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Dr. Caligari oder:
Wie ich lernte, das Bürgertum zu lieben

 Ioana Crăciuns "Dekonstruktion des Bürgerlichen im Stummfilm der Weimarer Republik".

Von Vasile V. Poenaru
(22. 12. 2015)

...



Vasile V. Poenaru
bardaspoe [at] rogers.com

geboren 1969, zweisprachig
aufgewachsen, Studium der
Germanistik in Bukarest,
darauf Verlagsarbeit und
Übersetzungen. Lebt
in
Toronto.

 

 

 

Ioana Crăciun.
Die Dekonstruktion des
Bürgerlichen im Stumm-
film der Weimarer Republik
.
Reihe: Beiträge Zur Neueren
Literaturgeschichte, Dritte
Folge, Band 337), Universitäts-
verlag Winter, 2015, 337 S.
ISBN:
9783825364168

 

 

 

 

 

 

 

"Seine stumme Botschaft
erreicht uns heute wie eine
Flaschenpost von einem
zeitlich zwar fernen, psych-
ologisch jedoch nahen Ufer
und fordert uns heraus, sie
in die Sprache unserer
eigenen Gegenwart zu
übersetzen."

 

 

 

 

 

 

 

 

Schon auf dem Vorderum-
schlag wird vergegenwär-
tigt, wie ein Begriff hinter-
fragt, untersucht, abgebaut,
demontiert, weggetragen
wird, um den Durchbruch
in eine neue Epoche zu
ermöglichen. Es handelt
sich um den im Deutschen
so ungemein wichtigen,
Begriff des Bürgerlichen.
Der Stummfilm macht
ihm den Garaus.

 

 

 

 

 

 

 

 

Es geht um Versinnbild-
lichung. Es geht um eine
Erscheinungsform, der sich
zur Zeit der Weimarer
Republik täglich schätz-
ungsweise zwei Millionen
Deutsche hingaben. Es geht
um Einfühlung. Und um
narrative Projektion.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Rezipient wird reich-
lich mit Hintergrundinfor-
mationen versorgt – und er
kann sich leicht in die Wei-
marer Zeit versetzen und
sich wenn schon nicht die
besprochenen Filme, so
doch wenigstens die von
der Autorin zweckmäßig
aufgetriebenen Abbildungen
in aller Muße anschauen.

 

 

 

 

 

 

 

 

"Jedes Kapitel der vorlie-
genden Untersuchung ist
thematisch strukturiert und
setzt sich mit der Dekons-
truktion des Bürgerlichen
in den Stummfilmen der
Weimarer Republik aus
einer jeweils anderen
Perspektive auseinander"

 

 

 

 

 

 

 

 

Die in der Danksagung her-
vorgehobenen Auslands-
aufenthalte und die damit
verbundene mühsame Forschungsarbeit der
Autorin haben in der
Tat wo hin geführt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hier liegt ein nützliches
Handbuch für Fachleute
vor. Man findet sich darin
problemlos zurecht und
gewinnt je nach dem
jeweils spezifischen Inte-
ressenschwerpunkt leicht
einen entsprechenden
Überblick.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das erste Kapitel  dreht
sich um "Die Großstadt und
ihre Psychopathologie",
das zweite um "Die Darstel-
lung der männlichen
Homosexualität".

 

 

 

 

 

 

 

 

Dass in Crăciuns Studie
vieles eingeblendet wird,
was der Gesamtperspektive
des mehr oder weniger
beflissenen Lesers bisher
möglicherweise entgangen
war, macht einen wesen-
tlichen Verdienst dieser
Arbeit aus.

 

 

   So weit entfernt und doch so nah – oder um den Klappentext (und zugleich den letzten Satz der hier besprochenen "Dekonstruktion" vorwegzunehmen): "aus naher Zeitferne". Die Weimarer Republik. Genauer gesagt, der Stummfilm der Weimarer Republik. Akademisch aufgetischt. Szenisch abrufbar. Stets mit einem wachsamen, interdisziplinär geschulten Blick auf den breiteren Zusammenhang der Handlung vereinnahmt. 

