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Ausflug in die Vergangenheit
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In einer Sprache reich an Jargon skizziert der rumänische Autor Dan Lungu
in "Klasse Typen" Szenen aus dem Leben zweier Menschen, die, ausgehend vom
Kommunismus, nun in der k
apitalistischen Gegenwart angekommen sind.

Von Irina Wolf
(28. 12. 2007)

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Irina Wolf

wolfirina [at] yahoo.com


wurde in Bukarest geboren.
Nach Abschluss ihres Infor-
matikstudiums kam sie 1988
durch ein Herder-Stipendium
nach Wien. Nach mehreren
Jobs im Telekommunikations-
und Forschungsbereich
wechselte sie 1993 in den
Handelsbereich. Seitdem
arbeitet sie bei der Friedrich
Wilhelm GmbH & Co.KG
und hält weiterhin engen
Kontakt mit Rumänien.

 

Dan Lungu.
Klasse Typen.
Übersetzt aus dem Rumän-
ischen von Aranca Munteanu.
Drava-Verlag, 2007. 208 S.
ISBN: 9783854355106
 


Dan Lungu
geboren 1969, ist Dozent
am Institut für Soziologie
der Universität Iaş
i, post-
doktorale Studien an der
Sorbonne.
2005 gehörte Dan
Lungu zu den zwölf rumän-
ischen Schriftstellern, die im
Rahmen des Programms Les
Belles Etrangeres
an einer
Lesetournee durch Frankreich
teilnahmen; 2007 erschien sein
neuester Roman, Sînt o babă
comunistă!
(Ich bin eine alte
Frau und Kommunistin!), im
Verlag Polirom,
Iaşi. Einige
seiner Erzählungen er-
schienen in italienischer,
deutscher, französischer,
englischer und ungarischer
Übersetzung.

 

Weitere Besprechungen
rumänischer Bücher
finden Sie hier

   Dan Lungus Buch "Klasse Typen" (2007) besteht aus elf Kurzgeschichten. Die Personen sind Menschen aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten Rumäniens. Wir begegnen unter anderem einer Frau ohne Arme (deren Hobby die Malerei ist), einem "Räudigen" (ein Zigeuner oder Arbeiter, der während des Kommunismus von gleichaltrigen Kindern verachtet und geschlagen wurde, sich aber nach der Wende zu einem erfolgreichen Geschäftsmann entwickelte), einer Professorin (die von einem ihrer ehemaligen Schüler aufgesucht wird, um ihm einen Ratschlag zu seiner bevorstehenden Hochzeit zu geben).

In einer Sprache reich an Jargon skizziert Dan Lungu je eine Szene aus dem Leben von jeweils zwei Hauptpersonen in der kapitalistischen Gegenwart mit Rückblick auf die kommunistische Vergangenheit. Dabei verlassen die Ereignisse manchmal Rumänien und spielen in Lille oder Wien. Die Geschehnisse ereignen sich – unabhängig vom Ort – immer unvorhergesehen und wirken überzeugend, sind aber voll von Traurigkeit.

   Der Autor variiert zwischen Monolog und Dialog, womit ihm spannende Schilderungen gelingen. Letzterer wirkt spritzig und verleiht den Geschichten Tempo. Die jargonreiche Sprache, auch wenn sie gelegentlich zu simpel ist, schafft witzige, teilweise reizvolle Personenbeschreibungen und verfällt nicht ins Vulgäre.

Auf den ersten Blick wirken die Kurzgeschichten unabhängig voneinander. Bei einer genaueren Lektüre merkt man jedoch feine Verbindungen und Übergänge zwischen diesen, sei es durch gleiche Personentypen (z. B. Professoren) oder ähnliche inhaltliche oder formale Muster (z. B. Dialog mit dem besten Freund). Der Rückblick auf die Kindheit und ihre Freundschaften, das Eltern-Kinder- und insbesondere Mutter-Kind-Verhältnis sowie Erotik und Sex sind einige der Themen, die wichtige Rollen in den meisten Geschichten spielen.

   Die längste Geschichte, die dem Buch den Titel verleiht, ist die einzige, in der zahlreiche Personen zusammenkommen. Mehrere Burschen namens "Bohne", "Paganel", "Vetter", "Bastârca", "Weißkopf" und "der Stupide" erzählen Streiche, die sie in ihrer Clique während der Schulzeit verübten. Voller Humor geht Dan Lungu von einer Anekdote der Gaunergruppe zur anderen und gibt die Atmosphäre der achtziger Jahre in Rumänien (Lehrstuhlverlust wegen Parteibeitrittablehnung, Schlangestehen vor dem Lebensmittelgeschäft) anschaulich wieder.

Allein die letzte, autobiografische Geschichte über die Reisen des Autors ins Ausland und seine Träume, Eindrücke und Gefühle unterscheidet sich von den anderen, indem sie sich über einen längeren Zeitraum erstreckt. Der Multikulturalismus dieser Geschichte knüpft an die einleitende Erzählung des Bandes an, in der eine in Italien geborene, aber in England aufgewachsene Belgierin, letztendlich einen Rumänen heiratete. Dadurch schließt sich gewissermaßen der Kreis.

   Der eher unbefriedigende Eindruck, den das Buch, trotz seiner Konsistenz, hinterlässt, leitet sich einerseits von der bloßen Beschreibung ohne irgendeiner Analyse der achtziger Jahre, ab. Andererseits wird der Kapitalismus nur als Gewinner und Verlierer dargestellt. Durch seine hervorragende Beobachtungsgabe gelingt es Dan Lungu gute Bilder der kommunistischen Achtziger zu erzeugen. Es stellt sich aber die Frage der Aktualität einer Expedition in einer Epoche, die seit fast zwei Jahrzehnten der Vergangenheit angehört. Auch geht aus dem Band nicht hervor, welche Relevanz diese Epoche für die heutige kapitalistische Gegenwart in Rumänien darstellt.

Dem rumänischsprachigen Leser sei verraten, dass im Original die Kurzgeschichten anders gereiht sind. Die autobiografische Erzählung ist in der rumänischen Version gar nicht vorhanden. Stattdessen gibt es eine äußerst gelungene Geschichte über das "Gespräch" eines Mädchens mit ihrer Zeichnung, dem Spiel "Tempelhupfen", die einen tieferen Einblick in die Probleme der rumänischen Gegenwart erlaubt. Schade, dass diese nicht ins Deutsche übersetzt wurde. Die ausgezeichnete Übersetzerin Aranca Munteanu hätte das ohne weiteres zu Wege gebracht.

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