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Bucureşti/Bukarest
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Stadt der Kontraste

Zwischen meinem ersten und letzten Spaziergang durch diese Stadt, in der ich
aufgewachsen bin, liegen v
ierzig Jahre. Vieles hat sich nach der Revolution verändert,
zum Guten und zum weniger Schönen. Doch die Calea Victoriei ist geblieben, das
Athenäum, das Naturgeschichtliche Museum, das Kunstmuseum, der Königliche
Palast, der Triumphbogen, der Herastrau-See, der Unirii-Platz, der
Universitätsplatz, der Romana-Platz und vieles andere.


Von Irina Wolf
(01. 01. 2007)

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Irina Wolf

wolfirina@yahoo.com


wurde in Bukarest geboren. Nach Abschluss ihres Informatikstudiums kam sie 1988 durch ein Herder-Stipendium nach Wien. Nach mehreren Jobs im Telekommunikations- und Forschungsbereich wechselte sie 1993 in den Handelsbereich. Seitdem arbeit sie bei der Friedrich Wilhelm GmbH & Co.KG und hält weiterhin engen Kontakt mit Rumänien.


 


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Alter Fürstenhof

 



 


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Lipscani Straße


 

 



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Cotroceni Palast



 

 


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Calea Victoriei
(ca. 1930)


 


 


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Athenäum


 


 


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Universität


 


 


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Parlamentsgebäude


 


 


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Cismigiu Park



 

 


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Herastrau Park

 



 


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Triumphbogen

 

 

 

 

Linktipp
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www.antipa.ro

 

 

 

 


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Nationaltheater
http://tnb.kappa.ro

 

 

 


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Erzbischofskathedrale


 

 



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Moderne Architektur
(Hotel Sofitel)

     "Manchmal erinnere ich mich an die Zeiten und Menschen, die es in unserer Gegend gab, als ich mein Leben begann." Ungefähr so beginnt eines der schönsten Bücher des rumänischen Autors Ion Creanga: "Erinnerungen aus der Kindheit". So wie er blickt jeder von uns ab und zu auf seine Kindheit zurück. Meine spielte sich in der Hauptstadt Rumäniens, im Bukarest der 70er und 80er Jahre ab. Trotz des Kommunismus war es eine wunderschöne Zeit.

Was wäre eine Stadt ohne Altstadtkern?! Ich kann mich sehr gut an das geheimnisvolle Viertel rund um die Ruine des alten Fürstenhofs des Vlad Tepes und die Lipscani Straße erinnern. Als Kind begleitete ich wöchentlich meine sehr elegante Mutter in diese Gegend zum Frisör. Anschließend landeten wir direkt auf der Lipscani Straße (benannt nach Händlern aus Leipzig), wo ich die Freude hatte, Salz- und Mohnbrezen zu essen. Da die Händler ihre Ware auf der Straße verkauften und mit lauter Stimme die Kunden anzulocken versuchten, fühlte ich mich in dieser Gegend oft wie auf einem orientalischen Basar.

    Obwohl ich nicht glaube, dass meine Mutter ahnte, wo ich als Erwachsene leben würde, hatte sie die Inspiration, mich in die deutsche Schule zu schicken; eine ganz spezielle Schule im damaligen Bukarest: Eine Schule, in der Rumänisch Fremdsprache, von Russischlernen keine Rede war, wo Ordnung, Disziplin und Gemeinschaftszugehörigkeit als Hauptmerkmale der Erziehung galten. Die Lehrer waren meistens Schwaben und Sachsen aus Rumänien. Heute leben wir alle, ehemalige Schüler und Lehrer, auf vielen Erdteilen verstreut, und trotzdem gibt es jährlich ein großes Treffen, sei es in Bukarest oder in Deutschland.

Wie alle braven Eltern haben auch meine sich sehr um meine Freizeitaktivitäten gekümmert. So folgten der Reihe nach Ballett-, Tennis-, Schwimm-, Klavier- und Malkurse. Die meisten davon fanden im Cotroceni Palast, dem heutigen Präsidentensitz, statt. Der Palast wurde 1888 vom Fürsten Carol I. im venezianischen Stil erbaut. Während meiner Kindheit war er der Palast der Pioniere, eine Kinder- und Jugendorganisation im Kommunismus. In Gedanken spaziere ich noch heute auf den Promenadenwegen durch den großen Garten zum Malkurs im Tal oder zum Klavierkurs den Hügel hinauf zum Palastgebäude.

