Wenn
man für einige Zeit verreisen will, dann packt man seinen Koffer – besonders
dann, wenn recht viele Empfindungen und Denkversuche mit auf die Reise
sollen, die sich ansonsten schlecht verfrachten lassen. Tatsächlich steht
ein solcher Koffer auf dem Schutzumschlag des 2006 bei Zsolnay erschienenen
Romans über den österreichischen Faust der Gegenwart (Illustration: Swantje
Crone). Er sieht bei Weitem nicht mehr nagelneu aus, scheint aber
immerhin noch ziemlich brauchbar zu sein. Fein, wiewohl klein. Vollgestopft,
aber keineswegs üppig. Darüber der Titel des Buches. Darunter die stille
Leere der Wartezeit.
Ein bisschen
verloren wirkt er, dieser altmodisch praktische Koffer aus einer Zeit,
da die Zeit noch jemandem gehörte. Ein bisschen unbeholfen, ein bisschen
dürftig, ein bisschen alleingelassen und ein wenig asymmetrisch. Er
scheint es gewohnt zu sein, auf Reisen mitgenommen zu werden, die
kein Ende haben, als wäre es ganz natürlich, einfach so am Wegesrand herumzuliegen. Er
scheint es auch gewohnt zu sein, ruhig einmal mit den Gedanken anderer gefüllt
zu werden.
Wolfgang Hermann
will immer verreisen – zum Beispiel
zur rotweißroten Miniaturwelt des
sprachlichen Details, in der er sich längst einen Namen gemacht hat;
verreisen bis zur
österreichisch-schweizerischen Grenze, wenn nicht gar bis nach Vaduz. Bis
an die Grenze der Ausdrucksfähigkeit, und speziell bis zu
einer "Abfolge von klitzekleinen Abenteuern, und selbst wenn sie
mauseklitzeklein sein sollten". Wolfgang Hermann will sich fortbewegen
von den tiefsten Denkklemmen, in die unter
Umständen selbst Männer mit Eigenschaften geraten mögen. Er will
verreisen in Form von fragenden Buchstaben und Bildern, direkt zu seinem Menschen wie Worte transponierenden
Mysterium am Bodensee. Und dadurch natürlich direkt zum Leser (denn in einer
vorzüglichen runden Welt trägt jeder Ort den Namen Bregenz); unentwegt daheim in der
Fremde und doch fremd in seiner eigenen Haut.
Wolfgang Hermann
will, dass sich der Leser schnellstens mit seinem Herrn Faustini anfreundet.
Und er will, dass der Leser, wenn schon nicht sich selbst, so doch wenigstens
seinen Nachbarn darin wiedererkennt, zurückhaltend und unternehmungslustig,
menschenscheu und kontaktfreudig, "zur Antwort ausholend" wie zu einem Hieb,
wohlversorgt mit
"Reststücken herrenloser Zeit", gerade wieder einem
dringenden Geschäft entbehrend, die abgetragenen Bergschuhe wie
den Fahrplan der österreichischen Bundesbahn rund um die Uhr
bereithaltend.
Man mag im
Rahmen dieses vorarlbergischen Kleinabenteuers nach großen Motiven suchen
– und
dabei auf einfache Fragen stoßen: Wie Faustisch ist zu Faustisch? Wie
parallel soll eine Parallelaktion sein, die schief läuft? Wie ließe sich
wohl am Bodensee in Erfahrung bringen, was die Welt im Innersten
zusammenhält? Die Antworten liegen möglicherweise allesamt im Bus verstreut,
der von Hörbranz nach Bregenz fährt.
Herr Faustini
hat einen Kater. Aber der heißt nicht Mephisto. Auch wird es Herr Faustini
kaum darauf abgesehen haben, sich Zeit einzuhandeln. Es
genügt ihm, dieser lediglich mit Hilfe öffentlicher Verkehrsmittel auf
gemächlichen Umwegen nachzuspüren. Ein österreichischer Faust muss ja
sowieso genug Zeit haben. Und ein österreichischer Faust muss natürlich
einen italienisch klingenden Namen tragen.
Es geht hier ums
Nichtloslassenkönnen eines lockeren Lebensgefühls. Es geht um
die ewige Reise eines unruhigen Geistes. Es geht um
ein dem Prinzip der Nicht-Lokalität verfallenes Subjekt, um ein diskret
wandelndes Wahrzeichen, das auf der Suche nach seinem mutmaßlichen
Geltungsbereich ist, kurzum: Es geht um ein schlichtes mittelgroßes Fragezeichen in Fleisch und
Blut.
