Ganz
auf sich gestellt waren die Studenten in den
jeweils fremden Städten, mit Sprache
und Kultur nur teilweise vertraut. Oft sieht der
andere mehr als man selbst.
Welchem
Wiener ist schon die Rigorosität der auf österreichischen
Rolltreppen herrschenden
"Verkehrsregeln" bewusst? Wer in Temeswar fragt
sich, ob da gerade eine Frau einen Mann heiratet oder
der Mann sie?
Elf Autoren
verbrachten eine Woche lang in einer ihnen bislang unbekannten Stadt.
Sie verarbeiteten
das Gesehene zu kritischen Sozialreportagen auf
fundierter akademischer Basis. Als Resultat
entstand ein Sammelband mit teils bewegenden, nachdenklich stimmenden
Kurzgeschichten, ein Buch, das am 3. Dezember
im
Rumänischen Kulturinstitut in
Wien präsentiert wurde.
Den Anstoß zu diesem Projekt gab
der Wiener Bildungswissenschaftler Reinhold
Stipsits, der damit interkulturelle Verbindungen schaffen und
fächerübergreifende Prozesse in Gang setzen wollte.
Denn nicht nur Rumänien und
Österreich stehen sich hier gegenüber, sondern auch die Fachrichtungen
Journalistik und Sozialpädagogik, aus denen die Studenten stammen.
Ein Hauptaugenmerk wurde dabei auf
Zweisprachigkeit gelegt. Petrea Lindenbauer, Rumänischprofessorin an der
Wiener Universität, übertrug
die Texte
im Rahmen eines Seminars zusammen mit
ihren Studenten ins Deutsche. Kleinere
Übersetzungsschwierigkeiten waren dabei stets mit von der Partie. Sprache
transportiert Kultur und Nationalgeschichte. Oft ist es schwer, ein
passendes Pendant zu finden. Wie will man
"Nestbeschmutzer" übersetzen? Oder
das rumänische "budă"
– ist es ein Klo, ein WC oder gar ein
"Scheißhaus"?
Die Übersetzer versuchten, dem Stil der Autoren so weit wie möglich treu zu
bleiben. Mit viel Sensibilität gingen sie an die Texte heran, die sich in Ausdruck
und Stil gänzlich unterscheiden. Mal findet man eine gute Dosis Ironie und
Augenzwinkern, mal spürt man verträumte Nachdenklichkeit. So bei Mugur Savu,
der Wien zu einer Totenstadt macht, die er mit seinem "Requiem" huldigt.
Temeswar, früher "Klein Wien" genannt, löst
sich mit diesem Buch wieder ein Stück aus dem Schatten des westlichen
großen Bruders. Heute macht sie ihrem Titel als multikulturelle
Vielvölkerstadt alle Ehre. Zahlreiche Künstler und Literaten setzen sich
mit politischen und sozialkritischen Themen auseinander. Betont
durch die Zweisprachigkeit, steht der interkulturelle Austausch im
Vordergrund, verpackt in Beobachtungen, die sehr persönlich, offen und auch
mutig sind. Die Mischung ist vielseitig, bunt und doch durchzogen von einem
rotem Faden: der österreichisch-rumänischen Begegnung.
Der Leser darf sich auf
unverfälschte Beobachtungen
freuen! Auf einen permanenten Wechsel zwischen Wiedererkennen und
Erstaunt-Sein. Besonders die Berichte über die eigene Stadt überraschen und regen zu
einer selbstreflexiven Reise durch die eigene Heimat an. |