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"Es hat mich zu den
Schwierigen hingezogen. Diese Entdeckung war eine
Erlösung. |
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Murmelnd schlurfte Frater Höglinger den Gang im Jesuitenkolleg Innsbruck entlang. Ein schwarzer Hut bedeckte seine Glatze, tief ins Gesicht gezogen, wie beim Kartenspieler im Wild-West-Film. Der alte Frater beobachtete, wer an der Pforte aus und ein ging. Alle Großen der Theologie und viele Studenten kamen hier vorbei. Karl und Hugo Rahner, J. A. Jungmann wohnten im Haus. Früher hat Frater Höglinger jahrzehntelang im Kollegium Kalksburg Kohle geschleppt, um die Klassenzimmer zu heizen. Bis er nicht mehr konnte. Eines Tages hat er aufgehört. Seither betete er den Rosenkranz. Er unterbrach gelegentlich mit einem Wort zu dem, was er sah. "Ausharren ist leicht, ausharren ist schwer", sagte er müde, als wieder ein Junger den Orden verließ. Das war in den sechziger Jahren.
Was soll aus mir werden, fragte ich damals. Wolfgang Feneberg, der mein Lehrer wurde, machte mit mir einen Test. Er stellte mir mehrere Bilder vor Augen. Für wen willst du dein Leben einsetzen? Auf die Jugendlichen im Gefängnis fiel meine Wahl. Es hat mich zu den Schwierigen hingezogen. Diese Entdeckung war eine Erlösung. Nun wusste ich, ich muss Psychologie und Pädagogik studieren. Seither gehe ich in Gefängnisse. Auf der Straße fand ich meine Pfarrei. Jugendliche, Strafentlassene und Drogensüchtige, Wohlstandsverwahrloste in Wien. Nach der Wende in Europa habe ich vom Orden den Auftrag bekommen, zu den Straßenkindern in Rumänien zu gehen. Für sechs Monate. Jetzt bin ich im zweiten Jahrzehnt bei meinen Kindern.
"Ausharren ist leicht, ausharren ist schwer". Das Wort von Frater Höglinger habe ich nie vergessen. Ich stelle mir vor, wie er jahrzehntelang Kübel um Kübel Kohle getragen hat, damit es die Kinder warm haben. So ging er die erste Meile, von der Jesus spricht. "Wenn dich einer zwingt, eine Meile mit ihm zu gehen, dann gehe zwei mit ihm" (Mt 5,41). Ich denke auch an die Sionsschwester Bertholda, die in einem Internat Tag für Tag über tausend Knödel geformt hat. Jahrelang, bis die Schwestern über Nacht Rumänien verlassen mussten. Dann hat sie in einer Wiener Schule weiter gekocht. Ohne Verbitterung ging sie die zweite Meile. Mit über 90 Jahren hängt ihr Herz noch an Rumänien und den Kindern. Millionen Knödel sind das Geheimnis der Sozialarbeit. An den Wendepunkten kommt es auf die Beharrlichkeit und Ausdauer an. Wenn dich in der Therapie ein Jugendlicher bekämpft und beschimpft, berührst du den entscheidenden Punkt. Wenn du in der Sozialarbeit siebenundsiebzigmal scheiterst, bist du dem nahe, der heilt. Wenn du jemanden findest, der dich mit deinen Fehlern trägt, ist es Liebe.
Zur Beharrlichkeit gehört die Sensibilität. "Hören, was die Jungen sagen", hat der große Jugendseelsorger Sigmund Kripp formuliert, bevor er seine Autobiografie "Als Jesuit gescheitert" geschrieben hat. Den Orden hat er verlassen, nicht aber die Berufung. Seither kümmert er sich in Nicaragua um Jugendliche und Opfer des Bürgerkriegs, bis zum heutigen Tag. Das Hören hat ihn weiter geführt, die Herausforderung wurde größer. Ohne das Hören wäre die Beharrlichkeit Sturheit. Ob sich deine ursprünglichen Pläne erfüllen oder nicht, ist nicht entscheidend. Hören, was die Jungen sagen, und ausharren, gerade wenn es schwierig ist – in dieser Spannung schenkt sich die Tiefe des Lebens. Ein überraschender Reichtum, von dem ich weiß, dass ich ihn weiter geben muss.
