Vasile V.
Poenaru
bardaspoe [at]
rogers.com
geboren
1969, zweisprachig
aufgewachsen, Studium der
Germanistik in Bukarest,
darauf Verlagsarbeit und
Übersetzungen. Lebt
in Toronto.

Cover der aktuellen Nummer
von scheibkraft: "da capo"
(Nr. 26)
Zu den Beiträgern zählen
u. a. Elfriede Jelinek,
Friederike Mayröcker,
Paulus Hochgatterer,
Wolfgang Pollanz, Franz
Schuh, Michael Helming
und Werner Schwab.

(c) textbox.at
Werner Schandor
(Herausgeber)
Angeboten werden
auch
in der Viertelzentner-
meilenstein-Nummer essayistische,
feuilleton-istische und literarische
Beiträge. Viele schön
gescheite und weiterfüh-
rende Ansätze werden hier
sinn- und formgemäß
zusammenhängend
festgehalten.

(c) Tobias Kestel
Der zur Optimierung des
25. Heftes zu Rate gezo-
gene Gestaltungskünstler
Tobias Kestel "hat sich
mit der speziellen Ästhetik
des Monobloc-Sessels
befasst und diesem häss-
lichen Teil mit einem
Kunstgriff schöne Seiten
abgerungen."
Linktipps
schreibkraft
Forum Stadtpark
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Nur,
ein Stückchen schreibkraft wiegt ja gar nicht ein volles Pfund (und
schon gar nicht ein Kilo). Außerdem wird Kraft nicht in Zentner, Kilos oder
Pfund gemessen, sondern in Newton. Kraft ist nämlich (bei gleichbleibender
Masse) das Produkt zwischen Masse und Beschleunigung. Befindet sich also das
seit fünfzehn Jahren aufstrebende Grazer Feuilletonmagazin in einem Zustand
beschleunigter Bewegung, darf der voreilige Rezensent auf Anhieb wohl
schließen, dass es Herausgeber Werner Schandor und seine schreibkräftigen
Redakteure auf jeden Fall recht eilig haben.
Doch nein! Eile
mit Weile, wissen es die vokabelkundigen Männer an der Mur der Leserschaft
nahezubringen (die "schreibkraft"-Redaktion zählte im Jahr 2013 vier Mann,
früher gab es auch noch einen fünften). Zusendungen sind nämlich zweifellos
erwünscht (und Kohle ist dafür auch da), doch bis den eingesandten Texten so
richtig auf den Zahn gefühlt wird, dauert’s schon a bisserl, denn "wir lesen
sehr, sehr langsam". Also doch keine regelmäßig beschleunigte Bewegung,
sondern ein ganz normaler Umgang mit einer ständig wechselnden, mal
kritischen, mal unkritischen Textmasse. "Nur nichts Halblustiges", bringt es
der Herausgeber im fünfundzwanzigsten "im Namen der Redaktion" erstellten
Editorial auf den Punkt.
Also dann bitte
wohl am besten etwas ganz Lustiges? "Im Ernst?" (2009), "Grenzwertig"
(2010), "Selbstgemacht" (2010/11), so die Themen einiger der jüngsten
Ausschreibungen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lässt sich
daraus die genaue Position des Standorts Österreich aus einer steirisch
gefilterten Sicht der schreibenden Zunft ermitteln. Und für die nächste
Nummer gibt es sogar eine ausgesprochen
zweifelhafte Ausschreibung.
Das Thema "zweifelhaft" führt dabei gewiss bald wieder zu einer
neuen, alten Seinsfrage an der Mur. I publish, ergo I don’t perish, ergo
I am.
Ein Wort zum
Geheimnis der Muskeln und Sehnen, die diesem kraftstrotzenden Grazer Medium
zweimal im Jahr Lebendigkeit einhauchen: Wer
Forum Stadtpark sagt, muss
nämlich bekanntlich nicht nur "manuskripte", sondern (u. a.) eben auch
"schreibkraft" sagen; nun bereits zum sechsundzwanzigsten Mal. Die Stadt, das
Land und der Bund lassen dafür großzügigerweise jeweils etwas rausspringen.
Zu den Beiträgern zählen bemerkenswerte Persönlichkeiten in Sachen
Bleistift, darunter Elfriede Jelinek, Friederike Mayröcker, Paulus
Hochgatterer, Wolfgang Pollanz, Franz Schuh, Michael Helming und Werner
Schwab.
Der Puls des
österreichischen Feuilletons wird (auch) in und an diesem Magazin gemessen.
Die Auflagen gehen ins Zentnerhafte, ins Tonnenhafte, ins Fabelhafte, ja ins
Unendliche. Ein paar hundert Exemplare werden immer unter lobenswerter
Berücksichtigung des Anschaulichkeitsfaktors gedruckt
(die Aufmachung ist auch
ganz in Ordnung), und der Rest wird dann säuberlich
gewogen und ins Netz gestellt. Alles garantiert hochkarätig
– oder jedenfalls an allen Ecken lesbar.
Kurz, die
"Schreibkräfte" stellen’s nicht verkehrt an. "Schön blöd", so der Titel des
25. Heftes des 1998 vom Literaturreferat des
Forum Stadtpark ins Leben
