Vasile V.
Poenaru
bardaspoe [at]
rogers.com
geboren
1969, zweisprachig
aufgewachsen, Studium der
Germanistik in Bukarest,
darauf Verlagsarbeit und
Übersetzungen. Lebt
in Toronto.

George Guţu und
Thomas Schares (Hg.).
transcarpathica.
germanistisches
jahrbuch rumänien.
Heft 9, 2010 (384 S.) bzw.
Heft 7-8, 2008-2009 (372 S.),
Editura
Paideia, Bucureşti.
Das germanistische Jahr-
buch aller Rumänen?
Oder: das Jahrbuch aller
rumänischen Germanisten?
Doch nein, gerade derlei
einengende Zuordnungen
wollen hier vermieden
werden, deshalb der
schlaue Untertitel.
Linktipp
www.ggr.ro/jahrbuch.htm

(c) www.ggr.ro
George Guţu
"Als man zahlt
von Christi
Geburt 1417 hat man zum
ersten mal in Teutschland
gesehen die Zygeuner, ein
ongeschaffen, schwartz,
wüst und onflätig Volck
[…] Wann die armen
Dorffleut im feldt sind,
durchsuchen sie ihre
Häuser ond nehmen
was ihnen gefällt."
Du kennst diese Leute
nicht: Ein gutes Wort auch
für die Versinnbildlichung
des Kernstücks dieses
Bandes, für die Andersheit
der Ausgegrenzten und
die Einverleibung von
Vorurteilen.
Die Germanistik
steht
freilich weltweit seit gerau-
mer Zeit im Begriff, aus
ihrem Namen heraus zu
fallen, und es werden
denn auch von ihren Ver-
fechtern keine Forschungen
mehr betrieben, sondern
Studies.
"Rebellen aus
Österreich in
Rumänien? Nein, danke!"
(Eleonora Ringler-Pascu)
"Moderne Dramatik
um
1900 auf der Bühne des
deutschen Theaters in
Hermannstadt"
(Ursula Wittstock)
"Lesekultur und
Sprach-
wahl an einer westru-
mänischen Kontakt-
programmschule"
(Sorin Gădeanu)
"Na, Freddy, das
ist doch
genau was du suchst
fürn Keller."
"An sich suchen
Sie doch
einen Lehrling, oder?"
"Ich kenne mein
Geheim-
nis. Wenn ich übersetze,
tue ich das immer fest
davon überzeugt, dass ich
selbst den Text schreibe ...
und so muss es auch sein.
Bin nicht ich für Rumä-
nien der Autor der
Blechtrommel?"
|
"Am
Fuße unserer
heimatlichen Berge und Buchen" begann
einst, in der mythischen, in der mythisierten Zeit des fröhlichen
Miteinander von Menschen und Kulturen im nördlichen Teil des Königreichs
Rumänien, ein Abenteuer der deutschen Sprache, das weit hinaus führte, weit
weg von einer jedweden scharf gesetzten Verortung des Flow of Language
im multikulturellen Paradigma einer bestimmten historischen Region, weit weg
vom "Karpatisch Fixierten": ein Abenteuer namens Paul Celan. Sein Wort darf
als Forschungsgebiet, als Meilenstein, als Lehngut herhalten.
transcarpathica,
dieser im übetragenen Sinne sehr wohl groß geschriebene, vielversprechende
Name, in dem grundlegende Intuitionen der Mobilität, der Kommunikation, des
So-Seins und der Andersheit voll auf ihre Kosten kommen, dieser im Kontext
besonders ansprechende Begriff, in dem ein reichliches Ausmaß an Verbindung,
an Verschränkung, an Versinnbildlichung mitschwingt, dieser Titel eines
wissenschaftlichen rumänischen Periodikums, entwickelte sich in den letzten
zehn Jahren zu einem Wahrzeichen der Germanistik im heutigen Rumänien – und
nicht nur dies. Das offensichtlich gelungene Projekt führt – um es im halb
ernsthaften Ton mit Celan zu sagen – die rumänisch fixierte Germanistik weit
in die grenzüberschreitende internationale Forschung hinaus.
germanistisches
jahrbuch rumänien: so der
Untertitel. Keine nähere lexikalisch-grammatische Bestimmung, keine
Präposition, keine Einschränkung, keine Festlegung, keine Festnagelung. Von
Anfang an darf man sich den Kopf zerbrechen, wessen Jahrbuch das denn
eigentlich sei bzw. in welchem Zusammenhang das Jahrbuch (und die
Germanistik) zu diesem Land und zu seinen sieben Burgen steht – und zu den
Buchen, die auf der Landkarte darüber hängen, um es mal
bedeutungsproduktiv-ungenau auszudrücken. Ein Untertitel, der sitzt,
ein Untertitel, der zum Nachdenken anregt und die Diskussion rund um die
Begrifflichkeit, rund um das Selbstverständnis der rumänischen Germanistik
und ihrer Mitstreiter fördert.
