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Ein Jahrzehnt Theater ACT
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Alternativ und eigenständig, lebendig und publikumsnah, so hat sich
das "Theater Act" immer schon verstanden. Heute, zehn Jahre nach seiner
Gründung, ist es eines der Aushängeschilder der rumänischen Theaterszene.
Es steht für anspruchsvolle Unterhaltung und Förderung der Jugend.

Von Irina Wolf
(01. 12. 2008)

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"Eine jahrtausendealte Perversität, in die die Menschheit vernarrt ist,
und deshalb so tief in sie vernarrt ist, weil sie in ihre Verlogenheit
so tief vernarrt ist." (Thomas Bernhard über das
Theater in seinem Stück Der Theatermacher)

   Wer das alte Gebäude bei Hausnummer 126 im Zentrum Bukarests, auf einer der bekanntesten Hauptstraßen, der Calea Victoriei betritt, braucht nicht lange nach dem Eingang des Theaters zu suchen. Eine sympathische junge Dame empfängt die Besucher und gewährt nach einem kurzen Blick auf die Theaterkarte Einlass. Geht man den schmalen Gang entlang und steigt den engen Treppengang hinunter, tut sich ein Kellerraum mit etwa 100 Sitzplätzen auf, die auf drei Seiten von einer vier mal sechs Meter große Bühne umgeben sind. Das ist die 1998 eröffnete Spielstätte des Theater Act, des ersten selbstständigen Projekttheaters in Rumänien.

Eigentlich begann alles schon im Jahr 1995, als eine Handvoll rumänischer Theaterleute, unterstützt von Schauspielern aus England und den USA, beschlossen, das erste unabhängige kulturelle Unternehmen in Rumänien zu gründen: die Theater Act Stiftung. Ziel der Stiftung war es, eine eigene Spielstätte für Theater-, Musik-, Film- und Tanzaufführungen zu etablieren.

In der damaligen Theaterlandschaft Rumäniens, hundertprozentig dominiert von den staatlichen Theatern, wurde somit ein erster Schritt in Richtung alternatives, eigenständiges Theater gesetzt. Seitdem entstanden im ganzen Land zahlreiche freischaffende Theatergruppen, wie zum Beispiel das erste Cafétheater (Teatrul Luni/Green Hours), das erste Theater im Dachboden eines Caféhauses (Teatrul Arca/La Scena), Teatrul Inexistent, Teatrul Fara Frontiere, Compania independenta Of-Of, Compania independenta de teatru D'Aya (alle in Bukarest), das Teatrul Imposibil Klausenburg, das Teatrul 74 Neumarkt, Aualeu/Teatrul de Garaj si Curte Temesvar, Teatrul Joint Kronstadt und Teatrul Pi Buni Piatra Neamt. Jedoch haben die wenigsten von ihnen ihre eigene Spielstätte.

"Das Theater Act ist meine Antwort auf das, was ich mir unter Leben vorstelle, auf das, was ich auf dieser Welt für das Wichtigste erachte", beschreibt Marcel Iures, weltweit bekannter rumänischer Schauspieler, Präsident der Stiftung sowie Direktor des Theaters, sein Unternehmen.

   Im Jahrzehnt seines Bestehens wurde publikumsnahes, lebendiges Theater in 1300 Aufführungen, davon 50 Premieren, geschaffen. Von Anfang an war eines seiner grundlegenden Ansätze, Unterhaltung auf hohem Niveau, Vergnügen und Aufklärung zu vereinen. Die Nähe zwischen Zuschauerraum und Bühne sowie die Abwesenheit eines Vorhanges zwangen sowohl Schauspieler als auch Publikum, ihr Verhalten zu ändern. Es entstand eine Intimität zwischen den beiden, die einen besonderen Reiz darstellt.

Das Theater Act veranstaltet eigene Produktionen, unterstützt Koproduktionen mit anderen autonomen Theatergruppen und gibt diesen gleichermaßen die Möglichkeit, Gastspiele mit eigenen Produktionen auf der Bühne des Theaters aufzuführen. Darüber hinaus wird das Programm ergänzt durch eine Reihe von Autorenlesungen, Musikabenden und Buchpräsentationen. Weitere Aktivitäten sind Künstlergespräche und Rundfunksendungen.

Moderne, zeitgemäße Dramatik und Literatur wurden von Anfang an im Theater Act unterstützt. Für viele Schauspieler, Bühnenbildner und heute bekannte Regisseure der neuen Generation (wie zum Beispiel Gianina Carbunariu und Radu Afrim) bot das Theater Act das erste Podium ihrer künstlerischen Entfaltung.

2002 führte es, als erstes rumänisches Theaterunternehmen, ein Programm zur Förderung der Gegenwartsdramatik in Form eines "Textmarktes" ein: Texte aus der deutschsprachigen zeitgenössischen Dramatik wurden in Form von Leseabenden, gefolgt von Publikumsdiskussionen, vorgestellt. Der Erfolg war so groß, dass es zu Aufführungen mehrerer Stücke kam, wie zum Beispiel Die Präsidentinnen von Werner Schwab, Reise ins Glück von Franz Xaver Kroetz, Feuergesicht von Marius von Mayenburg und Top Dogs von Urs Widmer.

