Von
Lothar Quinkenstein |
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Als die Stadt umschlossen lag vom Keuschheitsgürtel ihrer Festungswerke, zierte sie sich beim Stelldichein mit Dichtern oder Denkern. Kleist allein kaute in Jersitz einsam Gnadenbrot auf einem Straßenstummel bei den Infanteriekasernen.
Jeżyce, aufatmend vom ostmarkigen Ton der Hanne-, Kenne-, Tiedemänner, gab sich geselliger romantisch und den Schwarmgeistern einen Weitgereisten an die Seite, auf dass ihr Überschwang sie nicht verzehre.
Zurückhaltend in Glaubensfragen, ausdauernd im Sattel, weiß er zu vermitteln zwischen Eminenzen, Königen Ohneland, Republikanern und dem launischen Genius Utopie.
Doch als der Idealismus birst, die Trommel drischt, von Sedan kreischt, Thorshammer, runengeimpft, Obersalzberger Allee – lässt er persuasio fahren, füllt Benzin der Tat in Flaschen.
Zurückgekehrt auf eigenen Grund und Boden, ist er umso verdutzter, mehrfach verhört zu werden: Gallo crocitanti, Odprawa posłów greckich, von versi sciolti ganz zu schweigen, Satyrn und Musen – Kontakte mit dem Westen noch und nöcher!
Den Hall der Schüsse Ende Juni nimmt er mit in die Wälder von Czarnolas. Es werden neunzehn Treny.
Die Pappeln sind gefallen, heute wächst Nadelgehölz vor den Fenstern empor, und auf dem Heimweg höre ich manchmal die Polizisten lachen, die ihren Plastiknapf Spaghetti Bolognese ins Präsidium balancieren, zur duftenden Erinnerung an einen Humanisten. (Poznań, Juni 2006)
Coke Zero
Nur der absoluten Nullität geben wir das zweideutige Lob völliger Unschädlichkeit. (Friedrich Schlegel)
(1) Nigredo, einst der erste Schritt in einem großen Werke, Materia prima, Rabenkopf – lichtwärts mit kühner Stärke.
(2) Geheimnis aus dem Chaos steigt in wunderlichen Sprossen, und glänzt Rubedo glücklich erst – der Schlüssel ist erschlossen!
(3) Doch wisse die Gefahren auch, die in den Tiegeln lauern. So mancher, der der Acht vergaß, war nur noch zu betrauern.
(4) Siehst weiße Vögel flattern du, die ihr Gefieder sträuben, flieh, flieh den locus chymicus, sie wollen dich betäuben!
(5) Und nicht allein in der Substanz verbirgt sich Arg und Tücke, es schlägt des Menschen eigner Fehl das Ovum leicht in Stücke.
(6) Ein Herz als Zwerg und Ränkeschmied wird nie das Gold erlangen, sein Werk bleibt in der Finsternis des Anbeginns gefangen.
(7) So schlürf die süße Lehre nun, du dürstender Adepte, und labe deinen Spiritus am nichtigen Rezepte.
Komplizierte Dinge
Und da ich`s gesehen hatte, fiel ich auf mein Angesicht und hörte einen reden. (Ezechiel 1, 28)
In der Turmluke des Merkava-Panzers hat der Soldat sich umgedreht, als ob er riefe in den verschwimmenden Hintergrund des Bildschirmbildes.
Spekulationen über den Urstoff, Spekulationen über den Aufstieg in ein Paradies. Thronwagen-Mystik, von Blitzen gleißend, Augen, Hoheit, Furcht und Zittern, Kristallen und Türkis.
Befehl zur Weiterfahrt, der Ketten Kreislauf schleudert Staub himmelwärts, das Alphabet der Mineralien, Urstoff für Muschelschalen, Schildkrötenpanzer.
Harnisch aus Kalk, Harnisch aus Horn, Gesellenstücke einer langmütigen Natur, Patiencen, unbenannt, wär nicht der Lehrling Erdenkloß, der Zungengnom, der Metallurg der Silben.