gerufenen und seit 1999 von der "edition schreibkraft" in Graz herausgegeben
Feuilletonmagazins. Ein typisch österreichischer Titel, würde man sagen –
der freilich auch in rumänischen Landen durchaus Anklang finden dürfte –
oder etwa beim bayerischen Nachbarstamm. "Da setz di nieder!" sagt der Bayer
nämlich, wenn er auf so einen Titel stößt. Und wir folgen allesamt gerne
seinem wundersam erahnten, so schön dialektal gefärbten
Kommando.
Da: auf Seite 62
und Seite 63. Genug Platz, sich hinzusetzen und zu verschnaufen. Der zur
Optimierung des "sch önen
blöden" Heftes zu Rate
gezogene Gestaltungskünstler Tobias Kestel "hat sich mit der speziellen
Ästhetik des Monobloc-Sessels befasst und diesem hässlichen Teil mit einem
Kunstgriff schöne Seiten abgerungen." Die Stühle (um es auf gut Deutsch zu
sagen, wobei der unbescheidene Verfasser dieser Zeilen mitnichten
andeuten will, österreichisches Deutsch sei etwa schlechter als deutsches
Deutsch, ganz im Gegenteil), die Stühle also, die sind miteinander verzahnt,
verstühlt, möchte man sagen, ja meinetwegen versesselt. Verstohlen blickt
der lesekräftige Schreibkräfte-Fresser weg, schlägt das Heft ein paar Seiten
vorher auf – da sind ein paar der Stühle hingefallen, wie Katzen sind sie
gelandet, auf allen Vieren, jeweils um einen Tisch, so wie wir’s kennen.
Schön säuberlich.
Fast will einer
da schon an die einschlägigerweise von Teresa Präauer kongenial in der
Salzburger Kulturzeitschrift Literatur und Kritik (Heft 467/468,
September 2012) in Wort und Bild präsentierten verschiedenen
"Sitzmöglichkeiten" denken – doch wir weilen ja jetzt im
Gedanken an der Mur, nicht an der Salzach, und hier wird aus Stühlen
eben beides gestaltet: Sitzmöglichkeiten wie Verschränkung.
Angeboten werden
auch in der Viertelzentnermeilenstein-Nummer essayistische,
feuilletonistische und literarische Beiträge. Viele sch ön
gescheite und weiterführende Ansätze werden hier
sinn- und formgemäß zusammenhängend festgehalten, etwa die seit geraumer
Zeit auch anderweitig unter verschiedenen Nuancierungen laut werdende
Argumentation, "dass
die Literaturkritik mit ihren eingefahrenen Formen und Floskeln, mit ihrem
Hang zur Handlungsnacherzählung und dem oftmaligen Ignorieren von geistiger
Substanz von literarischen Werken zu den blödesten Formen des Journalismus
gehört", weswegen es sich in diesem Heft ausnahmsweise mal mehr um das
selbstgefällige Thema Literaturkritik dreht.
Der wackere und
natürlich total schreibkräftige "schreibkraft"-Herausgeber Werner Schandor
hat sich, darauf sei hier aus österreichisch-rumänischen Erwägungen heraus
ergänzend hingewiesen, vor zehn Jahren höchstpersönlich nach Hermannstadt –
das damals noch keine europäische Kulturhauptstadt war, doch es bald werden
sollte – begeben, um sich unter der Marke "österreichischer Gastautor" mit
einer schlagkräftigen
Lesung auf dem Kongress der rumänischen Germanisten zu verkaufen.
Der Titel seines damals verfassten Textes über Sibiu? "Der schönste Ort der
Welt. Eine Begegnung in Siebenbürgen." Von der Mur bis zum Zibin, von
Österreich bis Rumänien ist es nur ein Schritt, ein
Ruderschlag, ein Gedankenzug, eine Welle im weltweiten semantischen Feld.
Der österreichische Herausgeber und Autor wollte ihn wagen, will ihn immer
noch wagen – mit seiner
viertelzentnerschweren Lastschrift: mit seiner "schreibkraft".
Die ganze Welt
ist eine Wucht (um hier auch gleich einmal die aktuelle Ausschreibung der
Kollegen von der Wienzeile
vorwegzunehmen), weswegen
es nun schon längst mit der Schreibkraft weitergeht. Heft 26 liegt
vor, Heft 27 wird gemacht – ja, wuchtig endet so das Jahr, wie die Dichter
sagen, wenn sie mal was verklären:
ein Land, eine Stadt, einen Fluss, eine Sprache.
Um es
zusammenfassend sch ön und gut
mit Goethe zu sagen: "Schreibkräftig
sei der Mensch, edel und gerecht." Und Kraft, das ist ja nicht nur Stärke,
sondern auch Ursache und Wirkung im weitesten Sinne. Und irgendwo in der
guten alten Steiermark erzeugen die in all ihrer Wucht in die Mur und über
die Mur hinweg geschleuderten Wörter ein dankbares semantisches Feld
– mit allerlei Wellen, die wir ahnen. |
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