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"Wir dachten nicht, dass wir den Sommer überleben würden"

Eines der weniger bekannten privaten Spielhäuser Bukarests ist das sogenannte "Unteatru",
was sich schlicht mit 'Ein Theater' übersetzen lässt. Gegründet wurde es vor beinahe
zehn Jahren von Andreea und Andrei Grosu. Beseelt vom starken Willen "das zu tun, was
wir tun wollen", hat das Paar erfolgreich Krisen überstanden, dem berüchtigten
rumänischen Behördenirrsinn getrotzt und sich als feste kreative Größe
in der freien Bukarester Theaterszene etabliert.

Von Oltița Cîntec
(05. 10. 2019)

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(c) FITPTI

Oltița Cîntec
oltitacintec [at] gmail.com

Oltița Cîntec ist Theaterkriti-
kerin, Kuratorin mehrerer Festi-vals der darstellenden Künste
in Rumänien, Fachberaterin
und Koordinatorin von Thea-
terprojekten, Autorin zahlrei-
cher Bücher über das zeit-
genössische Theater. Ihre Arti-
kel und Studien wurden in
wichtigen Theater- und Kultur-
zeitschriften im In- und Aus-
land veröffentlicht, unter ande-
rem in Critical Stages, Collo-
quium Politicum, Euresis,
Philologica Jassyensia,
DramArt, Observator Cultural,
Scena.ro, Teatrul Azi. Drei-
fache Nominierung für den
UNITER-Preis für Theaterkri-
tik (2007, 2012, 2019).
Derzeit ist sie Präsidentin
der Internationalen Vereini-
gung für Theaterkritiker-
Rumänien (AICT.RO).

 

 


(c) Adi Bulbuoaca


Adreea u. Andrei Grosu
 


 

"Einer der Vorteile des
privaten Theaters ist, dass
man die Freiheit hat, das
Projekt auszuwählen, an
dem man selbst beteiligt ist.
Wir haben ein Team von
Schauspielern, denen wir
stark vertrauen und mit
denen wir während des
gesamten Projekts in
Kontakt bleiben."

 

 


(c) unteatru.ro


 

 

"Wir treffen Vladimir in
unserer Küche nachts
nachdem wir die Kinder
zu Bett gebracht haben.
Und verbringen ein paar
Stunden damit, über die
aktuelle oder zukünftige
Produktion zu sprechen."

 

 


(c) unteatru.ro

 

 

"Wir haben uns bei der
Arbeit kennengelernt und
entdeckt, wie gut wir mit-
einander reden können,
wie glücklich wir sind,
gemeinsam Sachen aufzu-
bauen und zu erkunden.
Privates und Berufliches
kennen keine Trennung,
das eine vermischt sich mit
dem anderen bis sie
eins werden."

 

 


(c) unteatru.ro

 

 



Linktipp

www.unteatru.ro

   Das Unteatru-Abenteuer begann 2010 im Herzen von Bukarest, in einem verfallenen Gebäude, das von außen keine Möglichkeiten des Theatermachens aufwies. Andreea und Andrei Grosu überzeugten die Eigentümer, ihnen das zum Verkauf angebotene Haus zu überlassen und entfernten den Müll. Um die Halbruine zu kaschieren, kreierten sie einen kleinen Raum, in dem ein Vorhang den "Saal" von der Künstlerkabine trennte. Schwarzer Stoff bedeckte die rohen Wände.

Alles wurde aus eigenem Geld angeschafft, die Möbel bekamen sie von Freunden und Bekannten geschenkt. Der Eintritt basierte auf freiwilligen Spenden. Nichtkommerzielles Theater, Tee und Bücher bildeten das Angebot dieses authentischen Undergrounds.

Die Initiative ist innerhalb von fünf Jahren derartig weitergewachsen, dass Unteatru 2016 in eine aufgelassene Fabrik, ebenfalls im Zentrum Bukarests, umzog. Die neuen Räumlichkeiten wurden teils mit Hilfe eines wichtigen Sponsors, teils aus eigenem Geld und mit Unterstützung der Eltern ausgestattet. Ein Raum mit 90 Plätzen wird als "großer" Saal bezeichnet. Außerdem gibt es noch ein Foyer, in dem auch Konzerte stattfinden, und einen kleinen Raum mit 35 Plätzen.

