Ich
traute meinen Augen nicht! "Die Berufsmesse für Ausländer findet im Beijing
Swissotel am 5. April 2014 von 9.00 bis 16.00 Uhr statt. Registrierung
unter: jobfair.chinajob.com". Immer wieder las ich die Nachricht auf dem
Mobiltelefon durch. Erst vor drei Tagen in Peking angekommen, hatte ich mir
noch am Flughafen eine chinesische SIM-Karte besorgt, dessen Nummer aber nur
meiner Familie bekannt war. Und nun diese überraschende Nachricht! Wie ich
später erfahren sollte, ist China sehr an ausländischen Arbeitskräften, vor
allem an Nachhilfe in Fremdsprachen, interessiert.
Dafür hatte ich
aber keine Zeit. Ich befand mich ja dort, um einen Teil des Landes zu
besichtigen. Und Peking bot dafür einen einmaligen Einstieg. "21 bis 22
Millionen Einwohner", stand in meinem Reiseführer. "Aber nein, es sind doch
24 Millionen", behauptete eine Reiseleiterin, "wenn man die Gastarbeiter
dazurechnet." Auf alle Fälle ist die Einwohnerzahl der chinesischen
Hauptstadt um gut zwanzig Prozent seit 2010 gestiegen. Wehe dem Touristen,
der sich zu den Hauptverkehrszeiten in der U-Bahn befindet. Schon um
17 Uhr erscheinen die in gelb gekleideten "Pusher" in den unterirdischen
Haltestellen. Mit Headset-Mikrofonen ausgerüstet, positionieren sie sich vor
jeder Tür der einzutreffenden Garnitur. Ihre Aufgabe besteht darin, den
einsteigenden Fahrgästen zu "helfen", dies rasch zu erledigen. Denn die
U-Bahn darf nicht mit Verspätung abfahren. Und das tut sie auch nicht. Bei
solchen Menschenmassen ist man immer wieder erstaunt, dass es letztendlich doch
funktioniert.
Und
das sind nicht die einzigen Veränderungen. Die Bettler in der
Pekinger U-Bahn, ein weiteres Zeichen der rasanten Modernisierung, bewegen
sich ohne ein einziges Wort. Bei laufender Wiedergabe ihrer
Bandaufnahme sind sie in den ohnehin nicht geräuscharmen Waggons nicht zu
überhören. Auf Straßenniveau angelangt, stachen mir schließlich die vielen
großen Autos ins Auge. PKWs der Marken Audi, BMW, Mercedes, VW, Buick, Cadillac haben
fast zur Gänze die populären Pekinger Fahrräder ersetzt.
Das Auto als Statussymbol der wohlhabenden Schicht ist stark im Kommen. Dass
VW zwei riesige Modelle nur für China baut, ist nicht verwunderlich
– wie
mir eine Touristin aus Deutschland erzählte, mit der ich traumhafte drei
Stunden auf der Großen Mauer entlanggewandert bin. Werden doch 2000
Zulassungsscheine pro Tag ausgestellt! Wo die Besitzer diese Riesen
wohl parken?
Und wie schaut
es mit dem Smog aus? Na ja, von 'Schauen' ist kaum die Rede. Von insgesamt
achtzehn Urlaubstagen sah ich an gerade fünf davon den blauen Himmel. So war
ich immer wieder dazu gezwungen, die Augen zuzukneifen, um schärfer durch
die Nebelsuppe zu sehen. Manchmal hilft aber auch das nicht. Zumindest uns
Europäern nicht. Denn als ich nach einer Woche Aufenthalt zum Südbahnhof in
Tianjin fahren sollte (dieser befindet sich 25 Kilometer außerhalb der
Stadt!), schien es, als ob eine Bombe eingeschlagen hätte. Wie in einem
Katastrophenfilm bewegten sich Autos und Menschen. Mit blinkendem Standlicht
fuhr mein gesprächiger Taxifahrer gute anderthalb Stunden auf der Autobahn
und meinte ununterbrochen "man sieht sehr wenig." Ich selbst war mit
der Orientierung total
überfordert. Als der Fahrer dann noch rechts anhielt und mir lächelnd sagte,
er mache eine kurze Pause, war ich ratlos. Blitzartig verschwand er
zwischen den kaum sichtbaren Baumstämmen. Erleichtert
– wortwörtlich
–
fuhren wir nach wenigen Minuten weiter und trafen in Kürze am Ziel ein. Hier
erwartete mich die nächste Überraschung: Die Bahnhofseinfahrt war durch
einen Schranken versperrt. So ließ mich der noch immer gutgelaunte Fahrer
aussteigen und sagte: "Dort, in dieser Richtung ist der Südbahnhof." Dabei
zeigte er weiterhin lächelnd zur linken Seite in den dichten Nebel hinein.
