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Die Seele der Moldau
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Sie ist die Stadt der Fürsten und war lange Jahre Zentrum des literarischen und
intellektuellen Lebens in Rumänien:
Iaşi.  Mit ihrer Atmosphäre und Tradition, ihrer
Schönheit, zählt sie heute zu den kulturellen Highlights jeder Rumänienreise. Als Ort von
fünf großen Universitäten, Sitz bedeutender Firmen, eines internationalen Flughafens,
Ausgangspunkt zum berühmten moldawischen Weingebiet  Cotnari besitzt
Iaşi aber
auch viel
wirtschaftliches Potential, womit sie – bedingt durch ihre geographische
Lage – eine Brücke schlagen könnte zwischen der Europäischen Union
und der Republik Moldau und damit weiter nach Asien.

Von Irina Wolf
(01. 06. 2007)

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   Wenn die Moldau in Texten erwähnt wird, wandern die Gedanken der Leser zum UNESCO Weltkulturerbe, zu den Klöstern der Moldau. Weniger bekannt, jedoch von besonderer geschichtlicher Bedeutung für Rumänien, ist die Kulturmetropole Iaşi. Die zweitgrößte Stadt Rumäniens, geographisch nur 20 Kilometer westlich der Grenze zur Republik Moldau und damit näher zu dessen Hauptstadt Kischinew gelegen als zu Bukarest (der Hauptstadt Rumäniens), ist eine wichtige Kultur- und Bildungsstadt.

Man könnte sagen, dass Iaşi ein "Nationalmuseum" ist, durch ihre zahlreichen prachtvollen Gebäude, Zeugen ihrer reichen Geschichte und Kunst. Auch ist sie die Stadt der ersten rumänischsprachigen Zeitung und der ersten Theateraufführung in rumänischer Sprache sowie des ersten Literatur-Gedenkhauses. Hier wurden das erste Nationaltheater Rumäniens und die erste Universität gegründet.

   Iaşi, drei Jahrhunderte lang ehemalige Hauptstadt der Moldau und Regierungssitz während des Ersten Weltkrieges, war Schauplatz vieler wichtiger Ereignisse. Auf ihren Straßen schritten Fürsten und Wojewoden, wie Alexander der Gute, Mihai der Tapfere, Alexander Lapusneanu, Stefan der Große und Heilige, Vasile Lupu. Unter Letzterem erlebte die Stadt 1634-1653 eine intensive kulturelle Blüte.

Iaşi war 1848 Zentrum der nationalen Bewegung, 1859 wurde die Vereinigung der Moldau mit der Walachei durch die Wahl Alexander Ioan Cuzas in Iaşi zum Herrscher beider Landesteile vollzogen.

Es ist jedoch nicht nur die Geschichte der Fürsten, die das Leben dieser Stadt geprägt haben. Iaşi war ein Zentrum des intellektuellen Lebens und beeinflusste dementsprechend die rumänische Literatur. Somit findet der Besucher in der Stadt zahlreiche Gedenkhäuser, Museen und Gebäude, in denen literarische Persönlichkeiten  wie Ion Creanga, Mihail Sadoveanu, Ionel Teodoreanu, Vasile Alecsandri, Dimitrie Cantemir, Titu Maiorescu, Otilia Cazimir oder Mihai Eminescu gewohnt haben.

   Mihai Eminescu war mit 25 Jahren Volksschulinspektor in Iaşi, wo er seinen besten Freund, Ion Creanga, kennenlernte. Mihai Eminescu war auch Redakteur des "Iaşi Kuriers" und Mitglied der literarischen Gesellschaft "Junimea", was ihn zu einem der wichtigsten Persönlichkeiten des kulturellen Lebens Iaşi machte.