   Andreea und Andrei Grosu haben sich 2009 kennengelernt. Ein Jahr später gründeten sie das Theater, das sie einfach Unteatru nannten ('Ein Theater', Anm. d. Ü.). Sie heirateten 2011 und haben zwei Kinder. Ich wollte von ihnen wissen, ob sie einen gut etablierten Plan für 2010 hatten. Was war der Anstoß für die Theatergründung? "Kein Plan. Ein starker Gedanke, der uns zeigte, dass wir ersticken, wenn wir nicht das tun, was wir tun wollen. Dazu einige Leute, die bereit waren, in der Anfangsphase mitzuhelfen. Der Theatersaal wurde durch eine Spende an Stühlen und diversen anderen Materialien eingerichtet", sagt Andrei.

Diese Phase mit den Stühlen ist zu einem Grundelement der unabhängigen Theaterszene in Rumänien geworden. Mangels öffentlicher Richtlinien und echter Unterstützungsprogramme für die freischaffenden Künstler besteht die Mindestvoraussetzung für ihr Überleben aus einem Spielraum von ein paar Quadratmetern, einigen Beleuchtungsmitteln und Stühlen. Auf den Tisch kann man verzichten, denn er ist zu sperrig. Natürlich wurde die materielle Armut durch Kreativität kompensiert: "Wir dachten nicht, dass wir den Sommer überleben würden. Von einem Jahrzehnt war gar nicht die Rede. Jeglicher Plan in diese Richtung schien verrückt zu sein. Durch Unteatru wollten wir über uns sprechen, und dafür brauchten wir Freiheit. Das war die einzige Möglichkeit", fügt Andreea Grosu hinzu.

Damit sich die Dinge weiterentwickeln, schreibt Familie Grosu Projekte, sucht um Finanzierung an; eine Tätigkeit, die ihren erfinderischen Geist anregt und in der heillos entmutigenden rumänischen Bürokratie viel Energie und Zeit verbraucht. Wie teilen sie die Zeit zwischen den administrativen und den kreativen Aktivitäten auf, fragte ich neugierig. Die Lösung: Teamwork.

   Seit seinem Beginn fungiert Unteatru als institutionelles Umfeld für Künstler, die einen Spielort für ihre Projekte suchen. Die Auswahl der ausgefallensten ästhetischen Vorschläge erfolgt nach einem originellen Algorithmus: "Wir erhalten Vorschläge von Regisseuren und entscheiden gemeinsam, ob etwas dabei ist, was unser Theater braucht. Dann wird das Projekt den Schauspielern vorgestellt, die die endgültige Entscheidung treffen. Einer der Vorteile des privaten Theaters ist, dass man die Freiheit hat, das Projekt auszuwählen, an dem man selbst beteiligt ist. Wir haben ein Team von Schauspielern, denen wir stark vertrauen und mit denen wir während des gesamten Projekts in Kontakt bleiben", sagen die Grosus.

Andrei und Andreea Grosu hatten die Gelegenheit, als Regisseure in Staatstheatern mit fixen Ensembles, auf großen Bühnen und mit beträchtlichen Budgets zu arbeiten. Das gab ihnen die Möglichkeit, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen. Für das Regie-Duo war "der Übergang von der unabhängigen zur staatlichen Szene jedoch kein großer Unterschied, da wir ungeachtet der Bedingungen denselben Arbeitsstil haben. Die von Turturică (dem Bühnenbildner, mit dem sie permanent zusammenarbeiten, Anm. d. Autorin) bei Unteatru entworfenen minimalistischen Räume entstanden nicht aus Mangel an Ressourcen. Das repräsentiert uns sowohl auf der kleinen als auch auf der großen Bühne. Wir haben die Beleuchtungsmöglichkeiten, die fixen Ensembles und das zahlreiche Personal, das dafür sorgte, dass alles reibungslos ablief, genossen."

Die Grosus konnten Unteatru nicht aufgeben, auch dann nicht, nachdem sie in Bukarest im Nationaltheater "I. L. Caragiale", im Komödientheater und im Odeon-Theater oder am Nationaltheater "Radu Stanca" in Hermannstadt gearbeitet hatten.

