Vasile V.
Poenaru
bardaspoe [at]
rogers.com
geboren
1969, zweisprachig
aufgewachsen, Studium der
Germanistik in Bukarest,
darauf Verlagsarbeit und
Übersetzungen. Lebt
in Toronto.

(c) wikipedia.org
Karl-Markus-Gauß
Gauß versteht sich aufs
Zuhören, aufs Staunen,
aufs Begreifen, aufs
Wiedergutmachen,
aufs Retten.
Ermunternd und erfri-
schend wirkt Gauß´ unmit-
telbar gelebtes Engage-
ment, seine Menschen-
verbundenheit, das authen-
tische, rege Interesse für
Gruppen und Völker-
schaften, die es nicht
"geschafft" haben, die am
Rande der Geschichte
stecken geblieben sind.
... insofern ist er vor
allem auch Hoffnungs-
geber, Wegbegleiter, Mit-
mensch im wörtlichen
wie im weitesten Sinne:
einer von uns.
Buchumschlag: Zwei
Augen, eine Nase im
Gesicht, zwei Ohren, die
Zunge, das Sich-auf-den-
Kopf-stellen-Können,
natürlich noch kein
Schnurrbart, dafür aber
schon von klein auf
ganz storyteller.
"Dies ist eine meiner
frühesten Erinnerungen,
die Stimme, die heute nur
in mir noch existiert, weil
der Mann aus dem Radio
längst tot und im Äther
verrauscht ist, was er
sagte, diese Stimme, die
keinem Anwesenden
gehörte und nach zahllo-
sen Abwesenden fragte:
Sie war es, die in mir
das Bewusstsein meiner
selbst geweckt hat."
(Karl-Markus Gauß)
Linktipp
www.omvs.at
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"When I was
younger, I could remember anything,
whether it had happened or not" (Mark Twain).
Die
Leistungen des hierin geehrten Geburtstagskindes in groben Zügen:
Karl-Markus Gauß kam Neunzehnvierundfünfzig in good old Salzburg auf die
Welt; am vierzehnten Fünften hat er Geburtstag: vier, fünfzig, fünf,
vierzehn. Ein bisschen Mathematik, und schon sind alle Kartoffeln im Sack.
Alle Bücher. Alle Preise und Auszeichnungen. Alle fragenden Begleiter, alle
Freunde. Die Siebensachen in der Literatur. Die donauschwäbischen Vorfahren.
Die österreichische Gemütlichkeit.
Die europäische
Berufung. Das Infragestellen. Die Neugier. Die Polemik. Ein Meilenstein
nicht nur im Literaturbetrieb deutschsprachiger Ausdrucksweise: Der
langjährige Herausgeber von "Literatur und Kritik", ein Mann, dessen
weltoffener Blick tagtäglich viele Stunden lang wahrlich auf Tausende Bücher
fällt (riesengroße Hausbibliothek), ist mittlerweile sechzig.
In
den letzten paar Jahrzehnten kam vom Fuße des Mönchsbergs so manches auf den
Leser zu, denn ein begabter Autor, ein belesener Kulturmensch, der da Wache
hält, versteht sich auf sein Handwerk – und wurde mittlerweile in fünfzehn
Sprachen übersetzt. An tragfähigen Antworten fehlt es ihm nicht.
Fährtenlesen? Tatsachenerfassung? Das Ding an sich aus der Mitte der Welt
herausgreifen und für uns umschreiben? Ganz Karl-Markus Gauß. Ein
gemeinsamer Nenner all der vielen kleinen, in ihrem jeweils spezifischen
Zusammenhang eingebetteten Geschichten, die ins Gedächtnis gerettet werden
müssen, um dadurch der einen großen Geschichte auf der Projektionsfläche des
geschriebenen Wortes mehr Sinn abzugewinnen und das Moment ihrer
Triebhaftigkeit so richtig in Griff zu bekommen.
