Was
in Sachen Deutschsprachige Literatur drin sein muss und was draußen bleiben
darf: hier wird’s gezeigt: thematisch angepackt, methodologisch umrissen,
verständlich definiert – oder doch jedenfalls verbindlich
in den Raum gestellt. Angefangen hat das Ganze, wie man im Vorwort
belehrt wird, mit einer gleichsam schicksalhaften Begegnung: Ioana Crăciun
(Bukarest) und Sissel Lægreid (Bergen) trafen 2007 am Ufer des Neckar,
genauer gesagt am Deutschen Literaturarchiv Marbach aufeinander, führten
darauf gleich "freundschaftliche Fachgespräche über konvergierende
Arbeitsfelder" und hämmerten alsdann forschungsfreudig zielbestrebt und
dialogisch an der "Keimzelle" dessen, was sich zuerst zu einem
"norwegisch-rumänischen Dialog" und dann schließlich – über eine Reihe von
einschlägigen wissenschaftlichen Veranstaltungen – zu "Ost-West-Identitäten
und Perspektiven" entwickeln sollte.
Der Untertitel
lässt den problematischen Charakter des Unterfangens erkennen, anhand einer
neuen Phrase dasjenige verbindlich und verständlich zu umschreiben (oder
doch wenigstens zu kennzeichnen), dem die alte Phrase ("Rumäniendeutsche
Literatur") nicht mehr gerecht wird: "Deutschsprachige Literatur in und aus
Rumänien", das klingt allerdings nach einem Übermaß an Theorie, nach
Verkomplizierung, nach allumfassender Halbherzigkeit des Diskurses, nach
Unergiebigkeit. Doch nein: Gerade "um nicht nochmals
unergiebige und letztendlich unabschließbare Diskussionen über den
relationalen und umstrittenen Zuordnungsbegriff Rumäniendeutsche
Literatur anzufachen", entschied sich das IKGS "den im
norwegisch-rumänisch-deutschen Dialog erörterten Gegenstand" im Untertitel
des 2012 von ihm herausgegebenen Bandes "Ost-West-Identitäten und
Perspektiven" so zu
bezeichnen, schreibt Peter Motzan im Vorwort. Wer in Sachen Orientierung
einen Stützpunkt braucht, blättert hoffnungsvoll weiter – und landet
mittendrin im Dialog, besser: in den gemächlich aneinandergereihten, sehr
informativ und detailliert gestalteten individuellen Beiträgen.
Dass
die "Universitätsgermanistik" (was wohl hier eine
schnörkeligere Bezeichnung für Germanistik schlechthin sein will) "ihre
Vorurteile über Bord warf und ihre historisch bedingte und erklärliche
Zurückhaltung gegenüber einer 'außendeutschen' Literatur aufgab",
wird im Vorwort auch zur Sprache gebracht. "Außendeutsch" gibt es im Duden
freilich nicht, dafür aber "außerdeutsch": dasjenige, was
außerhalb
des deutschen Sprachraums angesiedelt ist.
Und dennoch Teil
des Ganzen? Mit ein klein bisschen Holismus passt alles ins Konzept. Drinnen
Deutsch, draußen
Deutsch, überall Deutsch – und für die Auslandsgermanistik wird schon wieder
geworben! würde Bert Brecht prompt dichten, ginge es darum, mal schnell eine
verwissenschaftlichende Moritat loszuwerden. Nur, mit Begriffen jonglieren,
das ist eine heikle Sache.
Inside
and out. "Deutschsprachige Literatur aus Rumänien", damit kann man was
anfangen. "Deutschsprachige Literatur in Rumänien" hingegen muss natürlich
erklärt, erläutert, referiert werden, denn normalerweise würde sich
sozusagen der Durchschnittsbürger in der deutschsprachigen Literatur
vorstellen, dass da jederzeit etwa ein Thomas Mann mit hereinspazieren
könnte – in Rumänien ist er ja längst vielfach angekommen; ebenso wie
Heinrich Heine mit seinem Wintermäntelchen oder eben der Leiter des Berliner
Ensemble mit seinen schwarzen Wäldern.
Was drin steckt:
"Bedürfen deutsche Texte aus Rumänien eines Kommentars?" fragt der
Österreicher Sigurd Paul Scheichl gleich nach Motzans Vorwort, wobei er die
"Distanz 'binnendeutscher' Leser zur Kultur deutscher Sprache in Rumänien"
in Augenschein nimmt. Es folgen ausführliche, zusammenhängende Beiträge von
Stefan Sienerth, Peter
Motzan, George Guţu, Lucia Nicolau, Torgeir Skorgen, Sissel Lægreid, Michael
Grote, Ulrich van Loyen, Ioana Crăciun, Espen Ingebrigtsen, Mariana-Virginia
Lăzărescu, Daniela Ionescu-Bonanni, Birger Solheim und Iulia-Karin Patrut.
Jeder bringt einen erfrischenden Blick. Jeder bietet eine Teil-Anwort zur
Frage einer zweckmäßigen und sinnvollen Verortung deutscher Worte mit
rumänischem Duft.