Und
die Diskussion führt weit hinaus ins ... ja wohin? Vor zwanzig Jahren
gründete George Guţu,
Präsident der Gesellschaft der Germanisten Rumäniens (GGR), in Anlehnung an
die Revista Germaniştilor din România (in der Zwischenkriegszeit von
Simion C. Mândrescu herausgegeben) seine Zeitschrift der Germanisten
Rumäniens (ZGR). Und zehn Jahre später gründete er denn auch seine
transcarpathica, ein vom Exzellenzzentrum Paul Celan der Universität
Bukarest und vom DAAD mitgetragenes Projekt, ein germanistisches Jahrbuch,
das in viele Richtungen geht, um dem Fach Germanistik (nicht nur) in
Rumänien neue Impulse zu verleihen.
Um es mit einem
Scherzwort zu sagen: das germanistische Jahrbuch aller Rumänen? Oder: das
Jahrbuch aller rumänischen Germanisten? Doch nein, gerade derlei einengende
Zuordnungen wollen hier vermieden werden, deshalb der schlaue Untertitel.
Rumänien soll – jedenfalls auf geisteswissenschaftlicher Ebene –
wieder zum Tatort vieler Gedanken werden, und zwar unter Einbindung
namhafter Germanisten aus anderen Ländern. Der wissenschaftliche Beirat ist
zwischen Bukarest, Bologna, München, Rom, Trier, Graz, Salzburg, Paris,
Frankfurt an der Oder und Mannheim versprengt, die Beiträger kommen vom Fuße
manchen Berges, aus mehreren Kontinenten, kurzum von nah, von fern.
Der
im Jahr 2011 herausgegebene Band (Heft 9, 2010) erschien in der
redaktionellen Verantwortung der GGR-Zweigstelle Bukarest und des Instituts
für Germanistik der Universität Bukarest in Zusammenarbeit mit dem
Sonderforschungsbereich 600 "Armut und Fremde" der Universität Trier und
bietet zwei thematische Schwerpunkte: "'Zigeuner' zwischen Ost und West.
Beiträge zu Literatur und Film" und "Zeitlich-räumliche Erkundungen von
Fremdem und Eigenem". Am Ende gibt es schließlich noch drei ausführliche
Rezensionen.
'Zigeuner'
zwischen Ost und West: Die Verortung gelingt durch eine Unschärfe
territorialer Standortbestimmungen. So ist denn nun auch dementsprechend auf
dem Umschlag der jüngsten Ausgabe nicht etwa wie gewöhnlich eine Universität
abgebildet, also ein klar identifizierbares Objekt, sondern
irgendein Roma-Palast, genauer gesagt "ein palastartiger Roma-Neubau in
Rumänien", was schon auf Anhieb ein unbehagliches Gefühl der Ambiguität, der
Nichtlokalität verleiht – so dass der Leser bereits im Vorfeld der Lektüre
beinah aufspringt und fragt: Papiere in Ordnung? Dabei ist man bereits
unwillkürlich mittendrin in der zweckmäßig aus vielen Richtungen
angegangenen Hauptproblematik dieses Bandes – und hat seinen mutmaßlich
objektiv-unvoreingenommenen Standpunkt bereits eingebüßt, was der Diskussion
rund um die Asymmetrie der Betrachtungsweise im weitesten Sinne dienlich
ist. Irgendwo in Rumänien, könnte es heißen. Das kommt: ein fahrender
Palast?
Es
geht nämlich, so die Herausgeber, um "Darstellungen von Roma im europäischen
Kontext unter Berücksichtigung ost-west-europäischer Macht-Asymmetrien".
George Guţu,
der sich übrigens sicherheitshalber gleich mal des Pluralis Majestatis
bedient, wenn er über seinen einschlägigen Forschungsaufenthalt an der
Universität Trier berichtet, stellt ein wichtiges Periodikum der Roma im
Rumänien der Zwischenkriegszeit vor: "Glasul Romilor" (Die Stimme der
Roma). Thomas Schares, der jetztige DAAD-Lektor in
Bukarest, erörtert "Parallele Wort- und Bilddiskurse über Vlad Ţepeş" – und
zitiert dabei natürlich u.a. einen ADZ-Beitrag von Markus Fischer, der
seinerseits in den Neunzigern als DAAD-Lektor in Bukarest nach dem Rechten
schaute und sich in dem zitierten Beitrag – womit sonst? – ebenfalls mit
Vampiren und Dracula beschäftigt.
Iulia-Karin
Patrut schlägt in ihrer Abhandlung zum binneneuropäischen Kolonialismus und
seiner Darstellung in der deutschsprachigen Literatur des 19.
