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Leidenschaft trifft Enthusiasmus

In den letzten Jahren sind in Bukarest eine Handvoll kleiner, unabhängiger
Theater entstanden, und ihre Zahl nimmt beständig zu. Zu einem Geheimtipp hat sich
mittlerweile das UNTEATRU gemausert: Mit Stücken wie
"Endstation Sehnsucht"
zaubert das Ehepaar Grosu einen Hauch von großer, weiter Welt auf
ihre winzige, handkurbelbetriebene Bühne.

Von Irina Wolf
(04. 01. 2014)

...



Irina Wolf
irinawolf10 [at] gmail.com

Irina Wolf wurde in
Bukarest geboren. Nach
Abschluss ihres Informatik-
studiums und mehreren
Jobs im Telekommunikations- und Forschungsbereich
wechselte sie 1993 in den
Außenhandelsdienst. Seit
2007 schreibt sie freiberuflich
für mehrere rumänische und
deutschsprachige Kultur-
zeitschriften.


 


(c) Mihaela Marin

Florina Gleznea und
Richard Bovnoczki in
"Endstation Sehnsucht".
Regie:
Andrei und Andreea Grosu, UNTEATRU.


 

 
(c) Mihaela Marin


Florina Gleznea
in "Endstation Sehnsucht".
Regie:
Andrei und Andreea Grosu, UNTEATRU.





(c) Mihaela Marin


Florina Gleznea, Nicoleta
Lefter und Liviu Pintileasa
in
"Endstation Sehnsucht".
Regie:
Andrei und Andreea Grosu, UNTEATRU.

   "Das wertvollste Angebot der rumänischen Theaterszene". So lautete die Selbstdefinition des Nationaltheaterfestivals 2013, das vom 25. Oktober bis 3. November in Bukarest stattfand. Für die umstrittene Programmgestaltung zeichnete Alice Georgescu in ihrem dritten und letzten Jahr als Festival-Intendantin verantwortlich. Klar dominiert war die diesjährige 23. Auflage von den landesweiten Staatstheatern. Von Großwardein (Oradea) im Nordwesten Rumäniens über Temeswar (Timişoara), Klausenburg (Cluj), Hermannstadt (Sibiu), Craiova und der Hauptstadt Bukarest bis nach Iaşi im Osten des Landes. Alle waren im Programm vertreten.

Zur Eröffnung des Festivals musste naturgemäß etwas Besonderes her. Dabei hielt sich die Intendantin an Altbewährtes. So zeigte der Regisseur Andrei Şerban, eine der profiliertesten Persönlichkeiten im rumänischsprachigen Theater, seine Inszenierung von Euripides' Die Troerinnen, die er für die Nationaloper in Iaşi erarbeitet hat. Weitere anerkannte Regisseure standen auf dem Festivalprogramm, unter anderem Silviu Purcărete, Mihai Măniuţiu, Victor Ioan Frunză, Gábor Tompa, Radu Afrim. Gespielt wurden vorwiegend klassische Stücke von Shakespeare, Tschechow, Molière, Labiche und Caragiale, dem bedeutendsten Dramatiker Rumäniens.

   Den Abschluss machte der bekannte Regisseur Alexander Hausvater mit Adam und Eva, einer Roman-Adaption nach dem 1925 erschienenen gleichnamigen Band des rumänischen Schriftstellers Liviu Rebreanu. Dazu boten Filmprojektionen, Lesungen, Buchpräsentationen, Konferenzen und Workshops die perfekte Ergänzung für den Besucher. Die dem in Temeswar geborenen deutschen Bühnen- und Kostümbildner Helmut Stürmer gewidmete Ausstellung unter dem Titel "Erfundene Räume (Maquetten-Skizzen-Videos)" war eindeutig einer der Höhepunkte des Festivals.

Doch hat die zeitgenössische rumänische Theaterszene viel mehr zu bieten. Denn immer mehr kleine, unabhängige Bühnen sind in den letzten Jahren in Bukarest entstanden. Kein Wunder, dass sich diese einer ernsthafteren Berücksichtigung seitens der Intendantin erfreuten. So wurden manche der gegenwärtigen Stücke, wie Iwan Wyrypajews Illusionen und ein Remix aus Maria Tănases Liedern, im bekannten ACT-Theater beziehungsweise im Godot-Café-Theater gezeigt.

   Als absoluter Publikumsliebling hat sich jedoch mittlerweile das "UNTEATRU" etabliert. Das in einem verlassenen Haus im alten, historischen Stadtkern von Bukarest ins Leben gerufene Theater ist aus "der soziokulturellen Notwendigkeit heraus entstanden", so Andrei und Andreea Grosu, dessen enthusiastische Gründer. Die beiden sind zugleich Regisseur und Maschinist, Manager und Billeteur, Produktionsleiter und Soundeditor. Vor allem aber sind sie hervorragende Gastgeber. Endstation Sehnsucht, Tennessee Williams bekanntes Drama, ist das vom Paar Grosu während des Nationaltheaterfestivals gezeigte Stück. Dabei haben die Regisseure den nur 25 m² großen Raum ihres Theaters optimal genutzt und sogar eine handbetriebene Drehbühne verwendet. Diese Erfindungsgabe, "die größtmögliche Wirkung mit minimalsten Mitteln" zu erzielen, brachte ihnen berechtigterweise den "Theater von morgen"-Preis der Internationalen Vereinigung der Theaterkritiker, der am Ende des Festivals an UNTEATRU verliehen wurde.

Neu im Festivalprogramm waren auch die zahlreichen Empfehlungen im "OFF", der inoffiziellen Sektion. So zeigte das Feuertheater (Teatrul de Foc), eine unabhängige Theatergruppe unter der Leitung der energischen Regisseurin Crista Bilciu, ein einmaliges Stationentheater. Eine Hausruine im Zentrum Bukarests wurde zum Schauplatz der Adaption von Nostalgie, dem gleichnamigen Roman von Mircea Cărtărescu. Umso eindrucksvoller wirkten die Kindheits- und Jugendabenteuer des rumänischen Schriftstellers in diesen desolaten Räumlichkeiten. Bis drei Uhr in der Früh, als sich auch der allerletzte Zuschauer verabschiedete, dauerte das originelle Experiment, leider nur für das rumänischsprachige Publikum zugänglich.

   Es bleibt nur zu hoffen, dass sich der gegenwärtige Aufschwung der freien Szene als nachhaltig erweist. Denn gleich im Anschluss an das Nationaltheaterfestival fand eine Premiere statt: die erste Ausgabe des Festivals der unabhängigen Theater.

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