren gehen, anschließend im Heuhaufen ein Nickerchen machen und am Abend bei der Gaslampe mit den Großeltern Polenta und Brot backen. Vor dem Schlafengehen wirft man noch einen Blick auf den in einer Großstadt unsichtbaren tiefschwarzen Himmel voller Sterne, und dann schläft man so tief und fest wie selten in der alltäglichen Hektik. Morgens wird man von einer herrlichen Wiese voller Feldblumen begrüßt, die zu einem Spaziergang durch das taufrische Gras einlädt – barfuß natürlich. Wie damals, als die Oma schon die Kuh gemolken hatte und neben dem am Vorabend gebackenen Brot auch schon ein Glas frisch gemolkener Milch auf den Besucher wartete. So beginnt ein neuer Tag, an dem man einmal mehr das traditionelle Landleben entdecken kann. Allerdings sollte man immer einen Blick auf den Himmel werfen, da sich das friedliche Bächlein, das das Dorf durchquert, nach einem kräftigen Regenguss schnell in einen reißenden Wildbach verwandelt. In solchen Fällen hilft dann nur noch der Dorftraktor, der das Auto aus dem Schlamm zieht.

Dieses kleine, harmlos aussehende Bächlein musste während unseres Urlaubs natürlich auch für ein gründliches Bad herhalten, was wieder Improvisationsgeist erforderte. Zur gewohnt niedrigen Temperatur eines Gebirgsbaches gesellte sich nämlich noch ein anderes Problem: Parallel zum Bach verlief eine "Straße" (die allerdings mehr an einen geschotterten Waldweg erinnerte), und deren starkes Verkehrsaufkommen machte uns das Baden zunehmend schwer; ständig wurden wir beobachtet, ja wir wurden beinahe zur Dorfattraktion.

   Wer als Tourist mit einer solchen "Landidylle" nur wenig anzufangen weiß, kann  auch eine der zahlreichen Pensionen mit rustikalem Ambiente wählen. Ökotourismus ist in Rumänien weit verbreitet. So wurden zahlreiche elegante Villen gebaut, manche auch mit hauseigenem Schwimmbecken ausgestattet. Natürlich kann man aber auch nach wie vor auf einem Bauernhof übernachten und die herzliche und ursprüngliche Gastfreundschaft der Rumänen genießen, dort, wo alltägliche Hektik und Zeitmangel Fremdwörter sind.

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