Jahrhunderts Sebastian Münsters 1544 erschienene Cosmographia auf:
"Als man zahlt von Christi Geburt 1417 hat man zum ersten mal in Teutschland
gesehen die Zygeuner, ein ongeschaffen, schwartz, wüst und onflätig Volck
[…] Wann die armen Dorffleut im feldt sind, durchsuchen sie ihre Häuser ond
nehmen was ihnen gefällt."
"Nu-i cunoşti pe ăştia“, weiß es Hendrik Kraft
aus dem breiteren Zusammenhang der 'Zigeuner'-Geschichte im rumänischen Film
Furia vermittels eines treffenden Zitats auf den Punkt zu bringen. Du kennst
diese Leute nicht: Ein gutes Wort auch für die Versinnbildlichung des
Kernstücks dieses Bandes, für die Andersheit der Ausgegrenzten, für die
Einverleibung von Vorurteilen und die "diskursiven wie ästhetischen
Verortungen sogenannter interner Fremder". Thomas Söder fängt "das flüchtige
Ich" eines Emil Cioran auf, denkt es "in stetig wechselnden Spiegelungen und
Brechungen", und Cosmin Dragoste untersucht innerhalb von "Biographien wie
leere Zimmer" den Menschen als Puzzle bei Roland Kirsch.
Ja,
ein Puzzle. Ein größeres Puzzle kommt hierin zustande, das weit aus dem
Stereotyp hinaus führt, ein von George
Guţu,
Thomas Schares, Iulia-Karin Patrut und Herbert Uerling sinnvoll
zusammengestellter Band, der Lücken in der Forschung ausfindig macht und
füllt – oder eben doch munter in Augenschein nimmt und aus einer dem Stand
der Forschung auch methodologisch angemessenen Perspektive beleuchtet.
Wagen wir einen
Schritt zurück (um besser ausholen zu können): Auch der Ende 2010
erschienene Doppelband von transcarpathica (Heft 7-8, 2008-2009)
bringt erwartungsgemäß wohldokumentierte, aktuelle Beiträge rumänischer und
ausländischer Germanisten, die in drei Sektionen eingeteilt sind: Gender
Studies; Literaturwissenschaftliche Aufsätze; Aufsätze zur Linguistik und
zum DaF-Unterricht. Darüber hinaus bietet der Band einen Bericht über ein
DaF-Projekt im Wirtschaftsstudium, mehrere Rezensionen und ein Interview mit
dem österreichischen Schriftsteller und Herausgeber Karl-Markus Gauß.
Auf dem u.a. vor
allem auch grafisch gelungenen Umschlag ist die Babes-Bolyai-Universität
abgebildet, was wohl in der Natur der Dinge liegt, wurde doch die erste
Sektion (Überschrift: "Andere Länder, andere Lieben") von den Klausenburger
KollegInnen zusammengestellt, wie die Herausgeber im Vorwort erläutern. Dass
"nun der Herausgeberrhythmus unserer für die rumänische Germanistik so
essentiellen Publikation wieder in besseres Fahrwasser" komme, steht da auch
– eine interessante Formulierung, denn es ist ja schließlich keineswegs etwa
der Herausgeberrhythmus (besser: der Herausgaberhythmus), der ins Fahrwasser
kommt, sondern das Jahrbuch.
Weitere
in bezug auf die Selbstverständlichkeit des Faches (What’s that?) relevante
Formulierungen, wie etwa "germanistische 'Mutterländer'" oder "inlands- und
auslandsgermanistische FachkollegInnen", umreißen im Vorwort wie aus
kapriziös erheiternd-kreativer Perspektive grundlegende Fragestellungen zum
strapazierten Begriff Germanistik und dessen ebenbürtigen Derivat
Auslandsgermanistik. Kurz, wenn schon nicht bündig: Germanisten =
"germanistische" Leute. Deutschsprachige Länder = "germanistische" Länder.
Und dass da zum Beispiel sowas wie "Gender Studies" zur Sache gehört, macht
heutzutage zwar eine kaum mehr hinterfragte Tatsache aus, wird dabei jedoch
von den transcarpathica-Herausgebern insofern beschwichtigend
relativiert, als "das Label 'gender' von uns nicht im dogmatischen Sinne
verstanden sein will". Die Germanistik steht freilich weltweit seit geraumer
Zeit im Begriff, aus ihrem Namen heraus zu fallen, und es werden denn auch
von ihren Verfechtern keine Forschungen mehr betrieben, sondern Studies.
