Schwerpunkte    Theater     Kulturphilosophie     Belletristik      Literatur     Film     Forschung    Atelier     Musik  




...


Teresa Präauer

Studium der Germanistik in Salzburg und Berlin & Bildende Kunst in der Malereiklasse am Salzburger Mozarteum. Lebt als Bildende Künstlerin in Wien. Ausstellungen, Stipendien (bm:bwk), Ankauf (BKA), Preis (Land Oö.). Publikationen u.a. in: SALZ. Zeitschrift für Literatur. Heft 123, März 2006.

...


...
Teresa Präauer: Aus: Drei "Kopftuchköpfe". 40 x 40. Buntstift, Tusche, Aquarell/Papier. 2006


Wie man schwarze Augen trägt
*
wenn die Klischees zu Bildern werden

Beim Blättern durch alt gewordene rumänische Reiseliteratur entdecke ich sie immer und immer wieder: beispielsweise die rosenrankenden Tuchmuster, die die Frauenköpfe ummanteln. Die einen Rahmen bilden um ein Augenpaar, das sich entdeckt fühlt, im Vorüberfahren noch einmal skeptisch blinzelt oder aber bereitwillig grinst, sich zeigt und ausstellt: den Frauenkörper, in Pose geworfen und ausgestattet mit einem Kopftuch als stereotyp gewordenes Accessoire des Rückständigen, als unmodisches Attribut unserem Blick längst lästig. Das Kopftuch steht nicht immer oder schon lang nicht mehr für Schmuck, sondern für Arbeit und Zweckmäßigkeit, für unschicken Schutz vor Wind und Wetter, auch: für das weibliche Sich-Verstecken, Sich-Anschmiegen, Sich-Einpassen in eine Gesellschaft, in der der Mann das Lenkrad von Fortschrittlichkeit und Mobilität in seiner Hand hält. Und hier fällt mir eine zweite Abbildung ein, die für das Rumänien der Reiseführer als Metapher gelten könnte: ein Pferdefuhrwerk, dessen klobige Räder das Gehäuse, die Blech-Ummantelung eines Autos ohne Fahrgestell tragen. Am Lenkrad sitzt ein frecher Kerl, der, von seinen Kumpanen flankiert, die Straße einer Ortschaft entlang rattert, wie um sein Besitztum öffentlich zu machen. Diese neue Hülle über altem Werkel könnte aber nicht nur dazu dienen, politisch-wirtschaftlich-gesellschaftliche Bedingungen von Fortschritt und Fortschreiten zu illustrieren, sondern ihre Frage an die Bildhaftigkeit selbst zu stellen: Das Klischee hat als Werkzeug des mechanischen Vervielfältigungsprozesses die Vormachtstellung über die Form des gedruckten Abbilds. Es fragt, so scheint es mir in der beschriebenen Abbildung, für welche neuen Bildvorlagen wir unsere alten entsorgen.

 


...
Teresa Präauer: Aus: Drei "Kopftuchköpfe". 40 x 40. Buntstift, Tusche, Aquarell/Papier. 2006

.....
Sodann: In dem entsorgten Material der aus der Mode gekommenen Bilder kann nun die mit einem Pinsel bewaffnete Hand fischen und finden. Dort, wo die Klischees entsorgt sind, befriedet sind, sich nicht mehr als Hingucker andienen. Aber hier ist noch etwas aufgeladen! Und da schlägt die fette Farbspur der Erinnerung durch, und manchmal bemerkt man, dass das entsorgte Bild, wo es als Paus-Papier über dem aktuellen, zeitgemäßen zu liegen kommt, noch gemeinsame Konturen findet.
Einen Dienst an der Erinnerungsarbeit, die Denken ist, scheint auch die Mode, prêt à porter et traduire, zu leisten, wenngleich sie sich für den kuscheligen Teil der Arbeit entscheiden darf: sie nimmt sich die Zeichen ohne Rücksicht auf deren Bedeutung. Im Winter 2006/07 führen bestickte Felljacken und Reiterstiefel vorindustriell anmutenden Osteuropa-Schick in der Wiener Innenstadt spazieren.