"Junimea", eine Vereinigung von Intellektuellen, entstand 1863 in Iaşi und hatte einen bemerkenswerten Einfluss auf die rumänische Literatur. Zu dem Zeitpunkt war die Modernisierung des Landes unter der Herrschaft von Alexander Ioan Cuza voll im Gange. "Junimea" wandte sich gegen die bloße Nachahmung westlich-europäischer Kultur- und Gesellschaftsformen, gegen die "Formen ohne Inhalt" wie es Titu Maiorescu, ein bedeutender rumänischer Kritiker, Gründer und Leiter der "Junimea", ausgedrückt hat. Zu "Junimea" gehörten noch weitere Persönlichkeiten, wie der Schriftsteller Ioan Slavici, der politisch kritische, satirische Dramatiker Ion Luca Caragiale und Ion Creanga, Volksdichter, Autor vieler Sagen und Märchen, Darsteller des bäuerlichen rumänischen Lebens. Zuerst als Diakon in Kirchen und Klöstern Iaşis tätig, schrieb Creanga nach dem Beitritt zu "Junimea" seine bekannten Märchen, die jede rumänische Kindergeneration in der Schule lernt, unter anderem die rumänische Variante des "Wolfes und die sieben Geißlein" ("Die Ziege und die drei Geißlein") und "Erinnerungen aus der Kindheit".

   Im Ausland ist Mihai Eminescu bekannt als größter rumänischer Dichter. Wenige wissen jedoch, dass zu Lebzeiten Eminescus ein anderer rumänischer Dichter, Vasile Alecsandri, berühmt war. In einem Jugendgedicht, "Epigonii", feiert Eminescu selbst den Dichter Alecsandri als "König der Poesie". Vasile Alecsandri schrieb Theaterstücke, Gedichte und Balladen, war aber auch 1848 ein aktiver Politiker sowie Rumäniens Außenminister ab 1859 (nach der Vereinigung unter Alexander Ioan Cuza).

Zu einer späteren Generation gehörend, aber nichtsdestotrotz ein bedeutender rumänischer Schriftsteller und bekannte Persönlichkeit Iaşis war Mihail Sadoveanu. Schon als Kind begeisterte er sich für Geschichte, besonders für die Zeit der Herrschaft unter Stefan dem Großen, die er sehr ausdrucksvoll in seinen Romanen darstellte. Präsident der Gesellschaft der rumänischen Schriftsteller, Mitglied der rumänischen Akademie, war er auch neun Jahre lang Direktor des Nationaltheaters in Iaşi.

   Die Bewohner der Stadt vergleichen sich mit Rom, da Iaşi ebenfalls auf sieben Hügeln erbaut wurde. Auf dem höchsten Hügel liegt der bekannte Copou Garten, eine der grünen Oasen der Stadt. Schon im achtzehnten Jahrhundert gründete der fanariotische Herrscher Matei Ghica auf dem Copou Hügel einen kleinen Erholungsplatz. Erst 1834 wurde am Copou ein allgemein zugänglicher Park eröffnet. Literaturfreunde und Liebhaber suchen mitten im Copou Garten Zuflucht unter Eminescus Linde, Pilgerstätte der Romantiker. Wo sonst, als im Copou Garten, wurde 1989 (zum hundertjährigen Gedenkjahr des Todes des großen rumänischen Dichters) das Museum Mihai Eminescu eröffnet. Hier finden jährlich Buchausstellungen und -veröffentlichungen, literarische Wettbewerbe usw. statt.

Der botanische Garten der Stadt ist mit über 100 Hektar der größte Rumäniens und einer der größten Europas. Aufgeteilt in zwölf Bereiche, enthält z. B. der Abschnitt der Rosen 800 Arten der edlen Gewächse.

Auf fast jedem der anderen Hügel ist je ein sehenswertes Kloster. Das monumentale "Golia" Kloster, errichtet im sechzehnten Jahrhundert, das "Cetatuia" Kloster, dessen Bau 1672 beendet wurde, das "Galata" Kloster und das "Frumoasa" Kloster. Die besondere Schönheit des "Golia" Klosters wurde am treffendsten von Zar Peter dem Großen während seines Besuchs 1711 in Iaşi beschrieben: "eine Mischung aus polnischer, griechischer und russischer Architektur". Umgeben von einer hohen Mauer, ist sein 30m hoher Turm, mit wunderschönem Blick über die Stadt der sieben Hügel, eines der Symbole Iaşis.

   Die ruhmreichste Kirche der Stadt befindet sich jedoch nicht auf einem Hügel, sondern mitten im Zentrum. Die "Heilige Drei Hierarchen" Kirche (Biserica Trei Ierarhi), gestiftet 1638 vom moldauischen Fürsten Vasile Lupu (der auch das "Golia" Kloster umbauen ließ), weist eine einmalige Architektur auf: In Stein entfalten sich meisterhaft gemeißelte türkische, arabische, georgische, armenische und persische Elemente, verflochten mit spezifisch rumänischen Motiven. Man kann über 30 unterschiedliche Ornamente zählen, die einst mit dünner Goldfolie bedeckt waren. Im Kloster befinden sich die Gräber großer rumänischer Persönlichkeiten, des Stifters Vasile Lupu, Dimitrie Cantemirs (Fürst der Moldau, Wissenschaftler und 1714 korrespondierendes Mitglied der Preußischen Akademie) und Alexander Ioan Cuzas.