Teppich aus Erdbeerlaub, vom Regen glänzende Rosetten, Cmentarz Wyznania Mojżeszowego w Lubaszu, lackiertes Blech an mürben Maschen, und Bretter einer Tischlerei stapeln sich fort auf das ursprünglich eingefriedete Gelände.
Kanten im Gras, zu finden, wo du stolperst. Am Kirschbaumast ein Stock, zwei Stricke sind eine Kinderschaukel. Im Holderbusch hat Vogelhunger die Blätter schwarz gesprenkelt.
Unter der Föhre dort steht noch der Stein, Hier ruht in Gott, unter der Hagerose dort, geborene Abraham, ein zweiter, im Jahre 5665 nach Erschaffung dieser Welt, im Monat Kislev, ein dritter dort neigt sich dem Abhang zu.
Festhalten wie – gegen den Himmel auf Unendlich schlitterst du in die Sandgrube, suchst Standpunkte, findest Lumpen, schimmliges Stroh und einen Christbaum aus Plastik.
… das blöde herz des narren … (Sir. 22, 22)
Vom Silbenstochern deppert, machst du dich auf zu Ernten unbestrittner Pflüge.
Sonnabend ists, du hast Saturn zu Gast und keinen Schimmer, ihn zu bewirten.
Erdige Knollen, tellurische Fäuste lassen Gewichte aus Eisen tanzen. Es applaudiert der Münzen Tusch. Helios, schillernd in der Gurkenlake, streichelt eine Wange.
Gewürze und Pomaden, Sälblein aus fernen Ländern, Pulver, Olitäten. Tuche, brokatbestickt, Pailletten. Goldhäutige Makrelen.
Üppige Früchte, ein Herr geht schwer am Stock, stützt sich mühsam und hebt den Apfel auf.
Parkbänke in der Morgensonne, Geruch gemähter Wiesen, Seedunst und Trauerweiden, Anglergeduld.
Kehr noch nicht um, vergrößere den Bogen, nach Mittag erst geh in die Stadt zurück, wenn die pastellfarbene Sorgfalt der Kuchenpäckchen in den Straßen knistert.
Jetzt bleib und male Schrittmuster nach Belieben. Du kannst den Abend nicht verfehlen. Er kommt und bringt das Schlendern der Verliebten.
Siehst du, wie viel Vergnügen die Welt an ihren Tagen hat, leichthin verbracht, die schlichte Zeit, du kannst, mein Freund, nichts ändern, wohl aber dein Verhältnis zu diesem Nichts: du solltest öfters spazierengehn verkatert.
In diesem Sinne grüßt dich herzlich, Dein alter Kumpel Marc Aurel.
Bozzetto
für Gosia
Landkarten aus Handlinien lässt du im Ton, erfindest Namen für die Flüsse, werkelst mit dem Spatel, mit Geduld und Spucke, glättest, strichelst, kerbst, verwirfst, verknetest Lust am Druck, die aus den Ritzen quillt, stemmst dich ins Flache, prägst deine Bosselschrift, pulst ihren Sinn als Trauerrand vom Nagel, und gleich, ob Stern, ob Wind, ob Nord, ob Süd, ob Regen, morgens schwebt fugenlos an jedem Blick und Giebel das Lehmnest der Welt.
