Seele III
Nach, der Krise jetzt
Spürendes Mich unter
Massen anderer.
Bin, Einfädeln,
Garn für die nächste Nadel.
Sticht sticht wen
Menschen, einen,
immer, einen,
– Nur eine Nadel.
Ich löchre.
Er spürt Lücken.
Sticht nur,
– nur einen Namen
Name,
Nervenverkettung
Name, gedacht, gemacht im Gedächtnis
auch meine
synaptische Seele, löchrige Landschaft,
umgarnt tags und nachts (1)
Marietta
Bönings Gedicht
Seele III, das ihren ersten Gedichtband mit dem Titel
raumweise eröffnet, ist eine stringente Engführung von Eros – man
könnte auch sagen: Sorge – und Aggression.
Beide verbindet der Text, der
zum einen benennend verfährt, also festlegend, dann aber
auch schon den Polylog herausfordert, worin das Festgelegte selbst fortleben
mag; Barthes schreibt, Lesen heiße, "das
Werk begehren, […] sich weigern, das Werk außerhalb seiner
Sprache durch eine andere Sprache zu verdoppeln"(2);
aber auch:
"das Werk zurückverweisen an das
Begehren des Schreibens, aus dem es hervorgegangen ist."(3)
Das beschreibt und tut
zugleich der Text von Böning; ihre Dichtung arbeitet mit dem
Bild der Textur, das ja zweierlei evoziert: zum einen die Verflechtung, das
implizit Intertextuelle, den Schritt weg von der
klassischen Hermeneutik hin zu einem neuen Begriff von
Intention … zum anderen aber ist das Verknüpfen-Können auch ein Verweis
darauf, daß kein literarisches Gewebe für sich tragend ist, ein Text im Lesen
stattfindet, sonst eine "löchrige
Landschaft" ist. Text ist ein
synaptisches Etwas, die darin überspringenden
Verbindungen aber sind eine
Interaktion der objektivierten Provokation der
Schrift und der Lektüre.
Krise ist hier ein doch
auffallendes und auch gleich zu Beginn des Textes fallendes Wort:
Etymologisch ist das ein Scheiden, und zwar sowohl das
Unter- als auch das Entscheiden. Mit
Herbert J. Wimmer:
"doch wo krisen sind, sind auch optionen"(4)…
Noch der Übergang vom Bild der Kette zu dem der Synapse (dem Überspringen qua
Leerstelle) ist da signifikant.
Die Löcher sind aber auch
Verweis auf die Verfeinerung und Suspendierung der
Grausamkeit des Denkens, einer Grausamkeit, die zugleich hier besteht …
"(a)ls könnte nur das
bleistiftgespitzte Wort erreichen/auf was der Schreiber spitzt"(5)
– dieser Vers ist so doppeldeutig wie die Pointierung,
die er thematisiert. Das Ich ist darin Täter wie Opfer, "Mich
[…] Bin", partizipiert am Erlittenen. Hier wie
auch sonst ist diese Dichtung am ehesten als präziser
Gefrierschnitt durch die Begrifflichkeit des Emotionalen zu verstehen,
als Sorge, die sich auf die Aggression bezieht, welche zugleich Anstoß noch der
wie immer destillierten Behutsamkeit und Sorge ums
Andere sei:
"deine/allerdings falsch
buchstabierte Sorge"(6)…
Die Formel "gedacht,
gemacht" verknüpft eigentümlich diesen scheinbaren Rekurs
des Denkens auf einen Ordo, den es zugleich aktualisiert,
also findet und erfindet. Gerade der Gang zu den Quellen
zeigt dies, also: seine Unmöglichkeit; die Dichterin schreibt in einem
anderen Band:
"Die Fußnoten […] treten die Wörter nicht fest"(7)…
Eine solche Poetologie der Fußnote hat Benjamin
skizziert, er heißt seine
"Zitate […] Räuber am Weg, die
bewaffnet hervorbrechen und dem Müßiggänger die Überzeugung abnehmen"(8);
diese
Referenzen sind eben nicht der Versuch, eine These zu untermauern,
vielmehr ersteht diese aus dem Material – und desgleichen
eine irritierende Gegenläufigkeit, da die Ambivalenz
der Indizien erhalten ist. Das Zitat – so ließe sich in Anlehnung an
Foucaults Skizze des Kalligramms sagen – hat
"die Souveränität, die zur Erscheinung bringt"(9),
"eröffnet ein Spiel von Übertragungen, die […] einander antworten, ohne
etwas zu
affirmieren oder zu repräsentieren."(10)
Dazwischen ist
jenes Handeln und Sein, das stringent und doch das eines fragilen Selbst
(darum: "Mich unter/Massen anderer")
ist. Der Text beschwört nicht, sondern
konstituiert so eine Seele, die nicht metaphysisch und stabil erscheint,
sondern: wie die Summe der so gezeitigten Effekte,
die sie aber – darin dies doch transzendierend – als
Gesamtheit zeitigt, deutet und erleidet. Er ist darin wie vieles im Werk der
Dichterin Gegenwartsliteratur im besten Sinne.
Anmerkungen
(1)
Marietta Böning: raumweise
Wien: Das fröhliche Wohnzimmer – Edition 1998, [S.4]
(2)
Roland Barthes: Kritik und Wahrheit, übers.
v. Helmut Scheffel
Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag, 1967 (=edition suhrkamp
218), S.91
(3) ibid.
(4)
Herbert J. Wimmer: roman artigkeiten (teil 1).
In: kolik, Nr 17, Dezember 2001, S.34-51, S.39
(5)
Marietta Böning: Rückzug ist eine Trennung vom Ort
Wien: Das fröhliche Wohnzimmer – Edition [2006], S.34
(6)
Böning: raumweise, [S.17]
(7) Böning: Rückzug ist eine
Trennung vom Ort, S.41
(8) Walter Benjamin: Einbahnstraße
Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag 121992 (=Bibliothek Suhrkamp, Bd 27), S.108
(9) Michel Foucault: Dies ist
keine Pfeife. Mit zwei Briefen
und vier Zeichnungen von René Magritte, übers. v.
Walter Seitter
Frankfurt/M., Berlin, Wien: Ullstein 1983(=Ullstein Buch Nr 36073 ·
Ullstein KunstBuch), S.43
(10)
ibid., S.46 |