Im jüngsten wissenschaftlichen Band der Bukarester Germanistik-Professorin Ioana Crăciun wird anhand einer tiefgründigen Erfassung der Bedeutungsstruktur des Bürgerlichen ein mannigfaltiges, aus der Analyse des in der bedachten Epoche zum Begriff gewordenen Massenphänomens namens Stummfilm heraus umrissenes Bild der Weimarer Republik gezeichnet, das unter einer gelungenen Aufmachung die intensiven einschlägigen Recherchen der Autorin in Frankfurt am Main, im Deutschen Literaturarchiv Marbach, in Wiesbaden und in Berlin dokumentiert und dabei einen im Kontext sinnvollen, dem Stand der Forschung zur Genüge reichenden Beitrag leisten will –  in neuartiger Form, so wie er bisher noch nicht am Horizont der Filmwissenschaft sichtbar war. Ein hohes Ziel. Ein tüchtiger Anlauf. Ein stattlicher Zelluloidstreifen-Knäuel.   

Um es dementsprechend mit Verweis auf Hugo Bettauers (in Crăciuns Studie mitberücksichtigten) Roman "Die freudlose Gasse" griffig auszudrücken: Was da auf die Akademikerwelt im deutschen Sprachraum und in transcarpathischen Landen zukommt, ist ein neuer "Stern am Börsenhimmel" der rumänischen Germanistik, eine klangvolle Studie zur Bildhaftigkeit vielsagender stummer Szenen und der ihnen beiwohnenden Sprachbilder. 

   Metaphorisch sei es denn auch zu verstehen, so die Autorin, wenn sie vom Übersetzen  des Stummfilms der Weimarer Zeit spricht. "Seine stumme Botschaft erreicht uns heute wie eine Flaschenpost von einem zeitlich zwar fernen, psychologisch jedoch nahen Ufer und fordert uns heraus, sie in die Sprache unserer eigenen Gegenwart zu übersetzen. Im Akt dieser metaphorisch zu verstehenden Übersetzung entdeckt man die unvermutete Aktualität des Weimarer Stummfilms (...)." Mit so einem "psychologisch nahen Ufer" begibt sich die Diskussion zwar strenggenommen in begrifflicher Hinsicht aufs Glatteis, doch dem nahen, fernen Rezensenten kanadischer Ausdrucksweise soll’s recht sein. Jede kulturwissenschaftliche Flaschenpost wird am Ontariosee tunlichst aufgefischt, entgegengenommen, beäugelt, entziffert, kontextuell eingebettet, dekonstruiert, denn ein jedwedes Ufer ist hier psychologisch nah. Und wenn’s mal ‘ne Flaschenpost über eine Flaschenpost ist, dann umso besser. 

Obige Anweisung ("In Akt dieser metaphorisch zu verstehenden Übersetzung ...") stellt die Gleise für eine gründliche Aufarbeitung des großzügigen, hierin mit den Mitteln der akademischen Darlegung systematisch und kundig vorgestellten Stoffes. Im Laufe der wie in loser Wechselwirkung zueinander stehenden einzelnen Kapitel, die übrigens recht gut auch als selbstständige Studien gelesen werden können, wird – ja, zuviel des Guten –  öfters erneut ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die eine oder andere Formulierung metaphorisch (bzw. symbolisch) zu verstehen sei, was wohl eilfertigen Missverständnissen und Fehlinterpretationen vorbeugen soll, sich jedoch schon eher als Übermaß an Erklärungsbedürftigkeit liest. Doch nun zur Handlung, zur Weimarer Zeit, was jetzt heißen will: zum filmwissenschaftlich-germanistisch festgehaltenen Wirrwarr der Weimarer Zeit; unmittelbar ins Innerste des Buches. 

   Man braucht das Buch eigentlich gar nicht aufzuschlagen, um sachlich drin zu sein, um sich ein Bild zu machen, ein Bild von der beweglichen Bilderwelt, um die es hier geht. Schon auf dem Vorderumschlag wird – ein bisschen oberhalb des in groben Zügen abgebildeten, einen Anflug von geheimnisvoller Vielseitigkeit ausströmenden Zelluloidstreifens – vergegenwärtigt, wie ein Begriff auf der schönen Baustelle der Geisteswissenschaften hinterfragt, untersucht, abgebaut, demontiert, weggetragen wird, um den Durchbruch in eine neue Epoche zu ermöglichen. Es handelt sich um den im Deutschen so ungemein wichtigen, erbaulichen, ja identitätsstiftenden Begriff des Bürgerlichen. Der Stummfilm macht ihm den Garaus. 