Weiter oberhalb wurde die monumentale Metropolitenkathedrale der Moldau und Bukowina (Catedrala Mitropoliei Moldovei si Bucovinei) errichtet. Die ursprünglichen Arbeiten wurden 1833-1839 von den Wiener Architekten Freywald und Bucher durchgeführt, jedoch wurde der Bau erst 1887 vollendet. Dessen architektonischer Stil erinnert an die italienische Renaissance. Seit 1889 enthält die Kathedrale die Gebeine der Heiligen Paraschiva, Beschützerin der Moldau. Zu bemerken sind die schönen Ikonen, die besonders fein bemalten Kirchenfenster und die vom bekannten rumänischen Maler, Gheorghe Tattarescu, gestaltete Innenmalerei.

   Die Stadt bietet weitere sehenswerte Kirchen: Die Kirche "Heiliger Fürstlicher Nikolaus" (Biserica Sfantul Nicolae Domnesc) 1491-1492 gestiftet von Stefan dem Großen ist der älteste kirchliche Bau in Iaşi. Ihr Name leitet sich von der unmittelbaren Nähe des ehemaligen Fürstenhofes ab, aber auch davon, dass fast alle Fürsten der Moldau hier gesalbt wurden. Der harmonische Bau beeindruckt durch die Außenfresken, 282 Gesichter, die in Nischen gemalt sind, sowie durch die kunstvollen Innenfresken. Die 1844 errichtete Kirche "Barboi" erinnert durch ihre Dimensionen und Form an ähnliche Kirchen des Athos Berges.

Iaşi beeindruckt jedoch nicht nur durch große grüne Flächen und zahlreiche Klöster und Kirchen. Der Weg zu anderen prachtvollen Gebäuden führt vom Copou Hügel zum Zentrum hinunter am Hauptboulevard "Stefan der Große und Heilige". Der zentrale Besichtigungspunkt, an einem Ende des Boulevards, ist der gewaltige neogotische Bau des Kulturpalastes. Das Gebäude wurde 1906-1928 auf den Fundamenten des ehemaligen Fürstenhofes errichtet und birgt heute vier Museen: das Geschichtsmuseum, das ethnographische Museum, das Kunstmuseum und das Museum für Wissenschaft und Technik. Fast 300 Räumlichkeiten und 36.000 Quadratmeter bieten unter anderem einen Reichtum an Gemälden, Informationen der modernen Technik sowie archäologische, numismatische und keramische Zeugen der moldauischen Kultur aus dem Altertum, die ihren Ursprung im benachbarten Dorf Cucuteni hat.

   Der bekannteste Saal des Palastes ist der Fürstensaal (Wojewodensaal) im ersten Stock. Wie der Name schon verrät, spaziert der Besucher durch eine Galerie von Medaillonporträts der Wojewoden der Moldau und der Könige Rumäniens aus der Hohenzollern-Dynastie. Ein weiterer Schwerpunkt des Kulturpalastes ist die mit einem Glockenspiel versehene Uhr im Hauptturm. Ihr Mechanismus setzt acht Glocken in Bewegung, die zu jeder vollen Stunde Teile der "Hora Unirii" (1859 Vereinigungshymne) wiedergeben.

Vor dem gigantischen Kulturpalast befindet sich die Statue Stefans des Großen zu Pferd, der durch seinen erfolgreichen Widerstand gegen die Türken im fünfzehnten Jahrhundert zu den moldawischen Nationalhelden zählt.

Das neue Rathaus im Herzen der Stadt befindet sich im ehemaligen Roznoveanu Palast, benannt nach der einflussreichsten Familie der moldawischen Politik. Zeitweise Sitz der königlichen Familie, war es während des ersten Weltkrieges Sitz der Ministerien. Das neoklassizistische Gebäude wurde nach den Plänen des Wiener Architekten Freywald gebaut.