"Interdiskursive
Verdichtungen", so der Titel von Motzans Aufsatz zur "anderen Stimme" des
Lyrikers Oscar Walter Cisek. "1924 trat Cisek in den Dienst des Rumänischen
Außenministeriums, den er über zwei Jahrzehnte lang ausübte", schreibt dabei
der nun schon seit geraumer Zeit in München lebende Wissenschaftler mit
rumänischer Identität und Perspektive in seinem Beitrag. Dass "in den Dienst
treten" ein Ausdruck ist und dass man im Deutschen nicht sagen kann, jemand
habe "den Dienst des Rumänischen Außenministeriums ausgeübt", wird dabei
übersehen; das hat wohl im weitesten Sinne auch
mit der von Scheichl erwähnten Distanz zu tun – oder vielleicht mit anderen
Hindernissen auf dem germanistischen Ackerfeld Rumäniens, die sich in
Ost-West Identitäten und -Perspektiven einschleichen, wenn mal die
Formulierung nicht stimmt.
Ein paar Seiten
weiter heißt es: "Zu Beginn der 1930er Jahre stand sein [Ciseks]
antimimetisch-assoziatives Gestaltungsprinzip in einer außendeutschen
Literatur auf ab- und vorgerücktem Posten. Diese ist allerdings der
kaleidoskopischen Bildmischtechnik Georg Trakls verpflichtet, dessen Lyrik
Cisek als Erster im rumänischen Sprachraum bekannt gemacht und mit dem
Dichter Ion Pillat insgesamt 15 seiner Gedichte in die Landessprache
übertragen hatte." Der fehlerhafte Satzbau stört schon
wieder – besonders da sich hier ja alles um Sprache dreht und außerdem von
Seiten des Autors u.a. im Vorwort erhebliche Ansprüche auf
Wissenschaftlichkeit und kohärente Begrifflichkeit erhoben werden.
Wie
deutsch ist unser Deutsch? Die Frage steckt mit drin in dieser bunten
Verpackung eines breit angelegten grenzüberschreitenden Dialogs. Über die in
den gängigen Rezensionen literaturwissenschaftlicher Veröffentlichungen
üblichen, gerne auch mal verallgemeinernden lobenden Worte hinweg wäre hier
möglicherweise auch ein klein bisschen konstruktive Kritik angebracht. Nur:
Was für Maßstäbe dürfen in der Beurteilung der Auslandsgermanistik
angewendet werden? Braucht man da noch einen Kommentar?
Wie sind Kontingenz, Konvergenz und Inkongruenz anzupacken? Leicht
wird eine vage definierte Offenheit des Diskurses gezeitigt, in der
sozusagen jeder hergerittene Begriff durchaus ohne weiteres in die
Inventarliste aufgenommen wird, soweit er sich eines mit akademischem
Gütesiegel versehenen Stegreifes bedient.
"Wie / läßt sich
der duft / einer gogoașe
/ ins deutsche übersetzen?" fragt der banatdeutsche Lyriker Rolf Bossert
sozusagen gerade zum rechten Zeitpunkt. Und die Bukarester Germanistin Ioana
Crăciun fragt mit
– und dann
fragt sie kongenial weiter: Wie ist es um den bewusst ins poetische
Wahrnehmungsfeld eingebauten bzw. den unwillkürlichen Einfluss des Rumänischen
auf Bosserts Lyrik bestellt? Mariana-Virginia
Lăzărescu folgt gleich mit einem nicht minder pointierten Beitrag zum Thema
"Wortspiel und Witz in den Texten Hellmut Seilers", der ebenfalls das
Perspektivische par excellence als Arbeitstitel aus dem literarischen
"Material" ost-westlicher Betrachtungen herausgreift: "dreh dich nicht um,
grenzgänger gehen um, ohne grenzen". Die Poetik der Grenze bei Hölderlin und
Celan bedenkt Torgeir Skorgen, indem er es auf "Wein aus zwei Gläsern"
ankommen lässt. Hinzu gesellt sich Sissel Laegreid (auch
sie aus Bergen), die es auf die "Poetik der Grenze und der
Entgrenzung bei Paul Celan" abgesehen hat. Trennlinien erfassen,
nachvollziehen, überwinden, darauf kommt es an.
Viele
der hierin vereinten Aufsätze bewegen sich an Grenzen entlang, über Grenzen
hinweg, um Grenzen herum – und werfen stets ein interessantes Licht auf die
Frage der außerdeutschen Literatur deutschsprachiger Ausdrucksweise sowie
auf die grundlegende Problematik eines jedweden interkulturellen Dialogs. Je
mehr man sich in die Lektüre dieser lesenswerten Sammlung von
wissenschaftlichen Beiträgen vertieft, desto prägnanter wird die Einsicht:
Solche Kommentare sind nicht verkehrt. Oder – um auf Scheichls
rhetorische Frage zu antworten: Wir brauchen natürlich einen klaren
Kommentar, am besten auch eine scharfe begriffliche Verortung. Die bewusst
asymmetrische Gegenfrage liegt auf der Hand: Was steckt alles im "Wir"?
Das Buch gleicht
in seiner zugespitzten Linearität einer Gratwanderung zwischen Selbstheit
und Andersheit. Es fällt einem freilich schwer, kritische Distanz zu wahren
und zugleich als "Insider" Zusammenhänge erkennen
zu wollen, die sich "den anderen" nicht so leicht erschließen. Ein
authentischer, tief angelegter und weit ausholender Dialog rund um die
Karpaten und die deutsche Sprache ist hier jedenfalls unverkennbar. Für die
freundliche Überreichung dieses in vieler Hinsicht bereichernden Bandes sei
Herrn Professor George
Guţu,
dem leitenden Ost-West-Verschwörer, dem
Leiter des Forschungs- und
Exzellenzzentrums "Paul Celan" des Instituts für Germanistik der Universität
Bukarest, herzlich gedankt.
Zuerst erschienen in:
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