   Wie viele andere Gebäude wurde leider auch der Cotroceni Palast beim großen Erdbeben 1977 zerstört. Damals war ich 14 Jahre alt und kann mich noch an die Nacht mit Vollmond erinnern. Mit einer Klassenkollegin fuhren wir nach der Schule nach Hause und bereiteten uns vor, noch für eine Prüfung zu lernen. Es kam aber nicht mehr dazu, zumindest nicht an diesem Abend. Das Wackeln des Lusters und das Krachen der Wände unserer Wohnung, in denen sich immer größere Risse zeigten, erschien mir endlos. Als endlich alles aufgehört hatte, waren auf dem Luster nur mehr drei von fünf Leuchten, der Strom war ausgefallen und das Telefon funktionierte nicht. Aber wir hatten überlebt. Viele hatten nicht so viel Glück. Es gab zahlreiche Tote und die Innenstadt war tagelang gesperrt. Zu Fuß schauten wir uns die Ruinen bekannter Hotels an und fuhren noch monatelang auf unserem Schulweg an Gebäuden vorbei, die saniert wurden.

Zehn Jahre brauchte man, um den Cotroceni Palast zu renovieren. Leider wurde die von Stefan Cantacuzino 1679 errichtete Kirche, um die herum nachträglich der Palast gebaut wurde, 1985 vom Diktator Nicolae Ceausescu niedergerissen. 1995 habe ich den Palast inzwischen zu einem Museum umgewidmet besichtigt. Der Gang durch den Eingangssaal, die prachtvolle Ehrenstiege hinauf und durch die Räumlichkeiten, wo die ehemalige königliche Familie gewohnt hatte, war beeindruckend.

    Es gibt zahlreiche Paläste in Bukarest, elegante Bauten der ehemaligen Bojaren. Die meisten wurden während der Herrschaft von Carol I. (1866-1914) errichtet und liegen an einer der wichtigsten Straßen Bukarests, der Calea Victoriei. Es sind das: der Cantacuzino Palast (heute das Museum des Komponisten George Enescu, ein wunderschönes Gebäude mit einem von Löwenstatuen bewachten Eingang), das Athenäum, der Königliche Palast (Wohnort des Königs Mihai bis 1947 und anschließend der kommunistischen Herrscher), das Senatsgebäude, der Palast der Post, der Militär-Club und schließlich der monumentale CEC-Palast (Sparkassenzentrale).

Von allen Kursen während meiner Kindheit haben die Malkurse den größten Eindruck hinterlassen, sodass ich das Bukarester Kunstmuseum, das in einem Teil des königlichen Palastes untergebracht ist, oft besuchte. Eine reiche Bildersammlung rumänischer Maler ist zu sehen, einige wenige seien hier erwähnt: Nicolae Grigorescu, Ion Andreescu, Stefan Luchian und Camil Ressu erwähnt, daneben Meisterwerke italienischer, holländischer und spanischer Künstler sowie spätbyzantinische Ikonen.

    Das Athenäum, ein beeindruckender Musiktempel mit klassizistischem ionischen Säulenportal, wurde 1885 vom Architekten Albert Galleron entworfen. Hinter der mit einem Dreiecksgiebel abgeschlossenen Vorhalle erhebt sich das eigentliche Konzerthaus, ein kuppelgedeckter Rundbau. Vor dem Gebäude befindet sich die Statue des bekanntesten Dichters Rumäniens, Mihai Eminescu. Ich hörte in meiner Jugend im Athenäum, dem Sitz der Staatsphilharmonie George Enescu, viele Konzerte.

Vor vielen Jahren hatte ich auch die Freude, anlässlich der Hochzeit meines Cousins den Militär-Club von innen zu erleben. In seiner Nähe, am Universitätsplatz, befinden sich ältere, beeindruckende Gebäude. Dieser galt in meiner Jugend als klassischer Treffpunkt, man traf sich entweder bei der Uhr oder beim "Pferdeschwanz". Mit Letzterem ist die Reiterstatue von Mihai Viteazul vor dem Universitätsgebäude gemeint. Die Universität, errichtet 1864, und der Platz rundherum mit dem 1895 gebauten Justizpalast, dem alten Rathaus und dem alten Parlamentsgebäude sind das Zentrum Bukarests.