Dass das Prinzip der Dekonstruktion, in dem sozusagen sowohl ein Hin als auch ein Zurück waltet, dieser Studie in ihrer vollen Ambivalenz obliegt, widerspiegelt dabei die asymmetrische Anordnungsweise des Titel-Syntagmas, dessen vier Zeilen (nur auf dem Vorderumschlag, denn auf dem Rücken und sonstwo bleibt der Titel in einem Zustand der Prä-Dekonstruktion verankert, gleichsam jenseits des mutigen Griffs der Germanistin entrückt, in einer schön konventionellen, linearen Perspektive aufgehoben) in jeweils unterschiedlichem Abstand eingerückt sind. Konstruktive Unordnung – oder noch besser: dekonstruktive Ordnung. Darunter ein Schnappschuss, ein Einblick, ein wenn noch so winziger Teil des Streifens "Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens" (1921/1922) von F. W. Murnau, in den man sich nach Belieben hineinlesen darf, ohne unbedingt gleich in die eine oder die andere Interpretations-Einbahngasse gezwungen zu werden. Es klingt da so manches an, wenn einer nach einem munteren Ritt durch den Inhalt der Studie eine Pause zwischen zwei Filmen einlegt und seinen Blick wieder auf den Umschlag richtet, um womöglich im Rahmen der linear ansetzenden Lektüre anhand eines sinngemäß inszenierten paradigmatischen Zusammenbruchs das Wort, Bild und Schweigen ordnende Prinzip der Perspektivenvielfalt zu erhaschen. 

   Zu den Anfängen: Das erste Kapitel dieser Studie ist bereits 2013 unter dem  Titel "Die Dekonstruktion des Bürgerlichen in den Stummfilmen der Weimarer Republik am Beispiel des Films "Asphalt" (1929) von Joe May" als Beitrag zur VI. Fachtagung der Konrad-Adenauer-Stiftung (zum Thema "Bürger und Bürgerlichkeit in der europäischen Literatur") erschienen. Aus den Stummfilmen der Weimarer Republik wurde der Stummfilm der Weimarer Republik, was wohl kein Zufall ist, denn dieser Griff lenkt die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf eine Gesamtperspektive, auf eine Gesamtinterpretation, auf eine in sich zusammenhängende Flaschenpost – und auf den Geist der Weimarer Republik, den man da womöglich immer noch rauslassen kann.  

Aus den vielen verschiedenartigen im Plural aufgehobenen zeitgemäßen Sichtweisen (bzw. aus den sozusagen wie im behutsamen Kundschafterstil leisetreterisch-wissenschaftlich gewährleisteten Sichtungen der einschlägigen Denkweisen) wird ein übergeordneter Bilddiskurs herauskristallisiert, dem sich die einzelnen Filme unterordnen, so dass aus vielen Streifen ein Kontinuum, aus vielen Ideen ein Gedanke, aus vielen divergierenden Verpackungsmöglichkeiten einer auf Zelluloid festgehaltenen Epoche ein schlüssiges Konzept zutage tritt. 

   Es geht hier, wie die Autorin durchgehend deutlich werden lässt, um einen "symbolisch befrachteten Bilddiskurs". Es geht um Versinnbildlichung. Es geht um eine Erscheinungsform, der sich zur Zeit der Weimarer Republik täglich schätzungsweise zwei Millionen Deutsche hingaben. Es geht um Einfühlung. Und um narrative Projektion, um die Projektion einer Narrative. Bisweilen zwingt der Satzbau den Leser in eine andersartige, unwillkürliche  Dekonstruktion. Dadurch wird die Wahrnehmung der narrativen Folgerichtigkeit des Diskurses einigermaßen beeinträchtigt. "In der Zeit der Weimarer Republik, als nach zeitgenössischen Schätzungen täglich zwei Millionen Menschen ins Kino gingen, galt vielen deutschen Intellektuellen der Film als die 'Kokotte' unter den Künsten", lässt die Autorin etwa ihre Studie lossausen – und macht es sich damit noch schwerer, als es eigentlich hätte sein sollen. Irgendwas, soweit steht schon bei einem ersten, flüchtigen Leseversuch fest, hinkt an diesem Satz, an diesem Ansatz. Irgendwas beraubt ihn seiner intendierten Schärfe, seiner erwünschten Tragweite, seiner in derartigen einleitenden Standortbestimmungen doch stets so bitter nötigen begrifflichen Schlagfertigkeit. "Zur Zeit der Weimarer Republik" wäre eine glücklichere Wendung gewesen, eine Wendung, in der eine gewisse situative Kontinuierlichkeit sowie auch der iterative Charakter der Erscheinungsform Kinobesuch besser zum Ausdruck gebracht worden wäre. Und die umständlichere, unzweckmäßige Formulierung "galt vielen deutschen Intellektuellen der Film als die 'Kokotte' unter den Künsten" (anstelle von "betrachteten viele deutsche Intellektuelle den Film als 'Kokotte' unter den Künsten") muss ebenfalls befremden. Doch wir sind jetzt schon beim Sprachgebrauch angelangt, wobei es uns erst einmal darum geht, die filmwissenschaftlich bedachte inwendige Sequenzialität der Weimarer Republik in Augenschein zu nehmen. 