   Einige der Unteatru-Projekte werden vom Grosu-Duo selbst auf die Bühne gebracht. Ästhetisch haben sie im rumänischen Theater eine einzigartige Regieform angelegt. Sie arbeiten immer zu zweit und haben bereits über zwanzig Aufführungen inszeniert. Wie sieht der kreative Prozess vom Anstoß gebenden Text bis zum Premierenabend aus? "Wir haben einen Ort, an dem viele Texte von jedem von uns aufbewahrt werden, einschließlich von Vladimir Turturică. Eigentlich arbeiten wir zu dritt, Turturică ist mehr als ein Bühnenbildner für uns. Wir versuchen effektiv, ohne Eitelkeiten, zu arbeiten. Wir mögen unsere Arbeit, sie ist ein Dauerzustand – zu Hause, im Auto, im Supermarkt. Alle Entscheidungen gehen von Menschen aus. Erst nachdem wir die Personen, mit denen wir zusammenarbeiten wollen, ausgewählt haben, wird der Text ausgesucht und die Produktionsform ausgedacht", antworten die Grosus einstimmig. Und sie erzählen mir über das "Labor", in dem sie fast alle Produktionen entwickeln: die Küche! Dort findet ein ganzer Algorithmus statt: "Wir haben ein Ritual, das uns am Herzen liegt: Wir treffen Vladimir (Turturică, Anm. d. Autorin) in unserer Küche nachts nachdem wir die Kinder zu Bett gebracht haben. Und verbringen ein paar Stunden damit, über die aktuelle oder zukünftige Produktion zu sprechen."

Ihr Theater ist eine szenische Neuinterpretation von klassischen Texten (z. B. Tschechows Der Kirschgarten und Die Möwe, Molières Don Juan, Ionescos Der König stirbt). Oder aber sie bringen zeitgenössische Themen und Texte auf die Bühne (The Sunset Limited von Cormac McCarthy, Autobahn von Neil LaBute, Proof von David Auburn).

Sie bevorzugen die Frontalperspektive, wobei das Publikum auf beiden Seiten der Bühne platziert ist. Dieses Merkmal könnte aus den ursprünglichen räumlichen Einschränkungen entstanden sein. Es handelt sich jedoch um ein Stilelement, das sich an den Betrachter richtet. Die Grosus sind der Ansicht, dass das Theater trotz der Konventionen nichts kaschieren soll. Der Sinn der darstellenden Kunst besteht darin, einerseits die Künstler zu einer aufregenden Show verschmelzen zu lassen, andererseits die Schöpfer und die Zuschauer näher zu bringen, physisch, sprachlich und seelisch. "Es entstammt unserer Notwendigkeit, noch bestehende Grenzen des Theaters abzubauen. Wir mögen eine andere Perspektive, die der sichteingeschränkten Blickwinkel, des Rückens des Schauspielers, des Raums ohne Kulissen", sagt das Regie-Duo.

   Andreea und Andrei Grosu wurden beide im Sommer geboren, ihr Vorname ist ähnlich, sie teilen das gleiche Facebook-Konto, sie inszenieren gemeinsam. Zum Abschluss wollte ich auch etwas Persönliches wissen: Wie haben sie sich kennengelernt, welche Rolle spielte die Theaterkunst in ihrer Beziehung, wie versöhnt sich das Leben zu Hause mit dem auf der Bühne? Das Wort, das immer wieder auftauchte, war "zusammen". Es bezeichnet nicht nur die Vereinbarkeit zweier Personen, die eine Familie sowohl zu Hause als auch bei Unteatru gründeten, sondern auch den Wunsch, offen zu sein, sich in die anderen hineinzuversetzen. "Wir haben uns bei der Arbeit kennengelernt und entdeckt, wie gut wir miteinander reden können, wie glücklich wir sind, gemeinsam Sachen aufzubauen und zu erkunden. Privates und Berufliches kennen keine Trennung, das eine vermischt sich mit dem anderen bis sie eins werden", schließen die Grosus ab.

Aus dem Rumänischen von Irina Wolf

(Auszug aus dem Originaltext in rumänischer Sprache,
Teil des Sammelbandes Teatrul.ro 30-Noi nume/Theatre.ro 30 New Entres)

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