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Ovationen für Innovationen
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Das nennt man ein wahrhaft dichtes Programm: Mit 200 Aufführungen und Events in 11 Tagen
hat sich das Internationale Theaterfestival im rumänischen Sibiu (Hermannstadt) mittlerweile
zu einem der größten in Europa gemausert. Geboten wird ein Höchstmaß an Vielfalt,
Multikulturalität und Innovation, ganz der Absicht des Festivalleiters Constantin Chiriac
gemäß, der sich von Anfang an das Ziel gesetzt hat, "kulturell hochwertige
Darbietungen aus der ganzen Welt" nach Hermannstadt zu bringen.

Von Irina Wolf
(16. 06. 2009)

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Irina Wolf
wolfirina [at] yahoo.com


wurde in Bukarest geboren.
Nach Abschluss ihres Infor-
matikstudiums kam sie 1988
durch ein Herder-Stipendium
nach Wien. Nach mehreren
Jobs im Telekommunikations-
und Forschungsbereich
wechselte sie 1993 in den
Handelsbereich. Seitdem
arbeitet sie bei der Friedrich
Wilhelm GmbH & Co.KG
und hält weiterhin engen
Kontakt mit Rumänien.


 

 

 


(c) Irina Wolf

Hermannstadt
(Sibiu)

 

 

 


(c) Irina Wolf

Aufmarsch der
Tanzgruppen

 

 

 


(c) Irina Wolf

"Eine Straßenbahn
namens Popescu"

 

 

 


(c) Mihaela Marin

"Faust I"

 

 

 


(c) Mihaela Marin

"Faust I"

 

 

 

Linktipp
www.sibfest.ro

 

 

   Eine Industriehalle, eine alte Straßenbahn, der Keller einer Kirche, der Sportsaal eines Gymnasiums unkonventionelle Orte wie diese sind es, die das rumänische Sibiu (Hermannstadt) jedes Jahr für 11 Tage in einen weitläufigen Schauplatz für das Internationale Theaterfestival verwandeln. Zusammen mit den zwei vorhandenen Theaterhäusern entsteht damit eine einmalige Atmosphäre. Das wichtigste Theaterfestival Rumäniens, das heuer von 28. Mai bis 7. Juni in der Kulturhauptstadt Europas 2007 stattfand, bot ein umfangreiches kulturelles Programm, von klassischem Theater über Tanztheater bis hin zu Straßentheater. Auch wenn das Wetter den Organisatoren einen Strich durch die Rechnung machte und die offizielle Eröffnung erst drei Tage später zustande kam, war der Spielplan äußerst abwechslungsreich.

Mythologie auf dem Parkplatz, Walpurgisnacht in der Fabrikhalle

   Ein Festival-Hit sollte es werden! Für Ovids "Metamorphosen" in der Regie von Silviu Purcarete wurde der Parkplatz des Nationaltheaters in ein riesiges Wasserbecken verwandelt. Nachdem am ersten Tag die Veranstaltung im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser fiel, fand die rumänische Erstaufführung der "Metamorphosen" am nachfolgenden Abend bei fast winterlichen Temperaturen statt. Fünfhundert Regenmäntel und heißer Tee wurden dem enthusiastischen Publikum von den Organisatoren kostenlos zur Verfügung gestellt. Das Stück entstand 2007 in Zusammenarbeit mit dem Dramatiker Alain Garlan und dem Escher Theater Luxemburg und wurde im Centre Culturel de Rencontre Abbaye de Neumünster unter ähnlichen Wetterbedingungen uraufgeführt. Anhaltender Regen und Kälte führten dazu, dass die zweite Vorstellung erst am Schlusstag des Festivals nachgeholt werden konnte.

Zu den Höhepunkten des Programms zählte Purcaretes spektakuläre Inszenierung von Goethes "Faust I", die in der Industriehalle "Balanta", einem Raum mit einer Fläche von ca. 1.700 Quadratmeter gespielt wurde. Helmut Stürmers prunkvolle Szenografie nützte die Einrichtungen der Fabrik (Ketten, Innenkräne, Traversen, Metallwagen) voll aus. Die vielfältige Besetzung (mit der Preisträgerin des rumänischen Theaterverbandes Ofelia Popii in der Rolle des Mephisto) umfasste neben den Schauspielern des örtlichen Nationaltheaters Radu Stanca ungefähr siebzig Pyrotechniker und Tänzer und auch Studenten der Schauspielabteilung der Lucian Blaga Universität sowie eine live spielende Rockgruppe. Die beeindruckende interaktive Produktion wird beim Theaterfestival in Edinburgh vom 18. bis zum 22. August fünfmal zu sehen sein.

Ebenfalls in einer Fabrikhalle wurde das Gastspiel des Cherkasky Shevcenko Academic Drama Theater "Woyzeck" von Georg Büchner in einer Inszenierung des ukrainischen Star-Regisseurs Andriy Zholdak gezeigt. Ein weiteres Gastspiel, Tschechows "Der Kirschgarten", gehörte zweifellos zu den größten Attraktionen des Festivals. Das mit einer Dauer von fast fünf Stunden bei weitem längste Stück des Festivals unter der Leitung des international bekannten litauischen Regisseurs Eimuntas Nekrosius an der Moskauer Stanislavsky Foundation erwies sich als fabelhaftes Meisterwerk.