für Michał Janiszewski
Rechts blüht der Rummelplatz, Geisterbahn, grasende Ponys, September, es weht von der Warta schon kühler, und Angler in Stiefeln belächeln die mutigen Hühner, die sich auf den Busbahnhof wagen. Geradeaus zum Krematorium, links, hinter rostigen Kronen, ein Zimmer mit Fenstern zu ebener Erde, auch heute vielleicht der verstrubbelte Junge, der Postkarten blättert am Tisch neben Stapeln von Büchern, gelesenen, Büchern, die noch auf uns warten, zu finden an Ufern der Odra, Motława, der Wisła, wir sprechen von Arlt, dessen Vater hier lebte, (zwei Mal steht der Name noch im Telefonbuch, Verwandtschaft, wer weiß), Buenos Aires, die Damenstrumpfträume, und Mütter, das Jüngste im Wagen, als schöben sie Pflüge, verschnaufen vorm Fenster. Die Männer im Hoftor sind Bären, sie kraulen einander den Pelz ihrer Trunkenheit, naschen den Honig aus Waben des Abends, geschützt vor dem Licht, das die Domtürme pinselt. Wir sprechen von Filmen, die lohnen die Zeit, die sie dauern, von Pavel, dem Tod seiner Rehe, von Hrabal, Buczkowski, den Bädern von Lucca, der Brücke, die hier Anno Preußen, der Brücke, gesprengt neununddreißig, der Brücke, nun müsste ihr Bau bald beginnen. Es dunkelt, wir gehen zum Abschied nach draußen, Mateusz soll rein, auf der Stelle, sonst setzts was, ein Fenster knallt zu. Ohne Laut fließt der Fluss, der Verkehr rauscht, am Ufer sind Schatten, ein Lachen, sind Stimmen. Die Jahre zu zählen, kein Kassensturz, nur die bestätigte Regel, um eins wird es mehr unterm Strich. Keine Sorge, die Rechnung geht auf, keine Stunde verloren, veruntreut, vergangen ist jede bis auf die Sekunde, geh weiter getrost durch die Straßen und glaub mir, sie dulden es, wenn du behauptest, du gingest auf ihnen nach Hause.
I świat jest stary jak świat. (Leopold Staff)
Nach den Revolutionen, zwei Weltkriegen, Geschichte, Mathe, Französisch freitags, birgt Franz Carl von der Leyen, die Nägel hagebuttenrot, sein Pechsträhnenhaar vor der Flamme des Feuerzeuges.
Lass blättern die Tünche von Vasen und Festons, F C (wie die Freunde ihn nennen) stippt Asche, wallt in klirrenden Schnabelschuhen hinunter zum Schlangenbrunnen, vorbei an Schiefergauben, Fachwerk, Weinlaubpforten, Prellsteinmoos und einer Wäscheleine voller Regenperlen.
Vive l`Empereur – auf solchen Schmus lässt sich F C jetzt nicht mehr ein, ein Dosenbier, ein lebend Bild in Rabenschwarz, dann wird es Zeit, nach Gräfinthal zu trampen, zu Anna, der hübschen Polin, die auch oft traurig ist, sie glaubt an Reinkarnation und hat panische Angst um ihren Vater bei der Feuerwehr.
sie zu trösten mit der Farbe Morgengrauen, wenn die ersten LKWs zur Grenze rumpeln, und die letzte Zigarette träumt F C auch oft alleine, bis der Tag die Glut verschüttet mit Schwemmland, Kraut und Rüben, Tross und Wagen, Thronen, Trümmern, die sich heben, senken in die Zeit. (Blieskastel, September 2006)
Phaethon lässt die Zügel locker
labor est inhibere volentes (Ovid)
Man höre einmal genau hin, wie verwandelt die Anfangsmelodie einem vorkommt … (Thomas Kahlcke)
Burn a bridge and burn a boat. (King Crimson)
Ein Rätsel ist Reinentsprungenes; Freunde, ich bitte zu Tisch. Labt Eure Augen, belebt Euren Gaumen, es fehlt unsrer Zeit, frei heraus sag ichs: es fehlt. Wir haben keine, aber, setz ich hinzu, wir sind nahe daran, vielmehr, es wird Zeit, ernsthaft zu wirken. Freunde, so hebet die Becher, balsamischen Trunk, schäumend, wenn an geselligen Wolken gedeckt ist Gästen gleich Göttern, denn einmal, nur einmal, und mehr bedarfs nicht.
Brausende Tiefe, rauschend von Herkunft, ein laubiges Sehnen, Waldeströsteinsamkeit, raunender Quell, es rinnt uns Erquickung, der Ursprache Tau von den Blättern, Freunde, wir fahren hinab. Fürchtet euch nicht; versinkt nicht das herrliche Allrad im Dunkel, um hell gegen Morgen zu steigen, wiederum leuchtend? Also trauet dem luftigen Wagen, denn das Leben ist Mut.
