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Sprachliches, Allzusprachliches

Karl-Markus Gauß und der kontinuierliche Aufbruch einer Kulturzeitschrift

"Meine Damen und Herren, die deutsche Sprache eignet sich vorzüglich dafür,
dass man aus dem Gleichklang mancher Wörter erkennt, wie verschieden die Dinge der
Welt sind und dass sie auf verborgene Weise dennoch zusammen gehören." Dies ist der Anfangssatz
von Karl-Markus Gauß’ Eröffnungsrede der vorjährigen Innsbrucker Festwochen der Alten Musik.
Stimmt, die deutsche Sprache eignet sich vorzüglich zu vielem, und der angesehene
Herausgeber der Kulturzeitschrift Literatur und Kritik weiß bekanntlich ein Lied
davon zu singen. Ein altes Lied mit angenehmer neuer Melodei.

Von Vasile V. Poenaru
(06. 02. 2014)

...



Vasile V. Poenaru
bardaspoe [at] rogers.com

geboren 1969, zweisprachig
aufgewachsen, Studium der
Germanistik in Bukarest,
darauf Verlagsarbeit und
Übersetzungen. Lebt
in
Toronto.


 

 

 

 

Immer geht es Gauß auch
um Sprachliches, nie nur
um Sprachliches. Immer
geht es ihm auch um
Persönliches. Doch nie
und nimmer bleibt es
beim Nur-Persönlichen.
Der Bogen wird weit
gespannt. Und die Leser
spüren, da ist schon
was dran.

 

 

 

 

Literatur und Kritik:
"Neue Romane", September 2013, Nr. 477/478.

 

 

 

 

Irgendwie ist es nun, als
säßen wir, die Leserschaft
der Visitenkarte Österreichs,
allesamt im wundersam
klangvollen Prunksaal
eines alten Schlosses im
schönen Tirol, um in Erfah-
rung zu bringen, was so
alles in diesem einen Wort
steckt: Aufbruch.

 

 

 

 

Anna Kim.
Die gefrorene Zeit.
Droschl, 2008, 147 S.
ISBN:
3854207425

 

 

 

Ob Literatur langweilt
oder nicht, das d
ürfen ja
bekanntlich nicht die
Herausgeber selber ent-
scheiden, sondern die Leser
oder – insofern als sich die
Leser in Geschmacks-
sachen gerne bevormun-
den lassen – die Rezen-
senten und Literatur-
kritiker.

 

 

 

 

Andrea Grill.
Tränenlachen.
Otto Müller, 2008, 208 S.
ISBN:
3701311536

 

 

 

 

"Ja, der Aufbruch weiß
von sich selbst, dass er
notwendig ist, aber nicht,
was er im Nachhinein
historisch für die Mensch-
heit oder lebensgeschicht-
lich für den einzelnen
bedeutet haben wird."

(Karl-Markus Gauß)

 

 

 

 

Klemens Renoldner.
Man schließt nur
kurz die Augen.

Folio, 2008, 166 S.
ISBN:
3852564476
 

 

 

 


Als Literatur und Kritik
von Gauß wiederbelebt
wurde, wehrte sich die alte
Garde durch rechtliche
Schritte gegen die Beibe-
haltung des Namens
Literatur und Kritik.

 

 

 

 

Wolfgang Hermann.
Abschied ohne Ende.
LangenMüller, 2012, 128 S.
ISBN:
3784432913

 

 

 

"Ich kann es kaum
glauben, und doch ist es
wahr: meine Arbeit ist
fertig! Endlich! Nach drei
Jahren! Welch ein Gefühl,
am Ziel seiner Anstrengung
zu sein! (...) Die Arbeit ist,
mit großer Befriedigung
stelle ich es fest, voll-
ständig und bereit zur
Niederschrift."

 

 


 


(c) schloss-wartholz.at

Die 1967 in Eferding (OÖ)
geborene Autorin Karin
Peschka
erhielt 2013 den
Wartholz Literaturpreis für
ihren Text "Watschenmann".

   Ob nun in der Festspielstadt an der Salzach oder in der Olympiastadt am Inn: Ein Gauß jodelt sich, in den tieferen semantischen Schichten eines jedweden von ihm ausgesprochenen Wortes verwurzelt, wie er es nun einmal ist, garantiert nachvollziehbar durch die sprachliche und außersprachliche Landschaft eines mal gleichklingenden, mal im großzügigen Reich der Andersheit mitschwingenden Kulturkreises, der sich bestens dazu eignet, den rechten Ton zu setzen. Von A-Tönen bis zu O-Tönen: alles drin im Gaußschen Alphabet transkontinentaler Erzählbarkeit.

