Das
Unteatru-Abenteuer begann 2010 im Herzen von Bukarest, in einem verfallenen
Gebäude, das von außen keine Möglichkeiten des Theatermachens aufwies.
Andreea und Andrei Grosu überzeugten die Eigentümer, ihnen das zum Verkauf
angebotene Haus zu überlassen und entfernten den Müll. Um die Halbruine zu
kaschieren, kreierten sie einen kleinen Raum, in dem ein Vorhang den "Saal"
von der Künstlerkabine trennte. Schwarzer Stoff bedeckte die rohen Wände.
Alles wurde aus eigenem Geld angeschafft, die Möbel bekamen sie von Freunden und
Bekannten geschenkt. Der Eintritt basierte auf freiwilligen
Spenden. Nichtkommerzielles Theater, Tee und Bücher bildeten das Angebot
dieses authentischen Undergrounds.
Die Initiative ist innerhalb von
fünf Jahren derartig weitergewachsen, dass Unteatru 2016 in eine
aufgelassene Fabrik, ebenfalls im Zentrum Bukarests, umzog. Die neuen
Räumlichkeiten wurden teils mit Hilfe eines wichtigen Sponsors, teils aus
eigenem Geld und mit Unterstützung der Eltern ausgestattet. Ein Raum mit 90
Plätzen wird als "großer" Saal bezeichnet. Außerdem gibt es noch ein Foyer,
in dem auch Konzerte stattfinden, und einen kleinen Raum mit 35 Plätzen.
Andreea und Andrei Grosu
haben sich 2009 kennengelernt. Ein Jahr später gründeten sie das Theater,
das sie einfach Unteatru nannten ('Ein Theater', Anm. d. Ü.). Sie heirateten
2011 und haben zwei Kinder. Ich wollte von ihnen wissen, ob sie einen gut
etablierten Plan für 2010 hatten. Was war der Anstoß für die
Theatergründung? "Kein Plan. Ein starker Gedanke, der uns zeigte, dass wir
ersticken, wenn wir nicht das tun, was wir tun wollen. Dazu einige Leute,
die bereit waren, in der Anfangsphase mitzuhelfen. Der Theatersaal wurde
durch eine Spende an Stühlen und diversen anderen Materialien eingerichtet", sagt
Andrei.
Diese Phase mit den Stühlen ist zu einem Grundelement der
unabhängigen Theaterszene in Rumänien geworden. Mangels öffentlicher
Richtlinien und echter Unterstützungsprogramme für die freischaffenden
Künstler besteht die Mindestvoraussetzung für ihr Überleben aus einem
Spielraum von ein paar Quadratmetern, einigen Beleuchtungsmitteln und
–
Stühlen. Auf den Tisch kann man verzichten, denn er ist zu sperrig.
Natürlich wurde die materielle Armut durch Kreativität kompensiert: "Wir
dachten nicht, dass wir den Sommer überleben würden. Von einem Jahrzehnt war
gar nicht die Rede. Jeglicher Plan in diese Richtung schien verrückt zu
sein. Durch Unteatru wollten wir über uns sprechen, und dafür brauchten wir
Freiheit. Das war die einzige Möglichkeit", fügt Andreea Grosu hinzu.
Damit sich die Dinge
weiterentwickeln, schreibt Familie Grosu Projekte, sucht um Finanzierung an;
eine Tätigkeit, die ihren erfinderischen Geist anregt und in der heillos
entmutigenden rumänischen Bürokratie viel Energie und Zeit verbraucht. Wie
teilen sie die Zeit zwischen den administrativen und den kreativen
Aktivitäten auf, fragte ich neugierig. Die Lösung: Teamwork.
Seit seinem Beginn
fungiert
Unteatru als institutionelles Umfeld für Künstler, die einen
Spielort für ihre Projekte suchen. Die Auswahl der ausgefallensten
ästhetischen Vorschläge erfolgt nach einem originellen Algorithmus: "Wir
erhalten Vorschläge von Regisseuren und entscheiden gemeinsam, ob etwas
dabei ist, was unser Theater braucht. Dann wird das Projekt den
Schauspielern vorgestellt, die die endgültige Entscheidung treffen.
Einer der Vorteile des privaten Theaters ist, dass man die Freiheit hat, das
Projekt auszuwählen, an dem man selbst beteiligt ist. Wir haben ein Team von
Schauspielern, denen wir stark vertrauen und mit denen wir während des
gesamten Projekts in Kontakt bleiben", sagen die Grosus.
Andrei und Andreea Grosu
hatten die Gelegenheit, als Regisseure in Staatstheatern mit fixen
Ensembles, auf großen Bühnen und mit beträchtlichen Budgets zu arbeiten. Das
gab ihnen die Möglichkeit, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen. Für das
Regie-Duo war "der Übergang von der unabhängigen zur staatlichen Szene
jedoch kein großer Unterschied, da wir ungeachtet der Bedingungen denselben
Arbeitsstil haben. Die von Turturică (dem Bühnenbildner, mit dem sie
permanent zusammenarbeiten, Anm. d. Autorin) bei Unteatru entworfenen
minimalistischen Räume entstanden nicht aus Mangel an Ressourcen. Das
repräsentiert uns sowohl auf der kleinen als auch auf der großen Bühne. Wir
haben die Beleuchtungsmöglichkeiten, die fixen Ensembles und das zahlreiche
Personal, das dafür sorgte, dass alles reibungslos ablief, genossen."