Moise ist ein Straßenkind. Am Bahnhof von Bukarest bin ich ihm 1991 zum ersten Mal begegnet, in einer Horde von vielen kleinen Dieben, missbrauchten und süchtigen Kindern, von Räubern und verzweifelten Jugendlichen. Moise ist mein besonderer Schützling. Wenn ich nicht in Bukarest bin, verlässt er unser Sozialzentrum Lazarus. Er kehrt zurück in die Hölle der Straße. Wie einen Gruß aus der Ferne schickt er manchmal kleine Kinder in das Sozialzentrum. Wenn ich ihn wiederfinde, schämt er sich und schimpft. Wenn er mich im Drogenrausch erkennt. Am Morgen, wenn er aufwacht, komme ich wieder, um ihn zu holen. Moise ist kein Erfolg. Er bleibt ein Wanderer zwischen den Welten, vielleicht unser stärkster Streetworker. Er bindet mich an die Kinder, die noch auf der Straße sind. Er bringt kleinere in die schützende Herberge und auf einen guten Weg. Irgendwann kommt auch Moise wieder zu uns. Warten und Erwarten, nicht das Ergebnis und der Erfolg beschreiben das Innere der Sozialarbeit. Manchmal dürfen wir über die Wunder staunen, die der liebe Gott wirkt.
Die Beharrlichkeit ist keine Leistung sondern eine Gnade. Weil mich Moise nicht loslässt. Gerade die Schwierigen lassen dich nicht los. Sie lehren Beharrlichkeit und wecken Unzufriedenheit, solange das Ziel nicht erreicht ist. Solange es Straßenkinder gibt, solange Wohlstandskinder ihr Leben wegwerfen, solange es Einsame, Nackte und Hungrige gibt. Auf die Beharrlichkeit – hören, was die Jungen sagen, und weiter gehen – kommt es an, wenn Jugendliche ihre Selbstständigkeit suchen und sich trennen müssen, wenn in der Therapie Konflikte aufbrechen und der Schmerz Heilung ankündigt. Beharrlichkeit kann heißen, sich mit dem Gegenteil von dem, was ich erwartet habe, abzufinden und sich mit dem Anderen zu freuen. Moise ist kein Modell für die anderen Kinder. Aber er ist ein Stachel in unserem Fleisch, damit wir die Verbindung mit der Straße nicht verlieren und uns nicht mit Erfolg begnügen. Moise überlistet uns immer wieder zu einer weiteren Meile.
"Wenn dich einer zwingt, eine Meile mit ihm zu gehen, dann gehe zwei mit ihm" (Mt 5,41). Damals konnte ein römischer Soldat nach dem Besatzungsrecht jeden Galiläer zwingen, eine Meile sein Gepäck zu tragen. Allerdings nur eine Meile. Welche Überraschung, wenn der Unterdrückte freiwillig eine zweite Meile mit dem Legionär geht! Das Weitergehen am entscheidenden Punkt, das macht den Feind zum Freund.
Die Ausdauer ist ein Geschenk der Liebe. Und doch kann sie trainiert werden. Eltern müssen entscheiden, ob sie die Wünsche ihrer Kinder erfüllen sollen oder nicht. Wann man die Kinder schreien lassen muss, warten lassen muss, mit einer Frage oder einem schlechten Gewissen dünsten lassen muss. Lernen, sogar mit einer Ungerechtigkeit zurechtzukommen. Damit die Kinder das Leben aushalten und einander zu Hilfe kommen. Auf solche Ideen bringt erst die zweite Meile. Wenn die Wirtschaftswelt schnelle Erfolge fordert und nicht Berichte über Verläufe, so gilt im sozialen Bereich das Umgekehrte: Achte auf Verläufe und nicht auf die Ergebnisse, Schritt für Schritt. Achte auf die Windungen des Weges. Lass Dich auf der zweiten Meile überraschen!...