   Heute ist jedoch das bekannteste Gebäude Bukarests das neue Parlamentsgebäude, eine Mega-Konstruktion auf 330.000 m2 Fläche, die an die Vorstellungen des ehemaligen Diktators erinnert. Errichtet zwischen 1985 und 1989, ist es nach dem Pentagon das zweitgrößte Gebäude der Welt. Als ich 1991, nach drei Jahren Auslandsaufenthalt, nach Bukarest zurückkehrte, war dieser gigantische Bau und davor der endlos lange, mit Springbrunnen gestaltete Boulevard bis zum Unirii Platz einer der stärksten, nicht unbedingt positiven Eindrücke im neuen Bukarest. Erst fünfzehn Jahre später besuchte ich ihn bei einem Rundgang. Die Geschichte (während der Baumaßnahmen waren 400 Architekten und 20.000 Arbeiter beschäftigt) und die Ausstattung (Räume mit bis zu 2000 m2, Hallen und Galerien aus Marmor, Tausende Tonnen von Lustern, Hunderttausende Tonnen von Bronze und Holz für monumentale Türen sowie Tausende Quadratmeter gold- und silberbestickter Samt- und Brokatvorhänge) sind beeindruckend. Daneben sind es immer auch die Kleinigkeiten, die einem auffallen, wie zum Beispiel die Schwierigkeit beziehungsweise Unmöglichkeit, das Gebäude insgesamt sauber zu halten, die Vorhänge zu säubern, die Türen neu zu streichen und die Luftballons, aus denen schon längst die Luft entwichen ist, von den hohen Lustern herunter zu holen. An diese Kleinigkeiten hat der ehemalige Diktator keinen Gedanken verschwendet.

Wie in jeder Großstadt gibt es auch in Bukarest nicht nur Gebäude, sondern auch schöne Gärten und Parks, obwohl Bukarest heute weit entfernt ist von einer umweltfreundlichen, "grünen" Stadt. Gegenüber dem Cotroceni Palast befindet sich der Botanische Garten, durch den ich mit meinen Eltern oft spazieren gegangen bin. Sicherlich kennen manche von Euch das eigenartige Gefühl, nach vielen, vielen Jahren mit dem eigenen Kind die gleichen Wege zu gehen, den kleinen See mit den schönen Fischen und die vielen Blumen wiederzusehen.

    Ein wunderschöner Garten ist der Cismigiu, fast im Zentrum der Stadt, gegenüber dem Rathaus. Er wurde 1843 von Carl Meyer entworfen und grenzt an ein bekanntes Lyzeum, die Schule Gheorghe Lazar. Darin verbrachte ich meine letzten vier Jahre als Schülerin; durch den Garten liefen wir im Sportunterricht. Heute ist Cismigiu ein Schmuckstück Bukarests mit sehr gepflegten Blumenrabatten, alten Bäumen und einem See, auf dem man Ruderboot fahren kann. Die in der Schule am Cismigiu Park verbrachten Jahre erinnern mich auch an einen Novemberabend 1979, als ich eine Premiere erlebte: die Fahrt mit der ersten Bukarester U-Bahn. Obwohl ich mit meinen Schulkollegen damals nur eine Station gefahren bin, waren wir sehr stolz auf das neue öffentliche Verkehrsmittel.

Der größte Park Bukarests ist Herastrau. Er befindet sich im nördlichen Teil der Stadt und umfasst circa 110 ha. Die Architekten Pinard und Rebhun haben die Pflanzen ausgewählt (zum Beispiel die Roseninsel sowie zahlreiche Büsche und Bäume); der Einfluss der Gründer ist heute noch spürbar. Durch seine Größe bietet der Park sowohl Erholungsmöglichkeiten für Großeltern, die mit ihren Enkeln spazieren gehen oder eine Bootsfahrt auf dem Herastrau-See machen, als auch Sportmöglichkeiten für Tennisspieler und Inlineskater. In den zahlreichen Restaurants kann man lustige Abende verbringen; das älteste und größte ist "Die Möwe" am Seeufer.

Diese grünen Flächen sind für mich im heutigen dynamischen, aber sehr hektischen Bukarest, das ein Ort des täglichen Verkehrschaos und der durchgängig geöffneten Geschäfte ist, wahre Oasen.

Die Gegend rund um den Herastrau Park ist eine der schönsten und wohlhabendsten Bukarests. Einer der Eingänge im Herastrau Park ist bekannt durch den Triumphbogen, der 1922 als Denkmal des Sieges rumänischer Truppen im Ersten Weltkrieg errichtet wurde. Ganz wie in Paris strömt auch hier der Verkehr von einer Reihe großer Straßen sternförmig auf den monumentalen Bogen zu.

    Ein paar sehenswürdige Museen grenzen an den Herastrau Park oder sind in der Nähe gelegen. Das Dorfmuseum ist eine besondere Attraktion. Es ist ein Freilichtmuseum, das Bauernhöfe aus allen Teilen Rumäniens vereint. In der Nähe befindet sich ein weiteres empfehlenswertes Museum, das naturgeschichtliche Museum "Antipa". Mein Sohn, der als Kind davon träumte, Paläontologe zu werden, hatte viel Freude bei der Entdeckung der Weichtiersammlung, die mehr als 110.000 Exemplare enthält, der Krebstiere mit 40.000 Exemplaren, oder der Fischsammlung mit 10.000 Exemplaren (Amphibien, Reptilien, Vögel, Säugetiere und Insekten).