Brausendes, Ewiges, sehet, es will uns begrüßen, es will, Freunde, das Herz mir zerspringen, einiges, glühendes Leben schmiedet uns fester den Kreis, nun tritt, Erwählter, hervor, deute uns Sterne und Vogelflug, lies uns den Traum aus der Hand. Zäume die Rosse der Sonne, hebe den Schleier des Bildes, jenseits der Götter wird uns das Leben lebendige Tat.
Fühlendes, weihrauchgesättigt, ist worden spät, und schöner noch blüht es im Kampf, heilignüchtern, ein wilder Kristall. Reiten, Reiten, Reiten gen Morgen, denn das erstandene Leben ist nicht Bedürfnis nach Ruhe, nicht trottender Tage Mimikry, Totenmarsch nicht und die Leere, ist Schicksal in jeder Gestalt. Feurig und Lohe und Brand sind die Rosse der Sonne, denn das Leben ist ist. Ist das gezielte Durchbrechen ethischer Schranken, Freunde, bewusster zu machen Gewünschel, Gestammel, Triebhaftes japsend, ein tiefes, begeistertes Ja – nächstens mehr.
Freunde, ihr geht, und mich schauert im Herzensgrunde, die Himmel stürzen Geschirr, Reste des Schmauses, zu Ende der Braus. Abendland, ruf ich und höre von magischen Bezoarsteinen, wiedergekäut. Abendland, ruf ich, ein Klempner bietet rund um die Uhr seinen Dienst an, Verstopftes, Geplatztes zu richten.
Ist aber ein Entsprungenes das Individuum, so wacht keine Ordnung darüber, dass es nicht sanglos verschwände. Freunde, ihr schlüpftet, ich hört es mit Freuden, unter jedennoch: Wirkend wie einst, pflegt ihr Verschönerung innen und außen, webt mit dem Skyhook erneut fühlende Fahrten ins All. Deesis
… nirgends am Himmel steht geschrieben, dass der Stern ein Stern ist. (Pawel Florenski, Homo faber)
Meer, brandungsgrün, bäumt sich, stürzt rauschend salzweiß, wirbelt Muscheln und Kies.
Sergijew Posad, in der Stille am Schreibtisch kehrt er zurück an den Strand, zu den Mulden, gestochert mit Treibholz, und immer noch staunend sieht er das Wasser steigen, zerreißen das Schaumgespinst, sieht die Steine schimmern im blanken Morgen von Batum.
Gewaschene Farben, geschliffen, gehöhlt, zerrieben, zerstreut, von neuem geschichtet – Wellenspur, kristallin. Eben weil wir nicht von flüchtigen Träumen umgeben sind, die sich, kraftlos und blutleer, nach unseren Launen richten, sondern von einer Wirklichkeit, die ihr eigenes Leben lebt und in Beziehung zu anderen Wirklichkeiten steht, wird von uns Anstrengung verlangt, immer aufs neue Beziehungen zu ihr zu knüpfen.
Dass man also den Phänomenen trauen könne, ohne Materialist zu werden, die Seele glauben, ohne dem Gnostizismus huldigen zu müssen, denn das Verhältnis dessen, was strahlt, zu dem, was durchstrahlt wird, ist nichts Äußerliches. Mit anderen Worten: Die Hüllen decken das Wesen nicht zu, sondern auf.
Zu Fragen der Politik habe ich so gut wie nichts zu sagen, notierte er, dem Missverständnis zu begegnen, er breite über Machenschaften den Deckmantel der Wissenschaft – doch die ein für allemal entschlüsselte Geschichte duldet keine Diskontinuitäten, imaginären Größen, umgekehrten Perspektiven, duldet nicht die Anwendung der Relativitätstheorie auf Dantes Göttliche Komödie.
In seinen letzten Briefen schrieb er Trost seiner Frau, riet seiner Tochter Geduld beim Lernen, empfahl Lektüren für die Jüngste. Schrieb von zahmen Füchsen, seltenen Vögeln, sturmverirrt. Schrieb, wie schwer das Schreiben fällt in dieser Junimorgenstunde, schrieb vom Tosen des Windes, den Schreien der Möwen, der Nichtigkeit menschlicher Werke im wirbelnden Schnee. |