Auch der
Doppelband 7-8 bewährt sich darüber hinaus durch sein reichhaltiges und
sorgfältig zusammengestelltes Angebot als eine sinnvolle, weiterführende
Dokumentationsquelle für einschlägige Forschungsprojekte. Sorin Gădeanu etwa
schreibt in seinem vierzig Seiten starken Beitrag ausführlich über die
"Lesekultur und Sprachwahl an einer westrumänischen Kontaktprogrammschule",
Ursula Wittstock diskutiert aus kenntnisreicher Perspektive die "Moderne
Dramatik um 1900 auf der Bühne des deutschen Theaters in Hermannstadt",
Eleonora Ringler-Pascu beleuchtet unter dem Titel "Rebellen aus Österreich
in Rumänien? Nein, danke!" die Rezeption der Werke von Thomas Bernhard und
Peter Handke in Rumänien, und Cristina-Andreea Pascu beschäftigt sich in
ihrer Abhandlung ("Eine engagierte Schriftstellerin im Dienst der jungen
Leser und des rumäniendeutschen Kulturguts") mit Karin Gündisch und ihrem
literarischen Schaffen.
Bianca Bican
lässt sich über das Thema "Literaturbetrieb und Politik im kommunistischen
Rumänien" aus und geht folgerichtig dem "Mythos des Widerstands durch
Kultur" anhand des singulären offenen Dissidententums des Schriftstellers
Paul Goma nach. Dabei stellt sie das Selbstbild des Rumänischen
Schriftstellerverbands in Frage, der den 1977 verstoßenen Goma dann nach
1990 rückwirkend vereinnahmte und das Moment seiner Widersetzlichkeit "auf
das gesamte rumänische Kulturwesen" übertrug. Bican erforscht die
Mechanismen der kommunistischen Zensur unter Heranziehung relevanter
Zeugnisse (zitiert werden in diesem Zusammenhang Franz Hodjak, Norman Manea,
Ion Zainea, usw.) und widerlegt mit nuancierten Argumenten die bis auf den
heutigen Tag
vom Rumänischen Schriftstellerverband vertretene
Version seiner vermeintlich einzigartigen Unabhängigkeit gegenüber der
staatlichen Ideologie und deren Kontrollmechanismen.
Daniela Vladu
untersucht "die deutschen Modalpartikel DOCH und ihre Entsprechungen im
Rumänischen und Englischen" anhand von Auszügen aus Günter Grass'
Blechtrommel und den entsprechenden Übersetzungen ins Rumänische bzw.
ins Englische, die im Kontext zweckmäßig erörtert werden. Vladu unterzieht
die (aus Nora Iugas 1997 im Bukarester Univers Verlag erschienenen
Übersetzung zitierten) rumänischen Entsprechungen der jeweils diskutierten
Stellen einer kritischen Analyse und bietet sogar ein paar konkrete
Verbesserungsvorschläge zur optimalen Erfassung des Sinns der
Originalausgabe.
Diese Vorschläge
sind freilich nicht immer vertretbar. So meint Vladu z.B. den kurzen und von
Iuga ja durchaus passend übersetzten Satz "Na, Freddy, das ist doch genau
was du suchst fürn Keller" ("Păi,
Freddy, asta e exact ce cauţi tu pentru pivniţă ")
verbessern zu müssen und entfernt sich leider sowohl von der deutschen
Originalvorlage als auch von deren Sinn, indem sie etwas hinzu dichtet und
folgende, kaum nachvollziehbare Version vorschlägt: "se potriveşte de minune
cu pivniţa ta."
An einer anderen
zitierten Stelle wäre eine Beanstandung der rumänischen Fassung allerdings
berechtigt gewesen, was Vladu aber übersieht: "An sich suchen Sie doch einen
Lehrling, oder?" ("Vă gîndiţi totuşi să vă luaţi un ucenic"). Die
Übersetzerin greift zur rumänischen Konzessivkonjunktion "totuşi"
("trotzdem"). Dabei ist der Sinn der Modalpartikel "doch" hier keineswegs
etwa ein konzessiver, sondern es handelt sich um eine
Rückversicherungsfunktion.
Wie dem auch
sei: Das Handwerk des Übersetzers hat mit Einfühlung, mit Aneignung, mit
Verinnerlichung und Entäußerung zu tun. Im ADZ-Interview (Allgemeine
Deutsche Zeitung für Rumänien) vom 8.7.2011 ("Man muss das innere Leben
des Autors erfassen, das ist sein Schweigen") sagt Nora Iuga: "Auf der
Hochschule werden Übersetzungskurse gehalten. Die Professoren vergleichen
selbstverständlich mit großer Sorgfalt, ob dem genauen Sinn die größte
Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Meine Art zu übersetzen finden sie des
Öfteren schlampig und oberflächlich. (...) Ich kenne mein Geheimnis. Wenn
ich übersetze, tue ich das immer fest davon überzeugt, dass ich selbst den
Text schreibe ... und so muss es auch sein. Bin nicht ich für Rumänien der
Autor der Blechtrommel?" |
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