Das Schönste bei der Weihnachtsmesse im ländlichen Oberösterreich der 50er und 60er Jahre sei es gewesen, nach der Bescherung alle Köpfchen durchzuzählen und dabei zu prüfen und zu entdecken, wie denn das jeweils neue Tüchel der Freundin oder Nachbarin aussähe, erzählt mir meine Mutter schmunzelnd. Ich stelle mir das als großes buntes Ornament der floral-geometrischen Neuigkeiten vor, von oben gesehen ein Teppich aus Locken, Tüchern, Mustern, Bändern über den kalten, steinernen Boden der Landkirche gestreut.
Dort entsteht – bei mir, in meiner Arbeit –, ganz nostalgiefrei, eine Lust, alles, was es gibt und was geboten wird, als Bild aus Struktur und Form zu betrachten. Im neuen und alten Abbilder-Müll zu stöbern und herauszuziehen, was noch leuchtet. Und dort hinzuhören, wo Sprache zischt und Rhythmus hat und sich die Bilder zu den Worten gesellen und umgekehrt. Wo sie in der Vorstellung tief farbig werden, satt an Farbe. Dort hinzuhören, wo das Bild zu sprechen beginnt und beispielsweise etwas beschreibt vom Ausstaffieren der menschlichen Figur, sodass der Körper wieder seinen Weg heraussuchen muss aus dem Stoff und überall hervorbricht, wo eine Öffnung vom Spitzensaum vorgegeben und eingefasst worden ist.

 


...
Teresa Präauer: Aus: Drei "Kopftuchköpfe". 40 x 40. Buntstift, Tusche, Aquarell/Papier. 2006
...

Dass die Menschen auf diesen Bildern wie Berge sind, Tuchhügel mit Gesichtswald voller Lebensbäume und Lippen-Wall, rot gekennzeichnet. Hier ist es vielleicht, das Gesicht, ganz "Wüstenhochebene, sehr bewegt, pathetische schrundige Wirbel, Flammen, drinnen, vertufft", wie der rumänische Dichter Caius Dobrescu schreibt. Es sind Skulpturengesichter mit Turmfrisuren, von Blumentüchern umknotet, mit Spangen am Haar gehalten. Es ist schwarzer Rock- und Kopftuchstoff mit leuchtend pinken Rosen, die aus Frauen Kegelfiguren und aus ihren umrissenen Köpfen Trapezformen machen, ein ganzes Schlemmer-Ballett der Bindebänder und Wickelschürzen um Menschenmitten mit kostbaren Seidenquasten. Auftritt der Filzhut als Kopfputz mit Pfauenfederbuschschmuck, die Hemden, an Ärmeln gefaltet, der Brustpelz aus Schafsfell zu Tuchhosen, Strümpfen, Schaftstiefeln. Das Tuch, das die Trägerin selbst zum eckigen Zeugstück macht. Die erstarrte Pose fürs Bildquadrat und ihre Sammlung der Farbigkeiten und Menschenblicke und Tuchmuster. Aus all dem Abgelegten blickt eins aus dem Plissee der Farbschichten: schöner ein Gesicht, wie Klopstock singt, und dies tut es stets gegenwärtig.
 

Anmerkungen
...
Der Titel "Wie man schwarze Augen trägt" verweist auf das "Taschenpoem" von Filip Brunea-Fox, übersetzt von Ernest Wichner in der Lyrik-Anthologie "Auf der Karte Europas ein Fleck". Zürich. 1991. (= Ammann)

Einige Gedichte von Caius Dobrescu sind nachzulesen in einem Buch über "Poesie aus Rumänien": "Ich ist ein andrer ist bang", herausgegeben von Gregor Laschen. Der vorliegende Text "wie echt" ist übersetzt von Werner Dürrson. Bremerhaven. 2000. (= edition die horen)

*Buchtipp

Der obige Artikel ist auch erschienen in: Kristina Werndl
(Hg.). Rumänien nach der Revolution. Eine kulturelle Gegenwarts-
bestimmung. Braumüller, 2007, 210 S. ISBN:9783700316183
 

 

 

Zurück zur Übersicht