"Das
wertvollste Angebot der rumänischen Theaterszene". So lautete die
Selbstdefinition des Nationaltheaterfestivals 2013, das vom 25. Oktober bis
3. November in Bukarest stattfand. Für die umstrittene Programmgestaltung
zeichnete Alice Georgescu in ihrem dritten und letzten Jahr als
Festival-Intendantin verantwortlich. Klar dominiert war die diesjährige 23.
Auflage von den landesweiten Staatstheatern. Von Großwardein (Oradea) im
Nordwesten Rumäniens über Temeswar (Timişoara), Klausenburg (Cluj),
Hermannstadt (Sibiu), Craiova und der Hauptstadt Bukarest bis nach Iaşi im
Osten des Landes. Alle waren im Programm vertreten.
Zur Eröffnung
des Festivals musste naturgemäß etwas Besonderes her. Dabei hielt sich die
Intendantin an Altbewährtes. So zeigte der Regisseur Andrei Şerban, eine der
profiliertesten Persönlichkeiten im rumänischsprachigen Theater, seine
Inszenierung von Euripides' Die Troerinnen, die er für die
Nationaloper in Iaşi erarbeitet hat. Weitere anerkannte Regisseure standen
auf dem Festivalprogramm, unter anderem Silviu Purcărete, Mihai Măniuţiu,
Victor Ioan Frunză, Gábor Tompa, Radu Afrim. Gespielt wurden vorwiegend
klassische Stücke von Shakespeare, Tschechow, Molière, Labiche und
Caragiale, dem bedeutendsten Dramatiker Rumäniens.
Den
Abschluss machte der bekannte Regisseur Alexander Hausvater mit Adam und
Eva, einer Roman-Adaption nach dem 1925 erschienenen gleichnamigen Band
des rumänischen Schriftstellers Liviu Rebreanu. Dazu boten Filmprojektionen,
Lesungen, Buchpräsentationen, Konferenzen und Workshops die perfekte
Ergänzung für den Besucher. Die dem in Temeswar geborenen deutschen Bühnen-
und Kostümbildner Helmut Stürmer gewidmete Ausstellung unter dem Titel
"Erfundene Räume (Maquetten-Skizzen-Videos)" war eindeutig einer der
Höhepunkte des Festivals.
Doch hat die
zeitgenössische rumänische Theaterszene viel mehr zu bieten. Denn immer mehr
kleine, unabhängige Bühnen sind in den letzten Jahren in Bukarest
entstanden. Kein Wunder, dass sich diese einer ernsthafteren
Berücksichtigung seitens der Intendantin erfreuten. So wurden manche der
gegenwärtigen Stücke, wie Iwan Wyrypajews Illusionen und ein Remix
aus Maria Tănases Liedern, im bekannten ACT-Theater beziehungsweise im
Godot-Café-Theater gezeigt.
Als
absoluter Publikumsliebling hat sich jedoch mittlerweile das "UNTEATRU"
etabliert. Das in einem verlassenen Haus im alten, historischen Stadtkern
von Bukarest ins Leben gerufene Theater ist aus "der soziokulturellen
Notwendigkeit heraus entstanden", so Andrei und Andreea Grosu, dessen
enthusiastische Gründer. Die beiden sind zugleich Regisseur und Maschinist,
Manager und Billeteur, Produktionsleiter und Soundeditor.
Vor allem aber sind sie hervorragende Gastgeber. Endstation Sehnsucht,
Tennessee Williams bekanntes Drama, ist das vom Paar Grosu während des
Nationaltheaterfestivals gezeigte Stück. Dabei haben die Regisseure den nur
25 m² großen Raum ihres Theaters optimal genutzt und sogar eine
handbetriebene Drehbühne verwendet. Diese Erfindungsgabe, "die größtmögliche
Wirkung mit minimalsten Mitteln" zu erzielen, brachte ihnen
berechtigterweise den "Theater von morgen"-Preis der Internationalen
Vereinigung der Theaterkritiker, der am Ende des Festivals an UNTEATRU
verliehen wurde.
Neu im
Festivalprogramm waren auch die zahlreichen Empfehlungen im "OFF", der
inoffiziellen Sektion. So zeigte das Feuertheater (Teatrul de Foc), eine
unabhängige Theatergruppe unter der Leitung der energischen Regisseurin
Crista Bilciu, ein einmaliges Stationentheater. Eine Hausruine im Zentrum
Bukarests wurde zum Schauplatz der Adaption von Nostalgie, dem
gleichnamigen Roman von Mircea Cărtărescu. Umso eindrucksvoller wirkten die
Kindheits- und Jugendabenteuer des rumänischen Schriftstellers in diesen
desolaten Räumlichkeiten. Bis drei Uhr in der Früh, als sich auch der
allerletzte Zuschauer verabschiedete, dauerte das originelle Experiment,
leider nur für das rumänischsprachige Publikum zugänglich.
Es
bleibt nur zu hoffen, dass sich der gegenwärtige Aufschwung der freien Szene
als nachhaltig erweist. Denn gleich im Anschluss an das
Nationaltheaterfestival fand eine Premiere statt: die erste Ausgabe des
Festivals der unabhängigen Theater.