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"Die Beziehung zum Text ist eine Suche nach Wahrheit"

Interview mit Irina Moscu.

Von Oltița Cîntec
(05. 01. 2020)

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(c) FITPTI

Oltița Cîntec
oltitacintec [at] gmail.com

Oltița Cîntec ist Theaterkriti-
kerin, Kuratorin mehrerer Festi-vals der darstellenden Künste
in Rumänien, Fachberaterin
und Koordinatorin von Thea-
terprojekten, Autorin zahlrei-
cher Bücher über das zeit-
genössische Theater. Ihre Arti-
kel und Studien wurden in
wichtigen Theater- und Kultur-
zeitschriften im In- und Aus-
land veröffentlicht, unter ande-
rem in Critical Stages, Collo-
quium Politicum, Euresis,
Philologica Jassyensia,
DramArt, Observator Cultural,
Scena.ro, Teatrul Azi. Drei-
fache Nominierung für den
UNITER-Preis für Theaterkri-
tik (2007, 2012, 2019).
Derzeit ist sie Präsidentin
der Internationalen Vereini-
gung für Theaterkritiker-
Rumänien (AICT.RO).


 

 

 


(c) Radu Afrim

Irina Moscu

Homepage & Biographie:
irinamoscu.com

 

 

 

 

Die Fähigkeit des Thea-
ters, im Gedächtnis des
Zuschauers lebendig zu
bleiben, selbst nach Aus-
klang der künstlerischen
Erfahrung, schätze ich sehr.
Das Theater lebt in der
Erinnerung.

 

 


 

 

 

Zu viel Rationalisierung
des kreativen Prozesses
kann die Gefühle töten,
und genau diese suchen
wir doch auf der Bühne,
oder?

 


 

 

 

 

Alles inspiriert mich:
ein Gemälde, ein Detail
in einem Caféhaus, ein
Künstler, ein Spaziergang
durch die Stadt usw. Im
kreativen Prozess lässt
man sich überraschen.

 

 


 

 

 

Die Tatsache, dass man
sich oft in eine unbehag-
liche Situation begeben
muss, wirkt sich positiv
auf die Kreativität aus.

 

 

 

 

 

 

Das künstlerische Ego
treibt uns an. Wir wollen
alle freie Meinungsäußer-
ung, die sich aber auch
nachteilig auf die künst-lerische Leistung auswir-
ken kann.

 


 

 

 

 

Ich bin selten zufrieden
mit dem, was ich getan
habe und hoffe, dass ich
das nächste Mal weniger
Fehler machen werde.

 


 

 

 

 

Mir wurde klar, dass sich
mit der Weiterentwick-
lung des Theaters auch
der Raum und die Bezie-
hung zwischen Publikum
und Schauspieler ändern.

OC: Sie haben zunächst Architektur an der Universität "Ion Mincu" in Bukarest studiert. Dann folgte der Abschluss des Masterstudiums Bühnenbild an der Nationalen Universität für Theater und Filmkunst (UNATC). Theater ist eine vergängliche Kunst. Bühnenbild und Kostüme bleiben bestehen, nachdem die Produktion vom Spielplan genommen wird. Warum Bühnenbild?

Irina Moscu: Ich habe mich für das Theater aus einem sehr persönlichen Grund entschieden. Es war der starke Wunsch, mit einem geliebten Menschen, der mein Leben während meiner Kindheit verlassen hat, in Kontakt zu bleiben. Diese unbewusste Geste der Versöhnung mit meiner Vergangenheit fiel mir sehr spät auf. Mein Vater war ebenfalls Architekt und Bühnenbildner. In Wahrheit hatte ich kein Interesse an Bühne und Theater, als ich um Zulassung zum Studium bei der UNATC ansuchte. Ich war überzeugt, dass ich mich der Filmarbeit widmen werde. Der Kontakt mit dem "lebendigen" Schöpfungsprozess faszinierte und ermutigte mich. Ich halte es für vorteilhaft, Theater und Leben keinen zeitlichen Maßstäben zu unterwerfen. Die Fähigkeit des Theaters, im Gedächtnis des Zuschauers lebendig zu bleiben, selbst nach Ausklang der künstlerischen Erfahrung, schätze ich sehr. Das Theater lebt in der Erinnerung.

