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Ein Viertelzentner schreibkraft

Das Grazer Feuilletonmagazin in der sechsundzwanzigsten Ausgabe.


V
on Vasile V. Poenaru
(11. 04. 2014)

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Vasile V. Poenaru
bardaspoe [at] rogers.com


geboren 1969, zweisprachig
aufgewachsen, Studium der
Germanistik in Bukarest,
darauf Verlagsarbeit und
Übersetzungen. Lebt
in
Toronto.


 

 

 

 

Cover der aktuellen Nummer
von scheibkraft: "da capo"
(Nr. 26)

 


 

 

Zu den Beiträgern zählen
u. a. Elfriede Jelinek,
Friederike Mayröcker,
Paulus Hochgatterer,
Wolfgang Pollanz, Franz
Schuh, Michael Helming
und Werner Schwab.

 


 

 


(c) textbox.at

Werner Schandor
(Herausgeber)

 

 

 

Angeboten werden auch
in der Viertelzentner-
meilenstein-Nummer essayistische, feuilleton-istische und literarische
Beiträge. Viele sch
ön
gescheite und weiterfüh-
rende Ansätze werden hier
sinn- und formgemäß
zusammenhängend
festgehalten.

 

 


 


(c) Tobias Kestel

Der zur Optimierung des
25.
Heftes zu Rate gezo-
gene Gestaltungskünstler
Tobias Kestel "hat sich
mit der speziellen Ästhetik
des Monobloc-Sessels
befasst und diesem häss-
lichen Teil mit einem
Kunstgriff schöne Seiten
abgerungen."

 

 


 

Linktipps

schreibkraft

Forum Stadtpark

   Nur, ein Stückchen schreibkraft wiegt ja gar nicht ein volles Pfund (und schon gar nicht ein Kilo). Außerdem wird Kraft nicht in Zentner, Kilos oder Pfund gemessen, sondern in Newton. Kraft ist nämlich (bei gleichbleibender Masse) das Produkt zwischen Masse und Beschleunigung. Befindet sich also das seit fünfzehn Jahren aufstrebende Grazer Feuilletonmagazin in einem Zustand beschleunigter Bewegung, darf der voreilige Rezensent auf Anhieb wohl schließen, dass es Herausgeber Werner Schandor und seine schreibkräftigen Redakteure auf jeden Fall recht eilig haben.

Doch nein! Eile mit Weile, wissen es die vokabelkundigen Männer an der Mur der Leserschaft nahezubringen (die "schreibkraft"-Redaktion zählte im Jahr 2013 vier Mann, früher gab es auch noch einen fünften). Zusendungen sind nämlich zweifellos erwünscht (und Kohle ist dafür auch da), doch bis den eingesandten Texten so richtig auf den Zahn gefühlt wird, dauert’s schon a bisserl, denn "wir lesen sehr, sehr langsam". Also doch keine regelmäßig beschleunigte Bewegung, sondern ein ganz normaler Umgang mit einer ständig wechselnden, mal kritischen, mal unkritischen Textmasse. "Nur nichts Halblustiges", bringt es der Herausgeber im fünfundzwanzigsten "im Namen der Redaktion" erstellten Editorial auf den Punkt.

   Also dann bitte wohl am besten etwas ganz Lustiges? "Im Ernst?" (2009), "Grenzwertig" (2010), "Selbstgemacht" (2010/11), so die Themen einiger der jüngsten Ausschreibungen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lässt sich daraus die genaue Position des Standorts Österreich aus einer steirisch gefilterten Sicht der schreibenden Zunft ermitteln. Und für die nächste Nummer gibt es sogar eine ausgesprochen zweifelhafte Ausschreibung. Das Thema "zweifelhaft" führt dabei gewiss bald wieder zu einer neuen, alten Seinsfrage an der Mur. I publish, ergo I don’t perish, ergo I am.

Ein Wort zum Geheimnis der Muskeln und Sehnen, die diesem kraftstrotzenden Grazer Medium zweimal im Jahr Lebendigkeit einhauchen: Wer Forum Stadtpark sagt, muss nämlich bekanntlich nicht nur "manuskripte", sondern (u. a.) eben auch "schreibkraft" sagen; nun bereits zum sechsundzwanzigsten Mal. Die Stadt, das Land und der Bund lassen dafür großzügigerweise jeweils etwas rausspringen. Zu den Beiträgern zählen bemerkenswerte Persönlichkeiten in Sachen Bleistift, darunter Elfriede Jelinek, Friederike Mayröcker, Paulus Hochgatterer, Wolfgang Pollanz, Franz Schuh, Michael Helming und Werner Schwab.

   Der Puls des österreichischen Feuilletons wird (auch) in und an diesem Magazin gemessen. Die Auflagen gehen ins Zentnerhafte, ins Tonnenhafte, ins Fabelhafte, ja ins Unendliche. Ein paar hundert Exemplare werden immer unter lobenswerter Berücksichtigung des Anschaulichkeitsfaktors gedruckt (die Aufmachung ist auch ganz in Ordnung), und der Rest wird dann säuberlich gewogen und ins Netz gestellt. Alles garantiert hochkarätig – oder jedenfalls an allen Ecken lesbar.

