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Warum empfinden wir
es als so lächerlich, wenn einmal die Rollen vertauscht
Von
Kristina Werndl |
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Unlängst berichtete mir ein Freund über einen Fragesteller aus dem 19. Jahrhundert, einen Mann, der allen Ernstes von einer älteren Dame um die 75 wissen wollte, wann denn nun eigentlich die Lust der Frau ihren Zenit erreiche und wann es damit endgültig vorbei sei. Der trocken-süffisante Kommentar der Dame: "Mein junger Herr, so alt bin ich noch nicht, um darauf eine Antwort zu wissen!" Sexualität ist für die allermeisten Menschen wichtig, für viele bis ins hohe Alter. Dem trug die Weltgesundheitsorganisation WHO 2002 Rechnung, indem sie Sexualität – und das umfasst: Geschlechtsverkehr und geschlechtliche Identität, Erotik, Genuss, Intimität und Reproduktion – als zentralen Bestandteil des gesamten Lebens definierte. Sexualität wird als zentral für das menschlichen Leben anerkannt und als altersunabhängiger Faktor dargestellt. Und will man bisweilen auch nicht wahrhaben und anerkennen, dass die eigenen Eltern sexuelle Wesen sind, so weiß man doch – und ist selbst der lebende Beweis –, dass dies der Wahrheit entspricht. Sex im Alter schafft es mittlerweile in Talkshows und Gesundheitsmagazine. Flächendeckend entzündet hat sich die Diskussion darum freilich noch nicht – weil Alter, nicht aber Sexualität, tabuisiert ist. Oder ist im TV schon einmal "Big Brother" in einer Senioren-WG gelaufen? Zum Glück bin ich eine Frau und sind wir Frauen zumindest in der zweiten Lebenshälfte privilegiert. Denn bei den meisten von uns bleibt die sexuelle Erregbarkeit auch nach der Menopause bis ins hohe Alter erhalten. Männer dagegen müssen im Seniorenalter mit größeren Veränderungen rechnen. Ihre Erregung läuft mit zunehmenden Lebensjahren zumeist langsamer ab. Insgesamt, sagen Statistiker und Therapeuten, nimmt die Häufigkeit sexueller Kontakte im Alter ab, nicht jedoch das Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Sexualität. Ein Blick auf demografische Tabellen bestätigt den Eindruck, den man im Alltag gewinnt, nämlich dass vor allem alte Frauen häufig keinen Partner mehr haben, mit dem sie eventuelle Intimität erleben können. Ab einem gewissen Alter herrscht eklatanter Männermangel: Das Frauen-Männer-Verhältnis beträgt bei den 60jährigen noch 1:1, bei den 70jährigen 3:2. Bei den 80jährigen kommt auf zwei Frauen nur noch ein Mann. Wie ist diesem Gesellschaftsphänomen zu begegnen? Harald Martenstein hat sich am Höhepunkt der Fertilitätsdebatte in seinen "Zeit"-Kolumnen dazu Gedanken gemacht. Dabei hatte er endlich einmal auch den Vorteil der Frau im Blick. So schlägt er vor, dass künftig Rentner über 65 die Kinder zeugen, denn: "Sie sind fit, sie brauchen eine Aufgabe." Wenn die alten Männer massenhaft Kinder zeugten, wären drei gesellschaftliche Probleme mit einem Schlage gelöst oder gemildert:
Der Vorteil der Frauen bei diesem Modell liegt auf der Hand:
Leider hat dieses Modell, wie so oft, einen Haken. Martenstein räumt ein, dass sich junge Frauen...