Die Grosus konnten
Unteatru nicht aufgeben, auch dann nicht, nachdem sie in Bukarest im
Nationaltheater "I. L. Caragiale", im Komödientheater und im Odeon-Theater
oder am Nationaltheater "Radu Stanca" in Hermannstadt gearbeitet hatten.
Einige der
Unteatru-Projekte werden vom Grosu-Duo selbst auf die Bühne gebracht.
Ästhetisch haben sie im rumänischen Theater eine einzigartige Regieform
angelegt. Sie arbeiten immer zu zweit und haben bereits über zwanzig
Aufführungen inszeniert. Wie sieht der kreative Prozess vom Anstoß gebenden
Text bis zum Premierenabend aus? "Wir haben einen Ort, an dem viele Texte
von jedem von uns aufbewahrt werden, einschließlich von Vladimir Turturică.
Eigentlich arbeiten wir zu dritt, Turturică ist mehr als ein Bühnenbildner
für uns. Wir versuchen effektiv, ohne Eitelkeiten, zu arbeiten. Wir mögen
unsere Arbeit, sie ist ein Dauerzustand – zu Hause, im Auto, im Supermarkt.
Alle Entscheidungen gehen von Menschen aus. Erst nachdem wir die Personen,
mit denen wir zusammenarbeiten wollen, ausgewählt haben, wird der Text
ausgesucht und die Produktionsform ausgedacht", antworten die Grosus
einstimmig. Und sie erzählen mir über das "Labor", in dem sie fast alle
Produktionen entwickeln: die Küche! Dort findet ein ganzer Algorithmus
statt: "Wir haben ein Ritual, das uns am Herzen liegt: Wir treffen Vladimir
(Turturică, Anm. d. Autorin) in unserer Küche nachts nachdem wir die Kinder
zu Bett gebracht haben. Und verbringen ein paar Stunden damit, über die
aktuelle oder zukünftige Produktion zu sprechen."
Ihr Theater ist eine
szenische Neuinterpretation von klassischen Texten (z. B. Tschechows Der
Kirschgarten und Die Möwe, Molières Don Juan, Ionescos
Der König stirbt). Oder aber sie bringen zeitgenössische Themen und
Texte auf die Bühne (The Sunset Limited von Cormac McCarthy,
Autobahn von Neil LaBute, Proof von David Auburn).
Sie bevorzugen die
Frontalperspektive, wobei das Publikum auf beiden Seiten der Bühne platziert
ist. Dieses Merkmal könnte aus den ursprünglichen räumlichen Einschränkungen
entstanden sein. Es handelt sich jedoch um ein Stilelement, das sich an den
Betrachter richtet. Die Grosus sind der Ansicht, dass das Theater trotz der
Konventionen nichts kaschieren soll. Der Sinn der darstellenden Kunst
besteht darin, einerseits die Künstler zu einer aufregenden Show
verschmelzen zu lassen, andererseits die Schöpfer und die Zuschauer näher zu
bringen, physisch, sprachlich und seelisch. "Es entstammt unserer
Notwendigkeit, noch bestehende Grenzen des Theaters abzubauen. Wir mögen
eine andere Perspektive, die der sichteingeschränkten Blickwinkel, des
Rückens des Schauspielers, des Raums ohne Kulissen", sagt das Regie-Duo.
Andreea und Andrei Grosu
wurden beide im Sommer geboren, ihr Vorname ist ähnlich, sie teilen das
gleiche Facebook-Konto, sie inszenieren gemeinsam. Zum Abschluss wollte ich
auch etwas Persönliches wissen: Wie haben sie sich kennengelernt, welche
Rolle spielte die Theaterkunst in ihrer Beziehung, wie versöhnt sich das
Leben zu Hause mit dem auf der Bühne? Das Wort, das immer wieder auftauchte,
war "zusammen". Es bezeichnet nicht nur die Vereinbarkeit zweier Personen,
die eine Familie sowohl zu Hause als auch bei Unteatru gründeten, sondern
auch den Wunsch, offen zu sein, sich in die anderen hineinzuversetzen. "Wir
haben uns bei der Arbeit kennengelernt und entdeckt, wie gut wir miteinander
reden können, wie glücklich wir sind, gemeinsam Sachen aufzubauen und zu
erkunden. Privates und Berufliches kennen keine Trennung, das eine vermischt
sich mit dem anderen bis sie eins werden", schließen die Grosus ab.
Aus dem Rumänischen von Irina
Wolf
(Auszug aus dem Originaltext in rumänischer Sprache,
Teil des Sammelbandes Teatrul.ro 30-Noi nume/Theatre.ro 30 New Entres)