   Das Gebäude des Nationaltheaters, benannt nach dem großen rumänischen Dichter "Vasile Alecsandri", dessen Statue sich auch davor befindet, beherbergt heute auch die Staatsoper. Errichtet 1896 auf dem Platz des alten Rathauses nach Plänen der Wiener Architekten Fellner und Helmer (Schöpfer ähnlicher Bauten in Wien, Prag, Odessa und Zürich), gilt es als schönstes Gebäude Rumäniens. Es ist ein Architekturjuwel und beherbergt wahre Kunstwerke: der Vorhang (mit der Allegorie der drei Lebensabschnitte und der Vereinigung Moldaus, Transsilvaniens und der Walachei) und die in Pastellfarben gemalte Decke (mit Allegorien aus dem Paradies).

Für Literaturliebhaber sind die zahlreichen Häuser und Museen, in denen die literarischen Größen Rumäniens gelebt haben, ein Muss. Im "Dosoftei" Haus befinden sich zahlreiche Originale der alten rumänischen Literatur u.a. Grigore Ureches und Miron Costins Chroniken der Moldau ("Letopisetul"). Das "Vasile Pogor" Haus war viele Jahre Sitz der "Junimea"-Gesellschaft und Treffpunkt der Mitglieder. Benannt nach seinem Besitzer, Mitglied der "Junimea" Gesellschaft, beherbergen die 12 Räume heute ein Museum. Weitere sehenswerte Gedenkhäuser sind: das "Mihail Sadoveanu"-Haus, das "Mihail Codreanu"-Haus (auch "Vila Sonet" genannt, da der Dichter viele Sonette geschrieben hat), das "Otilia Cazimir"-Haus (Autorin entzückender Kinderliteratur), das "Gheorghe Toparceanu"-Haus (gefühlvoller rumänischer Dichter), das "Mihail Kogalniceanu"-Haus (wichtiger rumänischer Politiker und Historiker) und das "Gheorghe Asachi"-Haus (Gründer der Schule in rumänischer Sprache und Herausgeber der ersten Zeitung in rumänischer Sprache).

Die Hauptattraktion dieser Häuser ist die "Bojdeuca" (bedeutet kleines, armseliges Haus), Symbol der Freundschaft zwischen dem Dichter Mihai Eminescu und Ion Creanga, der hier die letzten 15 Jahre seines Lebens verbrachte. Seit 1918 ist das Haus ein Museum und die erste Gedenkstätte des Landes.

   Iaşi war früher die Universitätsstadt Rumäniens, da hier die ältesten Universitäten gegründet wurden und die besten Professoren unterrichteten. Die Universität "Alexander Ioan Cuza", 1860 gegründet, ist Rumäniens älteste Hochschule. Das Gebäude ist bekannt durch seinen Eingang aus Marmor, auch "Saal der verlorenen Schritte" genannt. Zahlreiche rumänische Persönlichkeiten haben auf dieser Universität studiert. Heute umfasst sie 15 Fakultäten und 900 Professoren, 9 Gebäude und 11 Bibliotheken. Sie ist als eine moderne und internationale Institution anerkannt und pflegt Kontakte mit mehreren Universitäten in Deutschland, Frankreich, Holland, Griechenland und den USA. Vor dem Gebäude befinden sich die Statuen des Historikers A.D. Xenopol und Diplomaten M. Kogalniceanu. Iaşi verfügt über vier weitere renommierte Universitäten: Medizin (gegründet 1879), die erste Technische Universität Rumäniens "Gheorghe Asachi" (gegründet 1813), Landwirtschafts- und Tierkunde sowie Kunst "George Enescu" (gegründet 1860).

Aber die beste Universität, der beste Bildungsplatz, der so viele Seelen und Persönlichkeiten geformt hat, ist Iaşi selbst, mit seiner gesamten Atmosphäre und Tradition, mit seiner Schönheit. Heute ist Iaşi Ort der fünf großen Universitäten, Sitz bedeutender Firmen, eines internationalen Flughafens, Ausgangspunkt zum berühmten moldawischen Weingebiet Cotnari. Diese Stadt mit großer historischer Vergangenheit besitzt heute viel wirtschaftliches Potential, womit sie – bedingt durch ihre geographische Lage – eine Brücke schlagen könnte zwischen der Europäischen Union und der Republik Moldau und damit weiter nach Asien.
 


 

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