Eine gewisse Unschärfe der methodologischen Herangehensweise des überaus anspruchsvollen, anregenden und vielversprechenden interdisziplinären kulturwissenschaftlichen Unterfangens der Bukarester Germanistin wird u. a. vermittels des Conjunctivus potentialis reflektiert: "Unschwer ließe sich diese Dekonstruktion des Bürgerlichen im Sinne einer Hermeneutik der auf Eigentum basierenden Industriegesellschaft (...) anhand einer Fülle von unterschiedlichsten Stummfilmen demonstrieren, die sich thematisch und ästhetisch wenig berühren und lediglich durch ihre schwarz-weiße Stummheit ein und demselben Kulturphänomen angehören." 

   Der Rezipient wird reichlich mit Hintergrundinformationen versorgt – und er kann sich leicht in die Weimarer Zeit versetzen und sich wenn schon nicht die besprochenen Filme, so doch wenigstens die von der Autorin zweckmäßig aufgetriebenen Abbildungen in aller Muße anschauen. Es fehlt dem über dreihundert Seiten starken Band nämlich ganz gewiss nicht an Anschaulichkeit, und schon gar nicht an Weltanschauungen.

"Jedes Kapitel der vorliegenden Untersuchung ist thematisch strukturiert und setzt sich mit der Dekonstruktion des Bürgerlichen in den Stummfilmen der  Weimarer Republik aus einer jeweils anderen Perspektive auseinander", erläutert Ioana Crăciun schon in der Einleitung, ohne vorerst zu verraten, was für eine Bewandtnis es denn mit diesen jeweils anderen Perspektiven habe. Und ehe man’s sich versieht, starren einen hundert schwarzweiße Figuren aus einem unendlichen, in sich zusammenhängenden Streifen von  einer anderen Zeit her an: aus der Weimarer Republik.  

Man merkt schon, die in der Danksagung hervorgehobenen Auslandsaufenthalte und die damit verbundene mühsame Forschungsarbeit der Autorin haben in der Tat wo hin geführt. Zwar fällt es am Anfang verhältnismäßig schwer, das dekonstruierbare Gestell und die begriffliche Argumentationslinie aus der in all ihrer zumutbaren Zündkraft in Angriff genommenen komplexen Struktur des Begriffs des Bürgerlichen bzw. des Begriffs "Dekonstruktion des Bürgerlichen" zu erschließen, doch die unverkennbare Folgerichtigkeit zahlreicher einzelner Gedankenzüge und Darstellungen tut ihre Schuldigkeit. Eine Welt ist wieder da, so richtig da: eine Welt, die nicht mehr da ist.

   Hier liegt ein nützliches Handbuch für Fachleute vor. Man findet sich darin problemlos zurecht und gewinnt je nach dem jeweils spezifischen Interessenschwerpunkt leicht einen entsprechenden Überblick. Die Kontextualisierung im derzeitigen Forschungsstand zum Film der Weimarer Republik hätte denkbar überzeugender ausfallen können, nur, dass eine solche hochgelahrte Studie ein bisschen zu metaphorisch-poetisch und erzählerisch-inventarisierend gerät, ist nun mal in rumänischen (und in deutschen) Landen wirklich keine so große Ausnahme. Und wie um dieser unserer sich nun im Keim regenden Kritik der unzufriedenstellenden wissenschaftlichen Verortung vorzubeugen, dringt aus dem fernen zeitlosen Hollywood ein zeitgemäß wie sinngemäß angebrachter relativer Imperativ bis zu uns, zu uns Kanadiern, zu uns Rumänen, zu uns Österreichern und sonstigen deutschsprachigen Leuten, bis zu unserer Weimarer Republik, so wie wir sie uns mit gierigen Augen vergegenwärtigen, wenn wir flugs in den Fluss der Handlung reinspringen, den uns eine tatkräftige, belesene  Germanistin wissenschaftlich-fürsorglich einbetten will: Tell a simple story.  