OC: Welche Personen haben Sie geprägt? Ich meine damit nicht nur Professoren, auch die Menschen, mit denen Sie an Projekten zusammengearbeitet haben oder deren Arbeit Sie verfolgen.

Irina Moscu: Dorel Zaica, mein Zeichen- und Mallehrer am Gymnasium "Nicolae Tonitza", hat meine Fantasie mit den leidenschaftlichsten und interessantesten Kreativitätsübungen beflügelt. Von ihm habe ich gelernt, Objekte auf alle möglichen Arten zu betrachten und Bedeutungen zu entdecken, die die meisten nicht sehen. Von Dragoş Buhagiar habe ich den Beruf gelernt. Als seine Assistentin hatte ich die Gelegenheit, ihn Bühnenbilder zeichnen zu sehen, die Zusammenarbeit mit der Werkstatt, der Bühnentechnik, den Schauspielern und dem Regisseur zu erlernen. An der Universität habe ich mit Helmut Stürmers Album am Zeichenbrett gearbeitet. Dann wäre noch die Fakultät für Architektur mit ihrer Disziplin und Präzision, und meine Mutter, die sehr schwer zu befriedigen ist (auch sie ist Architektin). Es gibt viele Künstler, die ich bewundere, die zu meiner Arbeit beigetragen haben und weiterhin dazu beitragen: Zaha Hadid, Es Devlin, Dimitris Papaioannou, Jan Pappelbaum, Le Corbusier, Ives Klein, usw.

OC: Ihre Vorschläge basieren auf der Idee der Bühnendynamik, auf Ausstattungen mit beweglichen Elementen. Das Bühnenbild "spielt" in der Produktion mit. Wie arbeiten Sie mit dem Regisseur, der immer noch eine zentrale Rolle in der rumänischen Theaterszene einnimmt?

Irina Moscu: Der kreative Prozess ist bei jedem Regisseur anders. Es hängt sehr vom gegenseitigen Vertrauen ab. Ich hege den inneren Wunsch, meine künstlerischen Bedürfnisse mit denen meiner Mitarbeiter in Einklang zu bringen. Ich bin zum Beispiel sehr zufrieden mit der kreativen Freiheit, die ich in der Zusammenarbeit mit Radu Afrim wiederfinde. Wir kreieren beide nach Belieben, organisch, Schritt für Schritt. Es ist ein intuitiver und herausfordernder Prozess. Es ist die Art der glücklichen Begegnung, die ich mit möglichst vielen Regisseuren erleben möchte. Es gibt einige, die aus dem Bauch heraus arbeiten... Darin liegt auch ein Gewinn. Zu viel Rationalisierung des kreativen Prozesses kann die Gefühle töten, und genau diese suchen wir doch auf der Bühne, oder? Einige haben das Vorurteil, dass wir im Theater von geschönten Wirklichkeiten (fake products) umgeben sind. Ich bin anderer Meinung.

OC: Sie haben mit einigen der herausragendsten Regisseure zusammengearbeitet. Haben Sie einen Regisseur-Typus, den Sie bevorzugen?

Irina Moscu: Für mich ist ein ausgewogenes Tandem wichtig. Bei langen Arbeitsbeziehungen mit demselben Regisseur besteht die Gefahr von Manieriertheit. Ich versuche dies zu vermeiden, obwohl man nie weiß, wann man Opfer seiner eigenen Bequemlichkeit wird. Für mich ist die Vielfalt der kreativen Prozesse wichtig. Das Treffen mit verschiedenen Künstlern ist notwendig, um immer offen für Neues zu bleiben, um unsere Vorstellungskraft lebendig, neugierig und experimentell zu erhalten.

OC: In welcher Beziehungen stehen Sie zum Text und dem Dramatiker? Was genau aktiviert Ihre Inspiration?

Irina Moscu: Es geht immer darum, das Wesentliche hervorzuheben: Schlüsselwörter, die sich in Arbeitskonzepte verwandeln, Bilder, die die vollständige Bedeutung des Textes enthalten, visuelle Metaphern. Die Beziehung zum Text ist ein Suchprozess nach der Wahrheit. Gefühle und Emotionen regen meine Vorstellungskraft an. Sie werden auf Papier in bewusste und unbewusste Gesten umgesetzt. Alles inspiriert mich: ein Gemälde, ein Detail in einem Caféhaus, ein Künstler, ein Spaziergang durch die Stadt usw. Im kreativen Prozess lässt man sich überraschen. Es gibt leider keine echte Zusammenarbeit der Regisseure mit den Dramatikern, geschweige denn mit den Bühnenbildnern. Man arbeitet noch daran.