Kurz, die "Schreibkräfte" stellen’s nicht verkehrt an. "Schön blöd", so der Titel des 25. Heftes des 1998 vom Literaturreferat des Forum Stadtpark ins Leben gerufenen und seit 1999 von der "edition schreibkraft" in Graz herausgegeben Feuilletonmagazins. Ein typisch österreichischer Titel, würde man sagen – der freilich auch in rumänischen Landen durchaus Anklang finden dürfte – oder etwa beim bayerischen Nachbarstamm. "Da setz di nieder!" sagt der Bayer nämlich, wenn er auf so einen Titel stößt. Und wir folgen allesamt gerne seinem wundersam erahnten, so schön dialektal gefärbten Kommando.

   Da: auf Seite 62 und Seite 63. Genug Platz, sich hinzusetzen und zu verschnaufen. Der zur Optimierung des "schönen blöden" Heftes zu Rate gezogene Gestaltungskünstler Tobias Kestel "hat sich mit der speziellen Ästhetik des Monobloc-Sessels befasst und diesem hässlichen Teil mit einem Kunstgriff schöne Seiten abgerungen." Die Stühle (um es auf gut Deutsch zu sagen, wobei der unbescheidene Verfasser dieser Zeilen mitnichten andeuten will, österreichisches Deutsch sei etwa schlechter als deutsches Deutsch, ganz im Gegenteil), die Stühle also, die sind miteinander verzahnt, verstühlt, möchte man sagen, ja meinetwegen versesselt. Verstohlen blickt der lesekräftige Schreibkräfte-Fresser weg, schlägt das Heft ein paar Seiten vorher auf – da sind ein paar der Stühle hingefallen, wie Katzen sind sie gelandet, auf allen Vieren, jeweils um einen Tisch, so wie wir’s kennen. Schön säuberlich.

Fast will einer da schon an die einschlägigerweise von Teresa Präauer kongenial in der Salzburger Kulturzeitschrift Literatur und Kritik (Heft 467/468, September 2012) in Wort und Bild präsentierten verschiedenen "Sitzmöglichkeiten" denken – doch wir weilen ja jetzt im Gedanken an der Mur, nicht an der Salzach, und hier wird aus Stühlen eben beides gestaltet: Sitzmöglichkeiten wie Verschränkung.

Angeboten werden auch in der Viertelzentnermeilenstein-Nummer essayistische, feuilletonistische und literarische Beiträge. Viele schön gescheite und weiterführende Ansätze werden hier sinn- und formgemäß zusammenhängend festgehalten, etwa die seit geraumer Zeit auch anderweitig unter verschiedenen Nuancierungen laut werdende Argumentation, "dass die Literaturkritik mit ihren eingefahrenen Formen und Floskeln, mit ihrem Hang zur Handlungsnacherzählung und dem oftmaligen Ignorieren von geistiger Substanz von literarischen Werken zu den blödesten Formen des Journalismus gehört", weswegen es sich in diesem Heft ausnahmsweise mal mehr um das selbstgefällige Thema Literaturkritik dreht.

  Der wackere und natürlich total schreibkräftige "schreibkraft"-Herausgeber Werner Schandor hat sich, darauf sei hier aus österreichisch-rumänischen Erwägungen heraus ergänzend hingewiesen, vor zehn Jahren höchstpersönlich nach Hermannstadt – das damals noch keine europäische Kulturhauptstadt war, doch es bald werden sollte – begeben, um sich unter der Marke "österreichischer Gastautor" mit einer schlagkräftigen Lesung auf dem Kongress der rumänischen Germanisten zu verkaufen. Der Titel seines damals verfassten Textes über Sibiu? "Der schönste Ort der Welt. Eine Begegnung in Siebenbürgen." Von der Mur bis zum Zibin, von Österreich bis Rumänien ist es nur ein Schritt, ein Ruderschlag, ein Gedankenzug, eine Welle im weltweiten semantischen Feld. Der österreichische Herausgeber und Autor wollte ihn wagen, will ihn immer noch wagen – mit seiner viertelzentnerschweren Lastschrift: mit seiner "schreibkraft".

Die ganze Welt ist eine Wucht (um hier auch gleich einmal die aktuelle Ausschreibung der Kollegen von der Wienzeile vorwegzunehmen), weswegen es nun schon längst mit der Schreibkraft weitergeht. Heft 26 liegt vor, Heft 27 wird gemacht – ja, wuchtig endet so das Jahr, wie die Dichter sagen, wenn sie mal was verklären: ein Land, eine Stadt, einen Fluss, eine Sprache.

   Um es zusammenfassend schön und gut mit Goethe zu sagen: "Schreibkräftig sei der Mensch, edel und gerecht." Und Kraft, das ist ja nicht nur Stärke, sondern auch Ursache und Wirkung im weitesten Sinne. Und irgendwo in der guten alten Steiermark erzeugen die in all ihrer Wucht in die Mur und über die Mur hinweg geschleuderten Wörter ein dankbares semantisches Feld – mit allerlei Wellen, die wir ahnen.

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