Der Buggy als Gehbehelf, als der er bei Martenstein Verwendung fände, wird nicht zum Regelfall werden. Dem Kolumnisten ist aber Recht zu geben, wenn er bemerkt, dass sich junge Frauen sexuell von erfolgreichen alten Männern angezogen fühlen. Das liegt nicht nur an deren voller Brieftasche, nein, vielmehr ist es gesellschaftlich vollkommen akzeptiert, sich an der Seite eines (vorgeblich) potenten Silberfuchses zu präsentieren. Das Bild des greisen Dandys oder Professors, wo jede Gesichtsfalte mutmaßlich einer zusätzlichen Hirnwindung entspricht, hat sich tief in unser Unbewusstes eingegraben. Der Mann ist weise, die Frau hat schön zu sein. Warum eigentlich? Warum akzeptieren wir das so bereitwillig? Warum fehlt es uns an reifen weiblichen Identifikationsfiguren, an Frauen jenseits der Zerrbilder von Strickomi mit Haardutt und Haushaltsschürze bzw. kurzes graues Haar tragender Powerfrau à la Barbara Rütting? Ein Hauptübel ist sicher, dass so wenige Frauen oberste (politische) Ämter bekleiden. Die "Kinder statt Partys"-Ministerin, die realitätsferne Frauenministerin und die Innenministerin mit dem "Die Frauen gehören in die Kuchl, sollen die Kinder erziehen und aus"-Gatten sind so jenseitig, dass wir sie als Leitfiguren vergessen können. Warum auch empfinden wir es als so lächerlich, wenn einmal die Rollen vertauscht sind und sich eine ältere Frau einen jungen Liebhaber nimmt? Man könnte hier einwenden, die Männerwelt sei eh großzügig geworden, die Alte tauche ja als geistreiche Kommentatorin, als lebenskluge Gesprächspartnerin auf, von der der Junge noch viel lernen kann. Etwa in Hans Magnus Enzensbergers jüngster Erzählung "Josefine und ich", wo dieser die Begegnung zweier völlig unterschiedlicher Menschen schildert: einer 75-jährigen Sängerin und eines halb so alten Ökonomen. Ein Dreivierteljahr lang treffen sich die beiden einmal in der Woche zum Tee und führen Streitgespräche. Dabei muss sich Josefine, die Alte, die Frau, natürlich bewähren: durch Witz, durch Klugheit, durch unkonventionelle Dreistigkeit. Sie existiert in einer entsexualisierten Sphäre, während Männern – man denke nur an Picasso – das Sexuelle auch im Alter bereitwillig zugebilligt und zugeschrieben wird. Martin Walsers jüngster Roman "Angstblüte", wo ein von Alter, Selbstgerechtigkeit und Selbstmitleid enthemmter Investmentbanker namens Karl von Kahn (Generation "70plus") tiefer und tiefer in seine sexuelle Begierde rutscht, ist ein gutes Beispiel dafür. Wie wohltuend liest sich da der Text des Liedes "Omaboy" von der deutschen Punkrockband "Die Ärzte"! Da muss die Frau nichts darstellen, sondern darf sein, was sie ist: Leib, Fleisch, alt, schön – zumindest für ihren Liebhaber. Denn sie ist schön auch im Alter, selbst und gerade wenn sie keine klassische Susanna im Bade mehr ist. Wie singt ihr Verehrer?: Ich hab mich dem Bund
verweigert, Zivildienst war angesagt Vor 13 Jahren bereits wurde in dieser raren Hymne auf die alte Frau das Tabu gebrochen und Alter und Sex zusammengedacht. Einen rühmlichen Beitrag leisteten 2003 auch jene Frauen jenseits der 70, die für einen "Get Naked for Charity"-Kalender posierten: nackt am Motorrad oder mit Teetassen vor den Brüsten; stilsicher, respektvoll und witzig. Das letzte Wort in "Omaboy" hat, wie es sich gehört, die Frau: "Musst'
ich so alt werden, um dieses erleben zu dürfen ... Solch eine selbstbewusste
und muntere Oma möchte ich in einigen Jahrzehnten sein! Von wegen:
"Das Alter ist kein Kampf; es ist ein Massaker", wie
Philip Roth seinen Protagonisten in "Everyman" sagen
lässt. Wenn die Männer mitspielen – in der Küche wie im Schlafzimmer –, kann
das Alter wohl auch sehr genussvoll sein. Die alte Lady in "Omaboy"
ist ein gutes Vorbild. |