Trotz des Kommunismus war die Kunst in Bukarest sehr hoch geschätzt. Obwohl wir in den Theatern ziemlich froren (die Garderobe war leer, da nicht geheizt wurde, man empfahl uns, mit den Mänteln in den Saal zu gehen), war der Großteil der Theaterstücke und Konzerte ausverkauft. Bukarest besaß damals schon viele und sehr gute Theater mit hervorragenden Schauspielern. Für mich, wie auch für mehrere meiner damaligen Schulkollegen, die heute im Ausland leben, ist ein Theaterbesuch in Bukarest bei einem "Heimbesuch" ein Muss. Und vielleicht wird gerade ein Stück gegeben, in dem ich einen meiner Lieblingsschauspieler aus meiner Jugend wieder sehen werde.

    Das wohl bekannteste und größte Theater ist das Nationaltheater, das sich am Universitätsplatz befindet und an das Hotel Intercontinental grenzt. In meiner Kindheit sah das Gebäude anders aus, es hatte einen "Hut" als Dach - "Caragiale’s Hut", benannt nach dem bekanntesten rumänischen Theaterschriftsteller Ion Luca Caragiale. 1973 wurde es renoviert und blieb ohne "Hut". Die Säle, Theaterstücke und selbstverständlich auch die Schauspieler glänzen aber im Nationaltheater noch immer.

Eine Metropole wie Bukarest bietet eine große Auswahl an kulturellen und kirchlichen Angeboten. Jedes Jahr werden neue Kirchen gebaut. Obwohl es während des Kommunismus nicht ratsam war, in der Nähe der Kirchen Bukarests gesehen zu werden, erinnere ich mich an die Osterzeit, zu der die Menschenmassen auf die Straßen strömten. Die Polizisten sicherten sogar die Gegend rund um die Kirchen zum Schutz der Menschen vor den Autos ab. Es ist Brauch im rumänisch-orthodoxen Glauben, in der Osternacht zur Messe zu gehen und um Mitternacht "Licht zu holen". Um diese Uhrzeit kommt der Priester aus der Kirche heraus, und jeder der Anwesenden nimmt Licht von einem Nachbarn und gibt das Licht an den Nächsten weiter. Mit Staunen sah ich im Kommunismus zu, wie die Menschen dies taten und anschließend mit den brennenden Kerzen in Busse sowie die eigenen Autos stiegen oder zu Fuß nach Hause gingen. Diese scheinbare Religionsfreiheit konnte nicht verhindern, dass 1987 eine der bekanntesten Kirchen Bukarests niedergerissen wurde.

    Die "Heilige Freitag", die Kirche der Auferstehung, die Beschützerin Bukarests, war eine schöne Kirche. Ich bekam sie während meiner Kindheit oft von Außen zu sehen, da sie sich in der Nähe der Wohnung meiner Paten befand, zu denen wir oft auf Besuch gingen. Das Ceausescu-Paar war bekannt dafür, dass es auf seinen Fahrten durch Bukarest keine Kirchen sehen wollte. Daher versuchten die Architekten zuerst, alle Kirchen "nach innen", das heißt von der Straßenseite weg zwischen die Wohnhäuser zu versetzen. Bei manchen funktionierte das aber nicht. So auch bei der "Heiligen Freitag"-Kirche, die niedergerissen wurde. 2000 Leute waren anwesend und schleuderten dabei ihren Fluch gegen die damalige Regierung. Gott sei Dank ist der historische Bau der Erzbischofskathedrale erhalten geblieben.

Das war nur ein kurzer Bericht, ein paar wenige Gedanken. Vierzig Jahre sind vergangen und nur drei Monate seit meinem ersten und bisher letzten Spaziergang durch Bukarest. Nach der Revolution hat sich vieles verändert, zum Guten und zum weniger Schönen. Doch die Calea Victoriei ist geblieben, das Athenäum, das Naturgeschichtliche Museum, das Kunstmuseum, der Königliche Palast, der Triumphbogen, der Herastrau-See, der Unirii-Platz, der Universitätsplatz, der Romana-Platz usw. Alle Erinnerungen können aufgefrischt werden und darüber hinaus ist noch viel Neues zu entdecken.

Auch gute Architekturmodelle (z.B. das neue Novotel, World Trade Plaza) sind zu sehen. Doch der Parlamentspalast sprengt alle Grenzen. Schade, dass viele schöne Bauten der Belle Epoche zerfallen, da die Mittel zur Restaurierung fehlen.

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