Terrassierte
Hänge, die sich an den Betrachter heranschlängeln wie die Wellen eines
schimmernden Meeres. Sattes Grün zwischen langen Reihen von Rebstöcken.
Sanft geschwungene Hügel, die weiter südlich in endlose Weite übergehen.
Unser Blick schweift über verstreut liegende Gehöfte und unbehauene
Strommasten, die im Licht der Abendsonne bizarre Schatten werfen, und er
reicht zurück bis zu jener Hauptstraße in der Nähe von Ljutomer, die wir am
späten Nachmittag verlassen haben, um hier herauf in diese malerische
Landschaft aus Weinbergen zu fahren. Je weiter wir nach oben kommen, desto
mehr fühlen wir uns an die Toskana erinnert, nur die Zypressen fehlen. An
klaren Tagen, verspricht der Reiseführer, könne man im Nordosten nach Ungarn
bis zum Plattensee blicken. Der nächste Fotostopp ist so oder so
unausweichlich.
Abseits der
schmalen Straße, die in vielen Serpentinen hinauf zur Wallfahrtskirche nach
Jeruzalem führt, machen wir Rast. Hinter uns kämpft sich ein Touristenbus zu
einem der wenigen Parkplätze des winzigen Ortes vor, der eigentlich nur aus
einem Gasthaus, ein paar Weinbauern und seinem klingenden Namen besteht.
Jeruzalem
– mit "z" geschrieben – liegt inmitten der Windischen Bühel, einer
wunderschönen, kleinräumig-stillen Region im Osten Sloweniens. Eine Gruppe
von Malteser Rittern soll in der Zeit des ersten Kreuzzuges (1096-99) vom
Reiz der Weinberge – und insbesondere vom Wein selbst – so sehr in Bann
geschlagen worden sein, dass ans Kämpfen im fernen Palästina nicht mehr zu
denken war. Ein paar Jahrhunderte später haben Pilger ein Bildnis der
Schmerzensreichen Muttergottes aus dem "echten" Jerusalem mitgebracht, das
noch heute in der hiesigen Kirche besichtigt werden kann.
In der wenige
Meter neben dem Gotteshaus liegenden Vinothek erzählt uns der Besitzer von
einer weiteren Begebenheit, die sich hier vor mehr als 200 Jahren zugetragen
haben soll: Als der französische Kaiser Napoleon I. mit seinen Truppen in
die Jeruzalemer Gegend vordrang, servierten ihm die ansässigen Bauern einen
aus der Furmint-Traube gekelterten, leuchtend gelbgrünen Wein. "C’est bon!",
soll der französische Feldherr damals ausgerufen haben. "Šipon", sagen die
Slowenen heute dazu.
Noch
um einiges älter als die meisten Legenden, die sich um den Wein ranken, ist
die Stadt Ptuj, eine halbe Autostunde westlich von Jeruzalem gelegen. Enge,
dunkle Gassen und stark angewitterte Hinterhöfe kontrastieren hier mit
aufwändig restaurierten Bürgerhäusern und freien, offenen Plätzen, auf denen
sich Touristen und Einheimische in einem der zahlreichen Gastgärten zum
Kaffee treffen. Über all dem thront die mittelalterliche Burg. Von hier oben
erscheint Pettau – der alte deutsche Name verweist auf die fast 450-jährige
Geschichte als bedeutendes K.u.k.-Handels- und Verwaltungszentrum – wie ein
dicht geknüpfter Teppich aus roten und rostroten Ziegeldächern. Blühende
Kastanienbäume bilden grünweiße Einsprengsel im monotonen Auf und Ab der
Giebel und Rauchfänge. Nur der Turm der St.-Georgs-Kirche ragt als Einziger
deutlich aus dem Halbrund der Altstadt heraus und präsentiert sich – neben
der im 12. Jahrhundert erbauten Burg – als markantes Denkmal an die Zeit,
als Pettau noch im Besitz der Salzburger Erzbischöfe war. Am Südrand des mit
Weinreben bewachsenen Burgbergs teilt die Drau die Stadt in zwei Hälften, um
sich anschließend zu Sloweniens größtem Stausee zu verbreitern.
In der Region
zwischen den Flüssen Mur im Norden und Drau im Süden wurde schon in
vorchristlicher Zeit Weinanbau betrieben. Mindestens ebenso lange reicht die
Geschichte Pettaus zurück, das, noch bevor es im Jahr 796 von Karl dem
Großen zum Zentrum der Salzburger Slawenmission erwählt wurde, einmal
römisch Poetovio hieß und unter Kaiser Trajan (98-117) das Stadtrecht
erhielt.
Heute
vermittelt ein Rundgang durch den großen unterirdischen Weinkeller Ptujs
einen Eindruck über den wichtigsten, zum Glück ständig nachwachsenden
Bodenschatz dieser Region. "Goldener Rebstock" (Zlata trta) wird eine der
ältesten der über 450.000 hier lagernden Flaschen genannt. Auch ein Šipon
aus dem Jahr 1926 findet sich, ein Grüner Silvaner von 1919 und ein 1935er
Rheinriesling. Nebenbei erfährt der Besucher so manches über Höhe- und
Tiefpunkte der Weinwirtschaft in den letzten 2500 Jahren. Von Kaiser Probus,
der dem Rebensaft geradezu verfallen war, über die Minoritenmönche des
Mittelalters, welche im 12. Jahrhundert die erste nachrömische Blütezeit des
Weins einläuteten, bis zur weniger rühmlichen Epoche nach 1945, als in der
Zeit der kommunistischen Winzergenossenschaften der Wein vor allem billig
sein sollte und Masse mehr zählte als Qualität.
Inzwischen ist
hier viel geschehen. Seit sich in den späten 70er Jahren die ersten privaten
Weinbauern in der Podravje – so heißt die Region im Gebiet nördlich der Drau
– niedergelassen haben, wird wieder nach alter Überlieferung und in kleinem
Rahmen produziert. Die Erfolge können sich sehen lassen. Winzer wie Franci
Cvetko vom traditionsreichen Gut Kogl, das bei Velika Nedelja zwischen Ptuj
und Ormož liegt, oder Josef Kupljen, der einen Weingasthof in der Nähe von
Jeruzalem betreibt, produzieren schon seit Jahren erstklassige Weißweine wie
Traminer, Riesling, Weißer Burgunder oder eben Šipon.
Vielleicht
ist das auch eines der Geheimnisse, die den besonderen Reiz dieser Gegend
ausmachen: dass das Neue und Innovative sich bruchlos in die gewohnten
Strukturen einzufügen vermag, und dass manches sich verändert, während
vieles auch beim Alten bleibt.
Zum Abschluss
müssen wir gestehen: Der goldschimmernde Šipon, er hat es uns angetan. Er
und noch ein paar andere Prunkstücke sind inzwischen im Dunkel unseres
Kofferraums verschwunden. Daheim in Salzburg werden wir ihn wieder zum
Leuchten bringen. C’est bon.