Was da in aller
Gemächlichkeit auf den Leser zukommt, ist ein Österreicher, der überall
hinfährt, aber nirgendwo richtig da ist (und schon gar nicht in Österreich).
Ein Steppenwolf? Nein, kein Steppenwolf. Wolfgang Hermanns
unwahrscheinlicher Nationalheld auf internationalen (oder sagen wir mal:
überregionalen) Kleintouren ist ein sonderbarer Kauz, ein
Möchtegern-Abenteurer, für den das Leben "nichts als ein Gestell" ist,
auf dem sich "unabsehbar Falltüren und Gefahrenzonen" aneinanderreihen. Ein
Außenseiter, weit entfernt von dem Getue der Welt und doch stets überall mit
dabei.
Dieser unter
Umständen wenigstens teilweise intergrierbare Außenseiter ist
unverkennbar einsam, sein Beitrag zum Gedeihen der Gesellschaft ist ein ganz
spezieller, gekennzeichnet durch entsprechend eigenwillige Bemerkungen des Autors. Was Herr Faustini etwa in die Welt setzt, ist
"kein Kind,
sondern ein freundlicher Blick".
Freilich:
Ganz ohne Verjüngungsprozedur geht’s auf Dauer kaum. So erkauft
sich denn Herr Faustini von einer "nicht mehr ganz jungen Frau" – und sei es
auch nur im geschlossenen Rahmen einer beiläufig inszenierten
linguistischen Transaktion – die in seinem Falle nicht mehr ganz
geeignete Anredeform "junger Herr". Zwei Euro zahlt er dafür.
Ein paar
Faustinische Standortbestimmungen: Herr Faustini ist einer, dem die
Morgenluft auf dem Weg zum Bäcker die Wange streichelt. Er ist einer, der im
Fürstentum Liechtenstein ein Konto eröffnet. Einer, dessen Reise zum
Geburtstagsfest seiner Schwester trotz ernsthafter Bedenken nicht mehr
abzuwenden ist. Einer, der gelegentlich Angst hat, eine Veränderung des
stillen Tagesablaufs in Kauf zu nehmen und sich seinen Mitmenschen zu
stellen. Ziemlich unglorreich, wenn man’s recht bedenkt. Einer wie du und ich?
Wen nichts so
richtig angeht, geht alles an: "Viele Stunden zog der Zug übers Land. Herr
Faustini betrachtete die Welt, die sich unendlich neu vor ihm ausbreitete.
Jeder Ort ist gleich weit entfernt, sagte er vor sich hin. Also ist jede
Reise möglich."
Die
Einbildungskraft hält Herrn Faustini am Leben. Die Allgegenwärtigkeit seiner
Visionen. Die Unsicherheit des Hierseins und des Daseins. Die Leere unter seinem
strapazierten Schuhwerk. Die Ausdehnung der Erde, die es nicht gibt. Der See
ringsum. Die Perspektive einer vorprogrammierten Fata Morgana. Und
natürlich seine Gespräche mit dem "elegantesten Mann vom
Bodensee", einem nicht ganz wirklichen schwarzen Prinzen mit gelben Augen,
der aber eigentlich an der Elfenbeinküste zu Hause ist, dabei freilich in
einer Pension bei Bregenz wohnt und sich auf Französisch über das Meer
unterhält; über "das richtige Meer" hinter den andauernden Tagträumen. Alles
ist hier sorgfältig in diese "unsere" Realität projiziert und verpackt.
Herr Faustini
ist nicht von ungefähr unterwegs. Er maßt sich an, etwas in Erfahrung zu
bringen, das zwischen den Zeilen verborgen liegt. Kurzum: Ein Österreicher
geht durch die Welt, um ihr auf die Schliche zu kommen. Seine private
Botschaft? Da war was. Da ist was. Da wird was werden. Die Ahnung am Ende
seiner Reise? Er ist noch gar nicht so recht aufgebrochen.
Sein
Vermächtnis? Das Wiederfinden des Heimwegs: in Bregenz-Faustinischer
Erkenntnis; das Bild des Katers, der um die Beine streicht, eingebildete Gespräche im
Sinn, wohletablierte Gemeinplätze auf Lager. Alle Wege führen zum Bahnhof am
See. Und wenn er auch wasserscheu sein mag: Ein echter Koffer geht nie
unter.