Er versteht sich aufs Zuhören, aufs Staunen, aufs Begreifen, aufs
Wiedergutmachen, aufs Retten. Das liegt in der Natur der Dinge, in der
Selbstverständlichkeit des Autors, in seiner inneren Veranlagung, in seinem
donauschwäbischen Vermächtnis, in seinem österreichischen Werdegang. Als
studierter Historiker und Germanist, als schneidiger Essayist, als
Literaturkritiker, als Herausgeber, als "unerschrockener Ritter" (Wendelin
Schmidt-Dengler) weiß Gauß wie kein zweiter um die Vielfältigkeit, um den
Reichtum, um die Narben des guten alten Kontinents (und späht auch mal gerne
in die Neue Welt rüber, wo er übrigens seit gut fünfzehn Jahren einen
geheimen Scout hat), nennt den westlichen wie den östlichen Teil Europas
sein eigen, holt sich, was er braucht, um besser in die Zukunft blicken zu
können, genauer gesagt: was wir brauchen. Wir Menschen. Wir Europäer.
Leicht
schlüpft bei einer derartig großzügig angelegten Betrachtungsweise der
vielsprachigen Blocksteine, aus denen die europäische Seele
zusammengebastelt wurde, zusammengebastelt wird, ein Personalpronomen aus
der dritten Person in die erste, aus dem Singular in den Plural, aus der
Eindimensionalität der individuellen Perspektive in ein gemeinsames
Fürwahrhalten von Vorstellungswelten, wie der Denker sagen würde. Leicht
schlüpft unsere Denkweise, ja unser gesamter flow of language in ein völlig
anderes Bett. Ob es nun das Bett der Salzach sein mag oder gar dasjenige der
Donau, des "intelligentesten Flusses von Europa" (so Gauß im ORF-Interview
2012), sei dahingestellt. Es sind jedenfalls nicht nur unsere Gedanken, die
wir da hegen, wenn wir mit einem Gauß segeln, reiten, fechten, debattieren –
und doch sind es unsere Gedanken, ja es sind, wenn man’s recht bedenkt,
schon immer unsere Gedanken gewesen; nur, Gauß kann sich halt viel besser
daran erinnern als wir selber. Darin besteht sein Geschick.
Was bei diesem Geburtstagskind besonders erfreulich, ja in mehrfacher
Hinsicht geradezu ermunternd und erfrischend wirkt? Sein unmittelbar
gelebtes Engagement, seine Menschenverbundenheit, das authentische, rege
Interesse für Gruppen und Völkerschaften, die es nicht "geschafft" haben,
die am Rande der Geschichte stecken geblieben sind: vergessen, verloren,
verschollen. Er birgt ihre Geschichten aus dem dunklen Spalt der
Vergessenheit. Er reicht ihnen seinen Bleistift, lässt sich nicht aus der
Fassung bringen, wenn bisweilen kein rosarotes Happy End am Horizont
sichtbar wird, sondern bloß ein ruhiger Abend nach einem bewegten
Nachmittag, ein gutes Morgen nach dem leidlichen Heute, ein Übermorgen nach
dem Morgen, eine kleine Ewigkeit des einträchtigen Gutseins nach der
Vergänglichkeit menschlicher Zwietracht.
Er
zieht kräftig an seinem Ende, liest, liest, liest, schreibt, schreibt,
schreibt, bis alle wieder da sind: Bis wir wieder wissen wollen, was einst
war, was mal wird. Er holt die Mär’ zurück – und zwar nicht bloß ans andere
Ufer der Salzach, sondern buchstäblich ins Gedächtnis, ins kollektive
Gedächtnis einer Gemeinschaft von Völkern, die er doch so gerne nicht nur
als Wirtschaftsunion, sondern auch als Sozialunion wahrhaben möchte.
Insofern ist Gauß eben vor allem auch Hoffnungsgeber, Wegbegleiter,
Mitmensch im wörtlichen wie im weitesten Sinne: einer von uns.