Seit gut zwanzig Jahren beglückt uns dieser Salzburger Buchstabenmeister aus gutem – und freilich längst "verösterreicherten" – donauschwäbischen Hause (denn Karl-Markus Gauß kam zwar in Salzburg auf die Welt, doch in seinem kulturwissenschaftlich weit ausholenden und dabei dank seiner oft souverän in den Raum gestellten Formulierung als Zusammenbruch von Welten erlebten Wahrhaftigkeit der Aussage unwahrscheinlich vertraut klingenden Stil ertönen auch lauter fremdartige Klänge, die den immer wieder erneut ins bittersüße Tintenrevier der Sagbarkeit aufbrechenden Österreicher mit der Vorgeschichte einer vielsprachigen Familie bereichern) mit seinen Editorials in der auf allen Erdteilen gelesenen literarischen Visitenkarte Österreichs (mehr dazu auch hier).

Immer geht es ihm auch um Sprachliches, nie nur um Sprachliches. Immer geht es ihm auch um Persönliches, oft genug um die ansprechend kapriziöse Verortung einer aktuellen Debatte – oder eben einer Debatte, die der Herausgeber geschickt in die Aktualität rückt; doch nie und nimmer bleibt es beim Nur-Persönlichen. Der Bogen wird weit gespannt. Und die Leser spüren, da ist schon was dran.

   September 2013: "Wie merkwürdig vieldeutig ist er, der Aufbruch!" So Gauß’ erster Satz in seinem vorletzten Editorial (LuK 477/478). "Aufbruch?" fragt der nicht unbedingt klangkundige Leser, der nun eben einmal in manchem Rezensenten steckt. "Wohin geht’s denn? Etwa nach Kanada? Oder einfach die Donau runter, den intelligentesten Strom auf Erden?

"In die Berge", kommt gleich die Antwort. Von irgendwoher kommt sie, von nah, von fern, vom frühen Morgen der Festspielstadt am Mönchsberg, vom späten, ruhmvollen Nachmittag österreichischer Farbtöne diesseits wie jenseits der Salzach, wobei einer auf Anhieb gar nicht so genau sagen könnte, ob die der irgendwie im Aufgehobensein einer längst verklungenen k. und k. Mentalität mit eingebaute Arie aus alten Zeiten möglicherweise nicht etwa eigentlich raffiniert fingierte Modernität ausmacht. Doch das gehört zur Sache.

Ganz am Schluss des Editorials wird’s erklärt. Es handelt sich, wie es der klangkundigere Leser (der freilich, wie gesagt, nicht unbedingt in einem jedweden Rezensenten steckt) schon längst gemerkt hat, um die Anrede, die Gauß zur Eröffnung der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik hätte halten sollen; ein Bandscheibenvorfall hielt ihn davon ab.

   Immerhin hat der geladene Redner den Text der Rede geschrieben, seine wohltemperierte Stimme, die aus den ersten Seiten der Zeitschrift zur Leserschaft dringt, gesellt sich nun im Nachhinein zur Stimme des Schauspielers hinzu, der die Anrede im Prunksaal des Schlosses Ambras in Anwesenheit des österreichischen Bundespräsidenten und weiterer prominenter Gäste aus gutem Hause vorlesen durfte. Irgendwie ist es nun, als säßen wir, die Leserschaft der Visitenkarte Österreichs, allesamt im wundersam klangvollen Prunksaal eines alten Schlosses im schönen Tirol, um in Erfahrung zu bringen, was so alles in diesem einen Wort steckt: Aufbruch.

Dass Gauß auch schnell auf die gerade jetzt angesichts der bald eintretenden totalen Arbeitsmobilität in der EU wieder mal besonders aktuelle Problematik der Migration zu sprechen kommt, ist kein Zufall, gilt doch die innere Resonanz der Gaußschen Worte immer auch seinen Mitmenschen vom Tellerrand, den "Europäern der Peripherie" – und dem, was alles hervorquillt, wenn mal die Hülle dieses vielschichtigen Begriffs aufbricht. Und neue Romane stecken (auszugsweise) auch mit drin im jüngsten LuK-Heft, denn ein authentischer Aufbruch à la Gauß muss natürlich nicht nur die gute alte Musik berücksichtigen, sondern in erster Linie eben auch die gute alte Literatur und Kritik. Anna Kim, Wolfgang Hermann, Andrea Grill, Klemens Renoldner und Karin Peschka dürfen uns in den Seiten der Zeitschrift aus den Romanen "vortragen", an denen sie gerade schreiben.