Dass sich dort das Bahnhofsgebäude befand, musste ich ihm glauben, erkennen konnte ich sowieso nichts. Nun, Ende gut, alles gut: Der
Hochgeschwindigkeitszug nach Qingdao (der "Schweiz des Orients"), kam
pünktlich an und füllte sich innerhalb von Minuten. Ich war nicht die
Einzige, die den Bahnhof gefunden hatte. Mit über 300 Kilometern pro Stunde
fuhren wir auf die größte Bierstadt Asiens zu. Dort endlich traf ich auf die
lang vermisste Sonne.
Manchmal
hilft aber auch eine gute Sicht nicht viel. So zum Beispiel in einer
Bushaltestelle in Tianjin, auf dessen Tafel über ein Dutzend brav notierter
Buslinien
ersichtlich sind. Die Zahlen konnte ich noch erkennen, bei den Namen der
Haltestellen kommt hingegen nur weiter, wer mit chinesischen Schriftzeichen
umgehen kann. So blieb mir nur übrig, mit der U-Bahn zu fahren. Eine
Straßenkarte mit den landesüblichen Logogrammen trug ich immer dabei. Das
war auch gut so. Denn bis auf die breiten Boulevards waren alle
Straßenschilder
–
richtig, auf Chinesisch. Zahlreiche Passanten boten mir ihre
Hilfe an. Dass sie ebenfalls nur ihr einheimisches Idiom beherrschten, half mir nicht
weiter. Wie es der Zufall wollte, fand sich aber zum richtigen
Zeitpunkt immer wieder eine Englisch sprechende Person.
So auch am
Hauptbahnhof in Peking. Dort sollte ich knapp vor Mitternacht in den
Schlafwagen nach Datong einsteigen. Die gewaltigen Wartehallen der Bahnhöfe
war ich inzwischen gewohnt. Da es sich aber diesmal um keinen
Hochgeschwindigkeitszug handelte, gab es in dieser oberen Halle viel zu
wenige Stühle. Somit saßen wir fast alle
–
erraten, auf dem Boden. Das störte
aber weder
mich noch die Mehrzahl der Mitreisenden. Als einzige Europäerin war ich
sofort von gesprächigen Einheimischen umzingelt. Alle wollten wissen, aus welchem
Land ich kam, wie das Schulsystem dort sei, wieso ich alleine
reiste. Das einzige Englisch sprechende Mädchen hatte alle Hände voll zu
tun, um allen Fragen gerecht zu werden. Groß war ihre Enttäuschung, als sie
erfuhr, dass ich die Rückreise nach Peking einen Tag später als sie antreten
sollte.
Um
sechs Uhr früh zeigte sich die Provinzstadt Datong mit 'nur' drei
Millionen Einwohnern sehr lebendig. Unmengen von Schulkindern waren schon
auf Fahrrädern unterwegs. Am Straßenrand viele Obst- und Milchverkäufer. Und
zwischendurch immer wieder Gruppen von Männern. Denn Kartenspielen und
chinesisches Schach sind allgegenwärtige Aktivitäten. Vom Fenster der
Jugendherberge im 22. Stock waren nur wenige große Autos zu sehen. Einen
eklatanten Kontrast sollte ich dennoch auch hier finden. "Hans Beer BBQ"
hieß das Restaurant, das sich nur wenige Gehminuten von der Jugendherberge
befand. Es handelte sich um ein "eat all you can"-Lokal. Eigentlich ein "eat
and drink all you can". Von Vorspeisen über Suppen und Grillfleisch bis hin
zu Hauptspeisen, Süßigkeiten und Obst, chinesischen und westlichen
Gerichten, Wein zum Selbsteinschenken aus dem Fass, alkoholfreien
Getränken, Kaffee und vielem mehr. Alles für nur sieben Euro pro Person!
Sobald eine der Speisen zur Neige ging, wurde die Küche sofort über Headset-Mikrofon von
der Armee von Kellnern, die das Buffet bewachten, benachrichtigt. Eine
weitere Unzahl von Mitarbeitern hatte die Aufgabe, jede halbe Stunde den
Tischgrill (mit dem jeder Tisch ausgestattet ist) auszutauschen. Bei so vielen
Vorteilen musste es jedoch auch einen Nachteil geben: Die Essorgie war auf
zwei Stunden begrenzt.
Wenn einem das
Essen dann im Magen lag, konnte man sich
– auf dem Parkplatz
– die Beine
vertreten! Tanzen in Gruppen, paarweise oder alleine, gehört ebenfalls zu
den landesweiten Freizeitaktivitäten. Bemerkenswert das deutliche Angebot in
den Parkanlagen in Peking: klassische Tanzstunden, Aerobic,
Gruppengesangsdarbietungen oder Soloauftritte mit Mikrofon. Und es war nicht
selten, dass sich Passanten spontan den Sängern und Tänzern anschlossen.
Diese Gruppendynamik und hemmungslose Bewegungsfreude vermisse ich in Wien.
Auch der duftende Jasmintee und das preiswerte Essen fehlen mir, von
Skorpionen am Spieß abgesehen. An dem strahlend blauen Himmel und dem
wechselnden Wolkenspiel kann ich mich allerdings Wochen nach meiner Rückkehr
noch immer nicht sattsehen.