Jeder Essay ein Ritt ins Ungewisse, jeder Herzschlag Bedeutungsträger einer
breit angelegten, aus historischer, erkenntnistheoretischer,
literaturwissenschaftlicher, gesellschaftskritischer bzw. nur so, zum
Fit-Bleiben, aus rein philosophischer Perspektive reflektierten Handlung,
die sich hier und jetzt abspielt, in uns, in unserem Europa, in der
Immerzeit unseres Seins und Werdens. Jeder Handschlag ein herzlicher. "Mit
mir, ohne mich", "Von nah, von fern", "Zu früh, zu spät", "Lob der
Sprache, Glück des Schreibens". Titel, hinter denen man die Wahrhaftigkeit
eines Spracherlebnisses ahnen darf. Um den Spieß mal kurz umzudrehen: Ja,
hier liegt in der Tat ein Glücksfall vor. Und Lob ist durchaus angesagt. Lob
der Sprache – und der Menschen, die sie pflegen. Immer mittendrin und ganz
am Rande, um es mit Gauß zu sagen.
"Das Erste, was ich sah". Buchumschlag: Zwei Augen, eine Nase im Gesicht,
zwei Ohren, die Zunge, das Sich-auf-den-Kopf-stellen-Können (Foto-Quiz: Wer
ist nun Karl-Markus und wer ist welcher Bruder?), natürlich noch kein
Schnurrbart, dafür aber schon von klein auf ganz storyteller. Eigentlich
ganz toll.
Vor
sechzig Jahren wurde es ihm an der Wiege gesungen: Dieses Kind wird sich an
alles erinnern können. Und das Erste, was es sah, waren Wörter, die in der
Luft schwebten, den Raum füllten, nicht mehr weg wollten. Formlose Wörter,
allein auf die inwendige Begrifflichkeit der Akustik eines Raumes
konzentriert, in dem ein Kind sich mit den Augen des Mannes, zu dem es sich
noch entwickeln sollte, im Nachhinein ein Bild von dieser Welt macht, ohne
dass die Kindheit gleich durch den rückblickenden Erwartungshorizont des
Erwachsenen vereinnahmt und überinterpretiert wird. Eigennamen. Die vom
Radio ausgespuckten Namen der Verschollenen.
Karl-Markus Gauß' erste Erinnerungen sind in Klang gefärbt. Das "Deutsch der
Donauschwaben", das österreichische Deutsch, mit Fremdwörtern aus dem
Altreich gewürzt, die das Kind sich zu eigen macht, ja gewissermaßen schon
eher musikalisch betrachtet in sich hat, trägt, pflegt, noch bevor es sich
dessen bewusst wird. Das Abstrakte des frühzeitig nahe gelegten
Bekenntnisses "Wir sind Donauschwaben", das dann schließlich in die doch
wenigstens in etwa konkretere Begrifflichkeit eines Stromes mündet, der
einen wo hin führt: da, wo er herkommt. Und so ist es denn auch der
angenehme Klang seiner Stimme, seiner Sprache, der uns flussabwärts
begleitet, wenn wir zum Beispiel wissen wollen, wohin ein intelligenter
Wasserlauf führen kann und wie einer "schreibend ein besserer Mensch wird".
Elftausend
Bücher zu Hause haben, das ist nicht jedermanns Sache. Aber ein Gauß lebt
erwiesenermaßen von Büchern, in Büchern, über Büchern, unter Büchern (allein
die Fackel-Edition wiegt 35 Kilo, nicht einmal bei Familie Feuerstein waren
die Schreibsteine schwerwiegender), ja seine Wohnung besteht fast
ausschließlich aus Büchern. Und die Bücher leben in ihm. Und er lebt für
uns.
Das Erste, was er sah: "Dies ist eine meiner frühesten Erinnerungen, die
Stimme, die heute nur in mir noch existiert, weil der Mann aus dem Radio
längst tot und im Äther verrauscht ist, was er sagte, diese Stimme, die
keinem Anwesenden gehörte und nach zahllosen Abwesenden fragte: Sie war es,
die in mir das Bewusstsein meiner selbst geweckt hat." Dieses Bewusstsein
sollte im Laufe der Zeit noch weit über das eigene Selbst hinweg gehen, in
ein erweitertes Sein eingebunden werden, Leute von nah, von fern erreichen,
nähren, einverleiben. Dreimal hoch: der Autor, die Leseratte, das sinnvolle
Sprachereignis der Sorte Gauß.
Zuerst erschienen in:
ADZ
(Allgemeine
Deutsche Zeitung für Rumänien),
14.05.2014 |
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