Besonders wer etwas für das so facettenreiche, an sich eigenartige und im Rahmen (nicht nur) der deutschen Kulturgeschichte wesentliche Moment der Weimarer Republik und der aus ihr hervorgegangenen mutierenden Mentalität und Begrifflichkeit übrig hat, wird sich in einem solchen Büchlein  (um es unvermittelt mit Goethe zu sagen) ein fundiertes, erzähltechnisch und metaphorisch dekonstruierbares Zuhause zusammenbasteln wollen. Der Stummfilm der Weimarer Republik, der stumme Film einer Zeit, in der man noch hundertprozentig hinblicken musste, um die Handlung mitzubekommen, um in Erfahrung zu bringen, was so alles innerhalb des Bürgerlichen liegt: Hier kommt er zur Sprache. 

   Inhaltlich tut sich recht viel im Rahmen dieser Dekonstruktion. Das erste Kapitel  dreht sich um "Die Großstadt und ihre Psychopathologie", das zweite um "Die Darstellung der männlichen Homosexualität". Darauf folgen Auseinandersetzungen mit der Gestalt des Doppelgängers bzw. mit Kindergestalten und Kinderschicksalen, und das letzte Kapitel ist dem Thema Verbrechen und Verbrecher gewidmet. Sehr aufschlussreich. Sehr detailliert. Wohldokumentiert. 

Da im Buch selbst kaum hinreichend  belegt wird, ob bzw. inwiefern im Rahmen der jeweiligen Ausführungen der sechs Kapitel in der Sekundärliteratur vorliegenden einschlägigen Studien Rechnung getragen wird, darf sich der Rezensent allerdings selber bemühen, das zu beurteilen, soweit er den nötigen Überblick hat. Freilich: Auf den engen Gassen der tradierten Germanistik wie auf den moderneren Schnellstraßen der "German Studies" gibt es so viele, ja sagen wir mal ruhig zu viele Schilder, auf denen in riesengroßen Lettern immer das Eine zu lesen ist: "Lücken füllen!" Und dann muss der jüngere wie der ältere Gelehrte angeben, er habe gerade (mit links) die vielen Schlaglöcher "gefixt", die sich vor den kulturwissenschaftlichen Scheinwerfern der Forschung, unserer Forschung, der germanistischen Forschung auftun. Dass in Crăciuns Studie vieles gemächlich eingeblendet wird, was der Gesamtperspektive des Durchschnittsgermanisten bzw. des mehr oder weniger beflissenen Lesers in dieser Form bisher möglicherweise zum Teil entgangen war, wenn er mal nur so, bei sich, oder eben auf Kongressen und/oder im Seminarsaal "unsere" Weimarer Republik, ihre stumme Sequenzialität und ihre mutmaßlich dekonstruierbaren Sinnbilder Revue passieren ließ, macht einen wesentlichen, unter Anwendung der herkömmlichen Werkzeuge und Messinstrumente der Kritik keineswegs so leicht quantifizierbaren Verdienst dieser Arbeit aus. 

   Alles in allem sind lediglich die in der Einleitung und in den "Abschließenden Bemerkungen" versprengten Angaben zur strukturellen Einheit und zur interdisziplinären Zweckmäßigkeit dieser Studie in ihrer begrifflichen Beweisführung eher vage verankert, dabei immerhin in ihrer metaphorischen Ausgewogenheit sehr ansprechend geraten. Die mehr oder weniger geheime Intention, etwa durch ein sprachlich ausgeklügeltes Finis coronat opus der breit ausgerichteten Untersuchung mehr Schwung zu verleihen (nicht dass sie das bräuchte), ist und bleibt lobenswert, selbst wenn das Versprechen einer potenzierten Wirkung in Hinblick auf die Erfassung der zentralen These und der methodologischen Folgerichtigkeit der einzelnen Kapitel am abschließend rückblickenden Erwartungshorizont der Bedeutungsstruktur der "Dekonstruktion" nur zum Teil eingelöst wird. 

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