Über die Aurora

Aktuelle Ausgabe

Frühere Ausgaben

Suche

   Schwerpunkte    Theater     Kulturphilosophie     Belletristik      Literatur     Film     Forschung    Atelier     Musik  

......
Eine Astronomie der Bukowina-Seele
...

"Fünfzig Meilen. Verdorrte Blume. Ein Kirchlein. Blaue Stille. Jiddisch." Josef Burg
ist der letzte jiddische Schriftsteller der Bukowina. An seinen
oft zum Teil rhetorisch
niedergeschriebenen Redetexten kann mehr ermessen werden als nur
Vergangenheit und Gegenwart, Gefühle, Wissen, Glauben und Tod.
...
V
on Vasile V. Poenaru
(01. 04. 2007)

...



Vasile V. Poenaru
bardaspoe@rogers.com

geboren 1969, zweisprachig aufgewachsen, Studium der Germanistik in Bukarest, darauf Verlagsarbeit und Übersetzungen. Derzeit Doktorand an der Universität Toronto.


Josef Burg.
Sterne altern nicht.
(Aus dem Jiddischen
von Armin Eidherr).
Boldt Verlag, 2004, 100 S.
ISBN:
3-928788-45-0
 


(c) Österr. Literaturarchiv

Josef Burg
geboren am 30. 5. 1912 in Vijnitc (Bukowina), lebt in Czernowitz (Ukraine). Burg erhielt seine Schulausbildung in Czernowitz und studierte von 1934 bis 1938 Germanistik in Wien. Zwischen 1938 und 1941 hielt er sich erneut in Czernowitz auf, wurde jedoch 1941 zur Emigration in die UdSSR gezwungen. Seit 1958 lebt Burg wieder in der Bukowina. Neben seinem Wirken als Deutschlehrer und Literaturwissenschaftler ist es das literarische Hauptanliegen Burgs, die Erinnerung an die fast vergessene jiddische Literatur zu erhalten. Die von ihm herausgegebenen "Tschernowizer bleter" sollen dieses Bestreben unterstützen. Seine Erzählungen, Skizzen und Kurzgeschichten schreibt er auf Jiddisch in hebräischer Schrift, z. B. "Dos Leben geit waiter. Derzeilungen, Nowelen, Skizen" (1980). [Quelle: Österreichische Nationalbibliothek].

   Die Entfernung von Dorf zu Dorf ist groß." So beginnt Burgs Erzählung Ein Tropfen Wasser. Es handelt sich um die Geschichte eines Brunnens und um die Geschichte eines Mädchen, genauer gesagt: Es handelt sich um die Geschichte eines Brunnens, die zugleich die Geschichte eines Mädchen ist – und dazu freilich noch die Geschichte einer Bukowiner Landstraße und der vielgeliebten langgrasigen moldauischen Steppen mitsamt all der dazugehörigen Wanderungen und Wohltaten und Gewalttaten und Fremdwörter und Heimat-Emotionen, die einst im Staub persönlicher wie historischer Ereignisse versickerten.

Josef Burg spricht Altösterreichisch und schreibt jiddisch. Seinen ersten Text veröffentlichte der 1912 in der Bukowina Geborene und derzeit in Czernowitz Lebende bereits im Jahre 1934. Tropfen um Tropfen quoll ihm die Sprache jahrzehntelang ohne erheblichen Aufwand hervor, um Zeugnis abzulegen über eine Zeit und eine Kultur, in der die Entfernung von Mensch zu Mensch nicht immer groß war.

   Richtig verloren gegangen ist dieser Autor, der beinahe das ganze zwanzigste Jahrhundert erlebt hat, zwar nie, aber wirklich gefunden wurde er bis vor Kurzem auch nicht. Nach 1940 vermochte er nämlich zunächst gar nicht, dann nur wenig zu veröffentlichen. Nun wird zum ersten Mal ein stiller Einblick in sein Schaffen ermöglicht: Seit wenigen Jahren erscheint die Reihe "Der Erzähler Josef Burg" im Hans Boldt Verlag (s. linke Seite).

Über den letzten jiddischen Schriftsteller der Bukowina, der sowohl im Lexikon der österreichischen Exilliteratur als auch im Handbuch österreichischer Autoren und Autorinnen jüdischer Herkunft verzeichnet ist, hat zuletzt Peter Rychlo in Literatur und Kritik 407-408 (September 2006) geschrieben, und zwar innerhalb der Rubrik "Österreichisches Alphabet".

   Für den unter dem Titel Sterne altern nicht herausgegebenen, genau hundert Seiten dicken Sammelband, der eine beträchtliche Zeitspanne (nicht nur) jiddischer Kultur umspannt, wurden dabei insbesondere solche Erzählungen ausgewählt, die früher noch nicht in deutscher Sprache erschienen sind. Die erste der siebzehn darin vorgestellten Geschichten, die bezeichnenderweise Mein Leser heißt, lässt gleichsam als kulturelle Standortbestimmung die Töne des berühmten Goetheschen Gedichts Gefunden anklingen. "Ich ging einfach so, ohne irgendein Ziel, in unserem alten Park spazieren", schreibt Burg – "der Morgen durchtränkt von den Düften verwelkter Gräser ..."

In dieser Kurzgeschichte findet der jiddische Autor seinen jiddischen Leser. Ein möglicher Schlüssel? In der gesamten Reihe "Der Erzähler Josef Burg" findet der deutschsprachige Leser seinen einst in Vergessenheit geratenen jiddischen Autor, dem bisweilen dünkt, er denke auf deutsch. Und das macht schon eine längere Geschichte aus.

   Wo liegt der rechte Ort zum rechten Wort? Bei mir daheim lautet der Titel einer weiteren Erzählung. Auch hier Fragezeichen: "Soll ich ans Fenster klopfen wie früher?" fragt der Autor. "An welches Fenster? Und wen rufen?" Stets der Hang, sich mitzuteilen. Stets das Dilemma der rechten Wörter. Fünfzig Meilen. Verdorrte Blume. Ein Kirchlein. Blaue Stille. Jiddisch. So träufelt es weiter. An Josef Burgs oft zum Teil rhetorisch niedergeschriebenen Redetexten kann mehr ermessen werden als nur Vergangenheit und Gegenwart, Gefühle, Wissen, Glauben und Tod.

Die Entfernung von Wort zu Wort ist groß. Wer dem gelebten Identitätsparadigma altösterreichischer Vielsprachigkeit bei Burg daheim nachspürt, hört vielleicht nach angespanntem Lauschen die Farben seiner Stille. Aber dem schlicht gehaltenen Ton der Dichtung merkt man es beim ersten Kontakt kaum an.

Ausdrucken?

....



Zurück zur Übersicht