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So feiert Valladolid seine Schutzpatronin

Auch in Krisenzeiten scheinen sich Feste in Spanien großer Beliebtheit zu
erfreuen.  In der Woche rund um den 8. September hat auf den anfänglich ruhigen
Straßen von Valladolid die Eröffnungsfeier zu Ehren der Heiligen San Lorenzo,
Beschützerin und Patronin der Stadt, beachtliche Spuren hinterlassen.

Von Irina Wolf
(01. 04. 2015)

...



Irina Wolf
irinawolf10 [at] gmail.com

Irina Wolf wurde in
Bukarest geboren. Nach
Abschluss ihres Informatik-
studiums und mehreren
Jobs im Telekommunikations- und Forschungsbereich
wechselte sie 1993 in den
Außenhandelsdienst. Seit
2007 schreibt sie freiberuflich
für mehrere rumänische und
deutschsprachige Kultur-
zeitschriften.



(c) Irina Wolf



Karawanen von karneval-
mäßig bekleideten Jugend-
lichen, "bewaffnet" mit Wein-
kanistern, durchschwärmten
das Stadtzentrum. Den
Feierbegeisterten war
nicht zu entkommen.




(c) Irina Wolf

   So sind etwa die ungeheuren Haufen an Plastikmüll kaum zu übersehen. Überall Plastiktüten und -becher. Wo man hinschaut, Unmengen an Flaschenresten.

Traditionsgemäß gehört eine freie Parade mit einer bunten Schar an Vereinen und Gruppen zu solch einer Festivität. "Solltet ihr daran teilnehmen wollen, zieht bitte altes Gewand an, denn es wird viel Sangria fließen", warnte uns Tage zuvor die Spanischlehrerin. Wer konnte da schon ahnen, dass wir im Rebensaft wortwörtlich gebadet würden? Karawanen von karnevalmäßig bekleideten Jugendlichen, "bewaffnet" mit Weinkanistern, durchschwärmten das Stadtzentrum. Den Feierbegeisterten war nicht zu entkommen. Bei Temperaturen von bis zu 40 Grad ließ die Abkühlung nicht lange auf sich warten: Justament an der ersten Straßenecke tauchte ein Feuerwehrauto auf und übergoss die von Alkoholdunst umnebelten Feierlustigen mit erfrischendem Wasser. Zweifelsohne erschwerte dies die Bemühungen der Reinigungskräfte, die Aufräumarbeiten noch während der Nacht zu beenden.

   Eine Woche lang dauerten die Festlichkeiten. Sportwettbewerbe, Kinderspiele, Straßentheater, Ausstellungen, Konzerte, Feuerwerke, Tanzabende im Freien für Jung und Alt, dazu reichlich Tapas, Bier und Wein. Das Angebot war schier unüberschaubar! Dass die Spanier andere Essgewohnheiten pflegen als wir Mitteleuropäer, ist allgemein bekannt. Bis in die frühen Morgenstunden wurde geschmaust, getrunken und getanzt.

Weit entfernt vom Tumult des Stadtzentrums spielte sich in der Stierkampfarena ein anderes, nicht weniger aufsehenerregendes Spektakel ab: "Der Stierkampf ist das Ergebnis eines sich zum Takt einer ruhigen Musik abspielenden kosmischen Tanzes zwischen dem dunklen Stern des Stiers und dem hellen Planeten des Matadors" mit diesen einprägenden Worten hatte ich einen Tag zuvor das Museum der "Stierkultur" in Valladolid verlassen. Unmittelbar an einer Seite der Arena platziert, gab es überraschende Informationen über die Geschichte des Stierkampfes preis, von den Ursprüngen im Mittelalter bis ins heutige Jahrhundert. Vor allem beeindruckte mich die immer wiederkehrende Zahl Drei, als Symbol der Synthese und Vollkommenheit, um die sich der Kampf offensichtlich dreht. Das zentrale architektonische Motiv bilden drei konzentrische Kreise, um die herum die Arenen errichtet werden. Die Kreise enthalten jeweils ihrerseits ein gleichschenkeliges Dreieck, das an drei Kardinalspunkten ausgerichtet ist. Jeder Matador verwendet drei Tücher und ist begleitet von jeweils drei Helfern. In einer Abendshow gibt es in der Regel drei Stierkämpfer und sechs Stiere.

   Die Sonne stand immer noch hoch am Himmel, als ein einäugiger Matador die Arena betrat. "Vor vielen Jahren durchbohrte ein Stier den Oberkiefer dieses Mannes. Dabei verlor er das eine Auge", flüsterte mir einer der älteren Zuschauer mit heiserer Stimme zu. Während Verkäufer Getränke im Publikum verteilten, bemühten sich die Helfer des Stierkämpfers, das Tier zu verwunden. Mit häufigen Pfiffen und Buhrufen begleiteten die Zuschauer die Arbeit der Gehilfen, wenn diese ihrer Aufgaben nur mittelmäßig gerecht wurden. Allein der Matador parierte mit sicheren Gesten die Angriffe des Stiers. Als er den Degen für den letzten, tödlichen Stich hob, wurde es augenblicklich mäuschenstill. Bald war es vorbei. Das Tier lag unbeweglich am Boden.

Wie auf Kommando erhoben sich die Zuschauer und schwenkten ihre weißen Taschentücher. Als besondere Trophäe durfte der Matador ein Ohr und den Schwanz des Stieres abschneiden. Ein Blick ins Programmheft bestätigte den Erfolg: Mit der neuen Belohnung erhöhte der in der 2014 erstellten Gesamtwertung der Stierkämpfer Erstplatzierte seine Auszeichnungen auf 60 Ohren und sechs Schwänze. Zu den Klängen des Blasorchesters drehte der Sieger eine Ehrenrunde. Männer warfen demjenigen, der den "dunklen Stern nun erhellt hatte", ihre Hüte zu, die Kinder ihre Kuscheltiere. Mit eleganten Gesten hob der umjubelte Stierkämpfer die Sachen vom sandigen Boden auf und warf sie den glücklichen Besitzern zurück.

   So endete die von Federico García Lorca als "poetischste und vitalste von allen Veranstaltungen der vielfältigen spanischen Kultur" bezeichnete Darbietung. Nach der turbulenten Woche kehrte in Valladolid wieder Ruhe ein. Und damit nahm auch meine aufregende Urlaubswoche in der Stadt, die als Regierungssitz der autonomen Region Kastilien und León fungiert, ein Ende.

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