   Jedes Stück aus dem Repertoire des Theaters ist auf ein eigenes Publikum abgestimmt. Für Kleinkinder steht die Geschichte über die Sehnsucht eines Pinguins auf dem Programm, erzählt von der vielseitigen Künstlerin Ada Milea. An Erwachsene, die auf den Sitzkomfort der staatlichen Theater verzichten können und die sich zwischen den eng stehenden Sitzreihen im Saal wohl fühlen, richten sich unter anderem Stücke von David Mamet, Terrence Mc Nally, Neil La Bute und Edward Albee. Das Theater Act ist jedoch nicht auf amerikanische Dramatik spezialisiert, sondern orientiert sich ganz allgemein an der Moderne. Weitere gespielte Autoren sind Thomas Bernhard, Hideki Noda und Yevgeni Grishkovets. Die rumänische Gegenwartsdramatik ist derzeit nur wenig präsent durch Radu Macrinici und Alina Nelega.

In der Spielstätte, wo im Zuge von Renovierungsarbeiten auch kommunistische Relikte gefunden wurden, wird heute "Amalia atmet tief ein" gespielt. Der beim Heidelberger Stückemarkt im Jahr 2007 preisgekrönte Text von Alina Nelega lässt den Kommunismus in einem einzigartigen Monolog Revue passieren. Die Regisseurin Mariana Camarasan und die Bühnenbildnerin Alexandra Penciuc, beide Absolventinnen des UNATC (Staatsuniversität für Theater- und Filmkunst Bukarest) 2007 beziehungsweise 2008 nutzten meisterhaft den Raum, der sich für Stücke mit kleiner Besetzung besonders eignet und realisierten eine erstklassige Aufführung. Die Darstellerin Cristina Casian, die damit 2007 ihr Schauspiel-Abschlussdiplom bei UNATC belegte, erhielt dafür 2008 den UNITER (Verband der rumänischen Theater) Preis in der Kategorie Debüt.

   Ein weiterer Höhepunkt des Repertoires ist "Der Theatermacher" von Thomas Bernhard. Das Stück ist mit über 250 Aufführungen in sieben Jahren eines der meistgespielten der rumänischen Theaterszene nach 1990. Alexandru Dabijas Inszenierung besticht durch eine beeindruckende Analyse des heutigen Rumänien, reflektiert aber auch den Status des Schauspielers. Dazu der Regisseur anlässlich der Premiere des Stücks 2001:

"Ich glaube nicht, dass es einen günstigeren Zeitpunkt in der rumänischen Kunst gibt, um über den Schauspieler zu sprechen. Ich glaube auch, dass es keinen besseren Schauspieler gibt, um über das Nichts zu sprechen, als den aktuell arriviertesten rumänischen Schauspieler."

Dabija meint damit Marcel Iures, der den Bruscon spielt. Iures wurde für diese Rolle 2002 mit dem UNITER Preis für besten männlichen Hauptdarsteller ausgezeichnet. Für UNATC Studenten bildet die Auseinandersezung mit dem Stück das erste Seminar ihres Studiums.

Ein besonderer Schwerpunkt des Theaters Act umfasst den Bereich Jugendtheater. Ein umfangreiches Projekt zur Rehabilitierung des Interesses für das Theater in den Bukarester Gymnasien geht ganz besonders auf die Bedürfnisse der Schüler ein. Schon 2005 begann das Theater Act eine Zusammenarbeit mit verschiedenen Bukarester Bezirksämtern, um den Jugendlichen die Sprache des Theaters zu vermitteln. Monatlich werden vier attraktive Stücke, geeignet für Fünfzehn- bis Achtzehnjährige, aufgeführt, gefolgt von inhaltlichen Diskussionen mit den Künstlern (Professoren oder frische Absolventen des UNATC).

   Viele Jugendliche erleben im Theater Act ihren ersten Theaterbesuch und es kommt nicht selten zu Konflikten. Da manche den Theater- mit dem Kinosaal verwechseln, gibt die Theaterleitung am Anfang der Aufführung eine kurze Einführung über die Umgangsformen im Theatersaal.

Das Theater Act hat etliche Male im In- und Ausland gastiert und mehrere Preise erhalten. Seit Längerem wird es als etabliertes Theater, als Aushängeschild der rumänischen Theaterszene angesehen. Die größte Anerkennung kam 2007, als während des FNT (Nationales Theaterfestival) ein eigenes Modul dem Phänomen Theater Act gewidmet wurde. In dem Jahrzehnt seines Bestehens hat das Theater Act durch seine Aufführungen den Publikumsgeschmack kultiviert und für anspruchsvolle Unterhaltung gesorgt.
 


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