   Es handelt sich, so die Einleitung zum Dossier des Heftes (Neue Romane) um "fünf Autorinnen und Autoren, die außer der Tatsache, dass sie alle aus Österreich kommen und Romane schreiben, nur noch das eine gemeinsam haben werden: dass ihre Literatur nicht langweilig ist […]" Das einzige Problem dieser Formulierung: Ob Literatur langweilt oder nicht, das dürfen ja bekanntlich nicht die Herausgeber selber entscheiden ("nicht langweilig" macht übrigens sowieso ein gar nicht so kurzweiliges Gütesiegel aus), sondern die Leser oder – insofern als sich die Leser in Geschmackssachen gerne bevormunden lassen – die Rezensenten und Literaturkritiker ( und wie es ein Ludwig einst so schön auf Deutsch-Französisch formulierte, wenn ich mich nicht irre: Le Rezensent und Literaturkritiker, c’est moi).

Dass die im Heft vorgestellten Autorinnen und Autoren allesamt aus Österreich kommen, ist auch nett ausgedrückt. Das hört sich ja an, als seien die jetzt allesamt anderswo. Vielleicht ist das aber wirklich der Fall.

Mal schauen: Fehlanzeige. Alle fünf leben derzeit in Österreich, und vier stammen auch aus Österreich ("kommen" passt also wohl kaum, sonst klingelt gleich die Sprachpolizei); die fünfte hingegen (was hier heißen will: die erste), die südkoreastämmige Anna Kim, kommt in der Tat aus einem anderen Land als dem, in dem sie jetzt lebt. Sie kommt aber nicht aus Österreich, sondern eben aus Südkorea. Drücken wir es zusammenfassend-schlichtend so aus: Ob es nun von Südkorea nach Österreich oder von Österreich nach Österreich geht, was zählt, ist der Aufbruch.

Menschensucher, so heißt etwa Andrea Grills "Beginn eines Romans", in dem Menschen mit Blicken eingefangen und Schmetterlinge unter die Lupe gebracht werden (oder war das umgekehrt?), der Beginn eines Romans, in dem ein Körper eigene Ideen hat und das Ich zum Aufbruch drängt, der aber "ein ganz unwissenschaftlicher" wäre.

   Klemens Renoldner schielt, die Pistole in der Hand (so auch der Titel seines Romans), auf Begriffe, über Begriffe hinweg, an Begriffen vorbei. Halunke, Anstand, Krieg, Tod, Gott, Österreich, Vergangenheit, Vergangenheitsverschönerung, Vergangenheitsbewältigung. Durch den Lauf seiner Pistole, genauer gesagt durch den Lauf der Pistole seines Großvaters, der sehr zum erst jetzt, im Nachhinein, vom Ich-Erzähler kritisch hinterfragten Stolz der Familie ein Offizier der Gendarmerie gewesen war, späht der Autor in die ihm schon als Kind überlieferten Bruchstücke von erlebter Geschichte, die er nun als Erwachsener neu ordnet, ohne sie dabei unbedingt zu einem kohärenten Ganzen anwachsen zu lassen oder sie ihrer intuitiven Unmittelbarkeit zu berauben.

Aufgebrochen wird also in viele Richtungen, aus vielen Richtungen heraus. "Neue Romane" steht unter dem lässig aufgeschlagenen älteren Buch, das auf dem Vorderumschlag des Heftes abgebildet ist. "Das Doppel-, ja Mehrdeutige, das dem Aufbruch von Anbeginn eignet", wird anhand dieses abgewetzten Buches, das die Versinnbildlichung neuer österreichischer Romane in der Vorstellungswelt der Leser begleiten soll, besonders wirkungsvoll inszeniert. Das (von seiner Aufmachung und seinem erkennbaren Benutzungsgrad her zu urteilen) mindestens ein paar Jahrzehnte alte Buch ist so ungefähr in der Mitte aufgeschlagen. Die paar zum Teil sichtbaren Seiten sind unbedruckt.