OC: Sie haben sich auf Bühnenbild spezialisiert. Erschaffen Sie ungern Kostüme?

Irina Moscu: Ich liebe es, Kostüme zu erstellen. Meistens zeichne ich für Bühnenbild und Kostüme einer Produktion verantwortlich. So wird auf der Bühne ein einheitliches ästhetisches Bild skizziert. Aus dem Bereich der Architektur stammend, war es für mich eine echte Herausforderung, mit Textilmaterialien zu arbeiten. Es ist ein anderer Beruf. Ich lerne immer noch von den anderen, kann jedoch sagen, dass ich mich besser fühle, wenn ich nicht alle Spielregeln kenne. Die Tatsache, dass man sich oft in eine unbehagliche Situation begeben muss, wirkt sich positiv auf die Kreativität aus.

OC: Welche Beziehung haben Sie zum Kostümschöpfer?

Irina Moscu: In meinem Fall beginnt die Kostümgestaltung meistens nach dem Vorhandensein eines genau definierten Raumkonzeptes. Aus meiner bisherigen Erfahrung kann ich sagen, dass wir noch nicht gelernt haben, ein Team zu bilden. Das künstlerische Ego treibt uns an. Wir wollen alle freie Meinungsäußerung, die sich aber auch nachteilig auf die künstlerische Leistung auswirken kann. Überraschender Weise garantiert Kommunikation nicht die besten Ergebnisse, sondern viel wichtiger ist, auf derselben Wellenlänge zu sein.

OC: Das Erstellen einer Produktion umfasst mehrere Arbeitsphasen. Welche bevorzugen Sie? Fällt es Ihnen schwer, sich von einem Projekt zu trennen?

Irina Moscu: Ich mag alle Arbeitsphasen. Der Schöpfungsprozess ist wie ein Fluss, in den man eintaucht und sich von der Strömung tragen lässt. Der Prozess endet nicht mit der öffentlichen Präsentation. Oft blicke ich auf die Bühne und wundere mich über meine Entscheidungen. Ich bewerte mich selbst und überprüfe den gesamten Raum. Ich bin selten zufrieden mit dem, was ich getan habe und hoffe, dass ich das nächste Mal weniger Fehler machen werde. Dann beginne ich über andere Möglichkeiten nachzudenken, insbesondere über die Projekte, die mich inspirieren und meine Neugier und Fantasie wecken. Mir gefällt am besten die Entwicklungsfähigkeit eines Projekts nach dessen Fertigstellung. Manchmal macht sich dies in den nachfolgenden Projekten bemerkbar – es ist ein iterativer Prozess.

OC: Sie betreiben auch Theaterforschung. Sie haben im Bereich "Virtuelles Theater" promoviert. Hatten Sie das Bedürfnis zu theoretisieren?

Irina Moscu: "Den Theaterraum im Kontext neuer Technologien neu definieren. Virtuelles Theater" lautet der Titel meiner Doktorarbeit, die ich vor drei Jahren geschrieben habe. Aus der Sicht des Architekten war ich immer an der Interaktion zwischen dem zeitgenössischen Theater und dem Spielraum interessiert. Mir wurde klar, dass sich mit der Weiterentwicklung des Theaters auch der Raum und die Beziehung zwischen Publikum und Schauspieler ändern. Wie diese neue Art von Spielraum aussieht und wie sie mit den neuen Bühnentechnologien (Video, Augmented Reality, Virtual Reality, Robotics usw.) verbunden werden kann, ist ein Thema, das mich immer noch interessiert. Das Theater kann mit der Gegenwart nur dann mithalten, wenn es alle diese neuen Ausdrucksformen einbezieht.


Aus dem Rumänischen von Irina Wolf


(Auszug aus dem Originaltext in rumänischer Sprache,
Teil des Sammelbandes Teatrul.ro 30-Noi nume/Theatre.ro 30 New Entres)

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