"Ein- und Ausstieg ausnahmslos am Friedhof "

   Die vermutlich originellste Aufführung spielte in einer alten Straßenbahn, die anderthalb Stunden lang von der Endstation am Friedhof bis zu den Vororten und retour dahinschlich. In dem Gemeinschaftsprojekt "Eine Straßenbahn namens Popescu", einer viersprachigen Vorstellung, wurden Szenen aus dem Leben des rumänischen Dichters Cristian Popescu, dem Autor des Stückes, wiedergegeben, wobei die Schauspieler des Nationaltheaters Hermannstadt die nach der Bunraku-Form gefertigten Puppen (die die Familie Popescu verkörpern) bedienten. Ungeachtet des heftigen Regens versuchten mehrere Passanten ihr Glück, eine Zusatzkarte zu bekommen, ohne zu wissen, dass nur insgesamt siebenundzwanzig Teilnehmer in den Wagen hineinpassen.

Silviu Purcarete, der seit Anfang der 1990er Jahre bereits mehrmals als Gastregisseur im Ausland gearbeitet hatte, zeigte beim Hermannstädter Festival eine dritte Inszenierung: "Die Riesen vom Berge" von Luigi Pirandello, eine Produktion des Nationaltheaters aus Iasi. Martin McDonaghs "The Pillowman", Heiner Müllers "Hamletmachine" und Shakespeares "Richard III" sind nur einige der von landesweiten rumänischen Theaterhäusern präsentierten Highlights in Inszenierungen von bedeutenden nationalen Theaterregisseuren wie Radu Afrim, Alexandru Dabija, Victor Ioan Frunza, Dragos Galgotiu und Gábor Tompa.

Darüber hinaus zeigten Künstler und Ensembles aus der ganzen Welt bejubelte Produktionen oder Koproduktionen in Originalsprache mit Übertiteln, unter anderem ein Shakespeare aus Japan ("Titus Andronicus", Regie: Masahiro Yasuda), eine umstrittene italienische Studie nach Euripides ("Medea", Regie: Antonio Latella) und ein Beckett ("Endspiel") aus Hermannstadt in der Regie von Charles Muller (Luxemburg).

Tanzakrobatik und Schneckensuppe

   Die größte Innovation des Festivals im Vergleich mit anderen rumänischen Veranstaltungsreihen – bestand allerdings darin, dass mehr als die Hälfte der Vorstellungen im Freien stattfanden. Die kleine, aber dank ihrer mittelalterlichen Kunstschätze bezaubernd schöne Innenstadt ist die passende Plattform für Straßenshows. Für Aufsehen sorgte die britische Künstlergruppe "Neighbourhood Watch Stilts International" mit ihren Schmetterlings- und Riesenvögel-Acts sowie Ameisenorchester-Prozessionen. Die akrobatischen Kokons der französischen Gruppe "Treteaux du Coeur Volant", Künstler und Jongleure unter anderem aus Australien, Deutschland, Belgien und Portugal, faszinierten mit ihren interaktiven pantomimischen Darbietungen, kombiniert mit Zirkusakrobatik und Lichteffekten, das Publikum in der Innenstadt. Zu den ungewöhnlichsten Außenvorstellungen zählte der Auftritt der französischen Blaskapelle "Taraf Goulamas", die zu orientalischen Musikklängen Schneckensuppe kochte und den Zuschauern servierte.

Tanzgruppen aus China, Israel, Italien, Japan, Polen und Spanien, aus der Elfenbeinküste und Senegal lieferten auf den städtischen Spielplätzen, aber auch in der Fußgängerzone erstklassige Shows. Über zwölf Flamenco-Variationen bot die "Compania Flamenca Adrian Sanchez" aus Spanien. Die israelische Tanzgruppe "Nadine Bommer" brachte eine originelle Bühnenumsetzung von Cartoons. In nur acht Minuten zeigte die "Peking Modern Dance Company" die Anpassung eines jungen Paares an das Stadtleben.

   Musik aus Irland, Kanada, Mexiko und Russland, Fado-Konzerte, Konferenzen (wie z.B. über Grotowski und Kantor), eine dem polnischen Regisseur Tadeusz Kantor gewidmete Fotoausstellung, eine Ausstellung des Karikaturisten-Königs Stefan Popa Popa's sowie Buchvorstellungen, Lesungen (wie z.B. Dea Lohers "Unschuld" oder Wajdi Mouawads "Verbrennungen"), Workshops u.v.m. ergänzten das Angebot.

Im europäischen Jahr der "Kreativität und Innovation" lief die XVI. Auflage des Festivals unter dem Motto "InnOvationen". Während bei der ersten Auflage 1994 nur acht Vorstellungen gezeigt wurden, erhöhte sich heuer die Zahl der internationalen und rumänischen Events auf etwa 200, sodass das Theaterfestival in Hermannstadt mittlerweile zu einem der größten in Europa zählt. Der engagierte Festivalleiter Constantin Chiriac hat sich von Anfang an darauf konzentriert, kulturell hochwertige Darbietungen aus der ganzen Welt nach Hermannstadt zu bringen, immer wieder Neues und Innovatives zu präsentieren.

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