   Neue Aufbrüche beschert uns somit nicht nur die neue Alte Musik, sondern auch die neue alte Welt der Romane. Es geht hier wohl vor allem um Aufbrüche, die zu verschiedenartigen Perspektiven führen, die oft genug ruhig auch mal aus älteren Zeiten überlieferte Sachverhalte in Augenschein nehmen, die sinnstiftend aufbrechen. Um es mit Gauß zu sagen: "Es ist das Schöne und Bedrohliche des 'Aufbruchs', dass sich vor ihm stets ein offener Horizont des Möglichen auftut. Hinter ihm liegt etwas, das den Protagonisten des Aufbruchs für abgelebt, überholt, in Tradition erstarrt gilt, aber was vor ihnen liegt, das glauben sie zwar zu erahnen und möchten sie aus Eigenem bestimmen, aber sie können es selbst doch meist nicht wissen. Ja, der Aufbruch weiß von sich selbst, dass er notwendig ist, aber nicht, was er im Nachhinein historisch für die Menschheit oder lebensgeschichtlich für den einzelnen bedeutet haben wird." Und im letzten Abschnitt des Heftes (Österreichisches Alphabet) bricht Franz Mayrhofer eben in die jüngere Vergangenheit auf, um des 2008 verstorbenen "Vollblut-Schreibers" und Chefdramaturgen Christian Martin Fuchs zu gedenken. Es wird auch dadurch eine begriffliche Kontinuierlichkeit des Aufbruchs gezeitigt, in dem Literatur und Kritik seit 1991 begriffen ist, genauer: seit Karl-Markus Gauß den Dirigentenstab übernahm.

"Erbe und Absage", so hieß das erste Editorial der Ära Gauß(1). Eine neue Ausrichtung, eine neue Melodie, einen neuen Ton bekam die Zeitschrift damals in einem Zug. Und mit der Tradition wurde weitgehend gebrochen. Nun gut, also: Tradition in der Zweiten Republik ... Als Literatur und Kritik von Gauß sozusagen unter Missachtung bzw. Infragestellung althergebrachter Machtstrukturen im Kulturbetrieb entschieden wiederbelebt wurde, wehrte sich die alte Garde durch rechtliche Schritte gegen die Beibehaltung des Namens Literatur und Kritik, und die damals noch ganz im Bann der alten Machtstrukturen einher marschierende Österreichische Gesellschaft für Literatur kündigte kurzerhand die über hundertachtzig Abonnements, die sie in den letzten fünfundzwanzig Jahren regelmäßig im Ausland vertrieben hatte.

   Doch wir wollen unseren Aufbruch nach hinten nicht so weit zurück ansetzen, sondern nur zwölf – in gemäßigtem österreichischen Schritt durchlaufene – Monate in eine Vergangenheit dringen, die damals Gegenwart war. Auch vor einem Jahr kam in Literatur und Kritik (Heft 467/468, September 2012) das Allzusprachliche auf seine Kosten; dabei fängt das Editorial jenes Heftes bezeichnenderweise nicht in der schönen Welt der Musik an, sondern beim Fußball. Nach dem Match eine andere Welt: Zwei Fußballtrainer sitzen sozusagen in Karl-Markus Gauß‘ Editorial auf der Bank. Der Deutsche "ermahnt" vom Österreicher korrektes Deutsch, und zwar "in seinem Sauerländischen Dialekt, den er mit dem identifiziert, was er für die verbindliche Form des Hochdeutschen hält." Ein quasi-linguistisches Nachspiel – aus der Perspektive eines munteren Herausgebers und Polemikers miterlebt, der auch mal den "Outstanding artist award" des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst (u.a. für Autoren, "deren Beitrag zur österreichischen Literatur ein outstandiger ist", ausgelobt) mit seinen Pfeilen streift. Gewitzte Bemerkungen der Sorte Gauß. Mit Fingerspitzengefühl und Sinn für die Sache formulierte Bemerkungen. Bemerkungen, die sitzen.

Schon auf dem Umschlag erfasst der inspirierte Fotograf Ferdinand Palanka, ein Alter Ego des Herausgebers Gauß, in dem die donauschwäbische Vorgeschichte seiner Familie und deren u.a deutschsprachigen, aber eben nicht nur deutschsprachigen Ausdrucksweise mitschwingt, eine erste ansprechende Sitzmöglichkeit im Freien: Ein Türke sitzt auf einem Stein, seine geschwungene Türkenpfeife in der Linken, das krumme Türkenschwert in der Rechten – er wird wohl hergekommen sein, um Wien zu belagern, sagen wir so um 1683 herum, schon eher friedfertig aussehend, andachtsvoll, ernsthaft nachsinnend, kräftiger Schnurrbart, die Laute am Rücken ... Moment: Laute? Sieht ganz so aus wie eine Bandura, ja doch, eine ukrainische Bandura!

   Versuchen wir’s also noch einmal: kein Türke, sondern vielmehr ein ukrainischer Kosake, höchstwahrscheinlich auf dem Vorderumschlag von Literatur und Kritik gelandet, besser, aus dem Sattel gestiegen, um Wien von den Türken "mitzubefreien", wie man ja schließlich auch dem Gedenkstein zu seiner Linken entnehmen darf (soweit man rückwärts lesen kann denn das Bild mit dem Kosaken ist ein Spiegelbild, wie denn auch die darin codierte Geschichte bestimmt eine Spiegelgeschichte ist). Dass sein unsichtbares Pferd ein bisschen abwärts grast, da der Reiter mal gerade nicht im Sattel sitzt, liegt auf der Hand.

Darüber, dass man heutzutage beruflich nur noch im Sitzen und durch das Sitzen weiterkommt ("den Sessel an den Hintern geklebt, um ihn beim täglich fünfmaligen Aufstehen nicht weggeschnappt zu kriegen"), gibt Peter Steiners Beitrag "Die Niederschrift" Aufschluss, in dem es um das Phänomen der Vorläufigkeit im Gegenspiel zwischen Theorie und (absterbender) Praxis geht – und um die guten alten Zeiten, in denen ein Gedanke noch die Muße hatte, zu reifen, bevor derjenige, der ihn hegte, vermittels allerschnellster Veröffentlichung Anspruch auf ihn erheben musste, um im Nahkampf mit seinen Kollegen, den anderen "Veröffentlichern", nicht den Kürzeren zu ziehen. Dass die eigentliche Arbeit vor der Niederschrift erfolgen sollte, ist bei Steiner eine Selbstverständlichkeit.

"Ich kann es kaum glauben, und doch ist es wahr: meine Arbeit ist fertig! Endlich! Nach drei Jahren! Welch ein Gefühl, am Ziel seiner Anstrengung zu sein! (...) Die Arbeit ist, mit großer Befriedigung stelle ich es fest, vollständig und bereit zur Niederschrift."

"Kleine Prosa": der Schwerpunkt des Heftes. Über verschiedene "Sitzmöglichkeiten" informiert Teresa Präauer in Wort und Bild. Die von ihr gezeichneten Stühle leiten das Dossier ein. Fast will sich einer hinsetzen, um sie auszuprobieren. Und dann gesellt sich zu jedem Stuhl ein Text in Kurzform; dabei merkt man, wie Menschen in ihre Rollen schlüpfen können, in ein Ich oder in ein Es.

   In Leopold Federmairs "Teehaus in Kanazawa" sitzt man natürlich auf dem Fußboden, denn Japan ist immer noch Japan. "To be born again", so Federmairs zweite, kleine, großartige Prosa im aktuellen Dossier. Ganz am Ende des Heftes, neben seiner kurzen Vorstellung in der Autoren-Rubrik, sitzt Leopold Federmair denn schließlich auch für eine Fotoaufnahme (oder steht er?) – ja, der Otto Müller Verlag stellt hier sein neues Buch vor: "Die Ufer des Flusses. Verschiedene Prosa". Ein bisschen abseitig, außerhalb des Bildrahmens, grast wohl sein Pferd. Hinter den Gleisen. Gleich da. Im Bahnhof Zoo – was irgendwie großartig exotisch klingt: big in Japan. Aber so ist es eben mit dem Aufbruch bestellt, man kann nie so genau wissen wohin er führt.


Anmerkungen:

(1) Evelyne Polt-Heinzl, "Es spricht der Herausgeber", in Herbert Ohrlinger und Daniela Strigl (Hrsg.): Grenzgänge. Der Schriftsteller Karl-Markus Gauß. Zsolnay, 2010, S. 167.

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